In der vorangegangenen Einleitung wurde die Geschichte der Frauenerwerbstätigkeit seit Beginn des 19. Jahrhunderts kurz zusammengefasst. Anhand dieses Überblicks ist zu erkennen, dass vorhandene gesellschaftliche Geschlechterunterschiede seit den 1970er Jahren nivelliert wurden und sich die Lebensbereiche von Männern und Frauen, insbesondere in den Bereichen Ausbildung, Lebensplanung, Lebensformen und soziale Sicherung, erheblich verändert haben (vgl. Brettschneider 2008: 55). Bezüglich der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Beruf haben politische Maßnahmen, besonders auf EU-Ebene aber auch auf nationaler Ebene, in den letzten drei Jahrzehnten ihren Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet (vgl. ebd.). Dennoch spiegelt sich in Deutschland die stark verbesserte Ausbildung und die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen nach wie vor nicht in einer entsprechenden Verteilung der Geschlechter in den Führungspositionen wieder (vgl. Kohaut/Möller 2010: 1). Diese Aussage wird im Folgenden durch entsprechende Studien und Analysen belegt.
Führungspositionen in Unternehmen sind auf unterschiedlichen Hierarchiestufen zu finden (vgl. Kleinert et al. 2007: 27). In dieser Arbeit werden die Bezeichnungen „erste Führungsebene“, „Top-Management“ oder „höchste Führungsebene“ synonym benutzt. Zu diesem Bereich zählen Vorstände, Geschäftsleitung, Geschäftsbereichs- und Hauptabteilungsleitung (vgl. ebd.). Die ebenfalls erwähnte zweite Führungsebene umfasst Tätigkeiten des mittleren Managements, wie z. B. Filial- und Abteilungsleitung und die Leitung von Kompetenzzentren (vgl. ebd.).
Das IAB-Betriebspanel hat im Jahr 2008 eine Datenerhebung zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ durchgeführt (vgl. ebd.: 2). Demnach wurden zu diesem Zeitpunkt 75 Prozent aller Betriebe der Privatwirtschaft in Deutschland von Männern geleitet (erste Führungsebene) und das bei einem Anteil von durchschnittlich 42 Prozent weiblicher Beschäftigter (vgl. ebd.). In der zweiten Führungsebene sind Frauen mit einem Anteil von 35 Prozent etwas häufiger zu finden (vgl. ebd.). Interessant ist auch, dass mit steigender Betriebsgröße der Anteil weiblicher Führungskräfte deutlich abnimmt (vgl. ebd.).
Die letzte Analyse „Frauen in Führungspositionen“ von Hoppenstedt aus dem Jahre 2010 zeigt ebenfalls, dass Deutschland in diesem Bereich im europäischen Vergleich immer noch zu den „Entwicklungsländern“ gehört (vgl. Hoppenstedt 2010). Hoppenstedt untersucht seit dem Jahr 1995, basierend auf einer Datengrundlage von 300.000 der größten deutschen Unternehmen, den Anteil weiblicher Führungskräfte in der ersten Führungsebene, wobei auch Verbände und Behörden mit einbezogen werden (vgl. Brettschneider 2008: 60). Gemäß dieser Analyse betrug der Anteil von Frauen im Top-Management im Jahr 2010 rund 20 Prozent (vgl. Hoppenstedt 2010). Dies bedeutet einen Anstieg um 12 Prozent seit dem Jahr 1995, welcher allerdings hauptsächlich auf die Zunahme des Frauenanteils in mittleren und kleinen Unternehmen zurückzuführen ist (vgl. ebd.). Betrachtet man nur die Großunternehmen, sind in der höchsten Führungsebene nur 6 Prozent Frauen vertreten (EU-Durchschnitt: 13,7%), allerdings ist auch in diesem Bereich, wenn auch auf niedrigem Level, eine deutliche Steigerung festzustellen (1995: 3%) (vgl. ebd.; vgl. Europäische Kommission 2012: 10).
Die Auswertungen der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahre 2006 kamen zu ähnlichen Ergebnissen, wie die Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Hoppenstedt (vgl. z. B. Holst 2009: 33 oder Binder 2007: 87-126).
Noch ungünstiger als in der Privatwirtschaft und in öffentlichen Verwaltungen sind die Karrierechancen von Frauen an Hochschulen wie die Daten des Statistischen Bundesamts von 2009 belegen (vgl. Rusconi et al. 2011: 10). Der Anteil von Frauen an Promotionen und Habilitationen und auch der Anteil an Professorinnen ist zwar seit den 1980er Jahren gestiegen, der Anteil an C4/W3-Professuren betrug 2008 jedoch nur 13 Prozent (vgl. CEWS 2010).
Obgleich bei der Bewertung der oben aufgeführten Statistiken zu berücksichtigen ist, dass die zugrundeliegenden Definitionen des Begriffs ‚Führungsposition‘ variieren können, z. B. weil die Hierarchien und die Aufbauorganisation in den befragten Betrieben unter Umständen sehr unterschiedlich sind, untermauern die ermittelten Zahlen die Aussage, dass Frauen in Führungspositionen stark unterrepräsentiert sind.
Stellt man den Frauenanteil an Managementpositionen in der deutschen Privatwirtschaft in den gesamteuropäischen Vergleich, liegt Deutschland im oberen Mittelfeld (vgl. Holst 2009: 152ff.). Betrachtet man jedoch nur börsennotierte Unternehmen, liegt Deutschland im unteren Mittelfeld (vgl. Rusconi et al. 2011: 11). In den Vorständen der zweihundert umsatzstärksten privaten Unternehmen waren Frauen im Jahr 2009 mit einem Prozentsatz von lediglich 2,5 Prozent fast gar nicht präsent (vgl. ebd.).
Die Zahlen überraschen umso mehr, wenn man einen genaueren Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Bildungsbereich und die Änderungen in der Gesetzgebung in Bezug auf Chancengleichheit von Männern und Frauen wirft. Vormals vorhandene Geschlechterunterschiede in der Bildung und der formalen Qualifikation haben sich in den letzten Jahren angeglichen (vgl. ebd.: 10). Bei den heute 60- bis 65-Jährigen lässt sich noch ein starkes Bildungsgefälle feststellen: 32 Prozent der Männer, aber nur 16 Prozent der Frauen haben einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010: 228). Im Jahr 2008 waren 52 Prozent der Personen, die einen Hochschulabschluss absolviert haben, Frauen (vgl. ebd.: 299). Frauen haben Männer in Bezug auf Bildung also nicht nur eingeholt, sondern überholt. Warum hat diese Entwicklung bisher nicht zu einer stärkeren Repräsentanz von Frauen in Spitzenpositionen in Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft geführt? Was sind die Gründe?
Die Gründe für die immer noch existente Unterrepräsentanz von Frauen in den höchsten Führungsetagen deutscher Betriebe sind vielfältig und komplex und seit einigen Jahren zunehmend Untersuchungsgegenstand unterschiedlichster Forschungsstudien, wie z. B. der Erlanger Längsschnittstudien (vgl. Abele 2002a: 49). Die in den folgenden Unterkapiteln aufgeführten Gründe und Faktoren werden zunächst grob in zwei Gruppen aufgeteilt: zum einen in betriebliche Faktoren, welche in einer engeren Definition auch unter dem „glass-ceiling“-Phänomen zusammengefasst werden und zum anderen in sozialpolitische und gesellschaftliche Faktoren. Diese Zweiteilung soll im weiteren Verlauf die Beurteilung von möglichen Maßnahmen, sowohl durch die Politik als auch durch die Unternehmen, erleichtern.
Zunächst werden sozialpolitische und gesellschaftliche Faktoren näher erläutert und diskutiert. Zu diesen zählen gesellschaftliche Rollenbilder und Geschlechterstereotype, die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern und der Einfluss von Partnerschaft auf die Karriere. Anschließend erfolgt mit den Unterkapiteln zu den Themen statistische Diskriminierung, Zugang zu informellen Netzwerken und innerbetriebliche Segmentation eine Konzentration auf betriebliche Faktoren.
Geschlecht ist zum einen ein biologisches Merkmal („Sex“), zum anderen aber auch ein soziales Merkmal („Gender“), welches in der Gesellschaft kontinuierlich durch ein „Doing Gender“ konstruiert wird (vgl. Binder 2007: 50; vgl. Busch/Holst 2012: 83). Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau basiert in ihrer Ursprünglichkeit auf den differierenden, biologischen Merkmalen beider Geschlechter. Die biologische Geschlechtszugehörigkeit einer Person aktiviert jedoch bei anderen Personen eine entsprechende Außenperspektive, welche geprägt ist durch kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten (vgl. Eckes 2004: 165; vgl. Abele 2002a: 51). Diese kognitiven Strukturen und Eigenschaftszuschreibungen werden als Geschlechterstereotype bezeichnet (vgl. Eckes 2004: 165).
Stereotype sind, allgemein ausgedrückt, Verhaltenserwartungen an eine Person, die einer bestimmten sozialen Gruppe – in unserem Falle einem bestimmten Geschlecht – angehören (vgl. Brettschneider 2008: 66). Sie sind ein beständiges menschliches Phänomen, geben Orientierung und Sicherheit und werden auch benutzt, um bestehende soziale Rollenzuschreibungen zu rechtfertigen (vgl. ebd.). Geschlechtsstereotype in Bezug auf Führung beinhalten für Frauen z. B. die Attribute sanft, einfühlsam, abhängig, emotional und reaktiv und für Männer die Attribute dominant, unabhängig, rational, selbstsicher, emotionsarm und konkurrenzfreudig (vgl. ebd.: 67). Mit dem Berufsbild „Manager“ werden immer noch hauptsächlich...