Im Mai 2003 wurde das ambitionierte Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf den Weg gebracht. Bis Ende 2009 stellte der Bund insgesamt 4 Milliarden Euro für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung. Mit dem Programm sollen eigentlich neue pädagogische Konzepte in die Schulen einziehen.
Entlarvende StEG-Studie
Unter der Leitung von Prof. Dr. Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) hat die Studie zur Entwicklung der Ganztagsschulen (StEG) den Zeitraum von 2005 bis 2007 untersucht. Ende 2008 wurde das Ergebnis der ersten Erhebungswelle vorgestellt (www.projekt-steg.de). Dort heißt es, dass „lernförderliche und fachbezogene Angebote (im Untersuchungszeitraum) am stärksten ausgebaut wurden.“ Soll man sich darüber auch noch freuen? Zur Erinnerung: Es geht um die Primarstufe, und vor allem: die Teilnahme an den Angeboten der offenen Ganztagsschule ist freiwillig! Statt neuer pädagogischer Konzepte also wieder Nürnberger Trichter. Dieser „Ausbau fachbezogener Angebote“ wird zwangsläufig zu einer weiteren kognitiven Überfrachtung und Verschulung des Kinderlebens durch die Hintertür führen, entgegen aller Erkenntnisse, dass Kinder Freiraum und Spiel für eine gesunde psychische und physische Entwicklung brauchen.
Den eigentlichen Skandal aber und den Beweis dafür, dass ein Umdenken einfach nicht gelingen will, findet man weiter unten in der Studie. Die Forscher sind nämlich der Auffassung, dass bezüglich der fachbezogenen Förderangebote „… aber durchaus noch Entwicklungsbedarf besteht; unverändert sind nämlich Freizeitangebote und Arbeitsgemeinschaften am beliebtesten“. Das heißt im Klartext: Kindern soll mit allen Mitteln ihr Drang nach freiem Spiel ausgetrieben werden. Nicht mehr nur am Vormittag sondern auch noch nachmittags.
Wo Schulen mit Jugendfarmen kooperieren entstehen Lernparadiese
Aber es gibt sie, die neuen pädagogischen Konzepte für die Offene Ganztagsschule. Das Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW hat mit einem entsprechenden Erlass die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern geschaffen. Im Erlass heißt es: Durch gemeinsame Angebote zur individuellen Förderung, zur musisch-künstlerischen Bildung, zu Bewegung, Spiel und Sport und zur sozialen Bildung soll eine neue Lernkultur entstehen.
Damit eröffnet sich den Jugendfarmen die Möglichkeit, im Interesse der Kinder ihrem gesetzlichen Auftrag noch umfangreicher nachzukommen, nämlich als Träger der freien Jugendhilfe als „dritte Sozialisationsinstanz“ (neben Elternhaus und Schule) bei der Gestaltung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen mitzuhelfen.
So wie die Jugendfarm Bonn, die bereits mit sieben Grundschulen, zwei Förderschulen und drei weiterführenden Schulen zusammenarbeitet und dazu ein eigenes Konzept entwickelt hat, sind inzwischen viele Jugendfarmen Kooperationen mit Offenen Ganztagsschulen eingegangen. Das Angebot umfasst ein Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, Förder- und Freizeitangebote, insbesondere aber auch Raum für freies Spiel.
Nachmittags werden die Synapsen zum Feuern gebracht: Spiel und Sport, Räder und Kettcar, Schwimmen, „Faustlos“, Handwerk, Entspannung, Ausflüge, Kochen und Backen, Ralleys, PC-Raum oder Kinderkonferenz stehen auf dem Programm. Ein schönes Ritual beschließt den Tag: Die Abschlussrunde mit einem Imbiss. Aufregendes, Bewegendes, Interessantes wird ausgetauscht, der Tag kann noch einmal Revue passieren, man kann sich freuen auf den nächsten.
Das Besondere an Jugendfarmen sind, neben dem Bauspielplatz, die Tiere: Pferde, Esel, Ziegen, Schafe, Hasen, Meerschweinchen, Frettchen. Sie sind fester Bestandteil des Offenen Angebotes. Pläne regeln die Zuständigkeiten fürs Füttern, Striegeln oder Ausmisten. Die Kinder übernehmen diese Aufgaben und damit die Verantwortung freiwillig und gern. Und sie nehmen sie ernst, denn es ist Pflicht, sich an diese Pläne zu halten. Der Lohn für die Kinder? Neben einer sehr persönlichen Beziehung zum „eigenen“ Tier dürfen sie etwas geben anstatt nur etwas nehmen zu müssen. Eine ungewohnte aber erfüllende Erfahrung in ihrer sonst auf Konsum fixierten Welt.
Ein solches Angebot lässt sich auf einem Schulgelände meist nicht umsetzen. Deshalb kommt es nur den Schulen zugute, die in direkter Nähe einer Jugendfarm liegen. Es gibt aber bereits erste Schulen, die sich einen Bauspielplatz einrichten.

Spielen bildet
Der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat in den 80er Jahren in seinen Forschungen ein Phänomen nachgewiesen, das er „flow“ genannt hat: Einen Glückszustand des Fließens, der ausgelöst wird, wenn man eins ist mit seinem Tun. Wenn die Anforderungen über den eigenen Fähigkeiten liegen, aber nicht unerreichbar sind.
Diesen Zustand kann man bei Kindern beobachten, wenn sie in ihr Spiel versunken sind. Sie spielen zielgerichtet, wollen etwas herausfinden, erforschen – und zwar eigenständig. Sie wollen nicht nach Ostereier-Pädagogik erraten müssen, was der Betreuer von ihnen hören will. Die Pädagogen auf Jugendfarmen und Aktivspielplätzen verfügen über einen umfangreichen „Werkzeugkasten“ pädagogischer Interventionsmöglichkeiten, um Neugier und Forscherdrang der Kinder immer wieder anzuregen. So sammeln sie ihre eigenen Erfahrungen: wann brennt ein Feuer und warum verlöscht es? Wie verbindet sich Wasser mit unterschiedlicher Erde? Warum fliegt ein Drachen – und sie stellen schlaue Fragen: Ob ein Meerschweinchen wohl eine Seele hat?
Zum Lernen braucht es Emotionen
Seit es Hirnscanner gibt, können Hirnforscher darstellen, wann Menschen lernen. Immer dann, wenn Emotionen wie Freude, Glück, Spaß beteiligt sind und wenn das Hirn komplexe Aufgaben lösen muss oder besser: darf, sind besonders viele Synapsen aktiv. Muss hingegen ein Kind – womöglich noch unter Angst – das Einmaleins, mit dem es auch noch große Schwierigkeiten hat, lernen, indem es immer noch mehr Mathe machen muss, feuert ein einziger kleiner Bereich. Das Kind bekommt buchstäblich einen Tunnelblick – und wird sein Einmaleins ganz bestimmt nicht lernen. Der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther antwortete vor Jahren einer besorgten Mutter, deren Kind das Einmaleins nicht lernte, auf die Frage, was sie denn noch tun solle: „Gehen Sie mit ihm angeln“.
Es ist zu lange her, seit Erwachsene zuletzt gespielt haben. Zumindest muss man das vermuten, denn sonst hätten sie nicht eine solche Abneigung dagegen. Sie meinen, Kinder dürften nur spielen, nachdem sie sich vorher beim Lernen ordentlich angestrengt haben. Und das auch nur, um im Spiel wieder Kraft zu tanken für die anschließende Anstrengung beim Lernen. Warum kommen sie nicht auf den Gedanken, dass beides zusammengehört? Und dass Lernen dann keine Anstrengung mehr ist!
Zu wenig Geld für Offene Angebote
So fruchtbar eine Zusammenarbeit Offener Ganztagsschulen mit außerschulischen Partnern ist – es gibt auch Schattenseiten: das Thema Geld. Die Zuschüsse für die Offene Arbeit gehen zurück, das Personal wird durch einen Eigenanteil des Freien Trägers mit finanziert. Bezüglich der finanziellen Ausstattung prallen hier Welten aufeinander. Schulen nämlich sind im Vergleich zu freien Einrichtungen sehr gut ausgestattet.
Zwar bezuschusst das Land NRW die Arbeit der Freien Träger in der Offenen Ganztagsschule im Primarbereich über die Kommunen mit jährlich mit 250 Mio. Euro. Aber dieser Betrag wurde seit 2003 nicht erhöht, weshalb das Budget bei Weitem nicht ausreicht.
Ganztagsschulen brauchen interessante Angebote, sonst kommen die Schüler nicht
Noch einmal zur StEG-Studie: Sie stellt für den Zeitraum 2005-2007 fest, dass auch in der Sekundarstufe, ähnliche wie in der Primarstufe, „jedoch am häufigsten nach wie vor fachunabhängige AG-Angebote besucht werden, die von 71% der Ganztagsteilnehmer in Anspruch genommen werden. Förderangebote und fachliche Angebote werden in beiden Schulstufen immer noch nur von jeweils einem Drittel der Lernenden besucht.“
Der Besuch der Offenen Ganztagsschule ist freiwillig – und das ist gut so! Weil es bedeutet, dass sie ein attraktives Angebot für Kinder schaffen muss, will sie nicht scheitern. Es sei denn, die Eltern wissen wieder einmal besser, was gut ist für ihr Kind.
Es darf gespielt werden!
Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze e.V.
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