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E-Book

Apokalypse jetzt!

Wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite. Ein Selbstversuch

AutorGreta Taubert
VerlagEichborn AG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl285 Seiten
ISBN9783838745336
Altersgruppe16 – 99
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Krise hier, Katastrophe da: Greta Taubert kann es nicht mehr hören. Worauf wartet sie eigentlich? Wenn wirklich alles immer schlimmer wird, muss man sich doch auf die schlechten Zeiten irgendwie vorbereiten können. Menschen, die sich schon heute von den ausgetretenen Pfaden des Konsums und der Verschwendung verabschiedet haben, werden ihre Lehrer. Greta Taubert beginnt, ihre Altbauwohnung in eine autarke Zelle zu verwandeln, geht jagen, baut Stadtgemüse an, lernt Pilze züchten, wird zur Selbermacherin, Tauschhändlerin und Schenkerin. Sie taucht auf den Grund von Müllcontainern, schläft im Wald, zieht in einen Bauwagen, reist kostenlos durch Europa. Jede Idee, die ihr beim Überleben helfen kann, will sie in einem Jahr Selbstversuch ausprobieren. Am Ende erkennt sie: Mit jedem Schritt, den sie aus dem Kreislauf des Noch-mehr-haben-Wollens herauswagt, verschwindet die Angst vor dem Ungewissen und der Zukunft. Und macht Platz für etwas sehr viel Wertvolleres. Ein inspirierendes Buch, das zeigt, wie wir anders leben können, wie das Ende zum Anfang wird. Und zwar genau: jetzt.

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Leseprobe

1. Beginnen –
Wie ich es mit der Angst zu tun bekam

Alles hat mit der Wachstischtuchdecke meiner Oma angefangen. Das weiße abwischbare Tuch trennte das strapazierte Holz des Esstischs vom strapazierenden Mahl darauf: Käsekuchen, Vanillekipferl und schwedische Apfeltorte, Rührkuchen, Schichtcremetorte und ein Schälchen Sahne. Der Filterkaffee duftete aus der Thermoskanne. Zucker und Kondensmilch lösten sich unter klingelndem Rühren in den blassvioletten Porzellantassen auf. Wir hatten zwar gerade erst das Mittagessen beendet – Klöße mit Rouladen und Hirschbraten mit Rotkohl und Bohnensalat –, aber für die herzhafte Abwechslung zur Vesperzeit hatte meine Oma auf dem Tisch noch ein paar Butterbrote mit Schinken platziert. So war das immer, wenn sich die Familie am Sonntag bei meinen Großeltern traf. Wenn ich sagte: »Ich möchte Milch trinken«, stellte mir meine Oma gleich noch Einrührzeug in Schokoladen-, Bananen-, Vanille- oder Erdbeergeschmack auf den Tisch. Und wenn ich sagte: »Ich möchte keine Milch«, bekam sie sorgengeweitete Augen, ob denn ihr Vorrat an Säften, Brause und Sirup im Keller wohl ausreichte, um mich glücklich zu machen. Der Gedanke, geschweige denn der ausgesprochene Satz »Danke, ich möchte nichts«, war keine Option. Ich saß unter dem Bild mit dem röhrenden Hirsch und den Familienfotos und futterte wie eine Besinnungslose. Um zu zeigen, dass es mir gut ging. Dass es uns als Familie gut ging. Dass es diesem Land gut ging.

Ich musterte die Gummipalme mit ihren fleischigen Blättern. Ließ den Blick über die Salzlampe und den Fototeller von einer Kreuzfahrt meiner Großeltern streifen, träumte mich in den Ganzkörpermassagesessel und wanderte schließlich mit den Augen die wachsbetuchte Tischkante ab. Onkel Achim mit seiner lieben Frau. Tante Margot mit ihrem wortkargen Mann. Cousins, Cousinen, Großnichten, Großneffen. Sie alle verhandelten mit der Kuchengabel in der Hand wieder einmal das Lieblingsthema der Familie: Autos. »Erinnerst du dich noch an unseren blauen Trabant, Greta?«, fragte mein Vater und guckte mich erwartungsfroh an. Als die Mauer fiel, war ich noch nicht einmal sechs Jahre alt. Der himmelblaue Trabbi war für mich genau wie der real existierende Sozialismus eine Legende, die mir vom vielen Erzählen zur eigenen Erinnerung geworden war. Mit meinem Leben heute hatten beide wenig zu tun. »Der Trabbi hatte doch so ein schwarzes Dach«, sagte ich, um den Gesprächsfluss nicht zu hemmen. »Das war Tafellack, den wir aufgepinselt und dann so abgebürstet hatten, dass es wie Leder aussah«, antwortete mein Vater. »Lederdächer gab es ja nicht in der DDR.« Jetzt war er in seinem Element. Er hatte in den Siebzigerjahren Fahrzeugschlosser gelernt, eine Frau gefunden, Kinder bekommen, ein Haus ausgebaut. Seine mächtigen Hände waren wie Beweise dafür, dass er dem Leben in der DDR sein Stück vom Glück abgetrotzt hatte. Während er die handwerklichen Details des Lederdachs ausschmückte, versuchte ich mir vorzustellen, wie das damals gewesen sein musste, Ende der Achtziger in der thüringischen Provinz: das Häuschen mit den grauen Asbest-Schiefern, die damals noch als unbedenklich galten. Die Ausflüge mit Mutter-Vater-Kindern in den Zoo, dessen Hauptattraktion ein Luchs war, den man nie sah, sondern nur roch. Der vollgepackte Trabbi auf dem Weg in den Ostseeurlaub. Die Bilder vor meinem geistigen Auge von der Zeit vor 1989 hatten einen verzerrten Farbton, waren unscharf und unschuldig. Als mein Vater damals mit der groben Bürste das Dach bearbeitete, hatte er noch nicht damit gerechnet, dass der Trabbi bald nur noch zum Witzobjekt taugen würde. Dass er da eine Metapher striegelte für ein System, das zum Scheitern verurteilt war.

Mein Opa klinkte sich in die DDR-Karossen-Diskussion ein. Er hatte nur ein paar Monate vor dem Mauerfall einen grünen Wartburg Kombi bekommen. »Da haben wir 20 Jahre drauf gewartet!«, sagte er und lachte. Es lag kein Bedauern in seiner Stimme. Der Wartburg Kombi war für Opa, der am Anfang der Dreißigerjahre als Sohn eines einfachen Sattlers geboren wurde, eine Offenbarung. Kindheit und Jugend verbrachte er in echter Armut. Mit Feldarbeit und Kinderlandverschickung. Seine Anekdoten endeten meist mit dem Satz: »So war das damals eben.« Als Opa in den Zeiten des »Tausendjährigen Reiches« Schweine hütete, konnte er nicht ahnen, dass dieses schon nach zwölf Jahren vorbei sein würde und dass aus seinem Schweinestall irgendwann eine Garage für einen Wartburg und später für mehrere Toyotas werden sollte.

Über Opas Kopf entdeckte ich das Foto meines Uropas. Er hätte keine automobile Anekdote zu erzählen gehabt, weil er gar keinen Führerschein hatte. Er wurde ins Deutsche Kaiserreich hineingeboren – das auch wenig später nicht mehr existierte. Drei Generationen, drei Ideologien, drei Untergänge. War ich die Nächste, die sich in einem zum Untergang verdammten System eingerichtet hatte? Die darin ihr Glück suchte, ohne zu merken, dass es seine Berechtigung verspielte? Was machte mich so sicher, dass alles so bleiben würde, wie es war? Würde dieses System samt Wohlstand, Überfluss und Schichtcremetorte noch da sein, wenn ich irgendwann mit meinen Enkeln an einer Kaffeetafel saß?

Panik wanderte meinen Rückenmarkkanal hinunter, und vor meinem inneren Auge erschienen die sorgsam verdrängten Schreckensmeldungen aus den Nachrichten über Krieg und Terror, wirtschaftliche Krisenstimmung, Klimawandel, Rohstoffknappheit, Umweltzerstörung, demografischen Wandel, Prekarisierung, Raubtierkapitalismus. Düstere Bildercollagen von verbranntem Regenwald, endlosen Sojaplantagen, abrutschendem Gletschereis, ölverklebten Robben, verendeten Seevögeln mit Plastikmüll in den Gedärmen. Die Geräusche eines Feierabendstaus, das unregelmäßige Piepen einer Supermarktkasse, die Protestrufe der Occupy-Bewegung. Und vor allem die eigene Hilflosigkeit. All das hatte ich lange in mich aufgesogen und in eine hermetische Kapsel in meinem Hirn weggesperrt. Jetzt war sie aufgeplatzt und gab eine dumpfe Angst frei. Es war die Angst vor dem Ende der Welt, wie wir sie kannten.

In einem Buch mit eben jenem Titel haben die Wissenschaftler Claus Leggewie und Harald Welzer schlüssige Argumente dafür gesammelt, warum es bald so weit sein wird: Wir befänden uns momentan nicht nur in einer »Krise«, die unser System für einen Augenblick der Geschichte erschüttert und aus der wir nach ein paar Reparaturen irgendwann auch wieder herauskommen. Vielmehr hätten wir es mit zahllosen verschiedenen Teilkrisen zu tun, die sich gegenseitig überlappten und verstärkten. Klimawandel, Energiekrise, Rohstoffknappheit, Bevölkerungswachstum – um nur die wichtigsten zu nennen. Die daraus entstehende Metakrise lasse sich nicht überwinden. Sie markiere das Ende einer Idee, die 250 Jahre lang extrem erfolgreich in der ganzen Welt verbreitet worden sei: »Der Siegeszug des kapitalistischen Wirtschaftssystems gerät im Moment seiner Vollendung zu seinem Tod, denn es funktioniert nicht als universales Reproduktionsmuster und war als solches auch nie gedacht«, behaupten die Autoren. Das heißt: Gerade weil der Kapitalismus so erfolgreich ist, muss er scheitern.

Das liegt an einem zentralen Widerspruch. Unser ökonomisches System braucht die Perspektive eines unendlichen Wachstums, unsere ökologische Welt aber ist begrenzt. »Wir erleben einen eigenartigen, kritischen Augenblick in der Geschichte«, schreibt Occupy-Vordenker David Graeber in seinem Buch Schulden – Die ersten 5000 Jahre. Es gebe berechtigte Zweifel daran, dass dieses System die nächsten ein oder zwei Generationen überleben wird. »Der Kapitalismus kann nicht richtig funktionieren, wenn die Menschen glauben, er werde ewig Bestand haben.«

Solche Warnungen vor dem drohenden Exitus sind so alt wie der Kapitalismus selbst. Immer wieder haben Kritiker vor der selbstzerstörerischen Logik der Gier gewarnt. Die Grenzen des Wachstums hatte schon der Club of Rome im Jahr 1972 ausgelotet und festgestellt: »Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.« Wir befänden uns jetzt also fast auf der Hälfte der Strecke bis zum prognostizierten Punkt X. 1992, 2004 und 2012 gab es aktualisierte Berichte des Club of Rome mit angepassten Statistiken und Zahlen. Die Grundaussage blieb stets gleich: Das geht nicht mehr lange gut, wenn wir so weitermachen mit dem Mantra des Mehr, Mehr, Mehr.

Viele Jahre konnte man die schlechte Laune produzierenden Argumente der Wachstumskritiker ausblenden. Es ließ sich aushalten mit dem feinen Unterschied zwischen Erkennen und Erkenntnis, denn die schreckliche Zukunft war weit weg. Das änderte sich am 15. September 2008, als die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers bankrottging. Ihr Ende war der Anfang eines Geschwürs, das sich über die ganze Welt ausbreitete: Immobilienkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise, Eurokrise, Staatskrisen – sie alle mündeten in eine einzige große Sinnkrise des westlichen Wohlstandsmodells. Plötzlich wurde wahr, was die Kapitalismuskritiker so lange orakelt hatten: Die alte Gesellschaft scheint ihre besten Tage hinter sich zu haben. Der Begriff der »spätrömischen Dekadenz« machte die Runde. Als ein sich dem Ende neigendes »goldenes Zeitalter der Vergeudung und des Überflusses« benannte es der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel. Mit einem rotbackigen Apfel im...

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