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E-Book

Der Minus-Mann

AutorHeinz Sobota
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl448 Seiten
ISBN9783641111953
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dieses Buch ist der schonungslose, atemverschlagende Lebensbericht eines Mannes, der als Zuhälter und Gewalttäter gelebt hat, der ein exzessiver Trinker und gefürchteter Schläger war, ein Mann, tief gespalten in seiner Beziehung zu Frauen, voller Haß und Selbsthaß. Das Buch wurde in einem Zuchthaus in Marseille geschrieben. Es ist ein wichtiges Zeugnis von der Nachtseite unserer Gesellschaft, das unsere Kenntnis vom Menschen bestürzend erweitert. Ein Buch über Gewalt und Gegengewalt.

Es gibt höllische Szenen in diesem Buch: brutale, tödliche Schlägereien unter den Zuhältern, die Folterung eines Mädchens, das als Dirne abgerichtet wird, die Vergewaltigung eines jungen Gefangenen durch die Zellenbelegschaft - so nackt, so direkt ist das noch nie beschrieben worden, ohne Selbstmitleid, ohne jede Beschönigung und ohne jeden Versuch der Rechtfertigung.

Heinz Sobota wird 1944 als Sohn eines Bankangestellten im burgenländischen Sauerbrunn geboren. Mit kleineren Diebstählen beginnt er seine kriminelle Karriere und wird zu einer Jugendstrafe verurteilt. Immer wieder gerät er mit der Justiz in Konflikt, versucht seinen Vater umzubringen, wird wegen Raubes verurteilt und in eine Strafanstalt eingewiesen. Im Wiener Milieu ist er als Zuhälter und Gewalttäter bekannt. Sein Roman 'Der Minus-Mann' entsteht in etwa sieben Wochen, während der Haft Sobotas in einem Marseiller Gefängnis. Heinz Sobota lebt in München.

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Leseprobe

Das Kloster ist graugelb und mit einer hohen Mauer umgeben.

Der Gasse zu schließt an die Mauer der Kirchenbau an.

Kapuzinerkirche und Kloster in einem in Wiener Neustadt. Neun Zöglinge zwischen zwölf und siebzehn Jahren, enge Zimmer, lange, dumpfe Gänge, Wecken um halb sechs Uhr früh, ministrieren in der eisigen Kirche, jede Woche zwei andere, dann Frühstück im Refektorium.

Zehn vor acht ab in die Schule, drei Gassen weiter, ein großes gelbes Haus, gegenüber ein Park, alte, knorrige Bäume. In der Halle hinter den Flügeltüren der Schulgeruch nach Tinte, Moder, feuchten Kleidern, Brot und Pisse. 47 Schüler in der Realschulklasse, ein hysterischer Klassenvorstand. Ich schlafe als zuletzt Gekommener auf dem hintersten Platz, der Eselsbank. Dann zurück in das Kloster, Mittagessen um zwei Uhr, eine mürrische Köchin, der aufsichtführende Pater rülpst und liest im Brevier. Bettelmönche mit Riesenbäuchen und wieselflinken, harten Augen, salbungsvolle Schwärmer, unfähige Erzieher. Freistunde bis halb vier. Fußball auf dem staubigen Platz zwischen den Mauern, dann Studierzeit bis sechs Uhr, dann Abendessen, eine Viertelstunde Freizeit, dann Studierzeit bis halb neun Uhr, dann Abendessen bis halb zehn Uhr, waschen. Licht aus. Ich schlafe beim Abendgebet ein, werde bestraft, Kirche reinigen während der Freizeit, ich klaue den Messwein, schleiche mich auf den Turm über schwindelnde Holzgerüste, dort trinke ich. Eine halbe Flasche pro Tag, dann stehle ich weiter – Zigaretten und Wein – manchmal bin ich betrunken, aber ich lerne schnell, es zu verbergen, dann schleiche ich nachts auf den Turm und trinke, da bin ich sicher. Nie falle ich über die schmalen, schwankenden Bretter, die in acht Meter Höhe über der Decke des Kirchenschiffs laufen. Manchmal borgt mir ein Pater sein Luftdruckgewehr, dann schieße ich auf Tauben und Menschen gegenüber im Park, aber durch das hastige Trinken bin ich immer sehr schnell betrunken, und dann verschwimmt das Ziel, vielleicht trägt das Gewehr auch nicht so weit. Manchmal kommen Mädchen von der katholischen Jungschar ins Kloster. Ihre schrillen Stimmen hallen über die Gänge. Dann lässt sich eine von mir den Turm zeigen. Wir knutschen, ich ziehe ihr das Höschen aus, gebe ihr zu rauchen und zu trinken. Dann wird ihr übel, und sie weint. Das ärgert mich. Wenn diese idiotische Kuh davon redet, zu Hause, oder zu den anderen. Ich drücke ihr den Gewehrlauf an die Stirn.

»Nicht, das ist gefährlich, einem in der Schule ist damit ein Auge zerstört worden«, heult sie auf.

Ich bohre mit den Fingern in ihr und dann sind meine Finger blutig und sie schreit und schluchzt.

»Ich schieß dich in den Kopf, wenn du mit jemanden darüber sprichst«, sage ich und wische das Blut ins Taschentuch.

»Du hast mir wehgetan«, plärrt sie und deutet auf den dünn beflaumten Schlitz: »da unten.«

Aber sie kommt wieder und schweigt. Meine Leistungen in der Schule sind bemerkenswert, im zweiten Trimesterzeugnis, vier Nichtgenügend, in Deutsch, Englisch, Mathematik und geometrischem Zeichnen. Meine Mutter kommt zur Sonntagnachmittagsmesse und ist gerührt über meine messhelferische Tätigkeit im roten Rock und dem weißen Chorhemd. Dann zeige ich ihr das Zeugnis. Sie fällt fast in Ohnmacht.

»Der Vater erschlägt dich«, sagt sie und ringt die Hände. Ich lutsche Pfefferminzbonbons, damit man den Wein nicht riecht. Ich bin eher sorglos. Dann wachse ich acht Zentimeter in zwei Monaten, bin zwölfeinhalb und einszweiundachtzig groß, mit siebenundfünfzig Kilo.

Ich breche zusammen und liege dann zu Hause, gepflegt, gehätschelt und verwöhnt. Bin Mittelpunkt, sie sprechen leise, wenn sie ins Zimmer kommen, die Ärzte und der Vater, die Mutter und fremde Leute. Man redet vom armen Kind und Epilepsie. Kein Mensch fragt nach dem Zeugnis oder meinen nikotingelben Fingern.

Elektroencephalogramm und monatelange Beobachtungen in der neurologischen Klinik. Kapazitäten bohren und wühlen, und ich schweige verschlossen. Psychiater und Psychologen, Heilmagnetiker und Hypnotiseure. Ich lebe in Wartezimmern von Ordinationen und Séancezimmern, sie klopfen an meinem Kopf, verschreiben Dutzende Medikamente, schreiben dicke Gutachten, kassieren Honorare und zucken bedauernd mit den Achseln. Mein Vater ist unsichtbar, Mutter und meine Tante haben das Kommando übernommen. Und als Wien fertig konsultiert ist, kommen Zürich und Frankfurt, obskure Wunderheiler und schlechtriechende Handauflegerinnen. Nach sieben Monaten bin ich kurz vor dem Überschnappen, dann spricht Großvater ein Machtwort.

»Loßts den Buam sogn wos er wüll«, sagt er und sein Schnurrbart wippt bös auf und nieder.

Ich gehe nach Laa an der Thaya ins Internat, lerne in vier Wochen den Stoff von vier Monaten nach, habe drei Freundinnen, bin Kettenraucher und bekomme das erste Geld von einer Nutte. Sie heißt Frieda, ist achtzehn und geht am Wochenende in Wien auf den Strich. Sie küsst an meinem Schwanz herum und alles wäre herrlich, doch dann verprügelt mich ihr Zuhälter.

Er war zwanzig Kilo schwerer und zehn Jahre älter. Vier Tage kann ich kaum auf den Beinen stehen.

»Dir tut etwas sehr weh«, sagt sie, Jasna, elfenhaft und lieb, vierzehn, und ich knurre.

»Nein«, und verliebe mich in sie. Händchenhalten und zarte Küsse. Daneben organisiere ich eine Diebesbande. Die fliegt auf, einer verpfeift mich, und mein Vater erscheint nach acht Monaten auf der Bildfläche. Er erschlägt mich beinahe, der dazwischentretende Erzieher verhütet das Ärgste. Jasna leckt meine Wunden, und ich hasse den Alten zum ersten Mal so, dass ich ihn umbringen möchte.

Mein unschuldiges Verhältnis widerspricht herrschenden Moralauffassungen. Ende des Schuljahres erhalte ich ein akzeptables Zeugnis und bin mit einem Genügend in Betragen wieder relegiert.

»Du bist nichts als ein Haufen Scheiße im Körper eines Menschen«, sagt mein Vater, und Mutter weint bekümmert.

Alles trägt Bluejeans.

»Dieser amerikanische Dreck kommt mir nicht ins Haus«, tobt mein Vater, als ich den schüchternen Wunsch äußere. Bill Haley, Eddie Cochran und Elvis Presley sind mir verboten zu hören.

Wegen eines Posters von Little Richard befiehlt mir der Vater vierhundert Kniebeugen, nach zweihundert komme ich nicht mehr hoch. »Damit du mich in Zukunft mit Niggerfratzen verschonst«, sagt er. Ich klaue fünftausend Schillinge, kaufe mir fünf Bluejeans, einen genieteten Gürtel und die erste Flasche Whisky meines Lebens.

In einem dreckigen Hotel am Ende der Wiedner Hauptstraße erwache ich zwischen zwei grellen Nutten. Sie streiten um jede Berührung, oder besser um jeden grünen Lappen. Eine säuft meine Pisse, und die andere lehrt mich sie lecken.

»Steck ihn mir in den Hintern«, sagt sie, und ich tue es. Die zweite masturbiert, und blau geäderte Brüste quellen in mein Gesicht.

Dann ist das Geld zu Ende, die Pissoirforellen verschwunden, und ich breche bei meinem Onkel, einem pensionierten Gendarmerieoberst, ein und klaue seine Pistole, eine winzige Steyr Kal. 6.35 mit Kipplauf. Nach fünf Tagen Streunen halte ich an einem Vormittag einem Urlauberehepaar die nicht geladende Waffe unter die Nase und fordere die Urlaubskasse. Sie sind alt und haben kein Geld, ich lasse sie gehen und warte auf Lukrativeres, dann erscheint die Gendarmerie, und ich bin festgenommen.

Abends werde ich meinem Vater übergeben. Der Alte ist steinern und schweigsam. Drei Tage später sitze ich wieder in einer psychiatrischen Beobachtungsstation.

»Er ist nicht normal«, sagt mein Vater, und Mutter nickt beglückt im Kummer über diesen ehrenwerten Ausgang. Dann wandere ich unter die staatliche Erziehungsknute nach Allensteig. Die Gruppenschwester ist spätjüngferlich und versucht, verdrängte Sexualität in ungeheurem Gerede zu sublimieren.

»Stell dich in die Ecke, du Schwein, und beruhige dein Glied«, sagt sie zu mir, als ich bei der Badeschwanzkontrolle, ob der Eichelkäse auch weggewaschen ist, mit einem erigierten Ast auftauche. Nach dem Abendgebet wichst mir ein kleiner, zarter Schwuler täglich einen ab. Die Nachtschwester sieht aus wie die Medusa, und ich gehe nachts nie pinkeln, ich habe Angst, sie könnte mir vielleicht begegnen. Die männlichen Erzieher machen sich einen Sport daraus, zu testen, wie viele Ohrfeigen ein Zögling aushält, bevor er umfällt. Einer bringt es bis auf neun, und das bleibt lange Rekord, weil sich die Buben vorher zusammenfallen lassen, der mit den neun hat einen Trommelfellriss, das möchte keiner riskieren.

Mit der Absolvierung der achten Klasse Volksschule beende ich meine schulische Ausbildung, dann verlasse ich Allensteig mit subtilen Kenntnissen über die Methoden staatlich gelenkter Erziehungsstätten.

Die Ferien verbringe ich bei den Eltern, sogar mein Vater spricht hin und wieder mit mir.

Der Sommer ist eine weite, sonnenbeschienene Wiese, Mädchen sind darin, weit geöffnete, frischfarbige Blumen.

Der Alte versucht ein Aufklärungsgespräch in Gang zu bringen. Ich höre höflich zu, dann verheddert er sich. »Danke, ich weiß Bescheid«, sage ich. Er wird menschlich und schlägt mir verlegen oder erleichtert auf die Schulter.

»Das Wichtigste im Leben des Menschen ist die Schulbildung«, sagt mein Vater, und ich wandere im Herbst ins Bundeskonvikt nach Horn zum Besuch der Aufbaumittelschule, fünfjährige Abiturvorbereitung ohne Alterslimit. Innerhalb einer Woche schaffe ich es, mit zwei um vier Jahre älteren Leibwächtern als Jüngster die Klasse zu beherrschen. Veronika und Lore heißen der angenehme Tribut, der an mich entrichtet wird. Tausend Schilling Taschengeld, die braunhaarigen Wesen, Tennis und...

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