China wird traditionell eher als kontinental ausgerichtete Landmacht wahrgenommen und für weite Zeiträume der chinesischen Geschichte trifft diese Sichtweise zu. Es gibt einige frühe Zeugnisse für chinesische Seeexpeditionen, z. B. zu den japanischen Inseln um ca. 200 v. Chr. auf der Suche nach dem „Elixier der Unsterblichkeit“ sowie nach Korea um ca. 100 v. Chr. im Zuge der Expansion der Westlichen Han Dynastie 206-23). Der zweite Sui Herrscher Yangdi reg. 604 617) sandte eine Strafexpedition auf die Ryukyu-Inseln, nachdem sich die Inselbewohner gesträubt hatten, Tribut an das chinesische Kaiserreich zu zahlen. Man brannte die Hauptstadt nieder und machte zahlreiche Gefangene, die nach China entführt wurden.[7] Allerdings ergab sich daraus keine stationäre Herrschaft über die Inseln oder über das zwischen ihnen und dem chinesischen Festland gelegene Meer.
Während den Dynastien Sui , 589-618) und Tang 618-906) dehnte sich der private Überseehandel vom Chinesischen Meer bis nach Süd- und Westasien und zu den arabischen Ländern Ostafrikas aus.[8] Lo macht jedoch darauf aufmerksam, dass chinesische Kriegsflotten bis zur Zeit der Südlichen Song Dynastie 1127-1279) nur in temporär begrenztem Rahmen existierten:
„There were small standing navies maintained by seaboard states during periods of disunity, there were maritime fleets mobilized for temporary service in overseas campaigns and under centralized control as in the spacious days of Han, Sui and T‘ang, and there were navies composed of river units under provincial command as in the Northern Sung period but until the creation of the Southern Sung navy, China did not have a national sea-going navy established on a permanent basis."[9]
Mehrere Faktoren unterschiedlicher Natur haben die Entwicklung einer chinesischen Kriegsflotte zu dieser Zeit beeinflusst. Erstens entstand durch die Flucht des chinesischen Kaiserhofes nach Süden und der folgenden Auswanderungswelle aus den nördlichen Provinzen in die südöstlichen Küstengebiete ein enormer Bevölkerungsdruck in dieser Region, der die Hinwendung zum Meer im Allgemeinen förderte. Da die Handelsrouten nach Norden und Nordwesten gefährlich und teilweise versperrt waren, konnten sich die Hafenstädte zu großen Umschlagplätzen für Waren und Güter aus aller Welt entwickeln. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Hangzhou die damalige Kaiserstadt, die erste und einzige chinesische Hauptstadt mit einem Seehafen war. Zweitens stellte aus sicherheitspolitischer Sicht der Aufbau einer starken Kriegsmarine eine Notwendigkeit dar, denn v. a. die Sicherung der nördlichen Grenze gegen die Jin Dynastie 1115-1234) hing von der Verteidigung des Huai Flusses und der nordöstlichen Küstenregion ab. Im 13. Jahrhundert, im Verteidigungskampf gegen die Mongolen, war auch der Changjiang ein wichtiger Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zu Wasser. Außerdem war eine Verteidigungsflotte für die Sicherung der Handelshäfen unerlässlich. Drittens ermöglichten die technischen Errungenschaften dieser Zeit, v. a. in der Nautik, wie z. B. die Verwendung des magnetischen Kompasses und die allgemeine Einführung des Heckruders, den Aufbau einer starken und mobilen Kriegsflotte, die während der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts das Ostchinesische Meer dominierte.[10]
Die mongolische Yuan Dynastie 1271-1368) konnte nach dem Sieg über die chinesische Flotte 1279 ihre Hoheit über das Ostchinesische und Südchinesische Meer erstaunlicher Weise weiter ausdehnen und versuchte sogar, Japan, Vietnam und Java mit Hilfe einer Flotte von bis zu 1000 Schiffen,[11] die sich sowohl aus neuen und eroberten Schiffen aus der ehemaligen Song-Flotte als auch aus privaten Schiffen aus dem Besitz von Kaufleuten zusammensetzte, einzunehmen. Dies ist deshalb erstaunlich, weil sich hier ein Nomadenvolk aus der Tundra der Mongolei zu einer regionalen Seemacht mit großen Ambitionen entwickelte. Wie Wilson richtig bemerkt, wären diese Eroberungsversuche ohne die Übernahme chinesischer Schiffe und Taktiken nicht möglich gewesen. Er verweist jedoch ebenso darauf, dass die Invasionen in Japan 1274 und 1281 wahrscheinlich die größten amphibischen Operationen des Mittelalters waren.[12]
Die folgende Ming Dynastie 1368-1644) ist bezüglich ihrer Marine für zwei, häufig als gegensätzlich interpretierte Entwicklungen bekannt. Die sieben großen Seeexpeditionen des Eunuchen Zheng He 1371-1433) zwischen 1405 und1433 können als Höhepunkt der chinesischen Seefahrt und Schiffsbaukunst gewertet werden.[13] Die sich kurz darauf anschließende Seeverbotspolitik des chinesischen Kaiserhauses wird im Gegensatz dazu gemeinhin als Ursache für die Abkehr vom Meer und der Seefahrt verantwortlich gemacht.[14] Da die großen Seeexpeditionen während der Regierungszeit Kaiser Yongles r.1402-24) nicht nur für die Wiederherstellung und den Ausbau des Tributsystems und den damit verbundenen imperialen Handel sorgten, sondern in Anbetracht ihrer Flottengröße in erster Linie kostspielig gewesen sein mussten,[15] kann der Rückzug der auf Kaiser Yongle folgenden Herrscher aus den Flottenprogrammen durchaus auf pragmatische Überlegungen zur Finanzierung des Staatshaushalts zurückgeführt werden.[16] Hier musste v. a. die militärische Situation an der Nordgrenze des Reiches eine Rolle gespielt haben, an der sich die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Mongolen weiter hinzogen, während die Pirateneinfälle an der Küste bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts keine seriöse Bedrohung für das Kaiserhaus darstellten.[17] In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts musste die Dynastie jedoch auf zwei maritime Bedrohungen reagieren. So forderte die erneute Heimsuchung der Küsten durch Seeräuber die Reformierung bzw. den Wiederaufbau der Küsten- und Seeverteidigung.[18] Außerdem verlangte die japanische Invasion in Korea auf Grund der engen Tributbeziehungen zum koreanischen Königshaus ein Eingreifen des chinesischen Kaiserreiches. In beiden Fällen waren die chinesischen Militärs erfolgreich. Dies zeigt, dass die militärische Führung auf die neue Situation an der Küste relativ schnell und effektiv reagieren konnte, obwohl das Militär über viele Jahre in Kämpfe an der Nordgrenze, die natürlich eine Herausforderung der Landstreitkräfte bedeutete und weniger der Seestreitkräfte, verwickelt war.[19] Diese Reaktion ist also eher als Indikator für eine erneute militärische Stärke zu sehen, als dass die Überfälle durch Seeräuber an der Küste als Indikator für einen sich abzeichnenden Niedergang der Dynastie zu interpretieren wären.
Das militärische System während der mandschurischen Qing Dynastie 1644-1912) zeichnete sich durch eine funktionelle Arbeitsteilung zwischen chinesischen und mandschurischen Militärs aus. So wurden strategisch wichtige Gebiete, wie z. B. der Große Kanal oder die lange und stets unsichere Nordgrenze zu Russland, bzw. die zentralasiatische Grenze, von mandschurischen Militärs gesichert, während ein Großteil der chinesischen Marine unter dem Befehl chinesischer Generäle stand und zusätzlich weit entfernt von der kaiserlichen Residenz in Beijing an der Südostküste des Landes stationiert war. Zwei Faktoren können als hauptsächliche Ursachen für den langsamen Niedergang der chinesischen Flottenverbände während der letzten Kaiserdynastie ausgemacht werden, der erst mit dem Ersten Opiumkrieg (1839-1842) gegen das Britische Empire deutlich zu Tage trat. Erstens war nach dem Fall der letzten Bastion von Ming-Anhängern auf Taiwan 1683 bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Küste keine nennenswerte Bedrohung ausgegangen. Zweitens wurde die Kriegsmarine in separate regionale Flotten geteilt, um potenzielle Rivalen aus den...