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E-Book

Dietrich Bonhoeffer - 'Wir hätten schreien müssen'

Ein Leben. Ein Zeugnis

AutorChristian Feldmann
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783451803185
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Ein evangelischer Christ, der in die Geschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben ist und zum zeitlosen Vorbild wurde. Am 4.2.1906 in Breslau geboren. Am 9.4.1945 von den Nazis ermordet. Der Großbürger, der zum Verschwörer wurde. Ein kurzes, dramatisches Leben und eine der großen Figuren deutscher Geschichte, die heute weltweit Verehrung findet. Ein aktueller Beitrag zum Erinnern und Gedenken. Die spannende Reportage über Verantwortung und Zivilcourage. Und über Christsein im Ernstfall.

Christian Feldmann, geboren 1950, studierte Theologie und Soziologie. Er arbeitet als Journalist für Presse und Rundfunk und seit 1985 als freier Schriftsteller. Seine zahlreichen Biografien und Porträtsammlungen sind in sechzehn Sprachen übersetzt. Der Autor lebt in Regensburg. Der Autor hat 1971-1976 bei Joseph Ratzinger in Regensburg studiert und zahlreiche Medienbeiträge sowie eine Biografie zu ihm verfasst.

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Leseprobe

2
Berlin, London:
Ein Seelsorger entdeckt die politische
Brisanz des Evangeliums


»[…] nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden,

sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen«79

Am Abend des 30. Januar 1933 kam Bonhoeffers Schwager und kommentierte Hitlers am selben Tag erfolgte Machtübernahme mit den Worten: »Das bedeutet Krieg!« Die ganze Familie stimmte vorbehaltlos zu.

Viele von Bonhoeffers Kollegen aus der Pfarrer- und Theologenzunft fielen zu diesem Zeitpunkt auf Hitlers fromme Schwüre herein und waren gern bereit, die Anfänge des braunen Terrors als notwendiges Übel zur Abwehr des Bolschewismus zu verharmlosen. Idyllische Bilder vom Kirchgänger Hitler (nach 1933 ließ er sie aus den Fotobänden eliminieren) und von der Trauung des Berliner Gauleiters und späteren Reichspropagandaministers Goebbels in einer evangelischen Kirche, in Anwesenheit des »Führers« und mit einer Hakenkreuzfahne auf dem Altar, machten die Runde. Als Hitler in seinen öffentlichen Äußerungen immer gemäßigtere Töne anschlug, von einem »positiven Christentum«80 schwärmte, nationale Solidarität einforderte und den Kirchen geschickt Avancen machte, erschienen die unschönen Begleitumstände der Machtübernahme bloß noch als Betriebsunfall.

Gewiss gab es einen ehrlichen Abscheu gegenüber Wotanskult und Herrenmenschenwahn. Die sogenannten kleinen Leute mit ihrem gesunden Wirklichkeitssinn, engagierte Jugendführer, lebenskluge Dorfpfarrer und sturköpfige Bauersfrauen wehrten sich oft genug von Anfang an erbittert gegen die Allmachtsansprüche von Staat und Polizei, Partei und Ideologie. Auf Sympathien konnten die Nazis merkwürdigerweise eher bei Studenten und Hochschullehrern zählen, bei Ärzten und Juristen, angesehenen Theologen und hohen Kirchenrepräsentanten mit ihrem vermeintlichen akademischen Durchblick.

Wenn die Faschisten vom Führerstaat und von der endlich wiederhergestellten Autorität redeten, über den laxen Liberalismus schimpften und den gottlosen Bolschewisten den Garaus zu machen versprachen, dann fühlten sich konservative Christen ganz zu Hause. Hatten die Marxisten in Mexiko und Spanien nicht blutige Kirchenverfolgungen inszeniert? Wenn dieser Hitler die Roten erledigte und wieder Ordnung im Land schaffte, musste man ihm das bisschen Judenschlachten und die Kriegshetze dann nicht nach dem Motto »Wo gehobelt wird, fallen Späne« verzeihen? Musste man nicht eben deshalb mit den Nazis zusammengehen, um die rohen Sturmtruppen allmählich disziplinieren und den genialen Raufbold an ihrer Spitze in einen seriösen Staatsmann verwandeln zu können?

Als am 21. März 1933, zehn Tage vor Hitlers endgültiger Installierung als Diktator, der Reichstag wiedereröffnet wird, hält der Berliner Generalsuperintendent und spätere Bischof Otto Dibelius eine weihevolle, von allen deutschen Rundfunksendern übertragene Rede und erteilt den Terrormethoden der SA-Schläger gegen »Rote« und Pazifisten eine makabre Generalabsolution: »Wenn der Staat seines Amtes waltet«, erläutert Dibelius, »gegen die, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, gegen die vor allem, die mit ätzendem und gemeinem Wort die Ehe zerstören, den Glauben verächtlich machen, den Tod für das Vaterland begeifern, dann walte er seines Amtes in Gottes Namen! […] Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet.«81 Dibelius’ abschließende Mahnung, nach Wiederherstellung der Ordnung müssten »Gerechtigkeit und Liebe wieder walten«, haben die meisten Zuhörer wohl überhört.

Leute wie Bonhoeffer ließen sich nicht einlullen, wenn Hitler feierlich erklärte, die Reichsregierung werde das Christentum als »Basis unserer gesamten Moral« in ihren »festen Schutz« nehmen und »in Schule und Erziehung den christlichen Konfessionen den ihnen zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen«.82 Sie wussten, was dieser »feste Schutz« bereits für immer mehr Andersdenkende und »Andersartige« bedeutete, für Gewerkschafter und SPD-Funktionäre, unbeugsame Christen und jüdische Mitbürger: Verhaftung bei Nacht und Nebel, Einkerkerung ohne Gerichtsverfahren, Folter in Gestapo-Kellern, nie aufgeklärte Morde, zumindest aber berufliche Repressalien und wirtschaftliche Vernichtung.

Leute wie Bonhoeffer hatten die Programmschriften der »Bewegung« gelesen, etwa Alfred Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts mit der Forderung, »das Ideal der Nächstenliebe der Idee der Nationalehre unbedingt zu unterstellen« und die »Sicherung des Volkstums« zum höchsten moralischen Wert zu machen.83 Im Schicksalsjahr 1933 prophezeite Bonhoeffer seiner Großmama in einem melancholischen Geburtstagsbrief, »dass wir eine große völkische Nationalkirche bekommen werden, die das Christentum in seinem Wesen nicht mehr erträgt, und dass wir uns auf völlig neue Wege, die wir dann zu gehen haben werden, gefasst machen müssen. Die Frage ist wirklich Germanismus oder Christentum, und je bälder der Konflikt offen zutage tritt, desto besser. Die Verschleierung ist am allergefährlichsten.«84

Leute wie Bonhoeffer wussten von Anfang an, was sie von den Nazis zu erwarten hatten: das Ende aller bürgerlichen Freiheiten in Deutschland und einen erbarmungslosen Kirchenkampf – es sei denn, die Kirche würde sich gleichschalten lassen und eine ungestörte Kultausübung mit dem Verzicht auf ihr prophetisches Wort erkaufen.

Genau das aber durfte nicht sein. Jetzt sei nicht die Stunde zu feiern, sondern zu protestieren, hatte Bonhoeffer bereits am Reformationsfest 1932 bei einem akademischen Gottesdienst erklärt. Wenn der greise Reichspräsident von Hindenburg wirklich unter den Zuhörern gesessen haben soll, wie manche behaupten, wird er sich gewundert haben, wie dieser Grünschnabel von Studentenpfarrer den ehrwürdigen Reformationstag zum »Protest Gottes gegen uns« umfunktionierte. »Lasst dem toten Luther endlich seine Ruhe, und hört das Evangelium«, wetterte Bonhoeffer von der Kanzel herunter. »Gott wird uns am Jüngsten Tage gewiss nicht fragen: Habt ihr repräsentative Reformationsfeste gefeiert?, sondern: Habt ihr mein Wort gehört und bewahrt?«85

Störenfriede sind nicht gefragt


Das Predigen bereitete ihm immer noch Schwierigkeiten. Anders als bei seinen Uni-Vorlesungen sprach er oft stockend, schwerfällig. Aber er bemühte sich tapfer und hielt widerborstige Reden, die seine Hörer aufhorchen ließen. Er fragte, »ob wir Christen Kraft genug haben, der Welt zu bezeugen, dass wir keine Träumer und Wolkenwandler sind, […] dass unser Glaube wirklich nicht das Opium ist, das uns zufrieden sein lässt inmitten einer ungerechten Welt, sondern dass wir, gerade weil wir trachten nach dem, was droben ist, nur um so hartnäckiger und zielbewusster protestieren auf dieser Erde«.86

»Störung« und »Disharmonie« seien nicht gefragt, konstatierte er am Volkstrauertag 1932. Was ihn nicht hinderte, seiner Kirche die Rolle einer Querdenkerin zuzuweisen: An solchen Tagen stehe sie »wenig stolz«, »wenig heldisch«, »wenig populär« da.87 Aber man müsse schon den Mut haben, das Gebot des Friedens mit der Realität des Krieges zu konfrontieren, über die Grenzen des eigenen Volkes hinauszublicken und um das Reich zu beten, das »allen Kriegen ein Ende setzt«88. In einer anderen Predigt erinnerte er daran, es könnten durchaus wieder Zeiten kommen, in denen von der Kirche »Märtyrerblut gefordert«89 werde.

Um ein Pfarramt hatte sich der mittlerweile zum kirchlichen Dienst Ordinierte vergeblich beworben. Der Kirchenrat der Gemeinde entschied sich für einen älteren, wohl erheblich volkstümlicheren Pastor. Eine zweite Bewerbung sollte später am »Arierparagraphen« scheitern, den Bonhoeffer nicht akzeptieren wollte. So blieb er der Universität erhalten, wo er sich inmitten der vielen farbentragenden Verbindungsstudenten und der in brauner Uniform auftretenden Nazis freilich zunehmend als Fremdkörper empfand. Seine »Jugendstube« in Charlottenburg, wo sich Christen, Juden, Sozialisten trafen und junge Arbeitslose ein attraktives Freizeitangebot erhielten, hatte unter dem Druck der SA-Schlägertrupps dichtmachen müssen – woraufhin Bonhoeffers empörte Eltern für die verfolgten Kommunisten unter seinen Freunden eine Baracke am Stadtrand finanzierten. Dort fanden sie wenigstens vorübergehend Schutz.

Solche Erfahrungen prägten selbstredend auch die Lehrtätigkeit des Dozenten Bonhoeffer. Statt nur die christologischen Lehrsätze auszulegen und die Entwicklungsgesetze der Dogmengeschichte zu analysieren, fragte er immer intensiver danach, welche konkreten Verpflichtungen die Bindung an Christus mit sich brachte. Statt die Kirche, wie gewohnt, als Insel der Seligen fern der Welt zu schildern, mit dem korrekten Vollzug des Gottesdienstes und einer eher privaten Frömmigkeit beschäftigt, fragte er immer bohrender danach, woher sie ihren Auftrag bezog, wie glaubwürdiges kirchliches Handeln in Konfliktsituationen auszusehen hatte und worin es sich vom Evangelium kritisieren lassen musste.

Christologie, Ekklesiologie (Lehre von der Kirche), Ethik bestimmten das Themenspektrum seiner Vorlesungen und Seminare in diesen Jahren. Die Titel klangen anspruchsvoll: Das Wesen der Kirche; Gibt es eine christliche Ethik?; Die Idee der Philosophie und die protestantische Theologie; Dogmatische Übungen: Probleme einer theologischen Anthropologie; Dogmatische Übungen: Religionsphilosophie bei Hegel. Die großen Zusammenhänge scheinen ihn – und seine Studenten und...

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