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Deutsche Geschichte im Mittelalter

AutorFrank Rexroth
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl127 Seiten
ISBN9783406623035
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Frank Rexroth bietet einen kompakten Überblick über die Geschichte des römisch-deutschen Reiches von seinen Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Es vermittelt neben den Grundzügen der politischen Geschichte auch zentrale Aspekte von Gesellschaft und Kultur. Damit werden Strukturen und Tendenzen verständlich gemacht, die die deutsche Geschichte bis zum Beginn der Moderne, ja teilweise bis in die jüngste Vergangenheit hinein, geprägt haben.

Frank Rexroth lehrt als Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen.

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Leseprobe

I. Zur Einführung drei Fragen


1. Welches Mittelalter?


Spricht man vom «Mittelalter», dann meint man damit mehr als nur eine Epoche der europäischen Geschichte, die die Jahre von ca. 500 bis ca. 1500 christlicher Zeitrechnung umfaßt. Schon seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist dieser Begriff aufgeladen mit einer ganzen Reihe von Vorstellungen und Wertungen und steuert – gemeinsam mit anderen Begriffen wie «Neuzeit», «Moderne» oder «Revolution» – die Versuche der Menschen, die historische Bedingtheit ihrer Existenz zu begreifen. Humanisten hatten ihn seit dem 14. Jahrhundert verwendet, wenn sie die kulturelle Blüte der Antike von der vermeintlichen Barbarei der vergangenen Jahrhunderte abheben wollten; sie sprachen dann von einem «mittleren Zeitalter» (media aetas, medium aevum). Als Epoche galt ihnen das Mittelalter dabei zunächst nur im Hinblick auf Sprache («Zeit minderwertiger Latinität»), bildende Kunst («Zeit mangelhaften Ausdrucksvermögens») und Wissenschaft («Epoche unfruchtbarer Scholastik»), nicht aber auf den Gang der Geschichte insgesamt. Diese verstanden sie in christlicher Tradition noch bis ca. 1700 als eine von Gott begründete Anordnung von Zeiten (Augustinus: ordo temporum), das heißt als Abfolge entweder von sechs Weltaltern oder von vier Weltreichen. Dabei war jedes Weltalter und jedes der Reiche definiert durch die Bedeutung, die ihm in der Heilsgeschichte zukam. Ein geschichtlicher Prozeß, der sich aus seinen innerweltlichen Bedingungen heraus hätte verstehen lassen, war auch für die Humanisten noch unvorstellbar.

Dies eben änderte sich im 18. Jahrhundert. Zunächst übertrug der Hallenser Professor Christoph Cellarius in einem schulmäßigen Kompendium (Historia universalis, 1704) die Dreiteilung der Geschichte in «Altertum», «Mittelalter» und «Neuzeit» schließlich doch von der Literatur- auf die Allgemeingeschichte. Wichtiger als dies war aber der Umstand, daß in den Jahren seit ca. 1760 die Zeitwahrnehmung der Menschen revolutioniert wurde: Man glaubte, einem immer rasanter werdenden Wandel der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ausgesetzt zu sein, die Veränderung des sozialen Lebens schien sich gleichsam exponential zu beschleunigen.

Menschen, die so viel Instabilität erleben, benötigen griffige Deutungsmuster, um sich ihrer Lebenswelt zu vergewissern. Zu einem besonders populären wurde das «Mittelalter»: eine scheinbar festgefügte Epoche der Vergangenheit, in der Menschen in soliden Verhältnissen lebten. So gesehen, gibt es das Mittelalter erst, seit sich Menschen der Moderne als Wesen verstehen, die durch eine profane Geschichtlichkeit bestimmt werden. Zweierlei Entwürfe vom Mittelalter entstanden auf diese Weise. Der eine, in der Tradition der Aufklärung, war von einer optimistischen Sicht auf die Gegenwart und die Chancen zur Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse getragen. Seine Vertreter stellten sich das Mittelalter als eine besonders «finstere» Epoche vor, geprägt durch religiösen Wahn und religiös verbrämte Antiintellektualität, durch lähmende Institutionen der «feudalen» Ordnung, durch kulturelle Barbarei und menschenverachtende Grausamkeit. Die Rede von den «finstern Tagen» (I. Iselin 1764), vom «eingeschränkten, düstern Pfaffenschauplatz des medii aevi» (J. W. v. Goethe 1772) wirkte traditionsstiftend bis zur Gegenwart. Wenn man heute besonders prägnant aussagen will, daß ethnische Konflikte, Folter oder religiöser Wahn die Standards der Moderne beleidigen, dann konstatiert man einen «Rückfall ins finstere Mittelalter».

Der zweite Entwurf ist nur scheinbar gegensätzlich zum ersten angelegt, denn auch er begreift das Mittelalter als historisches Gegenstück zur Moderne. Wo Menschen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die rasante Weiterentwicklung sozialer Verhältnisse als Verlust erfuhren, stellte man sich dasselbe Mittelalter als vergangenen Ort harmonischer und übersichtlicher Lebensentwürfe vor. Die Geschichte der Neuzeit wurde so zur Verlustgeschichte, veranlaßt und beschleunigt durch die einheits-sprengenden Ursünden von Reformation und Revolution. Wie das «aufklärerische», so hat auch dieses «romantische» Mittelalterbild bis heute nachgewirkt: Immer wieder hat man geglaubt, mit seiner Hilfe die Vernunft-Fixiertheit oder die soziale Zersplitterung der Gegenwartskultur kritisieren zu müssen. In Deutschland bemühte man es in Krisenzeiten immer wieder, ja hoffte man auf den Anbruch eines «neuen Mittelalters».

Es ging also letztlich stets um die Moderne selbst, wenn das Mittelalter als Denkbild bemüht wurde. Daß beide Seiten eines «entzweiten» Mittelalters (O. G. Oexle), die «aufgeklärte» und die «romantische», einander nicht wirklich widersprechen, kommt schon darin zum Ausdruck, daß sie sich stets miteinander vereinen ließen. Die Mittelalter-Inszenierungen (Märkte, Spektakel, Spiele, virtuelle Welten) heutiger Unterhaltungskultur sind deshalb so populär, weil sie die Bilder von der finsteren und der verklärten Gegenwelt zugleich ansprechen, das heißt: zugleich Abscheu und Faszination hervorrufen wollen.

2. Inwiefern deutsch?


Ein «deutsches Volk», verstanden als eine durch gemeinsame Herkunft bestimmte Gemeinschaft aller Deutschen, hat es während des Mittelalters nicht gegeben, und strenggenommen machten die mittelalterlichen Reiche der Ottonen, Salier, Staufer etc. auch kein «deutsches Reich» aus. Das mag erstaunlich klingen, da doch beide Größen für die Geschichtsentwürfe seit dem späten 18. Jahrhundert eine hervorragende Rolle spielten. Wieder waren es die Humanisten, die die Grundlagen legten. Sie identifizierten die Deutschen mit den Germanen, auf die sie mit der Wiederentdeckung (1455) von Tacitus’ Schrift «Germania» (98 n. Chr.) aufmerksam geworden waren, gaben damit der deutschen Geschichte eine Tiefendimension, die bis in die römische Kaiserzeit zurückreichte, und gelten damit heute als Schöpfer «der ersten Deutschtümelei unserer Geschichte» (K. F. Werner). Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurde diese Lesart der Germanengeschichte als deutscher Volksgeschichte forciert, wurde das Lob germanischer Lebensart in der Schrift des römischen Ethnographen und Gegenwartskritikers Tacitus zu einem Spiegel deutscher Tugenden schlechthin. «Durch eines Römers unsterbliche Schrift war ein Morgenroth in die Geschichte Deutschlands gestellt worden, um das uns andere Völker zu beneiden haben», verkündete Jacob Grimm (1835). Großzügig ließen sich durch diese Gleichsetzung Kontinuitäten konstruieren: Der Westgotenkönig Alarich habe 410 Rom «mit 30.000 deutschen Soldaten erobert» (H. Rückert), Generationen von Schülern lernten den Ostgoten Theoderich den Großen als den «deutschen» Dietrich von Bern und die wanderungszeitlichen Sagenkreise um Burgunder und Nibelungen als «ihr» Nationalepos kennen. Im frühen Mittelalter dann, im 9. oder 10. Jahrhundert, sei dieses Volk überdies in einem «deutschen Reich» geeint worden. Damit schien den mittelalterlichen Vorfahren jene Leistung geglückt zu sein, an der man sich in der Gegenwart des 19. Jahrhunderts mühevoll abarbeitete: Sie hatten ihrer Nation ein politisches Haus gegeben. Die Franken und Sachsen, die Bayern und Schwaben des frühen Mittelalters verstand man dabei in Anlehnung an Luthers Rede von den Zwölf Stämmen Israels als «deutsche Stämme», das heißt: als quasi-biologische Zweige eines größeren ethnischen Ganzen.

Gegen diese Sichtweise spricht einmal der Umstand, daß in den mittelalterlichen Schriftzeugnissen nur äußerst selten vom «deutschen Volk», ja von «den Deutschen» die Rede ist, daß hingegen Sachsen, Franken, Bayern und Schwaben als regna (Herrschaften, mhd. rîche, lender) bzw. als gentes und patriae (Völker), nicht aber als Untergliederungen eines deutschen Gesamtvolks bezeichnet wurden. Man hat mittlerweile gelernt, Ethnien wie Reiche nicht als objektiv gegebene bzw. überzeitlich existierende Größen zu betrachten, denen eine Existenz unabhängig vom Bewußtsein ihrer Angehörigen zukommt; vielmehr begreift man beide als Resultate menschlicher Urteilsbildungen (J. Ehlers). Die Frage konnte also fortan nicht mehr lauten: Seit wann gab es ein deutsches Volk?, sondern nur noch: In welchen historischen Prozessen prägte sich bei mittelalterlichen Menschen eine Identität als Deutsche aus?

Dies vorausgesetzt, hat man in der Forschung des 20. Jahrhunderts – inspiriert durch die sog. Ethnosoziologie – den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Größen «Volk» und «Reich» schlicht umgedreht: Erschien früher eine Reichsgründung undenkbar, die nicht von einem bereits existierenden deutschen Volk herbeigeführt worden wäre, so ist man heute der Überzeugung, daß die Tatsache des gemeinsamen Beherrschtseins die wichtigste...

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