Nicht nur für „Esofreaks“

Tantra liegt im Trend

Von Ansgar Lange +++ Das Geschäft mit Tantramassagen boomt. Dies gilt zumindest für große Städte wie Berlin, Hamburg oder Köln. Doch was ist eine Tantramassage? „Etwas zwischen Kamasutra, Gruppensex mit Räucherstäbchen?“, so die Frage des Kölner Stadt-Anzeigers an die Leiterin eines Tantramassage-Studios in der Domstadt. Jenseits des Weißwurst-Äquators gelten jedoch andere Gesetze, so dass Bayern in puncto Tantra eine Art blinder Fleck ist. Dort gilt die indische Berührungskunst als Prostitution, weshalb sich Studios, die auf die Kunst des „Rühr mich an“ spezialisiert sind, im Sperrbezirk angesiedelt sind. Doch mit dem Rotlichtmilieu wollen seriöse Anbieter nichts zu tun haben. Sie halten die Berührung des Intimbereichs bei einer Massage für genauso natürlich wie die Nacktheit von Gebendem und Empfangendem, der rein passiv bleibt. „Ich glaube, Tantra ist das Yoga des neuen Jahrtausends. In den 1980er Jahren haben viele Yoga für Hippie-Eso-Quatsch gehalten. Heute zahlt es die Krankenkasse“, sagt die Tantralehrerin Martina Weiser. Tantra könne es vielleicht auch bald auf Rezept geben. Schließlich sei es auch eine Art Prävention für sexuelle Probleme.

Alle gesellschaftlichen Schichten nutzen tantrische Angebote, die ja viel mehr beinhalten als nur Massagen, betont Dirk Liesenfeld http://www.liesenfeld.de. In seine Seminare und Sessions kommen unterschiedliche Menschen: „Von der 20-jährigen Studentin bis hin zum 75-jährigen Rentner. Und das ist es, was diesen Bereich für mich so spannend macht. Es ist ein realer Ausschnitt aus dem wirklichen Leben. Nicht nur ein paar Esofreaks mit Räucherstäbchen, sondern ein Abbild der menschlichen Gesellschaft“, sagt Liesenfeld, der eine eigene Tantra-DVD-Reihe auf den Markt gebracht hat.

Der Schriftsteller Jörg Fauser hat in seinem Roman „Rohstoff“ dieser Esofraktion ein bitterböses literarisches Denkmal errichtet. Denn seinem Protagonisten, dem Möchtegernschriftsteller Harry Gelb, waren diese „Love&Peace-Früchtchen mit ihren Schlafsäcken, ihren Gitarren, ihrem dummen Gefasel von Woodstock, Togetherness, Karma“ zuwider: „Ich habe diesen Typen nie über den Weg getraut. Sie waren alle nur hinter billigen Ficks her, besonders die, dies es ständig mit dem Bewusstsein hatten. Om. Mit Vaters Scheck durch die „Dritte Welt“, finanziert von Karies, Standard Oil und der Rüstungsindustrie, und dann aber über die Askese predigen, den Sojakeim, Ying-Yang und die kosmischen Strahlen.“

Finanzkrise macht sich nicht bemerkbar

Schaut man sich die Preise an, die für eine Tantramassage veranschlagt werden, so könnte man glauben, dass nur gestresste Banker oder 60-Stunden-Arbeiter mit gut gefülltem Bankkonto zur Klientel dieser Anbieter gehören. „In der Gruppe der Tantramassage-Genießer würde ich schätzen, dass die Hälfte in besser bezahlten, stressigen Berufsgruppen zuhause ist (Banker, Anwälte, Führungspersönlichkeiten etc.), während die andere Hälfte eher „alternativ“ eingestellte Menschen sind, die ganzheitlich und sinnlich interessiert sind“, meint Tantralehrer Nils Kriedner http://www.sahaja-tantra.de, der in Berlin und Dresden oder auch mal in Südafrika Sessions gibt und Tantramasseure und -masseurinnen ausbildet. Die befragten Tantriker geben an, dass die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise keine relevanten Auswirkungen auf ihr „Geschäftsmodell“ hat. Für die meisten hat es keinerlei Einbrüche oder Veränderungen gegeben. Das Geld scheint also noch ziemlich locker zu sitzen, wenn man bedenkt, dass eine mehrstündige Erfahrungsreise in den eigenen Körper durchaus ein paar Hundert Euro kosten kann.

Dies scheint nicht für alle Bereich der Erforschung der eigenen Lust zu gelten. So sagt die Berliner Escort-Dame Carmen, dass sie weniger zu tun hat, seit der Euro kriselt. Die brünette Berlinerin hat dafür aber eine eher persönliche Begründung parat: „Ich habe wahrgenommen, dass meine Kundenzahl weniger geworden ist, dass bestimmte Stammkunden aus der Finanzbranche keine Dates mehr vereinbarten. Das kann damit zusammen hängen, dass sie gerade anderweitig zu tun haben, dass sie gerade das nötige Kleingeld nicht übrig haben oder eben daran, dass ich mich zurückgezogen und nicht aktiv für meinen Service geworden habe.“ Carmen hat sich für ca. ein Jahr lang aus dem Geschäft zurückzogen, um ihr Studium zu beenden.

Damit ist die schöne Geisteswissenschaftlerin, die bei der Piratenpartei für eine liberale Prostitutionspolitik wirbt, kein Einzelfall. Rund vier Prozent der Berliner Studenten jobben nach einem Bericht der Berliner Morgenpost im „Rotlichtmilieu“. Aber weitaus mehr können sich vorstellen, damit ihr Studium zu finanzieren. Jeder dritte Studierende in der Hauptstadt, die angeblich arm, aber sexy ist, kann sich vorstellen, sein Studium mit Prostitution zu finanzieren. Das geht aus einer Studie des Studienkollegs zu Berlin mit dem Titel „Nebenjob: Prostitution“ hervor. Für die Untersuchung hat eine vierköpfige Forschungsgruppe in Berlin, Paris und Kiew insgesamt rund 3.600 Studentinnen und Studenten nach ihrer Einstellung zur Prostitution befragt. Der Schwerpunkt lag mit 3.200 Teilnehmern in Berlin. Die Bereitschaft zur Sexarbeit war in Paris (29,2 Prozent) und Kiew (18,5 Prozent) deutlich geringer als in der deutschen Hauptstadt.

Sinnsuche und Sehnsucht nach Berührung

Den Kunden eines Edel-Escorts geht es wahrscheinlich weniger um Sinnsuche. Doch auch Gäste, die „nur“ erotische Abwechslung suchen, sind den Tantrastudios willkommen. Dies sei „völlig in Ordnung“, so Michaela Riedl http://www.tantramassagen.de, die zwei Bücher über die Kunst der Intimmassage geschrieben hat, nämlich über die Yoni-(weibliche) und Lingam(männliche Genitalien)-Massage. „Viele Menschen freuen sich einfach, endlich mal einen Ort gefunden zu haben, an dem sie eine lockere Offenheit, Herzlichkeit und Natürlichkeit in Bezug auf Berührung, Nacktheit und Sexualität vorfinden und sie endlich SEIN dürfen. Dass sie über Sex reden können, nackt sein können, Gefühle, Lust, Trauer, Unwohlsein empfinden können, ohne dass dabei irgendetwas komisch oder falsch ist. Diese Sehnsucht nach Unverkrampftheit erlebe ich sehr stark bei fast all unseren Gästen“, so Riedl, auf deren Website 15 „Berührungskünstlerinnen“ und ein Masseur aufgeführt sind. Ein Indikator, dass Frauen in der Branche deutlich mehr zu tun haben als Männer. Eine Frauenquote braucht es hier bestimmt nicht.

Die kapitalistische Arbeitsweise und die derzeitige Finanzkrise habe auf den Tantrasektor keine anderen Auswirkungen als auf andere Branchen auch: „In dieser unserer kapitalistischen Welt erleben wir die Suche nach einem wirklichen Sinn im Leben oft als sehr ausgeprägt. Die Menschen hungern nach etwas, was einfach nur ECHT ist und das sind oft die einfachen Dinge im Leben, wie zum Beispiel die Berührung, die nichts weiter ist als Berührung.“

Tantra ist nichts für Fastfood-Liebhaber

Tantra ist allerdings nichts für Fastfood-Liebhaber. Wer „nur“ einen erotischen Kick sucht, kann dies überall zu weit günstigeren Konditionen bekommen. Doch selbstverständlich sind im Kölner AnandaWave mehr Manager, Banker und Gutverdiener als Hausfrauen und Rentner zu Gast. „Das ist bei uns nicht anders als in anderen Bereichen, in denen man gutes Geld für gute Leistung bezahlt“, so Riedl. Sicher gäbe es auch in ihrer Branche schwarze Schafe: „Viele haben die Vorstellung, dass es völlig ausreicht, an zwei bis drei Tagen ein wenig „puscheln“ zu lernen, um dann ein eigenes Institut zu gründen. Oder auch die Vorstellung, dass ein großes Herz alleine schon ausreicht, um ein guter Tantramasseur oder eine gute Tantramasseurin zu sein. Das ist leider weit verbreitet und ein sehr großes Missverständnis.“

Hier sind dann Dilettanten am Werk, die schnell Kasse machen wollen mit ihrem Halbwissen und Halbkönnen. Doch so etwas gab es schon immer, wie Thomas Rietzschel in seinem Buch „Die Stunde der Dilettanten“ festgestellt hat. Schon vor über 100 Jahren wurde der Dilettantismus nämlich sozusagen am Monte Verita am Lago Maggiore entdeckt, einer Stätte, wo Rohköstler, Anarchisten, Naturisten, Esoteriker und andere Lebenskünstler ihr Unwesen trieben. Für sie galt, was den Dilettanten auch in heutigen Zeiten ausmacht, eben auch in der Tantraszene, die sich nicht über einen Kamm scheren lässt. „Wo das Wollen mehr gelten sollte als das Können, wurde die Beherrschung der Sache nebensächlich“, schreibt Rietzschel.

Wellness, Therapie, Sinnsuche, erotischer Kick, Gier, Lust, der Wunsch nach Erlösung – die Bereiche sind fließend. Eine Autorin der Badischen Zeitung merkte kritisch an, in der Tantraszene wirke auch die „kapitalistische Selbstbedienungsmentalität, nur auf die Erotik übertragen: Nimm Dir, was Du brauchst – Sinnlichkeit to go.“ Denn mit dem traditionellen Tantra – so Kritiker – hätten herkömmliche Tantramassagen so gut wie nichts mehr zu tun. Es handele sich um eine kommerzielle Dienstleistung in einer kommerziellen Welt. Was sollte daran schlecht sein? Diese Frage muss jeder für sich beantworten. (Ansgar Lange)

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