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Die Familienkonflikte im Gleichnis vom Verlorenen Sohn - Gespiegelt in der Kurzprosa bei Franz Kafka

Analysen und Reflexionen

AutorLinda Freier
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl66 Seiten
ISBN9783640658992
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Theologie - Sonstiges, Note: 2,7, Universität Paderborn, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Einsatz von Literatur im Religionsunterricht ist wohl wichtiger denn je. Literatur greift die Grunderfahrungen der Bibel auf und kann den Schülerinnen und Schülern so motivierend an existenzielle Fragen und religiöse Themen heranführen. Franz Kafka gilt als einer der größten Schriftsteller der Moderne. Dank Max Brod sind diese einzigartigen Erzählungen erhalten geblieben und wurden nicht, auf Kafkas Wunsch hin, vernichtet. Seine Texte handeln von Entfremdung, Familienkonflikten und Einsamkeit. Themen, die jeden betreffen und die niemanden unberührt lassen. Auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn kann man wohl als das Gleichnis schlechthin bezeichnen. In der Suchmaschine Google erlangt man 25.200 Treffer, mehr als doppelt so viele wie bei den anderen Gleichnissen. Auch in der Schule wird das Gleichnis gern genutzt, von der Grundschule bis zur Oberstufe, da in ihm verschiedene Themen, z.B. das Vater-Sohn-Verhältnis oder Wege der Konfliktlösung, zur Bearbeitung enthalten sind. Weiterhin ist die Bildsprache der Gleichnisse sehr eindrücklich und somit für Schüler gut verständlich. Gezeigt werden soll, inwiefern man die Familienkonflikte des Gleichnisses in der Kurzprosa Kafkas wieder entdeckt, zunächst in der Parabel 'Heimkehr'. Später wird der Fokus auf den älteren Sohn gelegt und erarbeitet, inwieweit in Kafkas Kurzprosa auch sein Konflikt behandelt wird. Die vorliegende Arbeit besteht deswegen aus zwei großen Teilen. Der erste Teil besteht im neben einem Plädoyer für Literatur im RU und der Legitimation des Themas für den RU aus den Analysen der Bibelstelle und des Kafka- Textes. Im zweiten Teil erfolgt dann eine didaktische Weiterführung anhand ausgewählter Texte von Franz Kafka, 'Die Verwandlung', 'Brief an den Vater', 'Das Urteil', 'Vor dem Gesetz'. Diese werden zunächst analysiert und im nächsten Schritt wird herausgestellt, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es zum älteren Sohn des Gleichnisses gibt.

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Leseprobe

5. Die Parabel „Heimkehr


 

Bevor die Parabel analysiert und interpretiert wird, soll zuerst kurz das Leben Kafkas skizziert werden, da bei Kafka Leben und Werk stark miteinander zusammenhängen, was im Folgenden noch deutlich werden wird.

 

5.1 Kafkas Biographie


 

Franz Kafka wird im Juli 1883 in Prag geboren. Er hat noch fünf weitere Geschwister, von denen zwei jedoch schon kurz nach der Geburt sterben.

 

Aufgrund der gut laufenden Geschäfte ihres Ladens haben die Eltern Hermann und Julie Kafka nicht viel Zeit für ihre Kinder, sodass sie unter der Obhut des (hauptsächlich weiblichen) Hauspersonals aufwachsen.

 

Er macht sein Abitur auf der Deutschen Schule und besucht dann von 1901 bis 1906 die Deutsche Universität in Prag, an der er Jura studiert, ab dem zweiten Semester auch Germanistik. In dieser Zeit lernt er Max Brod kennen, der zu einem guten Freund wird und nach seinem Tod Kafkas Werke veröffentlicht.

 

Nach seiner Promotion 1906 arbeitet Kafka in verschiedenen Versicherungsgesellschaften als Aushilfe und war dabei sehr erfolgreich. Sein Hauptaugenmerk jedoch liegt auf der Schriftstellerei, der er seine ganze Leidenschaft widmet.

 

Seine wichtigsten Werke „Das Urteil“, „Der Verschollene“ und „Die Verwandlung“ entstehen alle im Jahr 1912, in dem er auch Felice Bauer kennenlernt. Mit ihr verlobt er sich zweimal, löst die Verlobung aber immer wieder, da er Angst vor einer festen Bindung hat. So scheitern auch die Bindungen mit Julie und Milena.

 

Erst im Alter von 31 Jahren gelingt es Kafka aus dem elterlichen Haus auszuziehen und sein eigenes Leben aufzubauen, um sich von seinem Vater zu distanzieren.

 

1919 erscheint der berühmte „Brief an den Vater“, in dem Franz Kafka sein (gestörtes) Verhältnis zu seinem Vater darlegt, welches großen Einfluss auf seine Werke hat.

 

Ab 1917 ist Kafka sehr oft krank und wird immer wieder von seiner Tätigkeit in der Versicherungsgesellschaft befreit, um sich in diversen Kuraufenthalten zu erholen. Zeitweise lebt er wieder bei seinen Eltern. In dieser Zeit entstehen weitere Werke, wie „Ein Landarzt“ und auch „Heimkehr“ (1920).

 

1924 stirbt Kafka in Prag an Lungentuberkulose nach langer Pflege durch seine letzte Freundin Dora Diamant und seinen Freund Robert Klopstock. Er wird auf dem jüdischen Friedhof in Prag begraben.[94]

 

5.2 Analyse der Parabel


 

Heimkehr (1920)

 

Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Ich wage nicht an der Küchentüre zu klopfen, nur von der Ferne horche ich, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, dass ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.[95]

 

Inhaltlich geht es in dieser im Jahr 1920 verfassten Parabel um ein lyrisches Ich, das nach langer Zeit auf den Hof des Vaters zurückkehrt, ohne weder zu wissen, was ihn dort erwarten wird, noch zu wissen, was er selbst dort erwartet.

 

Die Parabel beginnt mit den Worten „Ich bin zurückgekehrt“(Z.1). Die Rückkehr ist abgeschlossen, erkennbar durch die Perfekt-Form. Aber doch nicht vollständig, wie beim Weiterlesen deutlich wird. Das Ich ist noch nicht richtig angekommen, denn es hat das Haus noch nicht betreten und verweilt weiter vor der Tür. Es führt seinen inneren Monolog weiter: „[…] und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof“ (Z.2). Diese Stelle zeigt, warum das Ich das Haus nicht betritt: Der Grund ist der Vater, die maßgebliche Person der Familie, die höchste Instanz, die er nie erreichen konnte. Die Distanz zu seinem Vater wird in der Wortwahl deutlich: Er spricht nicht von seinem Zuhause, sondern von dem Hof seines Vaters.[96]

 

Und dieser Hof scheint heruntergekommen und nicht sehr einladend zu sein. Eine große Pfütze gibt es auf dem Hof, Gerät, das den Weg versperrt und ein zerrissenes Tuch, bzw. eine ehemalige Spielfahne, das an einer Stange hängt. Es sind alles Dinge, die er noch aus seiner Kindheit auf dem Hof kennt, die ihn aber nun von der Rückkehr nach Hause abhalten. Bedeutungstragend ist dabei die Spielfahne als einzige Verknüpfung zur Kindheit, die aber nun auch zerrissen ist. So zerrissen scheinen auch die Bande der Familie. Verdeutlicht wird der holprige Weg voller Hindernisse nach Hause auch syntaktisch. Der Satzfluss zu Beginn wird durch die Ellipse „Die Pfütze in der Mitte“ (Z.2-3) gestört und das Chaos des sperrigen Geräts wird durch einen schwer lesbaren Satz hervorgehoben. Schuld an der schweren Lesbarkeit ist ein nachgestelltes Partizip: „Altes unbrauchbares Gerät ineinander gefahren verstellt den Weg“ (Z.3-4). Sogar die Katze lauert auf dem Geländer. Nichts scheint den Sohn in irgendeiner Weise nett zu empfangen. Lediglich der aus dem Schornstein aufsteigende Rauch weckt wohlige Erinnerungen an vergangene Tage. Es sind Erinnerungen an den Kaffee, der zum gemeinsamen Abendessen gekocht wurde. Ein kleines Stück Idylle und Geborgenheit auf dem sonst trostlosen Hof.[97]

 

Nach einer kurzen Absicherung und einem scheinbaren Mutmachen durch die Wiederholung des Satzes „Ich bin angekommen“ (Z.7), beginnt das Ich ein Gedankenexperiment mit drei Fragen: Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Auffällig ist hierbei der Wechsel der Erzählperspektive. In den ersten beiden Fragen fragt sich das Ich in der 1.Person Singular, danach fragt es sich in der 2. Person Singular. Diese Frage scheint fordernder, ernster als die vorigen Fragen. Aber das Ich hat keine Antwort. Es ist nur unsicher, weiß nicht, wie es sich fühlt.

 

Durch die vorhergehenden Beschreibungen und Gedanken wird für den Leser jedoch deutlich, dass er sich alles andere als heimatlich fühlt, daran ändern auch die Erinnerungen an gemeinsame Abendessen nichts.[98]

 

Er war für eine längere Zeit nicht zu Hause und um es mit Goethes Worten zu sagen, ist es nicht unnormal, dass er sich entfremdet hat: „Es bildet […] sich ein Charakter in dem Strom der Welt“[99] und Pfaff ergänzt, dass sich mit der Charakterbildung auch Loyalität und Liebe ändern können.[100]

 

Aber nicht nur aufgrund der langen Abwesenheit hat sich das Verhältnis zwischen den Familienmitgliedern verschlechtert, es scheint ganz so, als hätte es nie ein emotionales und harmonisches Familienleben gegeben. Verdeutlicht wird diese emotionale Kälte durch die Personifikation des Hauses, denn „kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte“ (Z.12-14). Seine Familie war für ihn früher kein Ort der Geborgenheit, jeder blieb für sich und beschäftigte sich mit seinen Angelegenheiten, auch das Ich. Hier konnte man sich nicht geliebt fühlen und auch kein Selbstwertgefühl ausbilden.

 

Der Sohn definiert sich sogar noch jetzt im Erwachsenenalter, nach einem langen Getrenntsein vom Vater nur durch ihn. Er ist nur „des alten Landwirts Sohn“ (Z.15-16). Das Genitivattribut hebt die Abhängigkeit des Sohnes vom Vater hervor: Ohne ihn ist er nichts. „Was kann ich ihnen nützen“ (Z.14). Aus der scheinbaren Frage, die ja durch das Fragewort „was“ eingeleitet wird, entwickelt sich ein Aussagesatz bzw. eine Feststellung, da am Ende des Satzes ein Punkt steht statt eines Fragezeichens. Für den Sohn ist es eine Tatsache, dass er seiner Familie nicht nützen kann.[101]

 

Dieses Minderwertigkeitsgefühl und seine daraus resultierende Unsicherheit lassen ihn nicht an der Tür klopfen. Er horcht lieber stehend aus der Ferne. Was bedeutet dieses Bild des Horchens, das Kafka so eindrücklich beschreibt?

 

Das Bild des Horchers ist ein Bild der Ambivalenz. Im (mehrfach...

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