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Die pazifische Epoche

Wie Europa gegen die neue Weltmacht Asien bestehen kann

AutorThomas Seifert
VerlagDeuticke im Paul Zsolnay Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783552062894
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Europa und die USA, bislang Verbündete, sind die global dominanten Wirtschaftsblöcke. Doch die Volkswirtschaften Asiens entwickeln sich rasant, eine Mittelschicht ist herangewachsen, die andere Träume und Chancen hat als noch die Generation davor. Shanghai, Peking, Jakarta, Seoul, Delhi und Mumbai gehören zu den größten Metropolen und wachsen unaufhörlich weiter. Dort begnügt man sich nicht mehr mit Auftragsproduktionen für westliche Firmen, sondern entwickelt eigene Ideen. Thomas Seifert beschreibt die Entwicklungen in Asien und analysiert, wie Europa dem Wandel begegnen kann, indem es sich auf das europäische Modell besinnt: zivilgesellschaftliche Werte und eine soziale Marktwirtschaft.

Thomas Seifert, geboren 1968 in Ried im Innkreis, Studium der Biologie, ist stv. Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung, schrieb u.a. für Stern, brand eins, Welt am Sonntag, Facts und berichtete u.a. aus Afghanistan, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ghana, Irak, Russland, Saudi-Arabien, Indien und China. Bei Deuticke erschien 2005 Schwarzbuch Öl (gemeinsam mit Klaus Werner), 2011 Schwarzbuch Gold (gemeinsam mit Brigitte Reisenberger) und 2015 Die Pazifische Epoche.

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Leseprobe

Die Vergangenheit.
Von der atlantischen zur
pazifischen Epoche


Die atlantische Epoche begann am 12. Oktober 1492 mit der Landung von Christoph Kolumbus auf den Bahamas. Europas Imperien fanden mit Amerika ein riesiges Hinterland, das sie unterwerfen und ausplündern konnten. Im Schnelldurchlauf weiter auf der Zeitleiste: Die Kolonien des Empire in Neuengland erklärten am 4. Juli 1776 ihre Unabhängigkeit, und damit trat die atlantische Epoche in eine neue Phase ein. Nun begann die industrielle Revolution, und die Vereinigten Staaten von Amerika entstanden als unabhängiger Staat. Diese beiden atlantischen Mächte, die Nationalstaaten Europas (allen voran Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Spanien, Portugal, die Habsburger und nach der Reichsgründung 1871 auch Deutschland) und später die USA, würden bald den gesamten Erdball dominieren. Der Erfolg Westeuropas gründete auf den »drei R«: Renaissance, Reformation und industrieller Revolution. Die Renaissance legte den Grundstein für die geistige und kulturelle Wiedergeburt Europas nach dem Mittelalter, Reformation und die Erfindung des Buchdrucks brachten eine spirituelle Emanzipation von den rückschrittlichen Lehren der verkrusteten katholischen Kirche, und die industrielle Revolution führte zu einer Explosion der Produktivität in Europa.

Die industrielle Revolution schuf die Basis der Dominanz Europas für die nächsten 300 Jahre. Denn ein gewisser Thomas Newcomen stellte 1712 in Dudley, England nach zwölf Jahren des Experimentierens eine erste, halbwegs funktionsfähige Dampfmaschine fertig und legte damit den Grundstein für eine Reihe bahnbrechender Innovationen. Die Dampfmaschine wurde zum Motor einer vom Westen dominierten, globalisierten Welt. »Und so ging es denn weiter, vorwärts in eine schöne und auch weniger schöne neue Welt mit höheren Einkommen und billigeren Waren, mit vormals unbekannten Instrumenten und Materialien, mit unstillbaren Gelüsten. Neu, neu, neu. Geld, Geld, Geld. […] Die Welt hatte sich wie ein Schiff aus der Vertäuung losgerissen«, schreibt Harvard-Professor David Landes über den stürmischen Aufstieg des Westens und den Beginn der zweiten Phase der atlantischen Epoche.1

Die industrielle Revolution war jener Treibsatz, der den Westen davonziehen ließ: »Inder und Chinesen waren die großen Verlierer im Wettlauf zum Wohlstand«, schreibt der Geschäftsführer der deutschen Tageszeitung Handelsblatt, Gabor Steingart, in seinem Buch »Wettkrieg um Wohlstand«.2 Und weiter: »Das Wissen explodierte, aber nicht bei ihnen. Die Wirtschaft entfaltete sich, aber fernab ihrer Breitengrade.« Der Westen zog mit ungeheurer Geschwindigkeit davon. Bis zum Jahr 1500 waren Inder und Chinesen mit ihrem Pro-Kopf-Einkommen fast gleichauf mit Westeuropa gelegen. Um 1750 – vor Beginn der industriellen Revolution – waren die reichsten Nationen der Welt dann schon rund fünfmal so reich wie die ärmsten Nationen, Europa war rund eineinhalbmal so reich wie China und rund doppelt so reich wie das heutige Indien. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug das Durchschnittseinkommen eines Briten das Siebenfache von jenem eines Durchschnittsinders, 1976 – nach dem Ende der Ära von Mao Zedong und bevor Deng Xiaoping mit seiner Reform- und Öffnungspolitik begann – war das Durchschnittseinkommen in Europa auf das Vierzehnfache des chinesischen Werts geklettert. Der Unterschied zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen der Schweiz, einem der reichsten Länder Europas, und Malawi, der ärmsten nicht-industrialisierten Nation, beläuft sich heute auf satte 355 zu 1.3

Zuvor hing die Produktivität einer Region vor allem von natürlichen Ressourcen wie Wasser, fruchtbarem Ackerland, Wäldern, Klima sowie menschlicher Arbeitskraft ab, erst dann von den wenigen damals verfügbaren Technologien, die nicht besonders ausgeklügelt waren und die Produktivität nur begrenzt steigerten. Die Dampfmaschine hingegen multiplizierte die Produktivität Europas enorm. Jahrhundertelang seien Indien und China die wichtigsten Produzenten und Exporteure hochwertiger Baumwollstoffe gewesen, argumentiert der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel: »Ihnen gegenüber war Europa technologisch unterlegen, eine Peripherie des Welttextilgewerbes. Die technologische Kreativität der Europäer sollte daher nicht als unabhängige Variable und schaumgeborenes Ingenium gesehen werden, sondern als reaktives Bestreben von Spätentwicklern, ihren Rückstand durch Importsubstitution zu überwinden.«4

1820 war Europa (Westeuropa 133 Millionen, Europa 169 Millionen Einwohner) bereits zum reichsten Kontinent aufgestiegen, aus dem die Niederlande als reichstes Land hervorragten (BIP/Kopf: 1838 Dollar), Großbritannien war das zweitreichste Land der Welt mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1706 Dollar, der Rest Westeuropas und die britischen Kolonien Kanada, Australien, Neuseeland5 sowie die unabhängigen USA kamen auf rund 1100 bis 1200 Dollar pro Kopf. Der erkleckliche Rest der Welt – China hatte damals bereits 318 Millionen Einwohner – landete weit abgeschlagen dahinter mit Pro-Kopf-Einkommen zwischen 500 und 700 Dollar. Afrika war der ärmste Kontinent mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 415 Dollar.

Martin Jacques argumentiert in seinem Buch »When China Rules the World«, dass um 1800 die Alte Welt (inklusive China) zunehmend Schwierigkeiten hatte, die Bevölkerung zu ernähren. Nahrung, Brennstoffe und Baumaterial waren auf den immer knapper werdenden Acker- und Waldflächen immer schwerer zu finden – vor allem im chinesischen Kernland zwischen dem Gelben Fluss und dem Jangtse. Aufgrund der hohen Fruchtbarkeit konnte dort zwar stets eine große Zahl von Menschen leben, was aber aufgrund von Übernutzung der Ressourcen immer schwieriger wurde.6 Europa – vor allem Großbritannien – konnte dieses Problem lösen, indem statt Holz Kohle zur Energiegewinnung verbrannt wurde. Und obwohl auch China über beträchtliche Kohlelagerstätten verfügte, waren diese Kohlegruben weit von den Bevölkerungszentren entfernt, die größten im Nordwesten des Landes, weit von der Textilindustrie und den Kanälen des unteren Jangtse-Tals entfernt. Die Kolonien der Neuen Welt, vor allem in der Karibik und in Nordamerika, boten den europäischen Kolonialmächten zusätzliches Land, die aus Westafrika in die Neue Welt verschleppten Sklaven billige Arbeitskraft.

Das Wachstum der englischen Industriestadt Manchester wäre ohne die Massen an billiger Baumwolle aus den Sklaven-Plantagen unmöglich gewesen. Hätte man das Garn, das in Großbritannien aus der Baumwolle der Neuen Welt gewonnen wurde, aus Schafwolle erzeugt, so wären dazu fast 22,5 Millionen Hektar Agrarflächen im Jahr 1815 und 57,5 Millionen Hektar im Jahr 1830 notwendig gewesen. Man schätzt, dass 1830 in den englischen Kolonien zwischen 62,5 und 75 Millionen Hektar genutzt wurden – das ist eine größere Fläche als das gesamte damals in Großbritannien nutzbare Acker- und Weideland –, um all die Baumwollpflanzen, den Zuckerrohr und die Bäume zu kultivieren, die als Baumwolle, Zucker und Tropenholz nach Großbritannien importiert wurden. »England konnte verhindern, zum Jangtse-Delta zu werden«, argumentiert der Historiker Kenneth Pomeranz, »und die beiden [Großbritannien und China] begannen so unterschiedlich auszusehen, sodass es schwierig geworden ist, zu erkennen, dass sie noch vor nicht allzu entfernter Vergangenheit ziemlich ähnlich waren.«7 Die Übernutzung von Ressourcen war für England kein Problem mehr – man bediente sich aus den Kolonien. Die Einkommensschere zwischen Europa und den USA und dem Rest der Welt hat sich seither vergrößert, jene Länder, die 1820 am reichsten waren, sind seither auch am schnellsten gewachsen. Die reichen Länder kommen heute auf ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von zwischen 25.000 und 30.000 Dollar, die Länder Asiens und Lateinamerikas liegen zwischen 5000 und 10.000 Dollar, während Afrika (südlich der Sahara) bei nur 1387 Dollar liegt. Europa und die früheren britischen Inseln sind von 1820 bis heute in puncto Pro-Kopf-Einkommen um den Faktor 17 bis 25 davongezogen. Osteuropa und Asien sind von einem geringeren Niveau gestartet und haben ihr Pro-Kopf-Einkommen um den Faktor 10 verbessern können, Südasien (v.a. Indien), der Nahe Osten und der größte Teil Afrikas (südlich der Sahara) waren schon 1820 ärmer als Asien und haben ihr Pro-Kopf-Einkommen seit 1820 nur um das Drei- bis Sechsfache verbessern können.8

Ostasien konnte den Trend brechen, dass die reichen Länder seit 1820 viel stärker wuchsen als die armen: Japan war die größte Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1820 war das Land der aufgehenden Sonne arm, konnte aber seither die Einkommensschere schließen, Südkorea und Taiwan schafften den Sprung ebenso, »die Sowjetunion war ein anderer – wenn auch nicht so überzeugender Erfolg. China könnte heute aber das Kunststück wiederholen«, schreibt Robert C. Allen in seinem Buch »Global Economic History«.9

Die Industrialisierung in Europa und der gegenläufige Trend, die Deindustrialisierung in Asien, waren die wichtigsten Gründe für diese Divergenz bei den Welteinkommen. Im Jahr 1750 fand noch der Großteil der Weltproduktion von Gütern und Waren in China statt (dreißig Prozent Weltanteil) und im indischen Subkontinent (25 Prozent). Die Pro-Kopf-Produktion war in Asien kleiner als in den reicheren Ländern Westeuropas, aber die Unterschiede waren vergleichsweise gering. Um 1820 steuerte Asien fast sechzig Prozent zur damaligen Weltwirtschaftsleistung bei, im Jahr 1950 waren es weniger als achtzehn Prozent.

Bis 1913 drehte sich das aber komplett um. Der chinesische und indische Anteil der Weltproduktion war bis dahin auf vier beziehungsweise...

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