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E-Book

Finanzkapitalismus

Kapital und Christentum (Band 2)

AutorEugen Drewermann
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl408 Seiten
ISBN9783843608374
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Mit der Trilogie 'Kapital & Christentum' bietet Eugen Drewermann eine umfassende Analyse der Entstehung und der Wirksamkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems. In Band 2 klärt E. Drewermann die Frage, was Menschen mit Geld machen - und was das Geld mit Menschen macht. Was überhaupt ist das: Geld? Und wie wird es zu Kapital? Was treiben die Banken? Wie wirkt der Zins? Welche Rolle spielen Finanzspekulationen? - Was bringt uns dazu, Gewinnsucht und Geldgier als eine unternehmerische Tugend zu betrachten und Geld und Gelderwerb in den Mittelpunkt unseres Lebens zu rücken? Die von der Realwirtschaft abgekoppelte Finanzwirtschaft bewirkt wachsende Ungerechtigkeit, spaltet zwischen Arm und Reich, erhält sich durch Gewalt. Erst wenn wir verstehen, wie das kapitalistische Wirtschaftssystem funktioniert, zeichnet sich ab, wie wir uns aus dem Tanz ums Goldene Kalb befreien können.

Dr. Eugen Drewermann, geb. 1940, ist Theologe, Psychoanalytiker und Schriftsteller mit internationaler Reichweite. Zu seinen Hauptwerken gehören das siebenteilige theologische Grundlagenwerk 'Glauben in Freiheit' sowie die Kommentierung der vier Evangelien des Neuen Testaments. Tiefenpsychologisch und religionsphilosophisch deutet er biblische Texte, Mythen und Märchen. Der gefragte Referent nimmt auch Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen.

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Leseprobe

Rückschau und Vorschau


Noch haben wir in »Geld, Gesellschaft und Gewalt, Band 1« den Kapitalismus kaum erst zur Hälfte, allein in seinem unternehmerisch-ökonomischen Teil, kennengelernt, da zeichnet sich doch schon ein einigermaßen klar konturiertes Umrißbild ab.

Als erstes: es gilt das »Gesetz« des »freien« Marktes, – alle Unternehmer der gleichen Branche stehen in Konkurrenz untereinander; jeder von ihnen kann machen, was er will, doch er darf – bei Strafe des Untergangs – nur tun, was ihm gegenüber seinen Mitbewerbern wirtschaftlichen Vorteil bringt. Daraus ergibt sich zum zweiten, daß als oberstes Ziel all seiner Aktivitäten die Maximierung des Gewinns zu erachten ist; alle persönlichen Motive und Rücksichtnahmen haben dahinter zurückzutreten, – sie sind nur, wenn verträglich mit dieser obersten Zielsetzung, zugelassen. Der Unternehmer ist zum dritten Eigner der Produktionsmittel; als Feudalherr war er einmal Besitzer des Bodens, jetzt, als Industriekapitalist, verfügt er über die nötigen Maschinen, Werkshallen und Vertriebssysteme; freilich, je komplizierter die Unternehmensstruktur und je ehrgeiziger in den Größenordnungen die Planung gerät, desto mehr wächst auch die Abhängigkeit von den Geldmitteln der Kreditgeber: der Banken und der Aktionäre.

Ein Hauptthema dieses zweiten Bandes wird eben deshalb der Frage gewidmet sein: was eigentlich ist Geld und wie wird aus ihm Kapital? Hier schon läßt sich allerdings sagen, daß der Unternehmer, als Konzern- oder als Firmenchef, nicht allein unfrei auf dem »freien« Markt agiert infolge des »Gesetzes« wechselseitiger Vernichtungskonkurrenz, sondern daß er zugleich abhängig ist von seinen Investoren: sie interessieren sich, ganz wie er selber, allein an den Gewinnausschüttungen, am Shareholder Value (am Vermögenswert der Anteilseigner), und dieses ihnen zu verschaffen ist sein Handlungsauftrag, seine Verpflichtung, seine »moralische« »Verantwortung« (alle Begriffe der bürgerlichen Welt müssen bei der Kennzeichnung der Kapitalismus in Anführungsstriche gesetzt werden, – sie meinen nicht mehr, was sie zu bedeuten scheinen, sie sind nur noch die Surrogate einer Umlenkung menschlichen Anstands).

Dafür, zum vierten, herrscht der Glaube (um einen solchen geht es, wie in einer Religion), die »unsichtbare Hand«, jenes »Gesetz« des »freien« Marktes, werde von alleine alles richten: staatliche Eingriffe könnten da nur störend sein; der Markt selber sei »sozial«: indem ein jeder seinem Vorteil nachgehe, wirke sich’s rein rechnerisch zum Vorteil aller aus; wachsende Umsätze, steigender Handel, höhere Rendite vermehrten automatisch den Wohlstand aller Marktteilnehmer, der Produzenten wie der Konsumenten. – Jede »unternehmensbasierte« Wirtschaftstheorie (und Politik) wird dieses Credo propagieren. Und hat sie nicht recht?

Die Dynamik, mit welcher der Industriekapitalismus die Welt verändert hat, ist enorm. Noch um 1800 lebten in Deutschland kaum 10 % der Bevölkerung in Gemeinden mit mehr als 5 000 Einwohnern1; dann ballten sich immer größere Arbeitermassen rund um die Fabriken zusammen. Die Grundversorgung wurde gewährleistet, die Mangelwirtschaft durch Massenproduktion überwunden. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg: 1870 lag sie noch bei etwa 37 Jahren, um 1900 bereits um 10 Jahre höher2; bei einem um 1930 Geborenen lag sie bei 61 Jahren3, bei einem Mädchen, das 2004 zur Welt gekommen ist, hat sie sich auf 82 Jahre erhöht, bei einem Jungen auf 76 Jahre4. Der Feudalismus wurde hinweggefegt; der Unternehmer trat an die Stelle des Feudalherren; die Bauernbefreiung schaffte die Voraussetzungen zur Bildung der Reservearmeen des Industrieproletariats; die Gewerbefreiheit erzwang selbst in Preußen 1834 die Einrichtung des Deutschen Zollvereins zur Erleichterung des Handels und Warentransports in den damals noch 36 verschiedenen Hoheitsgebieten in deutschen Landen. Eisenbahnen verbanden Fabriken, Städte und Häfen; Kohle- und Stahlproduktion wurden zu Trägern des industriellen Fortschritts. Die Entwicklung der Chemie erlaubte die Herstellung verbesserter Medikamente, die Elektrotechnik ermöglichte den Telegraphen, den Elektromotor, die Beleuchtung von Stuben, Städten und Werkshallen: der 24-Stunden-Tag wurde zum Gesetz der Arbeitszeit. Dieselmotoren eroberten die Straßen …

Die Aufzählung der Errungenschaften des kapitalistischen Wirtschaftssystems fällt selbst in solch knappen Andeutungen höchst beeindruckend aus, – das läßt sich nicht leugnen. Doch etwas in diesem System ist monströs falsch: es ist nicht, wie ADAM SMITH glaubte und FRIEDRICH AUGUST von HAYEK dozierte, »sozial«; im Gegenteil: es lebt von der Schaffung permanenten Unrechts und wachsender Ungerechtigkeit; es spaltet, je länger, je mehr, zwischen Arm und Reich; es stützt sich auf Gewalt und erhält sich durch Gewalt. Das Sklavenhaltertum des Feudalismus setzte sich fort in der Lohnsklaverei des Industriearbeiters, der zudem noch zum Sklaven der Maschine wurde, mit einer Arbeitszeit ursprünglich von bis zu 90 Wochenstunden, – noch um 1900 waren es durchschnittlich 58 Stunden5; die hygienischen Bedingungen waren katastrophal, die Kindersterblichkeit hoch. Gleichwohl wuchs auch unter diesen Umständen die Bevölkerung: Lebten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches um 1850 nur 35 Mio Menschen, so waren es 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 67 Mio.6 Renten- und Krankenversicherungen wurden 1883 unter Bismarck eingeführt. Erkennen läßt sich: »Nicht mehr Kaiser, Könige und Grundherren stehen im Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, sondern das Besitzbürgertum und die Arbeitermassen.«7 »In Preußen explodiert die Zahl der Maschinen von einigen Hundert in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts auf fast 30 000 im Jahr 1875. – … Am Vorabend des Ersten Weltkriegs haben allein die Eisenbahnen des Deutschen Reiches Zehntausende Lokomotiven unter Dampf. Sie rollen auf mehr als 60 000 Kilometer Schienen, für die Dämme aufgeschüttet und Tunnel gebohrt werden – erstmals passt der Mensch sich nicht der Natur an, sondern formt sie nach seinen Bedürfnissen.«8

Doch gerade in diesem neu erwachten Stolz liegt, noch unbemerkt in den Anfangstagen der Volkswirtschaftslehre, ein unlösbares Kernproblem der kapitalistischen Ökonomie: Die außerordentliche Dynamik, mit welcher der Kapitalismus alle Marktteilnehmer unter Druck setzt, ist identisch mit der Forderung nach ständigem Wachstum. Wachstum ist das fünfte Kennzeichen dieser Art zu wirtschaften; – nur wenn er wächst, kann sich der Kapitalismus am Leben erhalten, – JOSEPH SCHUMPETERs »kreative Zerstörung« ist sein Wesen. Doch etwas hat sich geändert. Bisher ergab sich der Furor quantitativer Selbstausdehnung und qualitativer Veränderungen aus den Konkurrenzbedingungen der Produktion: nur die Größten, Stärksten und Schnellsten können in diesem sozialdarwinistischen struggle for life überleben; fortan sind das die Reichsten. Wir werden noch sehen, wie vor allem die Abhängigkeit des kapitalistischen Unternehmers von seinen Geldgebern eine ganz eigene Antriebsdynamik entfaltet. Bisher mochte es genügen, in die Produktionskosten den Preis für Rohstoffe und Arbeitslöhne einzurechnen, ab sofort aber werden auch die Zinsen bei der Rückzahlung fälliger Kredite hinzukommen. Eine Wirtschaftsform indes, die ständig expandieren muß, kann nie zur Ruhe kommen; sie ist strukturell außerstande, ein Gleichgewicht von Mensch und Natur herzustellen; vielmehr besteht sie wesentlich in einer immer effizienteren Ausbeutung der Natur. Und mit ihren »Segnungen« wächst immer noch die Menschheit, – am Jahreswechsel 2016/17 steht sie bei fast 7,5 Mrd. Und sie muß wachsen: die Produzenten brauchen ihre Konsumenten; immer mehr Waren – immer mehr Menschen. Jeder weiß: so kann es nicht weitergehen. Die Natur ist nicht unendlich, doch so soll es weitergehen.

Bereits 1946 verordnete in den USA ein eigenes Gesetz, daß die Regierung für »maximale Beschäftigung, Produktion und Kaufkraft« sorgen müsse9. Diese drei Ziele: Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Preisstabilität (Inflationsbekämpfung), lassen sich (als das »magische Dreieck« der Volkswirtschaftslehre) nur um den Ausschluß des jeweils Dritten verwirklichen. – Die DDR zum Beispiel garantierte über viele Jahre hin Vollbeschäftigung und stabile Preise, doch ihr Wirtschaftswachstum lahmte. 1958 demon­strierte der Statistiker ALBAN PHILLIPS, daß ein linearer Zusammenhang besteht zwischen Arbeitslosigkeit und geringer Lohnentwicklung (also niedriger Inflationsrate); umgekehrt läßt sich eine steigende Inflationsrate mit einer sinkenden Zahl von Arbeitslosen verbinden, – Preisstabilität oder Vollbeschäftigung, dazwischen scheint man wählen zu müssen. So erklärt sich der damals heftig kritisierte Satz von Kanzler Helmut Schmidt in den 70er Jahren, ihm seien 5 % Inflation lieber als 5 % Arbeitslosigkeit, – natürlich warf man ihm vor, er werde beides bekommen, wenn er den Wirtschaftsmotor drossele; Inflation sei Diebstahl, eine Sünde gegen das 7. Gebot, wetterte seinerzeit der katholische Episkopat der BRD-West, um die C-Parteien zu unterstützen....

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