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Die Vision des Papstes

Erzählung

AutorEdmund Schlink
VerlagTopos
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783836750035
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Ein Papst meint es ernst mit der Ökumene. Als er im Sinne des Konzils mutige Schritte hin zur Einheit der Christen unternimmt, gerät er in die Fänge der Intrigen und wird um ein Haar zum 'Papa haereticus' erklärt ... Der reformierte Theologe Edmund Schlink nahm als Beobachter am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Unter dem Eindruck des Konzils schrieb er diese atemberaubende Erzählung, die zunächst unter einem Pseudonym erschien. Schlink versteht es meisterhaft, in eine packende Erzählung fundierte Sachinformation einzuflechten. Seine Vision von der Einheit der Christen, die zu einem Hoffnungszeichen für die Welt werden kann, ist gerade mit Papst Franziskus wieder hochaktuell.

Edmund Schlink, 1903-1984, Dr. theol., evangelischer Theologe, Professor für Systematische Theologie in Heidelberg. Er nahm für die reformierte Kirche als Beobachter am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Seine 'Ökumenische Dogmatik' gilt bis heute als Standardwerk.

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Leseprobe

Drittes Kapitel


Auch als die Kräfte des Patienten soweit zugenommen hatten, dass er wieder die ersten Schritte tun konnte, war an eine Wiederaufnahme der laufenden Arbeit und der großen Audienzen noch lange nicht zu denken. So drängten die Ärzte darauf, dass er den Lärm und die zunehmende Hitze Roms verlasse und sich zur weiteren Genesung nach Castel Gandolfo, dem päpstlichen Sommersitz am Rande der Albanerberge, begebe. Um ihn zu schonen, geschah der Aufbruch ganz in der Stille, und auch die Ankunft in dem kleinen Städtchen wurde nur von wenigen bemerkt.

In jedem Jahr war der Papst für einige Wochen in Castel Gandolfo gewesen, allerdings erst später, wenn die sommerliche Hitze über Rom voll entbrannt und die Arbeit in der Stadt zum Erliegen gekommen war. Das waren dann seine Ferien. Nur die dringlichsten Angelegenheiten wurden ihm vom Vatikan herübergebracht und zur Entscheidung vorgelegt. Hier konnte er in Ruhe solchen Problemen nachgehen, die eine gründlichere Besinnung erforderten, als dies im angespannten Ablauf des römischen Alltags möglich war. Er las mit großer Sorgfalt neue Veröffentlichungen über Brennpunkte des sozialen und politischen Umbruchs, um klarer zu sehen, welchen Beitrag die katholische Kirche leisten müsse. Hier konnte er auch in größerem Zusammenhang biblische Kommentarwerke studieren und kirchengeschichtliche Neuerscheinungen lesen. Im Übrigen empfing der Papst auch hier mancherlei Gruppen von Pilgern. Ab und zu unterhielt er sich mit dem ihm zugetanen kommunistischen Bürgermeister des Ortes über die Probleme der bürgerlichen Gemeinde und freute sich an dem Wiedersehen mit den Kindern der Nachbarschaft, von denen er manche mit Namen kannte.

Freilich, dies alles wäre jetzt für den Genesenden zu anstrengend gewesen. Er musste viel liegen, und nur ganz langsam konnten seine Spaziergänge im Park des Schlosses weiter ausgedehnt werden. Zur Lektüre wissenschaftlicher Werke fehlte ihm die Kraft. Die vatikanischen Angelegenheiten wurden ihm auf Anordnung der Ärzte vorerst ferngehalten. Nur einmal in der Woche kam aus Rom der Kardinalstaatssekretär, um das Allerdringlichste vorzutragen. Noch viele Wochen fühlte sich der Papst zu schwach, um auch nur einen Teil seiner Pflichten wieder übernehmen zu können. Aber er wusste die laufenden Arbeiten beim Kardinalstaatssekretär auf das Beste aufgehoben. Dieser wichtigste Mitarbeiter, gewissermaßen sein Ministerpräsident, war aus der päpstlichen diplomatischen Laufbahn hervorgegangen, hatte die Lage der katholischen Kirche in sehr verschiedenen Ländern aus eigener Erfahrung gründlich kennengelernt und besaß eine glückliche Hand in der Koordinierung der verschiedenen Kongregationen der Kurie, die in etwa den Ministerien einer Staatsregierung entsprechen. Seine Informationen und Ratschläge waren für den Papst, dessen eigene Erfahrungen fast ganz auf Sizilien beschränkt waren, eine unschätzbare Hilfe.

Aber so geduldig sich der Genesende den ärztlichen Anordnungen fügte, die neuen Lebenskräfte erwartete er nicht von den Medikamenten, der guten Luft und der Ruhe, sondern allein von Gott. Er hatte erfahren, dass Gott die Macht hat, aus dem Leben abzurufen, dass er ihm aber unbegreiflicherweise aus eben dieser Macht das Leben wiedergeschenkt hatte. Allein von ihm erwartete er die Kräfte, die ihm fehlten, und die Weisung dafür, wie er sie für den Rest seines Lebens einsetzen sollte. In dieser Hingabe nahm er die täglichen Lesungen und Gebete des Breviers in sich auf. Längst bekannte Worte der Heiligen Schrift begannen neu zu ihm zu reden, als hörte er sie zum ersten Mal. Sie blieben nicht Texte aus einer vergangenen Zeit, sondern wurden ihm zu Gottes gegenwärtiger Anrede. Ja, sie wurden ihm zu einer Quelle, die den Durstigen stillte und den Schwachen stärkte. Noch konnte er die Messe nicht wieder selbst feiern. Er konnte die Gabe des Sakramentes nur empfangen. Darin fand er besonders die Kraft der Heilung und die Erschließung einer neuen Zukunft.

Die Zeit vor seiner Erkrankung kam ihm eigentümlich fern und fremd vor. Es war ihm, als seien seit jener Seligsprechung in der Peterskirche, nach der er zusammengebrochen war, viele Jahre vergangen und als sei mit der Krankheit ein Einschnitt erfolgt, den er nicht mehr überspringen könnte. Seine bisherigen Jahre im päpstlichen Amt kamen ihm vor wie das Leben eines anderen. Das seltsame Empfinden, auf ein abgeschlossenes Leben zurückzublicken, das er bereits in Rom unmittelbar nach der Überwindung der Todesgefahr gehabt hatte, blieb auch während der Fortschritte, die seine Genesung in den Monaten seines Aufenthaltes in Castel Gandolfo machte. Es war ihm, als könnte er sein bisheriges Wirken nicht einfach fortsetzen.

Er hatte in seinen früheren Jahren nie daran gedacht, Sizilien zu verlassen. Seine Wahl zum Papst war für ihn eine völlige Überraschung gewesen, und nur aus Pflichtgefühl hatte er sie angenommen. Damals war Italien in großer Gefahr gewesen, vom Kommunismus überrannt zu werden. Da hatte das Kardinalskollegium ihn als den sozialen Bischof auf den Papstthron erhoben. In die vielfältigen Regierungsaufgaben hatte er sich bald eingearbeitet, sich einen Überblick über die Lage der katholischen Kirche in den verschiedenen Ländern verschafft, über das Gefüge der verschiedenen Organe der vatikanischen Verwaltung und über den Stand der schon von seinen Vorgängern begonnenen Reformen. Er war zu einer guten Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Leitern und Sekretären der Kongregationen gelangt. Sein besonderes Interesse galt dem Leben der Menschen in Ländern raschen geistigen Umbruchs und großer sozialer Gegensätze. Unablässig war er bemüht, durch Instruktionen und durch persönliche Gespräche das Gewissen der Nuntien und Bischöfe in diesen Ländern zu schärfen. Inmitten dieser weitverzweigten Regierungsgeschäfte empfand er die großen Audienzen, in denen er das Kirchenvolk in der ganzen Buntheit der Rassen, Nationen, Berufe und Lebensschicksale empfing, als eine Wohltat. Hier begegnete er den Menschen unmittelbar. Im Übrigen wäre er nicht Italiener gewesen, wenn er nicht auch Freude an der Pracht der Peterskirche, am glanzvollen Zeremoniell und am Jubel der Gläubigen empfunden hätte.

In der Stille der Genesungszeit blickte er kritisch auf sein päpstliches Wirken zurück. Was hatte er in den vier Jahren seines Pontifikates erreicht? Gewiss, er hatte auf seine sozialen Bemühungen manchen freundlichen Widerhall erfahren, er hatte diplomatische Beziehungen auch mit einigen Staaten aufnehmen können, die der katholischen Kirche bisher ablehnend gegenübergestanden hatten, er hatte die Präsenz der Kirche in der Welt durch die Gründung neuer Bischofssitze und durch ihre Besetzung mit einheimischen Bischöfen stärken können. Auch einige Reformen hatte er weitergebracht. Aber aufs Ganze gesehen, hatte sich an der schwierigen Situation der Kirche nichts geändert. Den Prozess der inneren und äußeren Abwendung vieler Menschen von der kirchlichen Autorität hatte er nicht aufhalten, den Mangel an Priesternachwuchs und Neueintritten in die Orden nicht beheben, weitere Austritte aus dem Priester- und Ordensstand nicht verhindern und den katastrophalen geistlichen Zustand der Millionenstadt Rom nicht wesentlich wandeln können. Die Mitgliederzahl der katholischen Kirche ging im Verhältnis zur Gesamtzahl der Menschheit trotz mancher Erfolge der Mission immer mehr zurück. Die Lage der Katholiken im kommunistischen Machtbereich war nicht besser geworden, und die gewaltsame Loslösung der einst mit Rom unierten Teile der orthodoxen Kirche in der Sowjetunion, in Rumänien und in anderen östlichen Ländern hatte er nicht rückgängig machen können. Weder orientalische noch protestantische Kirchengemeinschaften waren zur katholischen Kirche zurückgekehrt, und die Zahl der konvertierenden Einzelpersonen war nicht angewachsen. Auch die Auswirkungen seines sozialpolitischen Einsatzes schienen ihm von der vatikanischen Propaganda übertrieben und in der Öffentlichkeit weit überschätzt zu sein. Innerhalb der Völker mit schreiender sozialer Ungerechtigkeit und im Verhältnis zwischen den reichen und armen Völkern waren keine tiefergreifenden Verbesserungen erfolgt. Gewiss, sein Wirken hatte dazu beigetragen, die katholische Kirche inmitten der gegenwärtigen Gefahren zu erhalten, aber einen Durchbruch durch die erstarrten Gegebenheiten, eine wirkliche Wandlung und Erneuerung konnte er nicht sehen.

Als der Kardinalstaatssekretär ihn wieder einmal besuchte, sprach der Papst mit ihm ganz offen über die Gedanken, die er sich im Rückblick auf die vergangenen Jahre gemacht hatte. Der Kardinal stimmte zwar der päpstlichen Beurteilung der gegenwärtigen kirchlichen Situation in mancher Hinsicht zu. Er sah genauso die Symptome der Stagnation und eines gewissen Rückganges. Aber er beurteilte das Wirken des Papstes doch sehr anders: „Wir leben in einer Zeit des allgemeinen Schwundes der Autorität der Ämter. Dies gilt auch vom Amt des Papstes. Für viele besteht heute seine Autorität nicht mehr in erster Linie in seinem Amt, sondern in seiner Person. Die Art und Weise aber, wie Eure...

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