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E-Book

Der Cicerone

Vollständige Ausgabe

AutorJacob Burckhardt
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl1059 Seiten
ISBN9783849606114
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Im 'Cicerone' schildert der Autor die italienische Kunstwelt von der Antike bis zur Gegenwart. Die Absicht des Verfassers geht dahin, eine Übersicht der wichtigeren Kunstwerke Italiens zu geben, welche dem flüchtig Reisenden rasche und bequeme Auskunft über das Vorhandene, dem länger Verweilenden die notwendigen Stilparallelen und die Grundlagen zur Lokalkunstgeschichte, dem in Italien Gewesenen aber eine angenehme Erinnerung gewähren sollen.

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Leseprobe

 


Die Baukunst beginnt in Italien viel früher als bei den Tempeln von Pästum, mit welchen wir hier den Anfang machen.

 

Schon die Urvölker, dann das durch Einwanderung entstandene Mischvolk der Etrusker haben Bauten hinterlassen, welche nicht bloß durch Massenhaftigkeit, sondern auch schon durch Anfänge eines höhern Formgefühles ausgezeichnet sind. Allein in ihrem jetzigen Zustande gehören sie doch mehr der Archäologie an; sie liegen meist seitab von den üblichen Straßen und sind auch dem Verfasser dieses Buches größtenteils unzugänglich geblieben. Überdies ist zwischen ihnen und den Bauten der vollendeten antiken Kunst eine große Lücke. Der Zweck unseres Buches verlangt, daß wir sie übergehen, um uns auf solche Denkmäler zu beschränken, in welchen die höhere Kunstform das Wesentliche, der Hauptausdruck der monumentalen Absicht ist. Welchem Gebäude des italischen Festlandes hier die erste Stelle gebührt, darüber wird wohl kein Zweifel herrschen.

 

Von den drei erhaltenen Tempeln der alten Poseidonia sucht das Auge sehnsüchtig den größten, mittlern. Es ist Poseidons Heiligtum; durch die offenen Trümmerhallen schimmert von fern das blaue Meer.

 

Ein Unterbau von drei Stufen hebt das Haus des Gottes über die Fläche empor. Es sind Stufen für mehr als menschliche Schritte. An den Resten des alten dorischen Heraklestempels in Pompeji sieht man, daß für den Gebrauch eine Treppe von gewöhnlichen Stufen vorgesetzt wurde.

 

Den ältesten griechischen Tempeln, wie z. B. demjenigen von Ocha auf Euböa, genügte ein Bau von vier Steinmauern. Als aber eine griechische Kunst erwachte, schuf sie die ringsum gehende Säulenhalle mit dem Gebälk, zuerst vielleicht von Holz, bald von Stein. Diese Halle ist, abgesehen von ihren besondern Zwecken, nichts als ein idealer, lebendig gewordener Ausdruck der Mauer selbst. In wunderbarer Ausgleichung wirken strebende Kräfte und getragene Lasten zu einem organischen Ganzen zusammen.

 

Was das Auge hier und an andern griechischen Bauten erblickt, sind eben keine bloßen Steine, sondern lebende Wesen. Wir müssen ihrem innern Leben und ihrer Entwicklung aufmerksam nachgehen. Die dorische Ordnung, welche wir hier in ihrer vollen altertümlichen Strenge an einem Gebäude des 6. Jahrhunderts v. Chr. vor uns haben, läßt diese Entwicklung reiner und vollständiger erkennen als ihre jüngere Schwester, die ionische.

 

Der Ausdruck der dorischen Säule mußte hier, dem gewaltigen Gebälke gemäß, derjenige der größten Tragekraft sein. Man konnte möglichst dicke Pfeiler oder Zylinder hinstellen, allein der Grieche pflegte nicht durch Massen, sondern durch ideale Behandlung der Formen zu wirken. Seine dorische Ordnung aber ist eine der höchsten Hervorbringungen des menschlichen Formgefühls.

 

Das erste Mittel, welches hier in Betracht kam, war die Verjüngung der Säule nach oben. Sie gibt dem Auge die Sicherheit, daß die Säule nicht umstürzen könne. Das zweite waren die Kannelierungen. Sie deuten an, daß die Säule sich innerlich verdichte und verhärte, gleichsam ihre Kraft zusammennehme; zugleich verstärken sie den Ausdruck des Strebens nach oben. Die Linien aber sind wie im ganzen Bau nirgends, so auch in der Säule nicht mathematisch hart; vielmehr gibt eine leise Anschwellung das innere schaffende Leben derselben auf das Schönste zu erkennen. So bewegt und beseelt nähert sich die Säule dem Gebälk. Der mächtige Druck desselben drängt ihr oberes Ende auseinander zu einem Wulst (Echinus), welchen hier das Kapitell bildet. Sein Profil ist in jedem dorischen Tempel der wichtigste Kraftmesser, der Grundton des Ganzen. Nach unten zu ist er umgeben von drei Rinnen, gleich als verschöbe sich hier eine zarte, lockere Oberhaut der Säule. Ihnen entsprechen und antworten etwas weiter unten, an der Säule selbst, drei Einschnitte ringsum. – Eine starke viereckige Deckplatte isoliert die Säule vom Gebälk.

 

(An vielen Stellen dieses Tempels scheinen die Säulen auf viereckigen Untersätzen zu stehen, allein nur weil Steine dazwischen weggenommen worden sind. Die dorische Säule, als erdgeborne Kraft, bedarf der Basis nicht; unmittelbar aus der obersten Tempelstufe steigt sie empor.) Es folgt zunächst ein Band von hier sehr mächtigen Quadern, der sog. Architrav, ganz glatt und schmucklos. Es sind die Balken, welche über die Säulen hingehen. Was aber von Bewegung übrig ist, setzt sich fort in dem darauf folgenden Gliede, dem Fries. Die von innen kommenden Querbalkenenden sind in der Mitte zweimal und an beiden Seiten senkrecht eingekerbt zu »Triglyphen«, die Zwischenräume (Metopen) aber ausgefüllt mit Steinplatten, die ohne Zweifel mit Gemälden oder Reliefs geschmückt werden sollten. Wir wissen nämlich nicht, ob dieser Tempel je ganz vollendet wurde. – Im Architrav entspricht jeder Triglyphe ein kleines Band mit sechs daran hängenden sog. Tropfen.

 

Ein hier besonders weit vorragendes Kranzgesimse deckt das Ganze. Von unten erkennt man daran eine ideale Darstellung der schrägen Dachsparren, deren jeder drei Reihen von je sechs Nägeln aufweist. An den beiden Hauptseiten des Tempels ragen darüber die Giebel empor, die zwar jetzt (und vielleicht von jeher) leer stehen, ohne jene Gruppen von Statuen, welche einst die attischen Tempel zierten, dabei aber durch das schönste, gerade für diesen Bau passendste Verhältnis der Höhe den Blick erfreuen. Der stumpfe Winkel des Giebels nämlich ist das Schlußergebnis jener ganzen idealen Rechnung zwischen Kräften und Lasten; er deutet genau an, wieviel von strebender Kraft am Ende übriggeblieben ist.

 

Eine ganze Anzahl feinerer Gliederungen, welche man an den dorischen Bauten Athens vorfindet, fehlen hier entweder ursprünglich oder durch die Verwitterung. Der Eindruck des Strengen und Mächtigen wird dadurch noch gesteigert.

 

Vom Innern fehlt fast die ganze Mauer, welche das längliche Haus, die Zella des Gottes ausmachte. Wahrscheinlich lockten die glatten Quadern den kirchenbauenden Normannen zum Raub. Doch ist die innere Vorhalle, zwei Säulen zwischen zwei Mauerpfeilern (Anten), erhalten. Diese letztern sind als Teil der Mauer behandelt, also weder kannelliert, noch verjüngt, noch geschwellt, doch deutet ein eigenes Kapitell, welches bedeutsam mit dem Echinus der Säulen kontrastiert, auf ihre Teilnahme am Tragen hin. Von den Steinbalken und deren vertieften viereckigen Zwischenfeldern (Kassetten), welche den Raum zwischen Säulenhalle und Tempelmauer bedeckten, ist nichts mehr erhalten. Das Gebälk der Säulenhalle scheidet sich, auch von innen gesehen, in Architrav und Fries, nur daß letzterer hier glatt ist. Am Gebälk der Zella dagegen, soviel davon vorhanden ist, hat der Fries seine Triglyphen und Metopen, nur niedriger als am Außenbau.

 

Das Innere des Heiligtums erhielt einst sein Licht durch eine große Dachöffnung, ohne welche die fensterlosen griechischen Tempel durchaus dunkel gewesen wären. An den bedeutendem Tempeln wurde gleichsam als Einfassung und Stütze dieses offenen Daches eine innere Säulenordnung angebracht, und zwar eine doppelte, weil einfache dorische Säulen allzu groß und dick hätten gebildet werden müssen im Verhältnis zu dem so beschränkten Raum. Die Bauten der höchsten Blütezeit scheinen meist eine untere dorische und eine obere ionische Ordnung gehabt zu haben, zu deutlicher Scheidung der ineinander überleitenden Kräfte. Hier dagegen ist auch die obere Ordnung dorisch und dabei noch von etwas ungeschickter Bildung, als wäre die kleine obere Säule unmittelbar die durchs Zwischengesims hindurchgehende Fortsetzung der größern untern; überdies wirkt der breit auseinandergehende Echinus der kleinen Säule nicht gut .

 

Nur in dürftigen Andeutungen haben wir das, was die Seele dieses wunderbaren Baues ausmacht, bezeichnen können. Obwohl eines von den besterhaltenen Denkmälern seiner Art, verlangt er doch ein beständiges geistiges Restaurieren und Nachfühlen dessen, was fehlt und dessen, was nur für die aufmerksamste Pietät noch sichtbar ist. Wie ganz anders würde er auch zum äußern Auge sprechen, wenn er noch mit allen Skulpturen seiner Giebel und Metopen, mit den Dachzierden (Akroterien) von Laubwerk und Statuen, mit den Löwenköpfen des Kranzgesimses, mit dem jetzt so fraglichen Farbenschmuck, innen aber mit dem Bild Poseidons und den Weihgeschenken geretteter Seefahrer geschmückt wäre! Unsere Vorstellung von Kunstvermögen der Griechen steigert er aber schon in seinem jetzigen Zustande auf das höchste.

 

Vielleicht blickt ein scharfes Auge die einzelnen Seiten im Profil entlang und findet, daß keine einzige mathematisch gerade Linie an dem ganzen Bau ist. Man wird zunächst an ungeschickte Vermessung, an die Wirkung der Erdbeben und anderes der Art denken. Allein wer z. B. sich der rechten Ecke der Vorderseite gegenüberstellt, so daß er das obere Kranzgesimse der Langseite verkürzt sieht, wird eine Ausbeugung desselben von mehrern Zollen entdecken, die nur mit Absicht hervorgebracht sein kann. Und ähnliches findet sich weiter. Es sind...

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