Schönheit Braucht Zeit
Der Himmel leuchtet mit dem blauen See um die Wette, allmählich verschwinden die Uferorte im Sommerdunst, leicht spritzt die Gischt über die Reling . Der Dampfer hat im Norden abgelegt, wo der See schmal und von steilen Bergen umgeben ist wie ein Fjord. Je weiter es nach Süden geht, werden die Berge niedriger und schließlich gibt sich der See breit und flach, fast wie ein Meer. Wie ist das entstanden?
RIVA im Norden liegt häufig schon ab vier Uhr nachmittags im Schatten, weil die Sonne dann nicht mehr über den Cima d’Oro und seine Nebengipfel blinzeln kann. Das schöne Castello von Malcesine wirkt mit dem mächtigen Monte-Baldo-Massiv im Rücken wie eine Spielzeugburg. Hinter dem kleinen Campione ragen die Steilwände 400 m senkrecht in die Höhe. Unten im Süden? Ab Gardone an der Westküste und ab Garda im Osten ebbt alles ab. Die Bergwelt hat ein Ende. Nur noch ein paar Hügel gibt’s zu sehen.
Ansonsten gilt im häufig auftretenden Sommerdunst: Kein Ort, nirgends, weil von der Seemitte kein Meter vom flachen Ufer mehr zu erahnen ist.
Der Gletscher ist schuld
Die Form des Gardasees gleicht einem Gummihammer, mit dem man früher die Heringe für den Zeltaufbau in die Erde getrieben hat. Es waren insgesamt fünf Eiszeiten, die den Lago derart modelliert haben. Schönheit braucht eben seine Zeit. Im Großen und Ganzen reden wir von zwei Millionen Jahren, wobei die letzte dieser fünf Eiszeiten vor rund 20 000 Jahren den letzten Schliff gegeben hat, und zwar durch den Würmgletscher. Bei Malcesine war er noch 1000 m hoch, bei Garda, gerade mal gut 25 km weiter südlich, hatte er schon die Hälfte davon verloren. Die gewaltigen Wassermassen, die aus ihm strömten, transportierten Unmengen an Geröll. Das meiste blieb am Gletscherende als »Moräne« einfach liegen und formte die heutigen Hügel im südlichen Hinterland. Schließlich schmolz der Gletscher zwischen den Bergmassiven, und der Lago war in seiner ganzen Pracht vollendet.
Das ist gerade 15 000 Jahre her, in der Geologie höchstens ein Wimpernschlag. Denn eigentlich angefangen hat alles vor ungefähr 60 Millionen Jahren, als die Kontinentalplatten von Europa und Afrika kollidierten. Die Kruste wurde gestaucht und die Gebirgsbildung begann: die Geburtsstunde der Alpen.
So schön kann Geologie sein
Natürlich soll eine Bootspartie auf dem See nicht zur geologischen Expedition ausarten. Aber lassen Sie sich von den wunderschönen Panoramen nicht nur überwältigen, schauen Sie ein bisschen genauer hin: So schön kann Geologie sein! Die fünf Inseln, die allesamt sehr nahe am Ufer liegen, sind natürlich nichts anderes als aus dem Wasser herausragende Landmassen. Schön zu sehen an der Isola San Biagio zwischen San Felice und Manerba: Hat der See viel Wasser, etwa im Frühjahr nach der Schneeschmelze, muss man ein Boot benutzen, um auf die Insel zu kommen. Ist Niedrigwasser, etwa in den regenarmen Hochsommermonaten, kann man auf die Insel waten und sieht die »Schleifspuren« des Gletschers.
Wer weitere markante Hinterlassenschaften der Eiszeit en detail sehen möchte, fährt von Torbole hinauf nach Nago. Auf mittlerer Höhe sind die Marmitte dei Giganti ausgeschildert, die »Gletschermühlen«, die der Gletscher bei der Vorwärtsbewegung aus dem Fels gemahlen hat. Weiter westlich, bei Arco, die Marocche: als wäre es ein Stück Afrika. So weit das Auge reicht nur massive Felsbrocken, eine außergewöhnliche Trümmerlandschaft, die der Gletscher auf seinem Rückzug geformt hat.
Sail Away!
Wind im Haar und ein Glas Prosecco in der Hand, rund um die »Siora Veronica« nur das Wasser des Gardasees. Die alte Dame, gebaut 1926, sticht als aufregende Alternative zum Dampfer bei gutem Wind mit zwei große Masten und vier mächtigen Segeln in den See: in der Saison beinahe täglich ab Malcesine. Die schönste Tagestour führt zur Isola del Garda, vom dörflichen Hafen zur adeligen Grandezza auf der Insel der Cavazza-Familie einerseits und geografisch vom schmalen Ober- zum bauchigen Untersee andererseits. Alle Infos unter www.sioraveronica.com/de
© Thilo Weimar
Eine rüstige alte Dame: die »Siora Veronica«
Bestes ItalIeniSches Kino
Es ist heiß, sehr heiß. Es ist der 15. August. Ferragosto, gefühlt Italiens wichtigster Feiertag. Eigentlich »nur« Mariä Himmelfahrt, aber neben Weihnachten der wichtigste Familienfeiertag in Italien. Und alle dürfen mitmachen: Die Ferragosto-Familie am Strand lädt gerne auf ein Gläschen ein. Klappt es mit der Kommunikation, gehört man nachmittags fast schon dazu ...
Stand up Paddling Historisch >>>
In vielen Orten vor allem am südlichen See sieht man im Frühjahr und im Frühsommer an windstillen Abenden, wenn der See glatt wie ein Babypopo ist, schmale Boote, gerudert von vier Männern im Stehen. Stand Up Paddling? Nein, die Teams trainieren für den Palio delle Bisse, den historischen Ruderwettkampf, der ab Juni in mehreren Rennen ausgetragen wird und Anfang August mit dem Finale der Sieger seinen Höhepunkt erreicht.
MIT Traditionen ist das oftmals so eine Sache. Sie verkommt zuweilen zur bloßen Folklore, bei der Touristen unter sich bleiben und die Einheimischen nur noch ans Geschäft denken. Am Gardasee ist das anders: Auch wenn im Zentrum des Geschehens die Ortsansässigen stehen, sind Touristen gern gesehene Gäste.
Ferragosto am Strand
Ferragosto gilt in Italien als der heißeste Tag, Höhe- und Wendepunkt des Sommers. Er ist der perfekte Strandtag und bestens geeignet, um zu erleben, wie eine italienische Familie funktioniert. Denn alle kommen, vom Opa bis zur Enkelin. Klapptische und -stühle werden schon morgens in Position gebracht, der Grill aufgebaut, egal ob der angelnde Papa in der Sommerhitze was fängt, denn Mama hat auf jeden Fall vorgesorgt. Die riesige Kühltasche unterm Sonnenschirm gibt quasi stündlich etwas her. Schöner ist italienisches Familienleben nicht einmal im Kino.
Überhaupt Ferragosto: In Desenzano feiern sie dann die Zaubernacht. Wer gerade in Garda weilt, darf sich an einer venezianischen Tradition jenseits von Campingstuhl und Badehose erfreuen: Il Palio delle Contrade, eine Regatta, wird mit Paraden, Fahnenschwenkern und Feuerwerk gefeiert. Wenn il Palio den Einheimischen nicht so wichtig wäre, könnte man fast meinen, eine Folklore-Show zu erleben.
Gleiches gilt für die Lega Bisse. Bisse sind Kanus, die im Stehen gerudert werden – eine Reminiszenz an Venedig. Die Bandiera del Lago zu gewinnen, ist immer noch eine große Ehre. Die Regatten werden von Juni bis August ausgetragen. Das Team Garda ist übrigens mit acht Titeln Rekordsieger.
Feuerwerk und Carbonara
Zwei Wochen nach Ferragosto neigt sich der Sommer langsam dem Ende entgegen. Riva sieht dann, am letzten August-Samstag, la Notte di Fiaba, die Märchennacht. Alle tragen Kostüme, um eine Legende zu feiern, in der es um die Schönheit des Himmels, der Berge und des Wassers geht. Theatervorstellungen, Konzerte und Begehungen mit kostümierten Führern, natürlich Musik und Spiele runden ein Wochenende ab, das am Samstagnacht mit einem sehenswerten Feuerwerk über der Bucht von Riva sein Finale hat.
Traditionen haben oft auch viel mit Ernte und Danksagung zu tun. Seit 1929, immer Anfang Oktober, feiert Bardolino das Trauben- und Weinfest Festa dell’Uva e del Vino. Auch wenn in den letzten Jahren bald 100 000 Besucher kamen – es bleibt ein Fest der Weinbauern und Einheimischen. Im Zentrum steht natürlich die Verkostung der jungen Bardolino Classico und Bardolino Chiaretto an der Strandpromenade. Aber es kosten eben auch die Bauern und besuchen sich: Complimenti, hört man alle paar Meter, wenn der Kollege beim Freund und Konkurrenten ein Schlückchen nimmt und sich mit ihm über das Ergebnis freut.
Noch einheimischer wird es beim Neujahrsschwimmen >>> im Januar, wenn sich die Unerschrockenen in den eiskalten See stürzen, und an Ostern in Brenzone bei der Raccolta delle Olive. Die Olivenernte gehört rund um den See zu den großen Ereignissen, und viele Dörfer feiern im November, am Ende der Ernte, ihr Fest dazu. Die jungen, noch trüben Öle werden stolz präsentiert und können verkostet, aber auch schon gekauft werden. Touristen sind – klar, es ist November – deutlich in der Minderheit. Auch am Kirchplatz von Malcesine, wo mit dem jungen Olivenöl auch die Carbonera gekocht wird, die es nur noch an solchen Feiertagen gibt: Gerührt von starken Männern, denn die Polenta mit Käse muss in den mächtigen Kupferkesseln erst mal richtig sämig werden …
© Dumont Bildarchiv/Jochen Müssig
Still ruht der See. Beste Trainingsbedingungen für die Ruderer der Lega Bisse.