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Frauen sind anders krank. Männer auch.

Warum wir eine geschlechtsspezifische Medizin brauchen

AutorMarek Glezerman
VerlagMosaik bei Goldmann
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641216894
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Forschung, Diagnose, Behandlung - auf nahezu allen medizinischen Gebieten wird oft nur vom Mann ausgegangen. Prof. Dr. Marek Glezerman, einer der weltweit renommiertesten Forscher zum Thema geschlechtsspezifische Medizin, hat ein leicht verständliches und hochspannendes Buch geschrieben, das unmissverständlich klarstellt: Wir müssen ganz dringend umdenken, wenn wir eine wirksamere Medizin haben wollen, die das Wohl der Patienten tatsächlich in den Mittelpunkt stellt.

Prof. Dr. Marek Glezerman ist Professor emeritus für Geburtsheilkunde und Gynäkologie, Fachbereichsleiter für Gender Medizin an der Universität Tel Aviv, Direktor des Forschungszentrums für Geschlechtsspezifische Medizin am Rabin Medical Center und Gründungspräsident der Israelischen Gesellschaft für Gender und Geschlechtsbewusste Medizin. Er war bis 2017 Präsident der International Society for Gender Medicine. Prof. Dr. Marek Glezerman hat an den Universitäten von Frankfurt und Paris studiert und lebt heute in Tel Aviv.

Amos Oz, der Verfasser des Vorworts, ist der wohl weltweit bekannteste israelische Schriftsteller, dessen über 30 Werke in 42 Sprachen übersetzt wurden.

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Leseprobe

EINLEITUNG
Was ist Gendermedizin?

Im Laufe der sechs Millionen Jahre währenden menschlichen Evolution übernahmen Männer und Frauen unterschiedliche Aufgaben, um das Überleben der eigenen Art zu sichern. Neben einigen anderen Gründen haben sich aufgrund der Spezialisierung der Männer auf Jagd und Kampf sowie der Spezialisierung der Frauen auf Sammeln und die Versorgung von Angehörigen bei den Funktionsweisen der Körpersysteme von Mann und Frau bestimmte genetische Unterschiede herausgebildet.

Trotz der Tatsache, dass uns die speziellen gender- und geschlechtsbezüglichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen zunehmend bewusst werden, verharrt die Medizin in der Praxis bis heute stur in der Vergangenheit. Wir lesen regelmäßig von Untersuchungen, denen zufolge Frauen – beispielsweise bei einem Herzinfarkt – ganz andere Symptome entwickeln als Männer, und dass die Unkenntnis solcher Unterschiede eine erhöhte Sterblichkeit und schlechtere Behandlung nach sich zieht. Es ist an der Zeit, die Medizin mit unserem neuen Verständnis für gender- und geschlechtstypische Unterschiede ins 21. Jahrhundert zu führen, und mit diesem Buch möchte ich Gespräche anregen, wie wir dies erreichen können. Vor einer Weile wurde ich um Rat gebeten. Es ging um eine junge Frau, bei der aufgrund wiederholter epileptischer Anfälle immer wieder Veränderungen der Medikation erforderlich waren. Es stellte sich heraus, dass ihre Anfälle häufiger und schwerer auftraten, wenn sie in der zweiten Zyklushälfte war. Zu diesem Zeitpunkt wird unter anderem verstärkt Progesteron ausgeschüttet, ein Hormon, das Mittel gegen Epilepsie in gewissem Maße neutralisieren kann. Die angemessene Behandlung für diese Frau lag also nicht in einer Umstellung der Medikamente, sondern in einer Dosiserhöhung während dieses speziellen Zeitfensters. Ihr Neurologe akzeptierte diesen Vorschlag, und das Problem war gelöst. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie das Verständnis für die physiologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau einen Behandlungsansatz erfolgreich beeinflussen kann.

Die menschliche Entwicklung

Aus kosmischer Sicht entspricht die Geschichte der Menschheit eher dem Bruchteil einer Sekunde. Dennoch hat sich unsere genetische Ausprägung über Millionen Jahre hinweg entwickelt. Begonnen hat alles vor etwa vier bis sechs Millionen Jahren. Es vergingen zwei Millionen Jahre, bis unsere Vorfahren lernten, Werkzeuge zu verwenden. Nach einer weiteren Million Jahre stellten wir uns auf die Hinterbeine und wurden zum Homo erectus – dem aufrecht gehenden Menschen. Eine Million Jahre darauf tauchten die ersten Neandertaler auf, und vor etwa 100000 Jahren schließlich unsere heutige Spezies, der Homo sapiens (»der weise Mensch«).

Im Gegensatz zu dieser langen genetischen Entwicklung spielte sich die uns bekannte kulturelle Entwicklung des Menschen – die Bibel, die ägyptischen Pyramiden, Philosophie, Mathematik, Medizin, Landwirtschaft und dergleichen – erst in den letzten 5000 bis 10000 Jahren ab. Erst vor 25 Generationen lernten wir, den Kompass so zu nutzen, dass wir damit Meere und ganze Ozeane überqueren konnten, und erst vor 20 Generationen entstand die mechanische Uhr, mit deren Hilfe wir die Zeit messen und in genaue Einheiten unterteilen können. In (relativ) rascher Abfolge erfanden wir das Mikroskop, die Druckerpresse, die Dampfmaschine und das Automobil. Hinzu kamen die revolutionären Entwicklungen, die Menschen in den letzten 80 Jahren – nur zwei Generationen – zustande gebracht haben: Die Entdeckung des Penizillins und des Insulins, die Millionen Menschen das Leben gerettet haben, bemerkenswerte Entdeckungen auf Gebieten wie Landwirtschaft, Bauwesen, Mechanik, Optik, Transportwesen, Luftverkehr und der Erforschung des Universums, aber auch die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen. Und was ist mit der jüngsten Generation? Parallel zu derselben exponentiellen Kurve an Erfindungen und Innovationen haben wir Instrumente entwickelt, dank derer unsere Welt kaum noch wiederzuerkennen ist: PC, Internet, Smartphone und soziale Netzwerke, all dies entstand innerhalb von nur einer Generation und hat insgesamt eine völlig neue Umgebung geschaffen, die sich enorm von der unserer technisch weniger fortgeschrittenen Vorfahren unterscheidet.

Was können wir daraus lernen?

Zunächst einmal verlief die Entwicklung des Menschen die meiste Zeit langsam und über lange Zeiträume linear. Wenn die Lebensbedingungen und insbesondere das Klima auf unserem Planeten sich im Verlauf der Jahrmillionen änderten, passten unsere Vorfahren sich an. Wärmeperioden und Eiszeiten haben sich auf der Erde mehrfach abgewechselt, und diese Veränderungen führten zum Verschwinden bestimmter prähistorischer Ausprägungen des Menschen. Gleichzeitig tauchten andere Spezies auf und konnten sich ausbreiten. Menschen lernten, auf zwei Beinen zu stehen, entdeckten den Gebrauch des Feuers, zähmten Tiere und erfanden den Ackerbau. All diese Ereignisse spielten sich über einen größeren Zeitrahmen hinweg ab und haben letztlich unsere Fähigkeiten, mit unserer jeweiligen Umwelt fertigzuwerden, verbessert und erhebliche biologische Veränderungen forciert.

Kultur, Technik und der menschliche Körper

Während unsere Biologie auf eine lange Geschichte zurückblickt, haben die meisten massiven Veränderungen unsere Lebensweise erst in den letzten 100 bis 150 Generationen stattgefunden, also in den letzten Jahrtausenden. In dieser Phase nahm die Menschheitsentwicklung deutlich an Fahrt auf, wie Ray Kurzweil es in seiner Pionierarbeit »Menschheit 2.0«1 darlegt. Darin erklärt Kurzweil, wie die menschliche Biologie, die bis vor kurzem sehr langsam fortgeschritten ist, erzwungenermaßen mit dem schwindelerregenden Tempo der technischen Entwicklungen fertigwerden muss, die um uns herum ablaufen. Diese Beschleunigung betrifft alle Bereiche unseres Lebens, ganz besonders aber die Gesundheit. Während wir immer fortschrittlichere Techniken zur Krankheitsbehandlung und zur Erweiterung unserer begrenzten menschlichen Fähigkeiten entwickeln, geht das kollektive Wissen über die lange Geschichte des menschlichen Körpers verloren – und damit einer der grundlegenden Faktoren zur Funktionsweise unserer Körper.

Im Verlauf unserer Existenz hatte unsere Spezies ausreichend Zeit, sich an ihre Umgebung anzupassen. So haben wir Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten entwickelt, die angesichts natürlicher Gefahren das Überleben und Fortbestehen der Art sichern konnten. Laut Darwin hatten diejenigen, die sich am besten an ihre Umwelt anpassten, am lernfähigsten waren und passende Fähigkeiten entwickeln und an ihren Nachwuchs weitergeben konnten, bessere Überlebenschancen als diejenigen, die dies nicht vermochten. Mit der Zeit wurden solche Vorteile damit Teil unserer genetischen Struktur, die an spätere Generationen weitervererbt wurden.

Das bedeutet wiederum, dass unsere Körper allem modernen Schnickschnack zum Trotz bestimmte Verhaltensweisen unserer Ahnen verinnerlicht haben. Um unsere Biologie zu verstehen, müssen wir uns zunächst vor Augen halten, wie unsere frühen Vorfahren gelebt haben (schon vor zwei Millionen Jahren in Höhlen) und wie ihr damaliges Verhalten noch heute unsere Gesundheit beeinflusst. Genaue Aufzeichnungen aus der Zeit des prähistorischen Höhlenmenschen fehlen natürlich, sodass wir uns auf Hypothesen, Mutmaßungen und spärlich gesäte Beweise verlassen müssen. Es gibt jedoch starken Grund zu der Annahme, dass die soziale Rollenverteilung – die im Laufe der menschlichen Entwicklung bemerkenswert statisch blieb – zu signifikanten äußerlichen und physiologischen Unterschieden zwischen beiden Geschlechtern geführt hat. Dieser Unterschied, der in der Medizin gegenwärtig kaum beachtet wird, bildet die Grundlage für die moderne gender- und geschlechtsspezifische Medizin.

Geschlechterrollen

Wir dürfen davon ausgehen, dass das Bedürfnis nach einer Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in erster Linie mit der Fortpflanzung und der unterstützenden Sozialstruktur zu tun hatte. Das Wichtigste dabei war der Instinkt, Kinder zu bekommen und großzuziehen, um das Fortbestehen der eigenen Art zu sichern. Die Frauen, die Kinder zur Welt brachten, stillten und aufzogen, waren naturgemäß stärker an die Höhle oder später ihren dauerhaften Wohnsitz gebunden. Während und nach der Schwangerschaft waren sie besonders verwundbar und schutzbedürftig. Ihre Hauptaufgabe bestand somit darin, eine Schwangerschaft gefahrlos zu überstehen, Kinder aufzuziehen, das »Nest« zu versorgen und durch das Sammeln von Nahrung rund um den Wohnplatz ihren Anteil zur allgemeinen Wirtschaftsform beizusteuern. Den Männern kam die Aufgabe zu, die Gruppe zu beschützen und über das Erjagen von Wild proteinreiche Nahrung zu beschaffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben waren im männlichen und im weiblichen Körper unterschiedliche Entwicklungen erforderlich, die zu körperlichen Merkmalen geführt haben, die auch beim modernen Menschen noch vorliegen. Besonders auffällig ist dabei die Körpergröße. Männer sind durchschnittlich acht bis zehn Prozent größer als Frauen und haben rund 20 bis 30 Prozent mehr Muskelmasse.

Dass Männer größer, breiter und stärker sind, ist ein Vorteil, der heute überflüssig erscheinen mag, zumal sich unsere Sozialstruktur seit prähistorischen Zeiten erheblich verändert hat. Man könnte sogar das Gegenteil behaupten: Manche Merkmale des körperlich überlegenen Mannes sind für die Gesellschaft heute eher hinderlich als förderlich. Die höhere Aggressivität des Mannes (aufgrund seiner Hormonlage und seiner Körperkraft) ist eine der...

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