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Die Freihandelslüge

Warum wir CETA und TTIP stoppen müssen

AutorThilo Bode
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641152574
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe des SPIEGEL-Bestsellers
Nicht nur TTIP, auch das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen CETA muss gestoppt werden. Denn CETA ist TTIP durch die Hintertür! Mit der Verabschiedung beider Abkommen, würden Regelwerke in Kraft gesetzt, die in erster Linie Konzernen nützen, während sie der Mehrheit der Menschen in Nordamerika und Europa schaden. Unmissverständlich legt Thilo Bode dar, welche Folgen CETA und TTIP für Verbraucher-, Umwelt- und Arbeitnehmerrechte haben und warum sie - das vor allem macht sie gefährlich - die Souveränität der Länder aushöhlen, in demokratischen Prozessen darüber zu entscheiden, welche Gesetze sie haben wollen. Das gilt es zu verhindern. Freihandel ist auch ohne CETA und TTIP möglich.



Thilo Bode, geboren 1947, studierte Soziologie und Volkswirtschaft. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherorganisation Foodwatch.

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Leseprobe

2
Der geheime Deal

Unsere erste Anfrage bei der EU-Kommission in Brüssel, den Leseraum für Europaabgeordnete zu besichtigen, wird abgelehnt – wegen »besonderer Sicherheitsbestimmungen für Außenstehende«; man könne über den Raum aber reden. Drei Wochen später, bei einem Besuch in Brüssel, legt der Sprecher der Generaldirektion Handel dar, wer in diesem Leseraum Einsicht in welche TTIP-Dokumente bekommt, bis er am Ende des Gesprächs unvermittelt sagt: »Ich denke, wir können Ihnen den Raum doch noch zeigen.« Er liegt in einem dunklen Gang im sechsten Stock der Generaldirektion, an der Tür klebt ein Papier mit der Aufschrift »Reading Room«, durch das Fenster sieht man einen Mann, der sich über einen Ordner beugt, ums Eck am Tisch sitzt eine Frau. »Sehen Sie, da liegt sogar ein Handy«, sagt der Sprecher, was so viel heißen soll wie: So dramatisch, wie es in der Presse oft dargestellt wird, ist es doch gar nicht mit dem Leseraum.

Viele EU-Parlamentarier erleben das völlig anders. Eine Woche nach der überraschenden Erlaubnis, trotz »besonderer Sicherheitsbestimmungen« den Raum zu besichtigen, versammeln sich ein Dutzend EU-Abgeordnete vor einem anderen der insgesamt drei Leseräume zu einer kleinen Demonstration: Sie filmen die Überwachungskamera an der Decke und die Zahlentastatur neben der Tür – an die kleben sie ein Papier, das einem Verkehrszeichen nachempfunden ist: roter Kreis mit rotem Querbalken, darauf steht »ACCESS DENIED #NoTTIP«; sie halten Schilder in die Kamera: »Transparency for Democracy«, »TTIP stoppen«.

Wenn Abgeordnete des europäischen Parlaments in einem der drei Leseräume TTIP-Dokumente einsehen wollen, dürfen sie vorschriftsgemäß kein Handy und keinen Laptop mitnehmen, für ihre Notizen erhalten sie besonderes Papier mit Wasserzeichen, das gegen missbräuchliches Kopieren schützen soll, und sie bekommen eine Aufsichtsperson zur Seite gestellt, die darauf achtet, dass ein Abgeordneter nicht doch noch sein Handy aus der Tasche zieht und Dokumente fotografiert. Erst seit September 2014, mehr als ein Jahr nach Beginn der TTIP-Verhandlungen, ist es den Abgeordneten erlaubt, sich beim Aktenstudium Notizen zu machen, aber öffentlich darüber reden sollen sie nicht. »Jedenfalls darf ich die Informationen nicht eins zu eins weitergeben«, sagt der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD). Lange ist kein x-beliebiger Abgeordneter, er ist TTIP-Berichterstatter und Vorsitzender des EU-Parlamentsausschusses für Internationalen Handel, der nicht weniger leisten soll als »die Festlegung, Durchführung und Überwachung der gemeinsamen Handelspolitik der Union«. Kann man einem Parlament seine Katzentisch-Rolle deutlicher vor Augen führen als dadurch, dass selbst ein Ausschussvorsitzender, der Unterlagen zu seinem originären Aufgabengebiet einsehen will, sein Handy abgeben muss wie ein Drittklässler vor der Mathearbeit?

Nur etwa einhundert der 751 EU-Abgeordneten hätten die Genehmigung, in den drei Leseräumen TTIP-Dokumente einzusehen, schätzte Bernd Lange Ende Oktober 2014, da waren bereits sieben TTIP-Verhandlungsrunden über die Bühne gegangen. Für einen wie ihn, der sogar seine Einkünfte auf seiner Website offenlegt, ist das verständlicherweise völlig inakzeptabel. Umso mehr bei TTIP, das in seiner Bedeutung andere Handelsabkommen bei Weitem in den Schatten stellt – es wäre das größte bilaterale Freihandelsabkommen der Geschichte. Dennoch dürfen Bernd Lange und die wenigen anderen Privilegierten nur Einblick in die Positionspapiere der EU nehmen sowie in die sogenannten konsolidierten Texte, das sind Dokumente, die den Verhandlungsstand wiedergeben. Aber selbst die Einsicht in diese Dokumente ermöglicht kaum eine parlamentarische Kontrolle, weil die Unterlagen unvollständig und nicht aktuell sind. Ende Oktober 2014, mehr als ein Jahr nach Beginn der Verhandlungen, sagt Bernd Lange: »Das Material ist sehr dünn, es liegen etwa zwanzig Seiten vor – wenn’s hochkommt.« Unter dem Druck der Öffentlichkeit startete die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström Anfang 2015 eine »Transparenz-Initiative«, sie ließ zahlreiche Unterlagen ins Netz stellen – Formulierungsvorschläge der EU für den TTIP-Vertragstext, weitere EU-Positionspapiere, Anhörungsberichte und juristische Erörterungen, alle in englischer Sprache. Doch noch immer erfährt man nicht, bei welchen Themen die EU Zugeständnisse gemacht oder Verhandlungserfolge erzielt hat, viele strittige Themen werden gar nicht erwähnt. Das größte Manko, auf das EU-Abgeordnete hinweisen: Die Dokumente enthalten nicht die Forderungen der USA, ein fundiertes Urteil über den Stand der Verhandlungen ist damit kaum möglich. Für völlige Offenlegung des Materials tritt Cecilia Malmström auch gar nicht ein. Trotz »Transparenz-Initiative« beharrt die EU-Kommissarin darauf: »Sensible Teile können selbstverständlich nicht bekannt gegeben werden.« Intransparenz – eine demokratische Selbstverständlichkeit?

Die EU-Kommission schiebt den Schwarzen Peter den USA zu: Man habe den US-Handelsbeauftragten Michael Froman »wiederholt gebeten, die Einsichtsmöglichkeiten zu verbessern«, doch letztlich müsse man den Wunsch der Amerikaner nach Vertraulichkeit und Datenschutz respektieren. Die USA wollten von Anfang an nicht, dass EU-Parlamentarier besseren Zugang zu TTIP-Dokumenten bekämen als die Kongressabgeordneten in Washington – so kam es zum »Kompromiss« mit den Leseräumen.

Verloren haben bei diesem »Kompromiss« die Parlamente auf beiden Seiten des Atlantiks, gewonnen haben die Verhandler und ihre Einflüsterer, die vorgeben, im Namen der Bürger zu handeln. »Es ist mir unbegreiflich, dass führende Wirtschaftsvertreter, die von diesem Vertrag erheblich profitieren können, direkt eingebunden sind in das Verfassen des Vertragstextes, während die gewählten Vertreter der Bürger wenig oder gar nichts darüber wissen.« Das schrieb der US-Senator Bernard Sanders Anfang 2015 in einem Brief an Michael Froman. Anlass hierfür war zwar ein anderes Freihandelsabkommen, das die USA derzeit parallel zu TTIP mit zwölf Ländern im pazifischen Raum verhandeln. Aber was der US-Senator beklagt, gilt im gleichen Maß für TTIP, es rührt an die grundsätzliche Frage: Wer hat das Sagen in einer Demokratie? »Wie Sie selbst am besten wissen, gibt die Verfassung der Vereinigten Staaten dem Kongress die ›Autorität, den Handel mit anderen Ländern zu regeln‹. Das sind nicht meine Worte, das sind die Worte der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika«, schreibt Senator Sanders. Was er über das geplante Abkommen wisse, habe er ausschließlich aus geleakten Dokumenten erfahren, deshalb verlange er jetzt eine Kopie des vollständigen unredigierten Vertragsentwurfs. Wenn diese Forderung nicht erfüllt werde, erwarte er eine Erklärung, auf welcher gesetzlichen Grundlage ihm die Informationen verweigert würden. Sanders nennt es »schlicht inakzeptabel«, dass Vertreter von Öl- und Pharmaunternehmen, von Medienverbunden und Finanzinstitutionen Zugang zu Dokumenten bekämen und sogar an deren Entwicklung mitwirkten, »während die Menschen, die die Folgen zu tragen haben, ausgeschlossen bleiben«. Wenn er die Dokumente nicht erhalte, werde er mit anderen Senatoren gesetzgeberisch darauf hinarbeiten, dass in Zukunft »sämtliche Inhalte jedweder Freihandelsabkommen« veröffentlicht werden.

Das Chlorhühnchen ist das Symbol für die Sorge vieler Europäer vor einem Dammbruch bei der Zulassung von strittigen Lebensmitteln aus den USA. Die unterschiedlichen Farben der Autorückblinker auf beiden Kontinenten sind das Symbol für die Täuschung der Menschen – weil das Entscheidende an TTIP nicht technische Vorschriften sind, sondern die reale Gefahr, dass Umwelt-, Sozial- und andere Standards in Zukunft eingefroren werden. Die drei Leseräume in Brüssel samt Handyverbot und Aufpasser für gewählte Parlamentarier sind das Symbol für die Absage an Transparenz und Bürgerbeteiligung, für die Arroganz der TTIP-Verhandlungsführer und nationaler Regierungen, die das Abkommen lieber geräuschlos und ohne die Öffentlichkeit verhandeln. Die Leseräume sind der erste schlechte »Kompromiss«, der erste fast unbemerkt gesenkte Standard, dem noch viele folgen werden, falls TTIP unterzeichnet wird. Die Leseräume in Brüssel und die ähnlich undemokratische Behandlung von US-Parlamentariern zeigen unmissverständlich: Der eigentliche Deal soll nicht bekannt werden, es soll verborgen bleiben, dass es um eine weitreichende Neuordnung der Machtverhältnisse geht, darum, dass Wirtschaftsinteressen in einem völkerrechtlich bindenden Vertrag Vorrang bekommen vor dem Gemeinwohl.

Niemand hat bis heute überzeugend erklären können, warum über den Freihandelsvertrag überhaupt geheim verhandelt werden muss. Bei einem Vertrag zwischen zwei befreundeten Wirtschaftsblöcken, der zum Vorteil aller beteiligten Länder sein soll, gibt es nichts zu...

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