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E-Book

Der Himmel ist die Grenze

AutorFrancis Slakey
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783455850284
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
'Jede Begegnung mit dem Tod brachte mich dem Leben näher.' Unzufrieden mit seinem abgekapselten Wissenschaftlerdasein, beschließt Francis Slakey mit 36, den höchsten Berg eines jeden Kontinents zu erklimmen und auf allen Weltmeeren zu surfen. In den folgenden Jahren gerät er auf abenteuerlichen Trecks in Extremsituationen, die ihn und sein Leben verändern ... Kaum hat Francis Slakey begonnen, aus seinem erstarrten Leben auszubrechen, geschehen unterwegs unerwartete Dinge. Er wird von indonesischen Guerillas aus dem Hinterhalt überfallen, überlebt einen tückischen Schneesturm in der Antarktis, muss während eines Blizzards in den eisigen Höhen des Mount Everest eine Entscheidung treffen, bei der es um die nackte Existenz geht. Und jedes Mal, wenn er dem Tod entrinnt, befreit er sich ein Stück weiter aus dem emotionalen Korsett. Aus der ursprünglichen Mut- und Kraftprobe wird zu einer Reise ins Innere, in deren Verlauf Slakey einen Sinn für die tiefe Verbundenheit der Menschen untereinander und mit ihrer Umwelt entwickelt. 'Erst heute', schreibt er, 'verstehe ich meine Reise. Sie hatte nur einen einzigen Zweck: Ich musste das Herz des Jungen wiederbeleben, der ich gewesen war.'

Francis Slakey lehrt Physik und Rechtsordnung an der Georgetown University in Washington, D.C., die sich schwerpunktmäßig mit den Schnittstellen von Naturwissenschaft und Gesellschaft befasst. Er ist Gründer und stellvertretender Leiter des Program on Science in the Public Interest, Lehrbeauftragter an der Smithsonian Institution und Autor zahlreicher Artikel, die in The Washington Post, The New York Times, Slate und Scientific American erschienen.

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Leseprobe

Der Himmel ist die Grenze


Ich habe das Gleichgewicht verloren. Mein Körperschwerpunkt hat sich gefährlich verschoben, aber es ist mir nicht bewusst, bis mich eine dumpfe Wahrnehmung der Welt um mich herum erwachen lässt.

Ich hebe leicht den Kopf und werfe einen Blick auf meine Füße. Kein Zweifel, ich liege nicht flach, nicht waagerecht. Mein Körper fällt nach unten ab, und im blassen Mondlicht kann ich kaum meine Zehenspitzen sehen. Das wäre kein Grund zur Beunruhigung, läge ich nicht auf einem Feldbett, das sechshundert Meter über der Talsohle an einer Wand aus reinem Granit befestigt ist.

Meine vorsichtigen Bewegungen haben genügt, um Tom Paxton, meinen Kletterpartner, zu wecken. Pax ist mager, aber so muskulös, dass es scheint, als könnte er einen Stier hinter sich herziehen, wenn die Umstände es erforderten. Ich weiß nicht viel von ihm, und er weiß nichts von mir – wir sind ein ideales Paar. Wir leben beide ohne Rückspiegel, geben Gas im Leben und treten nur dann auf die Bremse, wenn es nicht anders geht. Pax spielt sich auch nie auf – eine andere bewundernswerte Eigenschaft. Es gibt jede Menge Bergsteiger, die reden und reden, aber nie oben ankommen. Pax kommt oben an, ohne zu klagen und ohne zu triumphieren.

Im Augenblick versucht er genau wie ich zu erkennen, was mit dem Feldbett passiert ist. Da es für zwei kaum breit genug ist, musste er die kleinste Bewegung von mir mitbekommen. Wir schlafen mit dem Kopf neben den Füßen des jeweils anderen, sodass Pax jetzt bei einem Blick auf seine Füße sieht, dass sie fast dreißig Zentimeter höher liegen als sein Kopf.

Um sicherzugehen, hatten wir eine halbe Stunde darauf verwandt, das Feldbett in der Wand zu befestigen, und dafür breite quaderförmige Aluminiumkeile in einen Riss im Granit gerammt. Die Keile sitzen fest, sie könnten das Gewicht eines Elefanten halten; unmöglich, dass sie sich gelockert haben. Irgendetwas anderes muss geschehen sein.

Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, fällt mein Blick auf eines der Gurtbänder, an denen das Bett aufgehängt ist. An einer Ecke scheint es sich wie ein Gummiband zu dehnen.

Wenig später schüttle ich meine Schlaftrunkenheit ab, und mein Gehirn beginnt, die Sache sorgfältiger zu untersuchen. Ich sehe, dass sich das Gurtband keineswegs dehnt. Es ist viel schlimmer: Seine Naht reißt auf. In wenigen Sekunden wird es sich von der Ecke gelöst haben, und das Feldbett wird sich unter uns selbständig machen. Wir können nichts tun, um das zu verhindern.

»Slake?«

»Ja, Pax?«

»Wir fallen gleich.«

Ich schaue über den Rand des Feldbetts hinab in die Leere und warte auf das Unvermeidliche.

 

Es gab eine Zeit, da El Capitan als unbezwingbar galt, und es ist leicht zu verstehen, warum. Der Hammerkopf aus Granit, der das Yosemite-Tal in Kalifornien überragt, bricht aus dem Boden hervor und steigt neunhundert Meter senkrecht auf.

Nichts von Menschen Erbautes ist je so hoch gewesen. Selbst nach einem Jahrhundert des perfektionierten Gerüstbaus, des Schweißens von Stahl und Gießens von Beton erreicht kein Bauwerk auf dem Planeten die Höhe von El Cap. Wenn man am Fuß des gewaltigen Monolithen steht, sich zurückbeugt und hinaufblickt, scheint er endlos aufzusteigen, weiter, als die Blicke reichen, bis dorthin, wo er nicht mehr der Erde anzugehören, sondern sich in den Himmel zu schieben scheint.

Gigantisch. Überwältigend. Der Felsen verhöhnt dich, fordert dich heraus, ihn zu besteigen. Und keine Frage, eines Tages musste jemand das versuchen.

Die ersten Versuche waren erfolglos, und zwar aus einem einfachen Grund: Menschen sind nicht dazu geschaffen, eine glatte vertikale Wand hinaufzuklettern. Wir haben keine Haftballen an den Füßen, wie ein Gecko. Wir haben nicht die klebrigen Beine eines Tausendfüßlers oder die Hufe einer Bergziege. Unsere Füße sind flach und lang und damit bestens geeignet, uns auf ebener Erde vor einem heranstürmenden Mastodon Reißaus nehmen zu lassen.

Um beispielsweise eine Spalte in einer vertikalen Wand zum Hinaufklettern zu nutzen, müssen Sie Ihre Beine und Füße in einer Weise gebrauchen, die nicht Teil unserer evolutionsbedingten Ausstattung ist: Sie drehen ein Knie weit nach außen, lassen die Zehen in die Spalte gleiten und belasten den Fuß mit Ihrem ganzen Körpergewicht. Dadurch pressen Sie die Zehen fest in die Spalte und verankern den Fuß an Ort und Stelle. Die Knochen werden zusammengedrückt, damit sie sich dem Profil der Spalte anpassen.

Die Hände gebrauchen Sie nach demselben Muster: Sie drehen Finger, Fingergelenke oder Fäuste und pressen sie in die Spalte. Granit verzeiht keinen Fehler, deshalb müssen die Hände präzise eingesetzt werden. Wenn eine Hand gegen den rauen Granit stößt, schält der Stein wie ein Kartoffelmesser eine Hautschicht ab.

Drehen und zusammendrücken, drehen und zusammendrücken – das ist die Technik, mit der man eine Spalte in einer senkrechten Felswand hinaufsteigt.

Wenn die Spalte an einer Stelle so schmal wird, dass man keinen Fuß mehr hineinquetschen kann, sucht man nach anderen Möglichkeiten – nutzt zum Beispiel Strukturen und Konturen, die oft nicht stärker sind als eine Münze, oder schmiert etwas Gummi vom Kletterschuh an den Fels, in der Hoffnung, dass Reibung genügt, um Halt zu finden.

Wenn das alles nichts nützt, treten Bergsteiger den Rückzug an, um nach einer anderen Route zu suchen. Aber jetzt werden sie mit einem weiteren evolutionsbedingten Nachteil konfrontiert: Unsere Augen sitzen an der richtigen Stelle, wenn es ums Hinaufklettern geht, da wir hierbei gut sehen können, wo wir die Füße hinsetzen. Beim Hinabsteigen jedoch ist die Sicht eingeschränkt und das Gleichgewicht stärker gefährdet; der Zeh muss manchmal »blind« durch die Luft schwingen auf der Suche nach einer Stelle, wo er Halt finden kann.

Der granitene Monolith von El Cap war also unerbittlich, und die Bedingungen für seine Ersteigung waren unmenschlich. Der ihn schließlich bezwang, hatte Nerven wie Drahtseile, bewundernswerte Geduld und einen Körper, der an das Erklettern der vertikalen Welt optimal angepasst war.

Warren Harding, der El Cap als Erster bestieg, hat mich inspiriert. Ich war vierzehn, als ich von seinem Aufstieg erfuhr. Von diesem Moment an wollte ich, dass sein Abenteuer auch mein Abenteuer würde.

Sein Abenteuer begann im Sommer 1957, als er und seine beiden Teamgefährten ihre Ausrüstung am Fuß von El Cap ablegten, wie es so viele Bergsteiger vor ihnen getan hatten. In den nächsten Wochen und Monaten steckten sie sorgfältig, Meter für Meter, ihre Zickzackroute ab, schlugen Lager in der Felswand auf und verbanden diese Lager mit Seilen, die sie mit Kletterhaken – zehn Zentimeter langen, in Spalten geschlagenen Metallspikes – im Fels befestigten. Am Ende eines jeden Tages kehrten sie in ihr Basislager zurück.

Doch sie kamen nur langsam voran. Zu langsam. Nach vier arbeitsreichen Monaten, in denen schließlich die Kälte Einzug gehalten hatte – die Schneestürme würden nicht mehr lange auf sich warten lassen –, sahen sie sich gezwungen, den Aufstieg auf die Zeit nach dem Winter zu verschieben. El Cap hätte sie sonst zermalmt.

Der nächste Sommer brachte weitere Enttäuschungen. Einer der beiden Teamgefährten Hardings brach sich ein Bein, der andere verlor den Mut und stieg aus. El Cap schien wieder einmal einen Versuch zu vereiteln. Aber Harding, entschlossen und auf den Preis fixiert, fand zwei neue Partner und nahm den Fels noch einmal in Angriff.

Wieder vergingen Monate, in denen das Team jeden Tag ein paar Dutzend Meter weiter vorstieß, um anschließend zum Ausruhen zurück auf die Talsohle hinabzusteigen. Als der Herbst nahte, begannen die Fixseile zu zerfasern. Nach einem Jahr der Beanspruchung hatten sie an Stabilität verloren; einen weiteren Winter würden sie nicht überstehen. Entweder das Team konnte El Cap vor dem ersten Schnee bezwingen, oder fast achtzehn Monate Arbeit wären umsonst gewesen. Für Harding hieß es jetzt oder nie.

Sie schulterten ihre Ausrüstung und versuchten es. Da die Witterungsverhältnisse schlechter wurden und die Seile schwächer, wussten sie, dass alles gegen sie sprach.

Zunächst kamen sie rasch voran. Der untere Teil war ihnen vertraut; sie hatten ihn Dutzende Male hinter sich gebracht, indem sie die Wand hinauf- und hinabgestiegen waren, um die Route festzulegen. Dann aber verließ sie die Hoffnung; ein früher Wintersturm zog in das Tal, und sie mussten auf einer Felsbank Schutz suchen. Tage vergingen mit Warten; kalter Regen prasselte gegen den Fels, und der Wind peitschte ihnen den Rücken.

Als sich der Sturm endlich legte, hatten sie ihren Rhythmus und ihre Moral verloren. Ihr Tempo verlangsamte sich auf ganze anderthalb Meter Höhengewinn pro Stunde – eine Raupe kommt schneller voran. Sie standen vor der Entscheidung, entweder ihre Müdigkeit zu vertreiben und weiterzuklettern oder hinabzusteigen, einzupacken und El Cap zu vergessen.

Sie entschieden sich, weiterzumachen.

Am 12. November 1958, fast fünfhundert Tage, nachdem Harding mit den Vorbereitungen für den Aufstieg begonnen hatte, zogen er und seine Gefährten sich über den Rand von El Cap. Sie hatten vollbracht, was noch niemand vollbracht hatte, ja was manchen als absolut unmöglich erschienen war: Sie hatten neunhundert Meter senkrecht aufragenden Granit erklommen. Sie waren von einer flachen Talsohle aus aufgebrochen und hatten sich senkrecht nach oben gearbeitet, direkt in den Himmel hinein.

Sie hatten die Natur herausgefordert und dafür gelitten. Ihre Hände waren blutig und voller Schwielen, ihre Füße zerschunden, ihre Körper mit...

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