Vergessen gehört zur menschlichen Natur. Und was für den Einzelnen gilt, scheint auch für Gesellschaften zu gelten. Politische Katastrophen mögen ein oder zwei Generationen nachwirken, aber dann beginnt das Vergessen. Noch rasanter vergessen wir, was uns gar nicht direkt betrifft. 40 bewaffnete Konflikte gibt es derzeit in der Welt. Über einige wird informiert, über andere wissen wir wenig oder nichts. Im Thema dieses Heftes wollen wir einige dieser „Vergessenen Konflikte“ wieder ins Bewusstsein holen und damit unseren Beitrag wider das Vergessen leisten. Wissenschaftler verschiedener deutscher Forschungsinstitutionen beleuchten dabei die Ursachen und Interessen, die zu den Kriegen führen und formulieren Lösungsvorschläge.
Das Thema wird von einem Interview mit dem neuen Vorsitzenden der Deutschen Stiftung für Friedensforschung, Michael Brzoska, komplettiert. Philipp Gabriel betrachtet in der aktuellen Analyse die mexikanische Erdölgewerkschaft. Als Nachklang der Fußball-Weltmeisterschaft wirkt Paul Martins Kommentar zum Thema Afrika im 21. Jahrhundert und die flammende Diskussion um die Interessen Deutschlands wird auch in dieser Ausgabe auf dem Streitplatz fortgesetzt.
Im WeltBlick wird die Halbwertszeit des Atomwaffensperrvertrags betrachtet. Außerdem geht es um den neuen internationalen Hot Spot Arktis sowie um die Entwicklungsmöglichkeiten der polnischen Außenpolitik.
Abgerundet wird das neue Heft durch Buchbesprechungen, Neuerscheinungen und Konferenzberichte sowie einem Porträt André Francois-Poncets.

Thema: Vergessene Konflikte
Auch wenn der aufmerksame Zeitungsleser einige Spannungsgebiete und Krisen kennen dürfte, bleibt die Mehrzahl gewaltsamer Konflikte dieser Welt medial unterbelichtet: Sie sind vergessene Konflikte, vergessene Kriege. Sie sind nicht „eingefroren“, sondern schwelen und flammen immer wieder auf. Im Thema dieses Heftes diskutieren Experten deutscher Forschungsinstitutionen vergessene Konflikte auf drei Kontinenten. Sie stellen die Frage nach Perspektiven dieser Konfliktregionen und regen zu Diskursen über die Konflikte und deren
Lösung durch die Politik auf nationaler wie internationaler Ebene an.
Bevor auf einzelne konkrete Beispiele der aktuell 40 bewaffneten Konflikte in der Welt eingegangen wird, betrachtet Hans Joachim Gießmann (Berlin) die Ursachen des Vergessens:
Warum nehmen wir eigentlich die meisten dieser brisanten Krisenherde nicht oder nicht mehr wahr?
Christian Wagner (Berlin) geht dann in medias res und analysiert die neuesten Entwicklungen des Kaschmirkonflikts zwischen Indien und Pakistan. Genau wie diese Region ist auch der afrikanische Tschad von Krisen geschüttelt.
Matthias Basedau (Hamburg) erläutert die Ursachen der jüngsten Gewalteskalation und lässt dabei nur wenig Hoffnung für die Zukunft.
Der Beitrag von
Uwe Halbach (Berlin) befasst sich mit Tschetschenien, das zwar heute nicht mehr das Epizentrum von Gewalt und Instabilität im Nordkaukasus bildet, jedoch weiterhin von terroristischen Aktivitäten und Kämpfen verschiedenster Gruppen heimgesucht wird.
Ebenso langwierig wie dort gestaltet sich die Krise in Somalia, die Volker Matthies (Hamburg) ins Bewusstsein holt.
Zwischen 1983 und 2009 kam Sri Lanka nicht zur Ruhe. Norbert Ropers (Berlin) stellt die Frage, ob das Ende des Bürgerkrieges im vergangenen Jahr dem Inselstaat nun endlich andauernden Frieden bringt.
Zum Abschluss des Themas sprach WeltTrends mit Michael Brzoska, dem neuen
Vorsitzenden der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF), über den Anspruch und die Möglichkeiten der Stiftung, das Verhältnis von Politik und Wissenschaft, die Position der Friedensforschung im außenpolitischen Diskurs und das Nischendasein ziviler
Krisenprävention.
WeltBlick: Patient Atomwaffensperrvertrag, Hot Spot Arktis?
und Polens Außenpolitik
Wolfgang Kötter (Potsdam) stellt die ernüchternde Diagnose: Der Patient Atomwaffensperrvertrag ist noch nicht tot, sein Leben hängt jedoch am seidenen Faden. Die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen, die er verhindern sollte, nahm sogar noch zu. Die nukleare Abrüstung muss endlich vorankommen und Außenseiter gilt es ins Boot zu holen!
Gibt es eine neue Konfliktzone der Weltpolitik? Yury Morozov (Moskau) betrachtet aus russischer Perspektive die neuesten Entwicklungen in der Arktis, die im internationalen Kampf um Energieressourcen immer wichtiger wird.
Die Außenpolitik Polens ist gekennzeichnet durch die starke Berücksichtigung historischer Ereignisse und geopolitischer Trennlinien. Norbert Marek (Aachen) und Pierre-Frédéric Weber (Stettin) stellen die Frage, ob der polnischen Regierung nach den neuesten Ereignissen Akzentverschiebungen gelingen werden.
Analyse: Die Erdölgewerkschaft in Mexiko Noch immer ist die Ölkatastrophe am Golf von Mexiko nicht ausgestanden. Einen Aspekt dieser aktuell sehr umstrittenen Industrie betrachtet Philipp Gabriel (Linz) in seiner Analyse. Er diskutiert die Auswirkungen neoliberaler Reformen und politischer Transition auf die mexikanische Erdölgewerkschaft. Zwar ist ein Großteil der Arbeiterschaft in diesem Sektor gebunden und die korporatistischen Gewerkschaften passen sich den neuen Gegebenheiten an. Doch allmählich entwickelt sich eine Dissidentenbewegung, deren Kampf auf Demokratisierung innerhalb der Gewerkschaften und gegen Privatisierung gerichtet ist.
Streitplatz: Deutsche Außenpolitik
Die Diskussion um Deutschlands außenpolitische Kultur und Interessen geht in die vierte Runde. In WeltTrends 71 forderten junge Akademiker aus dem „Tönissteiner Kreis“ zum Wortduell auf; Alexander Brand und Benjamin Zyla nehmen die Herausforderung gern an.
Das WeltTrends-Porträt widmet sich diesmal André Francois-Poncet, der Botschafter sowohl zu Zeiten Hitlers als auch während der Ära Adenauer war.
In unserer Rubrik Wiedergelesen wird der Klassiker „The Silent Revolution“ von Ronald Inglehart neu aufgelegt.

Herr Prof. Dr. Lutz Kleinwächter
WeltTrends e. V.
Waldhornweg 25
14480 Potsdam