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Die Wegwerfkuh

Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können.

AutorTanja Busse
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641156411
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Sie nennen es Effizienz - doch in Wahrheit ist es ein System gigantischer Verschwendung
Die deutsche Landwirtschaft produziert immer mehr Milch, Fleisch und Eier in immer kürzerer Zeit. Die Effizienz scheint ihr bestes Argument zu sein. Nur mit den Methoden der Agrarindustrie könne man neun Milliarden Menschen ernähren, behaupten deren Anhänger.

Doch diese Hochleistungslandwirtschaft ist eine Verschwendungs- und Vernichtungslandwirtschaft . Sie erzeugt Milchkühe, die - bei einer natürlichen Lebenserwartung von zwanzig Jahren - schon nach drei Jahren im Melkstand geschlachtet werden. Sie werden zu einer so hohen Milchproduktion getrieben, dass sie krank und unfruchtbar werden.

Gleichzeitig können die meisten Bauern nicht mehr autonom handeln, weil sie abhängig und hoch verschuldet sind. In der Geflügelmast verkaufen wenige große Konzerne Küken, Futter und Medikamente an die Landwirte und nehmen ihnen nach der Mast die schlachtreifen Hühner ab. Die Preise bestimmen die Unternehmen - die Stallkosten und das Risiko für die Aufzucht tragen die Bauern, die sich trotzdem der Logik der Industrie beugen.

In ihrem neuen Buch Die Wegwerfkuh belässt Tanja Busse es nicht bei der schonungslosen Kritik der Missstände und Abhängigkeiten, sondern zeigt auch Wege zu einer nachhaltigen Landwirtschaft auf.

Tanja Busse wurde 1970 geboren, studierte Journalistik und Philosophie in Dortmund, Bochum und Pisa. Sie promovierte 2000 mit einer Arbeit über die Massenmedien ('Weltuntergang als Erlebnis'). Sie schrieb wichtige Artikel über Verbraucherschutz und Landwirtschaft in der ZEIT, für das Greenpeace-Magazin und für utopia.de. Ihr Buch 'Die Einkaufsrevolution' (Blessing, 2006) wurde ein Longseller. Auch 'Die Ernährungsdiktatur' (Blessing 2010) erlangte hohe Resonanz. 2015 erschien bei Blessing ihr viel diskutiertes Buch 'Die Wegwerfkuh'. 2009 erhielt sie die Reiner Reineccius-Medaille für Querdenker und Pioniere der Stadt Steinheim, 2017 den Salus-Medienpreis und 2018 den Wertewandel-Preis des Deutschen Tierschutzbundes.

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Leseprobe

Kapitel 2

Die Wegwerfkuh

Kälber profitieren nicht von der modernen, spezialisierten Landwirtschaft, zumindest nicht die Söhne der Milchkühe, das ist offensichtlich. Doch – so haben es mir Landwirte, Tierärzte und Berater erklärt – in der Milchproduktion geht es ja eben nicht um die Kälber, sondern um die Kühe. Das kurze, kranke Leben der Mastkälber ist nichts als ein Kollateralschaden der modernen Milchproduktion. Die Kühe sind das eigentliche Gut, mit dem der Milchbauer sein Geld verdient.

Zuchtverbände und Landwirte haben in den letzten hundert Jahren aus Gras und Heu fressenden Weiderindern kraftfutterverwertende Hochleistungskühe gezüchtet, von denen jede einzelne mehr Milch gibt als ihre vier Urgroßmütter zusammen. Das Zuchtziel heißt: höhere Effizienz durch mehr Leistung. Und wenn heute eine einzige Kuh das leisten kann, wozu man früher vier oder fünf oder sechs brauchte, lässt das auf eine unglaubliche Effizienzsteigerung schließen. Aber stimmt das? Geht die Rechnung auf: Je mehr Milch pro Kuh, desto effizienter die Produktion? Höhere Milchleistung gleich höhere Effizienz gleich höherer Ertrag für den Landwirt?

Das Fachmagazin Neue Landwirtschaft hat dieser Frage 2012 ein Sonderheft gewidmet, das den Schluss nahelegt, dass der Landwirt die Rechnung ohne die Kuh gemacht hat. Dass der Preis für die Effizienz die Effizienz ist. »Noch vor wenigen Jahren hatte ein Fachtreffen unter Milchviehhaltern etwas von einem Olympischen Wettbewerb: Schneller – höher – mehr!«, schreibt Sabine Leopold, die Redakteurin des Fachmagazins, im Editorial.33 »Was zählte, war die Laktationsleistung. Und wer beeindrucken wollte, übertrumpfte die Kollegen um noch hundert Liter Milch oder noch zehn Fett-Eiweiß-Kilogramm.« Im Jahr zuvor, 2011, hatte eine deutsche Milchkuh, »GHH Luisa«, aus der Hochleistungszucht der schwarzbunten Holsteins die magische 20 000-Kilo-Grenze gebrochen: 21 168 Liter Milch in den 305 Tagen nach ihrem sechsten Kalb. Würde man diese Superkuh mit der Hand melken, müsste man Tag für Tag sieben volle Eimer vom Melkstand wegschleppen. Welch immense Stoffwechselleistung hinter dieser Milchmenge steckt, kann man erst ermessen, wenn man sich vor Augen hält, dass 500 Liter Blut durch das Euter strömen, um einen einzigen Liter Milch zu erzeugen. Das Herz der Kuh Luisa hat also während ihres Milchrekordjahres täglich 35 000 Liter Blut allein durch das Euter gepumpt (und noch mehr durch die Leber).

Die beste Herde 2011 brachte mehr als 13 000 Kilo im Durchschnitt pro Kuh und Jahr. Die Fachzeitschrift für Milcherzeuger Elite schwärmte von »absolut beeindruckenden Tier- und Herdenleistungen«, die andeuteten, »welches enorme genetische Leistungsvermögen bereits in vielen Ställen vorhanden ist«.34 Das klingt, als erwarte man weitere Mengensteigerungen und als halte man die Möglichkeiten der genetischen Verbesserung für unerschöpflich. Berichte über die besten Kühe erinnern tatsächlich an olympische Wettbewerbe: 100 Meter in 9,58 Sekunden, und es geht noch schneller! 21 168 Liter, und es geht noch mehr! Doch um welchen Preis?

»Inzwischen aber mache sich die Erkenntnis breit, dass eine Rekordhatz ziemlich teuer werden könne«, schreibt die Redakteurin weiter. »Denn unterm Strich zählt nur die Differenz zwischen den Erlösen aus den biologischen Leistungen einer Kuh – Kalb, Milch und irgendwann der eigene Schlachtkörper – und den Kosten, die sie in ihrem Leben verursacht hat. In unproduktiven Zeiten, also vor allem in der Aufzucht, aber auch während krankheitsbedingter Leerphasen, entstehen nur Kosten. Logisch, dass jeder Milchviehhalter bemüht sein wird, diese Abschnitte möglichst kurz zu halten.« Logisch wäre es ebenfalls, wenn jeder Milchviehhalter bemüht wäre, seine Kühe möglichst lange zu nutzen. Doch genau das ist nicht der Fall.

Die Wegwerfregel der modernen Milchwirtschaft lautet: Nach durchschnittlich drei Jahren im Melkstand werden Milchkühe in Deutschland ausrangiert, also geschlachtet.35 Wenn die Kühe gerade mal fünf Jahre alt sind. Anfang der 2000er-Jahre war die Nutzungsdauer sogar noch geringer. In Schlipfs Handbuch der Landwirtschaft aus dem Jahr 1898, dem Klassiker der landwirtschaftlichen Lehrbücher für Generationen von Landwirten, steht: »Vom dritten Kalbe an, also vom fünften, sechsten bis zum zwölften Lebensjahre hat die Kuh den höchsten Wert für die Zucht.« Dieses dritte Kalb wird inzwischen nur noch selten geboren. Bevor die Kuh von heute ihre größte Leistung zeigen kann, ist sie schon tot. Wie kommt das, und wie kann das effizient sein?

Die Agrarwissenschaftlerin Anke Römer hat sich auf die Suche nach den Ursachen für diese Verschwendung gemacht. »Wenn Jungkühe bereits nach dem ersten Laktationsmonat die Herde verlassen müssen, war ihre Aufzucht verschenkt«, schreibt sie in der Neuen Landwirtschaft.36 »Dennoch werden zu viele junge Tiere bereits krank, bevor sie annähernd ihr Leistungspotenzial ausschöpfen können.« Die meisten jungen Kühe werden zum Schlachter geschickt, weil sie nicht mehr tragend geworden sind, andere, weil sie krank geworden sind, und wieder andere, weil sie zu wenig Milch gegeben haben. Viele von ihnen gleich nach dem ersten Kalb. Das sei »dramatisch«, schreibt Anke Römer, »denn einerseits hat eine Jungkuh die hohen Kosten ihrer Aufzucht noch nicht amortisiert, und andererseits sind diese Kühe noch nicht ausgewachsen und konnten ihr volles Leistungspotenzial noch gar nicht unter Beweis stellen.« Jedes Jahr werde ein Drittel des Kuhbestandes in Deutschland gemerzt, schreibt die Wissenschaftlerin in ihrer Fachsprache. Wenn man es brutal ausdrucken will, heißt das nichts anderes, als dass jede dritte Kuh weggeworfen wird. Und das ist weder tierfreundlich noch wirtschaftlich effizient. »Dieser hohe Anteil zieht eine hohe Reproduktionsrate nach sich, die aus zweierlei Gründen unökonomisch ist: Zum einen verringert sich dadurch die Nutzungsdauer der Kühe, zum anderen erhöhen sich die Tiereinsatzkosten bezogen auf die Herde, denn die Erzeugung jeder tragenden Färse ist teuer«, warnt Anke Römer.

Warum wird die Ressource junge Kuh so oft einfach ausrangiert? Wie kann in einem landwirtschaftlichen System, in dem Leistung und Effizienz an erster Stelle stehen und wo Scharen von Beratern den Landwirten vorrechnen, wie sie ihre Betriebe finanziell optimieren sollten, so unökonomisch gewirtschaftet werden? Wie kann in einem solchen optimierten und leistungsorientierten und durch und durch ökonomisierten System ein Tier einfach ausrangiert werden?

Rechnet es sich in der modernen Landwirtschaft, Tiere wegzuwerfen? So wie es sich in der modernen Konsumgesellschaft rechnet, kaputte Waschmaschinen wegzuwerfen und sich neue zu kaufen, weil sich die Reparatur nicht lohnt?

Aber darf man mit Tieren wie mit Waschmaschinen umgehen? Und wohin führt das?

Hochleistungssport Milch

Holger Martens, Tierarzt und emeritierter Professor für Tierphysiologie an der Freien Universität Berlin, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Problem – und hat keine Antwort auf diese grundsätzliche Frage. Aber er fordert einen Richtungswechsel in der Rinderzucht: »In den letzten Jahrzehnten bis Anfang 2000 hat sich die Milchleistung pro Laktation verdoppelt, die Lebensleistung der Kuh hat sich in diesem Zeitraum jedoch nicht geändert! Aus einem einfachen Grund: Die Nutzungsdauer der Kühe hat abgenommen. Erst seit einigen Jahren nimmt sie wieder zu. Stellen Sie sich vor, ein Auto fährt immer schneller und braucht immer mehr Benzin, aber nach 100 000 Kilometern ist Schluss!«

Kurzfristige Höchstleistung statt Dauerhaftigkeit – das ist möglicherweise ein sinnvolles Ziel für einen Hochleistungssportler, der eine Medaille gewinnen will, jedoch nicht für einen Landwirt, der langfristig mit seinen Kühen Geld verdienen und dabei effizient mit seinen Ressourcen umgehen muss.

Professor Martens hat herausgefunden, warum so viele junge Kühe aussortiert werden: Sie sind diesem Leistungsdruck nicht dauerhaft gewachsen. Seine These: Viele Kühe geben so viel Milch, dass sie krank werden, vor allem in den ersten Wochen nach der Geburt ihres Kalbes. Und das tun sie, weil sie so gezüchtet wurden. Die modernen Hochleistungskühe können nicht anders, als der Milchproduktion Vorrang einzuräumen – auch auf Kosten ihrer Gesundheit. Sobald eine Kuh ein Kalb geboren hat, beginnt sie, große Mengen Milch zu produzieren. Das kostet sie viel Energie, dennoch hat sie in den ersten Wochen nach der Geburt keinen großen Appetit. Sie frisst in dieser Zeit viel weniger, als sie bräuchte, um so viel Milch zu produzieren. Dieses Phänomen ist Forschern und Landwirten bekannt, sie nennen es negative Energiebilanz. Und es ist messbar: Die Kuh nimmt nach der Geburt bis zu fünfzig Kilo ab, so viel, dass ihre Hüft- und Schulterknochen aus dem Körper ragen. Sie frisst einfach nicht genug, um ausreichend Energie zu bekommen – und gibt trotzdem immer mehr Milch. Das ist – zunächst einmal – eine Folge der Evolution, das Erbe der Auerochsen, der Vorfahren der heutigen Milchkühe.

Die Auerochsenkuh zog sich nach der Geburt in den Wald zurück und kümmerte sich um ihr Kalb. Selbst wenn sie für sich selbst dort...

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