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Briefkultur des 18. Jahrhunderts

Medialität und Freundschaft

AutorKerstin Scheffer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl99 Seiten
ISBN9783638834322
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Sonstiges, Note: 1,7, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Deutsche Philologie), 45 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit versucht das Interesse auf einen Briefwechsel zu lenken, der in seiner Forschungstradition bislang nur wenig Beachtung gefunden hat. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die Briefe der Literaten Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Karl Wilhelm Ramler aus den Jahren 1745 bis 1759. Obwohl die Briefautoren einen außerordentlichen Beitrag geleistet haben für die Genese der Briefkultur des 18. Jahrhunderts, wird ihrer elementaren Rolle erst spät Beachtung geschenkt. Vor allem die Position Gleims wird oftmals auf jene des Wegbereiters Goethes oder Schillers reduziert, ohne seine epistolare und literarische Leistung in das Zentrum der Untersuchung zu stellen. Für die wohl bedeutendste Briefbewegung der deutschen Geschichte hat die schriftliche Korrespondenz von Gleim und Ramler sowohl konstitutiven als auch exemplarischen Charakter. In Anlehnung an die These Peter Bürgels, dass Briefanalyse immer auch zur Analyse der Zeit und ihrer Gesellschaft führt, richtet sich das Interesse dieser Arbeit in erster Hinsicht auf literatursoziologische Aspekte der Briefkultur. Neben den gesellschaftlichen Gegebenheiten, die möglicherweise die Briefkultur evoziert haben, steht vor allem das Verhältnis von Briefkultur zum Freundschaftskult im Mittelpunkt - Dependenzstrukturen sollen, wenn vorhanden, aufgezeigt und erläutert werden. Darüber hinaus versucht die Betrachtung der schriftlichen Korrespondenz Aufschlüsse über die identitätsstiftende Funktion des Briefes im Kontext gesellschaftlicher Transformationen im 18. Jahrhundert zu geben. Abseits der soziologisch ausgerichteten Fragestellung befasst sich die Arbeit in zweiter Hinsicht mit der Gattungsproblematik des Briefes. Dabei wird der Brief in seiner Form als Kommunikationsmedium seinem ästhetisch-literarischen Wesen gegenübergestellt. Kommunikative Strukturen sowie stilistisch-ästhetische Merkmale sollen offengelegt und benannt werden.

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Leseprobe

3 Freundschaft und Brief im 18. Jahrhundert – eine thematische Einführung

 

3.1 Individuum und Gesellschaft

 

Aufgeschlossenheit, Mitgefühl und Menschenliebe – diese Schlagwörter kennzeichnen das gesellschaftliche Streben im 18. Jahrhundert wie kaum ein anderes Jahrhundert zuvor oder danach. Zum Ende des 17. Jahrhunderts ist im partikularisierten Deutschland noch eine rein aristokratisch-feudale Kultur vorherrschend, die von heroisch-ritterlichen Gesten des Barocks bestimmt wird. Diese Kultur generiert mit ihrem Ausgang eine Gesellschaft, die sich vor allem durch ihre Ausrichtung auf Humanität und Freundschaft auszeichnet.[21] Die Emanzipation des Bürgertums auf der einen sowie die Romantik auf der anderen Seite bilden die epochalen Grenzen dieses Jahrhunderts.[22]

 

Der Mensch des frühen 18. Jahrhunderts ist noch kein Mitglied einer festen bürgerlichen Gemeinschaft. Er ist vielmehr Teil einer Bewegung, die ihre Bestimmung durch die Opposition zum Adel erhält.[23] Die Zersplitterung deutscher Nationalstaaten lässt bei ihm weder Nationalgefühl noch Staatsgesinnung aufkommen.[24] Folglich bildet der Staat für ihn keinen Bezugsrahmen gesellschaftlicher Einbettung und Aufgehobenheit. Die durch die Aufklärung hervorgebrachte Säkularisierung schafft zudem eine Form der gesellschaftlichen Isolierung, in der die religiöse Gemeinschaft ihre Funktion als Fixpunkt und Orientierungsratgeber des Einzelnen verloren hat.[25] Religion vertritt im 18. Jahrhundert lediglich die Rolle eines autonomen Kulturgebietes neben anderen Kulturgebieten.[26]

 

Die neu gewonnene Freiheit, freigesetzt durch den Säkularisierungsprozess, hat bei den Individuen gleichzeitig Orientierungslosigkeit und Unsicherheit hervorgerufen. Diese Zustände werden unter anderem durch einen erhöhten Verständigungsbedarf kompensiert. Hervorgerufen durch einen Mangel an Regeln und Vorgaben entstehen Diskurse, in denen sich neue Ordnungen etablieren können. Das Individuum muss seine Welt, die es sich selbst geschaffen hat, neu ordnen. Dabei wird der isolierte und von fehlenden Bindungen bestimmte Mensch des 18. Jahrhunderts maßgeblich von drei Strömungen beeinflusst: von der Aufklärung, vom Pietismus sowie von okkulten, theosophischen Bestrebungen.[27] Jene Strömungen sind kennzeichnend für den geistigen Gehalt dieser Epoche und durchdringen und ergänzen sich kontinuierlich.[28]

 

Im Kontext dieser geistesgeschichtlichen Bewegungen entwickelt sich der Mensch im 18. Jahrhundert zum Bildungsbürger,[29] der sich die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit zum höchsten Ziel gesetzt hat.[30] Neben dem Reisen zählt vor allen Dingen Konversation zum Bildungsprinzip: „Bildung und Geselligkeit und Diskurs bedeutet ‚Conversation’: Kommunikation und Interaktion.“[31] Im 18. Jahrhundert werden Bildung und Geselligkeit zum Religions- und Glaubensersatz.[32] Zu den prägnantesten Erscheinungen im Rahmen dieses Prozesses zählen sicherlich der Freundschaftskult[33] sowie die Briefkultur[34]. Sozialhistorisch zeugen jene Neologismen, ebenso wie Lesewut, Zeitungs- und Lesesucht oder Briefwut, von einer Epoche, in der die Konzentration auf Text und Sprache sowie die Kommunikation via Schrift eine gesellschaftlich existenzielle Relevanz angenommen haben und gleichzeitig von emotionaler Bedeutung für die Individuen in dieser Gesellschaft sind.[35] Zudem belegen die Gründungen zahlreicher Lesegesellschaften und Lesebibliotheken ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis des Einzelnen.[36]

 

Das 18. Jahrhundert verzeichnet Umbrüche, welche die bisher geltenden Konventionen der sozialen Kommunikation außer Kraft setzen. Diese Umbrüche sehen Reinlein und Vellusig in zwei wesentlichen, sich gegenseitig bedingenden Faktoren: Zum einen befindet sich die bis dato oral sozialisierte Gesellschaft des 18. Jahrhunderts in einem Übergang zu einer bisher nicht gekannten Literalität. Diese Literarisierung eines Großteils der Bevölkerung schafft einen Freiraum, der dem Individuum den Diskurs über seine eigene Person ermöglicht.[37] Zum anderen führt die Alphabetisierung sämtlicher Bevölkerungsschichten Mitteleuropas zu einem allgemeinen Anstieg des sprachlichen Ausdrucksvermögens.[38] Gleichzeitig werden das bis dato vorherrschende Latein und Griechisch der Schriftsprache durch die deutsche Sprache abgelöst.[39] Der Grundstein für eine Revolution in der Konversations- und Schriftkultur war damit gelegt.

 

3.2 Der Brief

 

Als Voraussetzung für die Entstehung einer Briefkultur, wie sie im 18. Jahrhundert vorzufinden ist, lassen sich primär die multifaktoriellen Veränderungen nennen, die in Kapitel 3.1 aufgezeigt wurden.[40] Durch den Einfluss der Literarisierung und Alphabetisierung entsteht eine Briefkultur, die sich vor allem als neuartige Konversationskultur versteht.[41] Nur selten war es dem Individuum zuvor möglich, auf schriftliche Weise einen reflektierten Austausch über die eigene Person und über private Themen zu führen. Zwar ist der Privatbrief vor dem 18. Jahrhundert nicht unbekannt, allerdings trägt er vornehmlich das Siegel der Informationsvermittlung. Der Briefverkehr erfolgte im Rahmen des bürokratischen oder des profanen persönlichen Austausches[42]:

 

wer schreiben kann, nutzt schon im 15. und 16. Jahrhundert die Möglichkeit, sich brieflich mitzuteilen: nach dem Befinden zu fragen, von dem zu erzählen, was auf Reisen widerfahren ist, seine Freuden und Sorgen auszudrücken u. ä. m.[43]

 

Von einer expliziten Briefkultur, die differenzierte Rituale und Organisationsformen als Möglichkeit der persönlichen, reflektierten Konversation etabliert hat, kann im 15. und 16. Jahrhundert jedoch nicht die Rede sein. Erst im 18. Jahrhundert entwickelt sich der Brief als eigenständige kommunikative Praxis[44] und wird in einer, bis dato nicht gekannten Selbstverständlichkeit produziert.[45] An jener Stelle, an der er bisher seine Wirkung als Informationsvermittler ausübte, tritt er nun seine Rolle als Medium der Geselligkeit[46] an.[47] Der Privatbrief des 18. Jahrhunderts erfüllt die Funktion,

 

eine Form der sprachlichen Selbstdarstellung auszubilden, in der sich das schreibende Subjekt auf gleichsam vor-literarische Weise als Person, in seiner individuellen Erfahrungs- und Erlebniswelt, zur Geltung bringen kann.[48]

 

3.3 Die Freundschaft

 

3.3.1 Vorstufen des Freundschaftskultes

 

Obwohl neben der Antike und der Renaissance letztlich nur das späte 18. sowie das frühe 19. Jahrhundert als Epochen der Freundschaft verstanden werden können,[49] existieren auch in anderen Jahrhunderten besondere Formen freundschaftlicher Verhältnisse und Bündnisse.[50] Insbesondere in der Antike findet sich ein Freundschaftsideal, an dessen Motive und Gedanken der Freundschaftskult im 18. Jahrhundert Anlehnung gefunden hat. Der antike Freundschaftsgedanke zeichnet sich besonders durch seine Kausalbeziehung von Freundschaft und Tugend aus. Die Freundschaft dient hier nicht dem eigenen Nutzen, sondern dem Nutzen des Freundes.[51] Schon in der „Nikomachischen Ethik“ konstatiert Aristoteles (~322 v. Chr.) diese notwendigen Zusammenhänge von Freundschaft und Tugend, wie wir sie später auch in der Tugendempfindsamkeit des 18. Jahrhunderts vorfinden:

 

Denn sie [die Freundschaft] ist eine Tugend oder doch mit der Tugend verbunden; außerdem gehört sie zum Notwendigsten im Leben. Denn keiner möchte ohne Freunde leben, auch wenn er alle übrigen Güter besäße. […] Vollkommen ist die Freundschaft der Tugendhaften und an Tugend Ähnlichen. Diese wünschen einander gleichmäßig das Gute, sofern sie gut sind, und sie sind gut an sich selbst. […] Im höchsten Sinne Freundschaft ist also diejenige der Tugendhaften, wie wir schon öfters gesagt haben. Denn als liebens- und wünschenswert gilt das schlechthin Gute und Angenehme, für den Einzelnen aber, was für ihn so ist. […] Und indem man den Freund liebt, liebt man, was einem selbst gut ist. Denn der Tugendhafte, der zum Freund geworden ist, wird zu einem Gute für den, dessen Freund er geworden ist. Also liebt jeder von beiden das, was für ihn gut ist, und gibt das gleiche zurück durch die Gesinnung und indem er dem anderen angenehm ist. Denn die Freundschaft gilt als Gleichheit. Dies gilt am meisten von der Freundschaft der Tugendhaften.[52]

 

Diese Koppelung von Tugend an Freundschaft ist in den Epochen zwischen Antike und dem 18. Jahrhundert jedoch nicht von kontinuierlicher Präsenz. Im Mittelalter formiert sich der aristotelische Freundschaftsgedanke, unter Einfluss von...

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