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E-Book

Eiswege

Nach dem Suizid des Partners zurück ins Leben

AutorBärbel Danneberg
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783853718018
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Der Tod ist eine Zumutung für die Lebenden. Eine noch größere Zumutung ist es, wenn ein geliebter Mensch sich selbst das Leben nimmt. Bärbel Danneberg beschreibt in ihrem Buch 'Eiswege' die sechs Tage zwischen der tödlichen Diagnose und dem Freitod ihres Mannes Julius Mende und die Monate danach. Bärbel Dannebergs Text ist ein sehr persönlicher, der Menschen mit ähnlichem Schicksal nach der wahrscheinlich schrecklichsten Todeserfahrung zurück ins Leben helfen soll. Er ist voll mit Erinnerungen an den Toten, mit eigenen Gedanken zum Thema Sterben und Zitaten aus anderen Büchern zum Thema Tod und Selbsttötung.

Bärbel Danneberg, 1943 in Berlin geboren, arbeitete als Maßschneiderin und Kneipenwirtin und diplomierte Krankenschwester, bevor sie 1974 hauptberuflich Journalistin wurde. Langjährige Tätigkeit bei der 'Volksstimme' und der 'Stimme der Frau' in Wien. Sie hat zwei Töchter und zwei Enkelkinder. Im Promedia Verlag ist von ihr - mittlerweile in zweiter Auflage - erschienen: 'Alter Vogel, flieg! Tagebuch einer pflegenden Tochter' (2008).

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Leseprobe

EISWEGE
Nach dem Suizid des Partners zurück ins Leben


Teil I


1.


Je älter ich werde, desto mehr Menschen sterben. Das ist natürlich blanker Unsinn. Es sterben nicht mehr Menschen, sondern immer häufiger gehen Menschen, die ich gut gekannt habe, für immer fort. Das weist mich mit einer strengen Gewissheit auf meine eigene Vergänglichkeit hin, die unaufhaltsam näher rückt.

Als meine Großmutter starb, war es nicht ihr endgültiger Verlust, der mich quälte, sondern der beschämende Gedanke, sie könne mich am Klo beobachten. Von dort oben irgendwo. Ich war damals zehn.

Als Kassandra vor fünf Jahren vor meiner Tür stand, in Polizeiuniform, war es Vernichtung von allem, was ich fühlte, dachte und was ich war. Es war der Tag, an dem sich mein Mann Julius in großer Klarheit entschlossen hatte, sein 63-jähriges Leben, das er auf keinen Fall im Schatten des Todes leben wollte, dieser Krankheit zu opfern. Er wusste genau, was ihn erwartet. Er legte sich vor einen Zug.

Als meine Mutter, fast 95-jährig, acht Wochen nach meinem Mann starb, war es der tröstliche Schmerz des Wissens, dass sie ein langes Leben hinter sich gebracht hatte, welches mein Mann und ich ihr in ihren letzten Lebensjahren durch unsere Pflege etwas hatten versüßen können. Ihre schwere Demenzkrankheit hatte sie vielleicht auch davor geschützt, den Ernst des Todes zu begreifen. Den Ernst des Lebens hatte sie gelebt. Krieg, Hunger, Entbehrungen, vier Kinder durchgebracht, doch bis zum Schluss hatte sie sich ihre Freundlichkeit gegenüber dieser Welt bewahrt.

Diese Abschiedsworte hat mir mein Mann in das Buch „Die sterbenden Europäer“ von Karl-Markus Gauß in seiner etwas krakeligen Schrift geschrieben, vorne am Buchdeckel ein schwarzer Pfeil, der sowohl nach unten zeigt als auch darauf hinweist, dass drinnen im Buch noch etwas sei, das beachtet werden soll:

„Meine Liebe!
meine große Liebe
Wenn zwei Körperteile
durch ihre jeweilige
Heilung den Tod des
anderen bewirken,
ist das eine klare
Botschaft – lebe wild
und gefährlich
ich umarme Dich,
Julius“

Der Tod ist unser täglicher Begleiter. Seit Anbeginn ist er uns auf den Fersen. Sein Schatten bedroht und beschützt uns.

„In Athen wurde von den Dichtern die Scheu der Unglücklichen vor dem Freitod fast wie eine feige Gesinnung getadelt, als Lebensliebe; man sollte aus dem Leben gehen wie aus dem Theater, wenn einem das Stück nicht gefiel. (…) Wenn Plato lehrt, daß der Mensch ohne Erlaubnis der Götter ebenso wenig sterben dürfe, wie es dem Soldaten nicht erlaubt sei, ohne Anweisung seiner Befehlshaber seinen Posten zu verlassen, so sollte das nur heißen, dass die Seele schon triftige Gründe haben müsse, die sie den Tod dem Leben vorziehen lasse.“

(Emil Szittya: Selbstmörderbuch, Löcker Verlag, 1985)

2.


Am 17. April, meinem Geburtstag, hat sich mein Mann selbst getötet. Ich bereite seine Verabschiedung in der Feuerhalle Simmering vor. Die Organisation der Trauerfeier nimmt mich in Anspruch. Die leeren Löcher kommen vor dem Einschlafen, die wilden Träume nachts, beim Aufwachen ein heimatloses Gefühl und Angst. Morgens, noch in den Tiefen der Nacht, ist mein erster Gedanke: Ach Gott, welch ein Glück, es ist doch nur ein Traum gewesen. Umso heftiger dann die Gewissheit, dass Julius nicht mehr da ist. Jedes Ding trägt seine Spur in der Wohnung.

Ich bin fest überzeugt, dass dieser Schritt meines Mannes auch ein Zeichen seiner Liebe zu mir und der Welt, die er liebte, war und nicht nur eine Entscheidung in großer Not oder gar Panik. Oder möchte ich mich nur selbst schützen mit diesem Gedanken? Zu einer Freundin, der Johanna, hatte er am Vorabend des 17. April gesagt: Das Schlimmste dabei ist, dass man das meiner Frau antut – erst die jahrelange Pflege mit der Mutter, und nun komme ich mit meiner Krankheit daher … Johanna hat es mir erst später erzählt.

Er ist aus unserem Leben getreten – entschlossen, konsequent, radikal. So war er. Wenn er von etwas überzeugt war, gab es kein Halten. Immer hat er das getan, was er für richtig hielt, auch wenn das oft nicht von Vorteil für ihn war. Doch immer hat er sich seinem Standpunkt in der Diskussion gestellt, sich angreifbar gemacht, so wie auch jetzt durch die Krankheit. Und er hat sich immer vom Gegenteil überzeugen lassen, wenn das für ihn einsichtig war. Er war ein Querdenker und Radikaler in jeder Hinsicht. Auch sich selbst gegenüber.

Zwischen der Diagnose Lymphom und seinem Tod liegen genau sechs Tage. Was ist in diesen Tagen in ihm vorgegangen? Habe ich ihn zu wenig von der Alternative des gemeinsamen Lebens im Schatten des Todes überzeugen können, sodass er seine Endgültigkeit für mein Weiterleben gewählt hat? Wieso komme ich überhaupt auf den Gedanken, dass es um mich gehen könne? Ihm ging es um sich.

Dies sollte ich erst viel später fühlen können: So schmerzvoll es ist, aber seine Anwesenheit in den Dingen und das Bewahren von gemeinsam geübten Ritualen beschützt mich auf eine ganz eigenartige, fast heilige, ruhige Art. Gibt es vielleicht doch so etwas wie eine höhere Sphäre des Seins? Werde ich jetzt religiös? Das kann ich mir nicht vorstellen von mir. Doch das Gefühl eines höheren Aufgehoben-Seins ist stark, das hatte ich noch nie in dieser Klarheit in meinem Leben. Das ist mir sehr neu.

3.


Seit Julius die Diagnose seiner unheilbaren Krankheit hat, also seit Mittwoch, dem 11. April, ist in Wien ein schreiend schönes Wetter. Der Frühling explodiert, die Kastanien blühen, der Flieder, der sonst immer erst zu seinem Geburtstag im Mai in Blüte steht, blendet die Augen in seiner penetranten Pracht, die Sonne verbrennt alles viel zu früh. Aufs Land, aufs Land, würden wir sagen.

Nur ein einziges Mal, am Tag nach seinem Tod, hat es in diesem Monat heftig geregnet.

Als Julius auf der Trage im Krankenhaus liegt, nachdem der Arzt he­rausgekommen ist und ihm nach der Magenspiegelung sagt: Es schaut nicht gut aus, ist er gefasst. Mit seinen schönen, großen, braunen Augen schaut er mich traurig an, sehr wissend und ruhig. Keine Angst im Blick. Nur tiefe Traurigkeit. Ich muss mich umdrehen und wegschauen, weil ich nicht will, dass er sieht, wie ich weine. Der Arzt holt mir einen Sessel, ich muss mich hinsetzen, alles schwankt. Er erklärt, dass, wenn es Magenkrebs ist, der Magen herausgenommen werden muss und der Dünndarm mit der Speiseröhre zusammengestückelt wird, es wird aus dem Dünndarm ein Ersatzmagen zusammengebastelt. Mein erster Gedanke: Das geht absolut nicht, Julius, der im Essen nicht nur Nahrungsaufnahme sieht, sondern Lust, Sinnlichkeit, dem das Essen etwas Heiliges wie das Abendmahl ist und der die Völlerei wie aus Teufels Küche genießt – das mit dem Kunstmagen geht nicht zusammen. Wenn es ein Lymphom ist, sagt der Arzt, wird das zunächst mit Chemotherapie behandelt, der Magen wird später herausgenommen. Wir unwissenden Narren – hoffentlich ist es ein Lymphom, dann muss der Magen nicht operiert werden, sagen wir uns voll blinder Hoffnung.

Julius ist von der Trage aufgestanden. Wir fahren nach Hause, er besteht darauf, selbst Auto zu fahren. Eine schweigende Heimkehr, eine zeitenlose Zeitspanne, in der wie übereinander gelagerte Fotos Vergangenes, Gegenwärtiges, Erlebtes, Gefühltes, Versäumtes und Erhofftes zu einem einzigen neuen Bild zusammenschmelzen. Was geschieht an diesem Abend? Wie schauen wir in diesen Abgrund, dessen Boden nicht sichtbar, noch nicht einmal ahnbar ist?

Julius liegt auf dem Sofa und sieht fern, wie beruhigend normal, wie tröstlich banal. Elisabeth, eine enge Freundin, die jedes Jahr zu Ostern mit ihrem Mann zu uns aufs Land kommt, nur in diesem Jahr war sie nicht dort, ruft an: Wie war denn Ostern ohne uns, fragt sie. – Schlecht, sage ich. – Na klar, sagt sie, wir waren ja nicht da. – Nein, schlecht, Julius hat Krebs. Elisabeth weint am Telefon. Als ich Julius das erzähle, ist er ganz erstaunt – Elisabeth, die mit ihrem Mann lange Zeit zusammen mit Julius in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, weint …, das kann er nicht fassen. Ich frage ihn, ob er mit ihr sprechen möchte. Aber er will nicht.

„Nichts darf die Teilnahme am Osterritt verhindern, und gibt es in der Familie einen Trauerfall zu beklagen, dann trägt das Pferd eine schwarze Schleife am Schweif, der trauernde Hinterbliebene aber sitzt hoch zu Roß und reiht sich ein in den Zug der Reitenden wie all die Jahre zuvor. Novizen tragen bei ihrem ersten Ritt ein Myrtenkränzchen, die erfahrensten Prozessionsreiter dürfen sich mit einer weithin sichtbaren Plakette schmücken, die zeigt, wie oft sie schon am Osterritt teilgenommen haben.“

(Karl-Markus Gauß: Die sterbenden Europäer, Paul Zsolnay Verlag, 2001)

Wir sind dann wohl schlafen gegangen. Ich habe mich zu ihm gelegt, ihn umarmt, doch er wehrte ab, er bekomme keine Luft. Der Abstand schob sich unmerklich zwischen uns. Ich habe ihm ins Ohr geflüstert, dass ich ihn liebe und dass wir das alles schaffen werden. Nachts wieder diese Schmerzen, er bekam keine Luft, hat heftig aufstoßen müssen und ein paar Mal das Leiberl gewechselt, weil er so stark geschwitzt hat, dieses Nachtfieber seit einiger Zeit. Nachts ist er dann auf dem Bettrand gesessen, nachdem er lange warm und dann kalt geduscht hatte – das war seit einiger Zeit sein Hilfsmittel, damit er wieder schlafen kann –, gebeugt, schwer atmend, immer wieder aufstoßend saß er da, ging dann in die Küche, ich komme gleich, hat er gesagt. Aber er kam...

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