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Die Memoiren der Glückel von Hameln

Erste Autobiografie einer deutschen Frau

AutorGlikl bas Judah Leib
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl60 Seiten
ISBN9788026837862
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,00 EUR
Dieses eBook: 'Die Memoiren der Glückel von Hameln' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Glikl bas Judah Leib (1646-1724), bekannt als Glückel von Hameln, war eine deutsche Kauffrau, die als erste Frau Deutschlands eine erhalten gebliebene bedeutende Autobiografie schrieb. Glikl schrieb für ihre Kinder ihr Leben auf. Ihre in jiddischer Sprache geschriebenen Memoiren, die sie 1689, nach dem Tod ihres ersten Ehemannes begann und bis 1719 fortführte, sind die erste erhaltene und bekannte Autobiographie einer Frau in Deutschland und wurden eine herausragende Quelle der Forschung für die deutsch-jüdische Geschichte und Kultur. 1910, also noch vor dem Ersten Weltkrieg, wurden Glikls Memoiren durch Bertha Pappenheim, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland, aus dem Westjiddischen übersetzt und veröffentlicht. Bertha Pappenheim war eine entfernte Verwandte von Glikl bas Judah Leib, sie ließ sich 1925 von Leopold Pilichowski sogar im Kostüm der Glikl malen. Als außergewöhnlich umfangreiches Beispiel eines nicht in künstlerisch-literarischer Absicht geschriebenen jiddischen Texts diente es auch als Basis sprachwissenschaftlicher Studien. Das Jüdische Museum Berlin widmet der hamburgischen Kauffrau ein Kapitel in der Dauerausstellung und zeigt anhand ihres Lebens die Schwierigkeiten vor der Jüdischen Emanzipation, der Integration der Juden in die Nation.

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Leseprobe

Zweites Buch mit Gottes Hilfe


Derweil ich dieses und was schon geschrieben und was ich schreiben werde, aus großem, betrübten Herzen tue, geschieht es nach dem Absterben von meinem lieben Mann – er ruhe in Frieden – welcher ist gewesen unser getreuer Hirt. Nun, sicher von unserer Sünden wegen hat ihn Gott – gelobt sei er – zu sich genommen, denn »vor dem Bösen ist der Gerechte hingerafft worden«. Nun, ich will mich hier nicht lang aufhalten, denn ich bin gesinnt, so Gott will, euch dieses in sieben kleinen Büchlein zu lassen, wenn Gott uns leben läßt.

Also vermein ich, daß es sich am besten schicken wird, daß ich solches von meiner Geburt anfange.

Meine Geburt, mein ich, ist gewesen im Jahre [5407] 16471 in der heiligen Gemeinde Hamburg, wo mich meine reine, fromme Mutter hat zur Welt gebracht mit Hilfe und Barmherzigkeit des großen Gottes. Ob unsere Weisen seligen Andenkens auch gesagt haben: »Besser nicht geschaffen sein, als geschaffen sein«, weil der Mensch so viel auf der sündigen Welt ausstehen muß – so dank und lob ich doch meinen Erschaffer, daß er mich nach seinem Willen und Wohlgefallen erschaffen hat, und bitte den großen, gütigen Gott, da er mich ja nach seinem heiligen Willen erschaffen hat, mich doch in seinen heiligen Schutz zu nehmen und mich vor den ................ (Hier fehlt ein Blatt im Manuskript.) ........ hungrig ist gewesen, in sein Haus gegangen, ist satt wieder herausgegangen. Seine Kinder, sowohl Söhne als Töchter, hat er lernen lassen himmlische und weltliche Dinge. Ich bin in Hamburg geboren, aber wie ich gehört habe – von meinen lieben Eltern und auch von anderen – bin ich keine drei Jahre alt gewesen, als alle Juden von Hamburg vertrieben worden sind. Alle mußten nach Altona ziehen, welches Seiner Majestät dem König von Dänemark gehört und wo alle Juden gutes Auskommen haben. Das Altona ist kaum eine Viertelstunde von Hamburg.

In Altona haben etliche Familienväter gewohnt, ungefähr fünfundzwanzig Haushaltungen, und dort haben wir Bethaus und Friedhof gehabt. Also haben wir eine Zeitlang in Altona gewohnt. Und endlich ist in Hamburg erreicht worden, daß man den Juden in Altona hat Pässe gegeben, daß sie in die Stadt gehen durften und Handel treiben. Ein jeder Paß hat gehalten auf vier Wochen. Denselben hat man von dem regierenden Bürgermeister von Hamburg bekommen und er hat einen Dukaten gekostet. Und wenn der Paß aus gewesen ist, hat man wieder einen neuen nehmen müssen. Aber aus den vier Wochen sind oft acht Wochen geworden, wenn Leute gute Bekanntschaft mit dem Bürgermeister und der Polizei gehabt haben. Es ist den Leuten nebbich gar schwer gefallen, denn sie haben ihren Handel als müssen in dem Ort Hamburg suchen. Besonders sind nebbich manche Arme und Elende gewesen, die sich oft gewagt haben, ohne Paß in die Stadt zu schleichen. Wenn sie dann von der Polizei ertappt worden sind, hat man sie ins Gefängnis gelegt. Das hat dann viel Geld gekostet und Nöten gemacht, bis man sie wieder freigekriegt hat.

Ganz frühmorgens, sobald sie nebbich aus dem Bethaus gekommen sind, sind sie in die Stadt gegangen und gegen Nacht, wenn man das Tor zumachen wollte, sind sie wieder nach Altona gegangen. Und wenn sie nebbich fortgegangen waren, war ihr Leben oft nicht sicher vor Bosheit von bösen Leuten und Lumpengesindel, so daß jede Frau nebbich Gott gedankt hat, wenn sie ihren Mann wieder in Frieden bei sich gehabt hat. Zur selbigen Zeit sind keine vierzig Hausväter mit denen, die von Hamburg gekommen sind, da gewesen und sind auch zur selbigen Zeit keine großen reichen Leute da gewesen, doch hat sich jeder ehrlich ernährt.

Der reichste Mann in derselben Zeit ist gewesen Chajim Fürst, er ruhe in Frieden. Er ist ein Mann gewesen von zehntausend Reichsthalern.

Mein Vater2 – das Andenken des Gerechten zum Segen – ist ein Mann gewesen von achttausend Reichsthalern. Andere von sechstausend Reichsthalern und auch von zweitausend. Aber sie haben sich sehr schön geführt und gar in Liebe und Freundschaft miteinander gelebt. Aber in genere haben sie besser gelebt als die sehr Reichen jetzt, und selbst der nur fünfhundert Reichsthaler sein eigen gehabt hat, hat sich ganz wohl sein lassen. Jeder hat sich mit seinem Anteil gefreut, viel mehr als in dem jetzigen Geschlecht, wo die Reichen nicht mehr zu ersättigen sind. Und von ihnen ist gesagt: »Kein Mensch stirbt, der auch nur die Hälfte seiner Wünsche erreicht hat.« Wenigstens erinnere ich mich noch, daß mein Vater so ein Mann von Gottvertrauen war, wie es keinen gleichen gegeben hat.

Und wenn er – er ruhe in Frieden – nicht so gar mit dem Zipperlein behaftet gewesen wäre, hätte er es doch gar weit gebracht und hätte seine Kinder gar wohl und ehrlich ausgestattet.

Dieses ist gewesen in meiner Kindheit, wie ich ungefähr zehn Jahre alt war. Da hat der Schwede Krieg geführt mit dem König von Dänemark – Gott erhöhe seinen Ruhm. Ich kann nicht viel Nachricht davon schreiben, weil solches in meiner Kindheit geschehen ist, als ein Kind, das zu Hause hat sitzen müssen.

Also zu dieser Zeit sind wir in Altona gewesen, in eitel Sorgen, denn es ist gar ein kalter Winter gewesen, wie in fünfzig Jahren kein Winter ist gewesen. Man hat ihn den schwedischen Winter geheißen. Also hat der Schwede allerwegen herüberkommen können, weil es so hart gefroren ist gewesen.

Auf einmal am Sabbath kommt der Lärm: Der Schwed kommt! Es ist noch früh gewesen, wir sind noch im Bett gelegen, da sind nebbich alle aus den Betten gesprungen und sind nackt und bloß mit uns Kindern nach Hamburg gelaufen. Teilweise haben wir uns bei den Sefardim, teilweise bei den Bürgern behelfen müssen.

Dort sind wir kurze Zeit so gesessen, bis endlich mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – es erreicht hat, und er ist der erste Jude gewesen, der sich wieder in Hamburg ansässig gemacht hat. Nachgerade hat man weiter erreicht, daß mehrere Familienväter nach Hamburg ziehen durften. Und so sind fast alle Juden nach Hamburg zu wohnen gezogen. Mit Ausnahme von denen, die vor der Vertreibung in Altona gewohnt haben, die sind in Altona wohnen geblieben.

In jener Zeit hat man gar wenig Steuer an die Regierung gegeben. Ein jeder hat für sich selbst mit denjenigen, die dafür eingesetzt waren, akkordiert. Aber wir haben in Hamburg kein Bethaus gehabt und auch gar kein Wohnrecht. Nur aus Gnade von dem Rat – Gott erhöhe seinen Ruhm – sind sie dort gewesen. Doch sind die Juden zusammengekommen in ihren Wohnungen zum Beten, so gut sie nebbich gekonnt haben. Wenn solches die Räte der Stadt vielleicht schon gewußt haben, haben sie doch gern durch die Finger gesehen. Aber als es Geistliche gewahr worden sind, haben sie es nicht leiden wollen und uns nebbich verjagt, und wie das schüchterne Schaf haben wir müssen nach Altona ins Bethaus gehen. Dieses hat eine Zeitlang gewährt, dann sind wir wieder in unsere heimlichen kleinen Bethäuser gekrochen.

Also ist es gewesen, daß wir zeitweilig Ruhe gehabt und zeitweilig wieder verjagt worden sind – bis zum heutigen Tag. Ich fürchte, daß solches so währen wird, solange wir in Hamburg sind und solange die Bürgerei in Hamburg regiert. Gott – er sei gelobt – in seiner Barmherzigkeit und in seinen vielen Gnaden möge sich unser erbarmen und uns den gerechten Messias schicken, daß wir ihm mit ganzem Herzen dienen können und daß wir möchten unsere Gebete halten können in unserem heiligen Tempel in Jerusalem, unserer heiligen Stadt. Amen!

Also sind sie in Hamburg gesessen und meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – sein Handel war mit Edelsteinen und mit anderen Sachen, wie ein Jude, der von allem was nascht.

Der Krieg zwischen Dänemark und Schweden ist nach und nach größer geworden und der König von Schweden hat großes Glück gehabt, daß er dem König hat alles hinweggenommen. Er ist gekommen vor dem König seine Hauptstadt, wo er seine Residenzstadt drin gehabt hat und hat selbige belagert. Und es hätte nicht viel gefehlt, daß er sie eingenommen hätte, wenn nicht der König getreue Räte und Untertanen gehabt hätte, die Seiner Majestät dem König mit Gut und Blut beigestanden hätten, daß er mit Gottes Hilfe alles erhalten hat. Aber sicher ist alles von Gott – er sei gelobt – der ihn erhalten hat, denn er ist ein gnädiger König, ein gerechter, frommer König gewesen. Und wir Juden sind wohl unter ihm gesessen, denn obgleich wir in Hamburg gewohnt haben, hat jeder Hausvater müssen sechs Reichstaler Steuer zahlen, weiter nichts.

Nach einer Zeit haben Holländer dem König beigestanden. Sie sind mit ihren Schiffen durch den Sund gekommen und haben ein Loch in den Krieg gemacht, so daß Friede geworden ist. Aber Dänemark und Schweden sind sich nimmer gut. Wenn sie auch freundlich miteinander sind und sich verschwägern, picken sie doch allezeit einer auf den anderen.

Zu dieser Zeit ist meine Schwester Hendelche – sie ruhe in Frieden – Braut gewesen mit dem Sohne des vornehmen Reb3 Gumpel von Cleve und sie hat nachbekommen achtzehnhundert Reichsthaler. Das ist zu derselbigen Zeit gar viel gewesen, und es ist keiner in Hamburg gewesen, der bis zu derselbigen Zeit so viel nachgegeben hätte.

Dagegen ist es auch die prinzipalischeste, vornehmste Heirat in ganz Deutschland gewesen, und die ganze Welt hat sich über die große Mitgift und die gute Heirat sehr gewundert. Aber mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist in seinem Handel gesessen und ein Mann voll Gottvertrauen gewesen, der sich auf Gott verlassen hat, daß er ihm helfen wird, seine anderen Kinder auch in Ehren zu verheiraten. Denn er hat sich in...

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