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E-Book

Eure Dummheit kotzt mich an

Wie Bullshit unser Land vergiftet

AutorRayk Anders
Verlagdtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783423430128
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Erst denken, dann posten »Ist das euer Ernst?«, kann man sich oft genug fragen, wenn man hört und liest, was das via Internet quasi  unbegrenzt und in Lichtgeschwindigkeit kommuniziert wird. Im Zeitalter der Informationsflut scheint es besonders attraktiv, so uninformiert wie möglich zu sein und das auch noch mit größtem Erregungsfaktor breitzutreten. Rayk Anders belässt es nicht bei der stillen Frage, sondern greift den kursierenden Unsinn auf und widerlegt ihn pointiert und gnadenlos.

Rayk Anders, Jahrgang 1987, ist freier Journalist in Berlin und wurde durch sein Web-Projekt >ARMES DEUTSCHLAND< einem breiten Publikum bekannt. Mit seinen Formaten will er vor allem junge Menschen für Politik begeistern. 2015 produzierte er für ZDFinfo die Sendung >Verschwörungstheorien - Leben im Wahn<, unter dem Titel »Headlinez« hatte er zudem eine eigene Show im SWR. 2018 erhielt er den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie »Web-Video« für den Dokumentarfilm >Lösch Dich: So organisiert ist der Hass im Netz<. 

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Leseprobe

ERNÄHRUNG


Dein Supermarkt belügt dich:


»Bio ist Betrug! Schmeckt genauso, kostet doppelt so viel! Die Bio-Abzocke mit unserem Essen!!«

Ich bin ein Comic-Fan. Ein großer Comic-Fan. Wenn man sich meine YouTube-Videos anschaut, die ich meistens in meinem Wohnzimmer drehe, erkennt man hinter mir oft ein proppenvolles Regal voller Batman-Hefte, Superman-Bücher und Spider-Man-Sammelbände. Meine halbe Wohnung besteht praktisch aus den Abenteuern fiktiver Figuren. Mit den Geschichten aus Gotham City und Metropolis habe ich als Kind lesen gelernt, und die heroischen Comic-Charaktere haben mich nie so ganz losgelassen. Noch heute besorge ich mir regelmäßig die neuesten Hefte meiner Lieblingshelden und stürme bei jeder neuen Hollywood-Verfilmung in der Premierenwoche das Kino.

Doch diese Begeisterung ist nichts gegen den fast schon religiösen Eifer, mit dem ich in jüngeren Jahren meiner Comic-Leidenschaft frönte: Als kleiner Junge habe ich mich geweigert, Rosinen zu essen – weil Garfield sie in seinen Comics immer ausgespuckt hat. Und bis Mitte zwanzig habe ich keine Sardellen gegessen, weil die Turtles in ihrer Trickserie keine Sardellen auf der Pizza mochten. Einfach aus Prinzip. So viel zu meiner Tendenz zu kulinarischen Vorurteilen und der Hartnäckigkeit, mit der ich sie verfolge.

Wenn es also jemanden gibt, der für eine Ablehnung gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln ohne jede Berücksichtigung von Fakten Verständnis zeigen dürfte, dann ich. Womit wir auch schon mitten im Thema wären: Bio-Skeptiker. Menschen, die sich von ihrem Supermarkt über den Tisch gezogen fühlen, weil der Bio-Joghurt zehn Cent mehr kostet, aber genauso schmeckt wie der »normale«. SKANDAL.

Diese Leute sitzen einem großen Irrglauben auf. Sie erwarten, dass der höhere Preis für Bio-Produkte mit einem gesteigerten Genuss-Erlebnis einhergehen müsste. Wenn sie voller Vorfreude einen Topf Bio-Kartoffeln kochen und danach entrüstet feststellen, dass sie kaum einen Unterschied zu den herkömmlichen Kartoffeln schmecken können, platzt den geneigten Kartoffel-Experten der Kragen. Ihr Supermarkt hat sie hinters Licht geführt! Die Bauern lachen sich ins Fäustchen! Die große Bio-Verschwörung will uns alle ausnehmen und verarschen!

An genau diese Spezialisten, die sich beschweren, dass »Bio« genauso schmeckt wie »normal«: Das ist ja der Gag. Dass man auf Chemikalien und Zusätze verzichten kann und das Essen trotzdem genießbar ist.

Klar: Es gibt immer Leute, die entweder sagen: »Also ich esse ja nuuur Bio, den Unterschied schmeckt man einfach!«, oder Leute, die meinen, »igitt, das schmeckt ja nach gar nix«. Aber abgesehen davon, dass Geschmäcker verschieden sind, verfehlen beide Aussagen den Punkt. Der Sinn von Bio ist nicht, »besser« zu schmecken. Der Sinn ist, uns im Supermarkt eine Wahl zu ermöglichen über die Art und Weise, unter welchen Bedingungen unser Essen produziert werden soll – und was man dem eigenen Körper zumuten möchte oder nicht.

Vergessen wir nicht, was Essen letztlich bedeutet. Wir schieben uns etwas in unseren Körper rein. Zum Beispiel Wurst. Man sollte sich da keine Illusionen machen. Weder in der herkömmlichen noch in der Bio-Variante ist die Wurst an sich ein besonders erhabenes Produkt.4 In die übliche 08/15-Wurst stecken Fleischer so ziemlich alles, was sonst nicht wirklich verwertbar ist. Fett, Lippen, Geschlechtsteile, Nasen, was halt so wegmuss. Um es abzukürzen, kann man sagen, wir essen Schweinearsch. Mjam, mjam, mjam. Mein Punkt ist, ein Produkt ist nicht automatisch schöner, toller, edler, nur weil ein Bio-Siegel draufklebt. Doch durch Bio-Produkte erweitert sich unsere Freiheit in der Auswahl entscheidend. Wenn ich beim Einkauf an der Wursttheke feststelle, dass ich mal wieder Hunger auf Schweinearsch habe, kann ich durch die Option einer Bio-Wurst die Wahl treffen, ob ich die geschredderten Geschlechtsteile nicht doch zumindest ohne Konservierungsstoffe wie Natriumnitrit haben möchte, das für Menschen bereits ab einer Menge von nur einem halben Gramm akut giftig ist. Nehmen unsere Geschmacksnerven den Unterschied auf zwischen einer Wurst mit oder ohne Zusatzstoffe? Nein. Muss der Rest unseres Körpers trotzdem damit klarkommen? Verdammt, ja. Deshalb geht es bei Bio nicht darum, ob es »besser« schmeckt. Es geht um etwas viel Wichtigeres. Um den Mist, den man nicht schmeckt.

Lassen wir zum Spaß einfach mal alle Stoffe außen vor, die in verarbeitete Lebensmittel reingepanscht werden, um das Essen irgendwie, nun ja, essbar zu machen. Vergessen wir also die ganze Bibliothek an E-Nummern5, die eurer Mikrowellen-Currywurst aus der Plastikschale ihr gehaltvolles Aroma beschert. Beginnen wir stattdessen dort, wo unser Essen seinen Ursprung hat: auf dem Acker.

Allen wissenschaftlichen Durchbrüchen der Agrarindustrie zum Trotz (Gentechnik, Superdünger etc.), hat die Lebensmittelbranche nach wie vor ein relativ simples Problem: Das verdammte Essen muss irgendwo herkommen. Auch nach Jahrzehnten der industriellen Landwirtschaft muss man immer noch die Erde pflügen, Samen säen und Wasser draufkippen. Dass man es heutzutage, zumindest in der ersten Welt, mit GPS-gesteuerten Maschinen statt von Hand macht, ist für die Bauern sicher praktisch, ändert aber wenig am grundsätzlichen Prinzip. Und somit können wir unser Essen immer noch nicht im Labor aus dem Nichts hervorzaubern, sondern müssen uns weiterhin mit der nervigen Natur rumplagen. Das bedeutet, dass wir uns auch mit Schädlingen wie Käfern, Pilzen, Würmern usw. auseinandersetzen müssen, die unserem schönen Gemüse auf dem Acker an die Wurzel wollen. Um sich die ungebetenen Gäste vom Hals zu halten, ist man irgendwann auf die Idee gekommen, spezielle Gifte zusammenzumischen und die Felder flächendeckend damit einzusprühen. Damit die blöden Käfer nicht mehr in die Äpfel, sondern ins Gras beißen. Boom, die Ära der Pestizide war geboren. Und wir haben sie seitdem nicht mehr verlassen.

Pestizide oder, industriefreundlicher formuliert, »Pflanzenschutzmittel« sind eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits steigern sie die Erträge und sorgen dafür, dass Bauern höhere Gewinne machen und unsere Regale im Supermarkt auch bis Ladenschluss angenehm gefüllt sind. Andererseits gelten sie als extrem umweltschädlich, und eure Mutter hat euch immer angemault, dass ihr das Obst gefälligst waschen sollt, bevor ihr es esst.6 Pestizide haben grundsätzlich keinen besonders guten Ruf. Bei Verfechtern des ökologischen Landbaus schon gar nicht. Sie sollen krank machen, die Umwelt verschmutzen, und überhaupt werde immer viel zu viel davon benutzt. Aber selbst wenn ein überzeugter Bio-Fan ohne jedes Fachwissen aus reiner Flapsigkeit meckern würde: »In konventionell angebautem Gemüse sind im Vergleich zu Bio-Gemüse 100 Mal mehr Pestizide drin!«, würde er noch untertreiben. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA) gab 2012 bekannt, dass sie nach zehn Jahren Überwachung und Tausenden Produkttests etwas Faszinierendes festgestellt haben: Dass »normale« Lebensmittel im Vergleich zu Bio-Produkten nicht nur doppelt oder vielleicht zehnfach so sehr mit Pestiziden verunreinigt waren – sondern atemberaubende 180 Mal stärker mit Pestiziden belastet sind.

Und das ist nur das Zeug, das noch am Essen klebt! Eine ganz andere Hausnummer ist da noch mal die Menge an Giften, die sich gar nicht erst auf den weiten Weg in den Supermarkt macht (und somit letztendlich in euren Körper), sondern stattdessen ganz gemütlich auf dem Acker in unsere Böden sickert. Um die Ernten hoch zu halten, werden jedes Jahr 40 000 Tonnen Pestizide auf deutsche Felder gesprüht. Gifte, die sich jahrelang im Erdreich und Grundwasser ansammeln, untereinander zu abenteuerlichen Cocktails vermischen und langfristig ganze Ökosysteme zum Kollabieren bringen können. Darüber kann der gemeine Bio-Skeptiker natürlich zunächst nur müde lächeln. Ökosystem-Schmökosystem! Wen interessiert’s schon, abgesehen von ein paar Greenpeace-Hippies, wenn irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern ein paar Bienen vom Strauch fallen? Selber schuld! Wer es wagt, den deutschen Bauern fortschrittsfeindlich in die Quere zu brummen, bekommt ’nen Insektizid-Einlauf in seinen schwarz-gelben Honighintern! Schland, fuck yeah!

Das ist die eine Perspektive. Angesichts ganzjährig übervoller Obst-Regale mit in Plastik eingeschweißter Massenware kann es einem vorkommen, als ob das reale Feld, von dem das Essen stammt, verdammt weit weg sei. Doch unsere Anbauflächen werden derart mit toxischen Substanzen überflutet, dass keine halbherzige EU-Richtlinie und kein symbolischer Grenzwert die Soße noch fernhalten kann. Die Chemikalien sind längst in uns angekommen. Bei einer europaweiten stichprobenartigen Untersuchung wurde im Jahr 2013 nachgewiesen, dass 70 % aller deutschen Studienteilnehmer den Unkrautvernichter Glyphosat im Urin hatten.7 Die Gifte der Agrarindustrie sind im wahrsten Sinne des Wortes ein Teil von uns geworden.

Glyphosat ist ein künstliches Gift, das in zahlreichen Mischungen von großen Chemie-Konzernen wie Monsanto, Bayer oder BASF an Landwirte verkauft wird, damit sie ihre Erträge steigern können. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schädigt es das Erbgut und wurde im Sommer 2015 nach der Auswertung von über 200 Studien als »wahrscheinlich krebserregend« eingestuft. In Deutschland wird es auf fast der Hälfte aller Ackerflächen verwendet. Das Mittel tötet zuverlässig Schädlinge, Nützlinge, Pilze, Unkraut; kurz gesagt, alles außer der gewünschten Nutzpflanze....

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