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Das Oktoberfest

Zwei Jahrhunderte Spiegel des Zeitgeists

AutorSylvia Krauss-Meyl
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783791760513
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Bier, Brez'n und Gaudi - aber bei Weitem nicht nur das: Das Oktoberfest ist von seiner historischen Wirkung her viel mehr als nur das größte Volksfest der Welt. 'Die Wiesn' war seit ihrer Gründung im Jahr 1810 in jeder Entwicklungsphase Spiegel und Projektionsfläche des jeweiligen Zeitgeistes. Das Fest diente als politisches Instrument zur UmSetzung programmatisch-ideologischer ZielSetzungen und als Motor des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts. Als zentrale Veranstaltung begleitete es die Geschichte Bayerns: vom Beginn der Monarchie durch alle ihre Herrschaftsepochen, über ihr Ende hinaus und bis zum heutigen Tag - mit seinen weltweiten Globalisierungsfaktoren und bayerischen Identitätsmerkmalen.

Sylvia Krauss-Meyl, Dr. phil., geb. 1951, ist Archivdirektorin und Abteilungsleiterin im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München.

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Leseprobe

Ludwig I. inszeniert seine Königsherrschaft


Nach dem Ableben des ersten bayerischen Königs Max I. Josephs 1825 folgte ihm sein Sohn Ludwig auf dem Thron. Er legitimierte seine Herrschaft vornehmlich aus der Geschichte, die eine Hauptfunktion in seinem Regierungsprogramm einnahm. Daneben gehörte seine persönliche Neigung der Kunst. Auch sie floss in sein Herrschaftsverständnis ein und charakterisierte seine Regierungszeit als „Kunst-Königtum“. Kunst, Architektur und Traditionspflege wurden wesentliche Instrumente im Dienst seiner Politik. Sie bildeten Grundpfeiler der nationalen Identität seiner Untertanen und Stützen seiner Königsherrschaft.

Diese Besonderheiten der Regierung Ludwigs, die aus seinen persönlichen Interessen resultierten, spiegelten sich in den Ereignissen und Neuheiten des Oktoberfestes während seiner Regierungszeit. Ludwig bewies seine Verbundenheit mit dem Fest, indem er seine Sommeraufenthalte in Bad Brückenau, Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben oder Berchtesgaden stets so einrichtete, dass er rechtzeitig zu Beginn des Oktoberfestes in München zurück sein konnte. Die feierliche Eröffnung fand jedes Mal in seiner Gegenwart statt, außer in den Jahren 1844 und 1847.

Die Geschichte bemächtigt sich des Festes


Wie keiner seiner Vorgänger oder Nachfolger stellte Ludwig I. seine Königsherrschaft in einen historischen Kontext. Aus der langen Geschichte seiner wittelsbachischen Vorfahren bezog er Legitimation, Vorbilder und Impulse für sein politisches Handeln, sie bildete einen zentralen Faktor seiner Staatsauffassung. Diese Rückbesinnung auf Herkunft und Geschichte lieferte ihm auch Kriterien für sein Verständnis von Volksfesten. Uralte Festelemente, die in religiös-kirchlichen Traditionen begründet waren, Mysterium und Prozession, erlebten in seiner Regierungszeit auf dem Oktoberfest eine Renaissance unter profanem Vorzeichen. Das Mysterium als historischer Initialvorgang, der eine regelmäßig wiederkehrende Gedenkveranstaltung begründet, entsprach dem ersten Oktoberfest anlässlich seiner eigenen Hochzeit. Der Gründungsmythos von 1810 wurde in Jubiläumsfeiern nie so gefeiert wie unter König Ludwig. Die Prozession fand ihre Analogie im rituellen Huldigungszug der Untertanen vor dem Herrscher, der auch in der Ära Ludwigs I. seine Blütezeit erlebte. Diese Festmerkmale integrierte er in eine umfassende, historisch fundierte Vision seines Königtums, die er auf der nach seiner Gemahlin benannten Festwiese zelebrierte.

Aus der geschichtlichen Verankerung ergab sich für den König der aktuelle politische Auftrag des Oktoberfestes, als historisches Nationalfest zu wirken. Dieser Gedankengang war nicht neu. Schon 1789 war im „Braunschweigischen Journal“ ein Artikel erschienen, der die Forderung erhob, dass Nationalfeste an „vorzügliche, große und glückliche Thaten und Begebenheiten der Nation, an vorzüglich große und edle Wohlthäter des Landes“ erinnern sollten, indem sie jedoch „nicht auf Fabel und Mythologie, sondern auf wahre Geschichte gegründet“ seien. Nur von dieser Art von Festen könne man erwarten, dass sie „den sinkenden Lebensmuth der Nation erheben, beleben, stärken“ und schließlich „Patriotismus und Liebe zum Regenten“ wieder als Nationalgesinnung erstehen ließen.

Diese Argumentationskette entsprach den Vorstellungen des Königs. Seine Vision eines patriotisch-monarchischen Idealzustandes sollte sich auf dem bayerischen Nationalfest widerspiegeln. Seine Gestaltungspläne hinsichtlich des Oktoberfests konkretisierten sich folglich auf historisierende Elemente, die einerseits in Form von Festzügen und traditionellen Wettspielen und andererseits durch architektonische und künstlerische Monumente realisiert werden sollten.

Festzüge – eine neue Tradition wird begründet


Die Oktoberfestzüge erfuhren durch König Ludwig I. einen enormen Aufschwung. Durch sie gewann das Fest neue Aufmerksamkeit und einen zusätzlichen starken Traditionsstrang.

Aus der Aufklärung war die Vorstellung gekommen, dass Umzüge der Bevölkerung auf Volksfesten Mittel der Volkserziehung und der staatlichen Propaganda sein könnten. Bereits Jean Jacques Rousseau hatte ihre Eignung für die nationale Bildung erkannt, die Führer der Revolution nutzten sie später als Instrumente ihrer Agitation. Umzüge dienten in dieser Umbruchsepoche zur Proklamation revolutionärer Ideale und Errungenschaften, wie zum Beispiel des Nationalbewusstseins, der Verfassungsidee oder der Volkssouveränität. Die Initiatoren und Teilnehmer der revolutionären Züge waren Vertreter des Volkes.

Nach den gesellschaftlichen Umwälzungen der Französischen Revolution wurden die Umzüge vom politisch erstarkten Bürgertum adaptiert und zu einem Medium seiner Selbstdarstellung als neue staatstragende Gesellschaftsschicht entwickelt. Es zeigte sich nun, dass sie auch geeignet waren, Menschen verschiedener Herkunft und Bevölkerungsschichten zusammen zu führen, um die kollektive Erinnerung an bedeutende Ereignisse der Vergangenheit zu wecken und eine patriotische Volksgesinnung zu erzeugen. Diese Wirkungen ließen sich optimieren, wenn möglichst viele Personen sich aktiv an den Zügen beteiligten und ein möglichst großes Publikum die Aufmärsche beobachtete.

Der König erkannte das Potential der Festzüge und integrierte sie in sein nationalpolitisches Programm. Der Ort der Inszenierungen war die Theresienwiese. Ludwig hatte schon bei seiner Hochzeit 1810 den ersten Oktoberfestzug miterlebt. Damals waren neun Kinderpaare, in bäuerliche Trachten gekleidet, die die bayerischen Kreise symbolisierten, zur Huldigung des frisch vermählten Kronprinzenpaares zum Königszelt gezogen. Sie hatten Fähnchen in den weiß-blauen Landesfarben getragen und handwerkliche sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den bayerischen Regionen vor den königlichen Hoheiten niedergelegt. Dieser frühe Zug der Kinder war bereits als Allegorie der Einheit des Königreichs konzipiert gewesen. Schon damals zeigte sich, dass dieses Mittel besonders brauchbar war, um das Zusammenwachsen der verschiedenen bayerischen Volksstämme zu fördern. Der nächste Festzug galt Ludwig als frisch gekürtem König, als er 1826 auf dem Oktoberfestplatz die Huldigungen seiner vorbeiziehenden Untertanen entgegennahm.

Die eigentliche Festzugstradition des Oktoberfestes, die München zur Stadt mit den meisten historischen Festzügen in Europa werden ließ, wurde allerdings 1835 begründet. In diesem Jahr war die Theresienwiese Schauplatz eines dreifachen Gedenkens. Gleichzeitig wurden die Silberhochzeit des Königspaares Ludwig und Therese sowie die 25-jährigen Jubiläen von Oktoberfest und landwirtschaftlichem Zentralverein begangen. Der König hatte zwar öffentliche Feierlichkeiten aus Anlass seiner Silberhochzeit untersagt, dagegen aber „die Verherrlichung und Verjüngung der 25-jährigen Jubelfeier des Oktoberfestes zu gestatten geruht“. De facto ließen sich die beiden Anlässe nicht nur nicht trennen, sondern sie bedingten einander. Das Fest zur „Verherrlichung“ des Oktoberfestes war in Wirklichkeit eines zur Glorifizierung der königlichen Familie. Dies kam auch in der Titulierung des Festes als „Familienfest der erhabenen Wittelsbacher und ihres Volkes“ zum Ausdruck.

Als Zeichen der Eintracht zwischen Herrscherhaus und Staatsvolk wurde der bislang prächtigste Festumzug der Oktoberfestgeschichte mit 86 Wägen in Szene gesetzt. Er führte im großen Umgriff einerseits die städtische und ländliche Bevölkerung sowie zahlreiche Vereine und Gesellschaften zusammen und thematisierte andererseits in aufwändig gestalteten Festwägen allegorisch den Zustand des Landes wie auch die Geschichte der Wittelsbacher Dynastie, indem er historische Symbole wie zum Beispiel die Bavaria als Personifikation des neuen bayerischen Staates vorführte. Der Festzug präsentierte die Kreise Bayerns, die ab 1837 die Regierungsbezirke bildeten, die Epochen der bayerischen Geschichte, die Jahreszeiten, die verschiedenen Lebenswelten in den Regionen, die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten, diverse Berufsgruppen, Erwerbszweige und lokale Legenden. Die Initialen des Königspaares Ludwig und Therese erschienen auf Wimpeln. Die in Trachten gekleideten Teilnehmer des Zuges verkörperten die bayerische Gesamtnation, doch marschierten de facto nur Gruppen aus dem oberbayerischen Isarkreis stellvertretend für alle mit; denn aus dem Kreis um die Hauptstadt ließ sich die Anreise einfacher bewältigen als aus den ferner gelegenen Landesteilen. Neben dem Hauptfestzug wurden noch weitere kleine Huldigungszüge organisiert, zum Beispiel von den Schützen in altdeutschen Kostümen oder von den Bäcker- und Wagnergesellen mit ihren Zunftfahnen. Diese Form kollektiver Huldigung des Herrschers durch einen Festzug, in dem Gruppen in traditioneller Kleidung das gesamte Volk verkörperten, etablierte sich als fester Bestandteil des Oktoberfestzeremoniells.

Die Wirkung, die das patriotische Bekenntnis seiner Untertanen auf König Ludwig ausübte, bekannte er wenige Tage nach der Eröffnung des Oktoberfests am 12. Oktober 1835, als er den Grundstein für die Kirche St. Bonifaz legte: „Die Herzlichkeit, die mir bei dem letzten Oktoberfeste bewiesen wurde, tat meinem Herzen wohl, sie war mir das schönste Fest.“ Abgesehen von diesem emotionalen Effekt, der nicht unerheblich zur Gefühlsbindung zwischen König und Staatsvolk beitrug, wohnte dem Jubiläumszug von 1835 auch eine bedeutende Propagandafunktion inne, die darin bestand, „ein würdiges Bild unseres gegenwärtigen Nationallebens in dem schönsten Akte der bürgerlichen Institutionen“ zu geben.

Dieser politische Aspekt, der 1835 angesprochen wurde, sollte sieben Jahre später noch deutlicher zutage treten, als Ludwig I. anlässlich des nächsten...

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