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E-Book

Frauenknast

Welt mit eigenen Regeln - Ein Gefängnisarzt packt aus

AutorKarlheinz Keppler
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641139674
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Raue Sitten, starke Gefühle, bewegende Schicksale - hautnah erzählt
Kriminell sind Frauen auch - aber anders. Warum sie in Haft kommen und wie es im Frauenknast zugeht, darüber wissen wir so gut wie nichts. Einer, der es weiß, ist Karlheinz Keppler. Er erlebt den Alltag der Insassinnen hautnah, er kennt ihre Verbrechen ebenso wie ihre Sorgen. Seit über 20 Jahren arbeitet er als Arzt in einer der größten Frauenhaftanstalten Deutschlands. Er ist Vertrauensperson und Verbündeter, manchmal aber auch Gegner. Zum ersten Mal erzählt er, wie es auf der anderen Seite der Mauern wirklich zugeht - realistisch, spannend, schonungslos.

»Sieh mich nicht an! Guck nach unten!«, herrscht eine altgediente Gefangene das »Frischfleisch« (den Neuzugang) an, um gleich mal klarzumachen, wer hier das Sagen hat. - Beim Telefonat mit ihrem Mann hat eine andere erfahren, dass ihr kleines Kind 40 Grad Fieber hat. Jetzt wälzt sie sich schlaflos in ihrer Zelle. Der Mann ist ein Säufer. Und sie kann nichts tun. Auch Frauenknast ist Knast. Doch Frauenknast und Männerknast sind zwei völlig verschiedene Welten. Die Delikte sind andere, der Drogenkonsum ist höher, die Beziehungen untereinander emotionaler. Es wird mehr gelacht, aber auch mehr gezickt und gemobbt. Karlheinz Keppler erzählt von menschlichen Abgründen, Aggressionen und Affären - ganz aus der Nähe, aber nicht voyeuristisch, in aller Drastik, aber immer mit Empathie für die Frauen.

Dr. Karlheinz Keppler, M.A., Jahrgang 1951, ist einer der bekanntesten Gefängnisärzte Deutschlands und seit mehr als 20 Jahren in einem großen Frauengefängnis tätig. Für die Insassinnen ist er nicht nur Arzt, sondern häufig auch der erste Ansprechpartner bei Drogenproblemen, untereinander verübten Übergriffen, existenziellen Ängsten und emotionalen Dramen. Er ist verheiratet und lebt in Lohne, Niedersachsen.

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Leseprobe

2   Eingeflogen

Selten klicken sofort nach dem Urteil noch im Gerichtssaal die Handschellen. Nur wenn Gefahr von der Verurteilten ausgeht, eine Wiederholung der Straftat droht, Fluchtgefahr besteht oder wenn eine lange Strafe verhängt wurde, führt der Weg aus dem Gerichtssaal direkt ins Gefängnis. Die allermeisten Frauen können erst einmal nach Hause gehen und ihre Angelegenheiten regeln. Zum Strafantritt werden sie geladen und müssen sich dann zum entsprechenden Termin mit Ladung und Lichtbildausweis (!) an der Gefängnispforte melden. Tun sie das »freiwillig« – wobei wohl kaum jemand wirklich freiwillig ins Gefängnis geht, sieht man von den Obdachlosen ab, die in der kalten Jahreszeit Diebstähle begehen, um auf Staatskosten im warmen Knast zu überwintern –, stellen sie sich sozusagen selbst. Das kann für den Verlauf der Haft Vorteile haben. Eine »Selbststellerin« bekommt unter Umständen früher Lockerungen, darf früher in den offenen Vollzug oder hat größere Chancen, schon nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftstrafe entlassen zu werden.

»Unfreiwillig« dagegen bedeutet Verhaftung durch die Polizei – entweder weil bereits ein Haftbefehl vorlag und vollstreckt wurde oder weil die Betreffende auf frischer Tat ertappt und vorläufig festgenommen wurde. Mit einem daraufhin von einem Richter ausgestellten Haftbefehl wird sie dann als Untersuchungshäftling ins Gefängnis gebracht.

Gerade im Frauenvollzug wird die Gefängnispforte oft unter tränenreicher Einbindung der gesamten Familie durchschritten. Selbststellerinnen, die noch nie in Haft waren, erkennt man sofort: Vorsichtig und zurückhaltend, fast misstrauisch nähern sie sich dem Tor, schauen erst einmal unsicher durch die Panzerglasscheibe. Wer oder was lauert wohl dahinter auf sie? Frauen, die nicht das erste Mal inhaftiert werden, kommen häufig forsch und zielstrebig daher. Der erste Blick gilt der diensttuenden Pfortenbeamtin: Kenn ich die? Wenn ja, kann es passieren, dass sie ihr freudig zuwinken. Wie einer alten Bekannten. Andere wiederum sind zerknirscht und schämen sich, dass sie wieder in den Knast müssen. Hatten sie doch bei ihrer Entlassung groß und breit verkündet, vielleicht sogar hoch und heilig versprochen: »Mich seht ihr hier nie wieder!«

Hafterfahrene Frauen stellen sich selbst und kommen mit Sack und Pack zur Aufnahme. Sie haben in Koffern oder Kartons alles dabei, was man so braucht, sogar einen Fernseher. Tabak und Kaffee selbstverständlich auch. Und in der Scheide Drogen. Sie wissen schließlich, was im Gefängnis gefragt ist, was getauscht werden und womit man sich Freundinnen machen kann.

Wie verräterisch Sprache gelegentlich sein kann, zeigt sich daran, dass die Frauen zunächst in das PC-Programm des Gefängnisses »eingepflegt« werden. Im »Zu- und Abgangsbereich«, der von den anderen Gefängnisbereichen getrennt ist, findet dann die Gepäckkontrolle durch eine Beamtin statt. Sie trägt Einmalhandschuhe. Durchsucht das gesamte Gepäck, röntgt das ein oder andere. Was nicht in den Haftraum mitgenommen werden darf, wird als »Habe« der Gefangenen verplombt und bleibt bis zu deren Entlassung in der »Kammer«. Die Dinge, die die Gefangene behalten darf, trägt die »Kammerbeamtin« in eine Besitzkarte ein, die auf die Abteilung kommt. Fernseher und andere Elektrogeräte werden genauestens kontrolliert, was einige Zeit dauern kann, sodass die Gefangene zunächst darauf verzichten muss: Solche Geräte werden von einem meist externen Elektrofachbetrieb geöffnet und kontrolliert, dann wieder verschlossen und versiegelt. Nur Geräte mit einem unbeschädigten Siegel dürfen in den Hafträumen benutzt werden.

Schon bei der Gepäckkontrolle wird manche Gefangene erstmals kratzbürstig. Es ist ja auch unangenehm, dass ein wildfremder Mensch die Nähte der Büstenhalter oder der Slips abtastet.

Problematisch ist, wenn Frauen Schmuck mitbringen. In der Kammer werden sie daher mit dem ersten nützlichen Tipp versorgt: »Lassen Sie diese dicke Goldkette lieber in der Habe«, rät die Kammerbeamtin, »sonst wird sie Ihnen noch geklaut!« Aber auch der Vollzug versucht seine neuen Inhaftierten diesbezüglich zu schützen. In einigen Anstalten ist deshalb die Mitnahme von Schmuck ins Haus von vornherein auf eine Armbanduhr und zwei Schmuckstücke begrenzt; alles andere kommt zur Habe. In anderen Anstalten wird sogar aller Schmuck – bis auf Ehering und Uhr – zur Habe genommen. Selbst der Umgang mit festsitzendem Schmuck – Piercings oder Ringe, die nicht mehr vom Finger gehen – ist geregelt. Solcher Schmuck wird auf einem gesonderten Blatt vermerkt.

In der Kammer arbeiten auch Gefangene als Hilfskräfte – ein überaus begehrter und einflussreicher Job –, die eine erste Einschätzung vornehmen, was die Neue (das »Frischfleisch«) wohl für eine ist. Was sie zu bieten hat, ob sie eher schwach oder stark ist, ob sie hafterfahren ist und möglicherweise »was dabei hat«, sprich irgendwo Drogen versteckt, und so weiter. Manchmal gibt es auch ein lautes Hallo, wenn sich zwei Altbekannte hier treffen.

Später, auf der Station, werden neue Gefangene von den bereits einsitzenden ebenfalls sofort taxiert. Zu viel Schmuck und eine vielleicht etwas unsichere Haltung wirken wie ein Signal: Bei der ist was zu holen. Dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, an den Schmuck zu kommen. Erste Möglichkeit ist die unmittelbare Bedrohung: Ich bin hier die Chefin, gib den Schmuck her, sonst gibt es Dresche. Die zweite ist etwas feiner: Ich bin hier die Chefin, gib den Schmuck her, dann beschütze ich dich, und es gibt keine Dresche von den anderen. Subtiler ist Möglichkeit Nummer drei: Ich bin hier die Chefin, du als Neue musst meine Zelle putzen, kannst dich aber durch Herausgabe des Schmuckes davon freikaufen. Natürlich alles verbunden mit der Androhung: Wenn du dich an den Vollzug wendest und das verrätst, dann Gnade dir Gott.

Es kommt auch vor, dass Frauen elektrisches Gerät der ganz besonderen Sorte im Gepäck haben. Dass eine ganze Plastiktüte voll »Spielzeug für die Frau« mit zur Inhaftierung gebracht wird, ist zwar ungewöhnlich, kommt aber vor. Diese Geräte müssen natürlich ebenfalls auf ihre Unbedenklichkeit geprüft werden. Durch das Röntgengerät schieben ist die eine Möglichkeit. Sie augenzwinkernd in Betrieb zu nehmen, um das einwandfreie Funktionieren zu überprüfen, ist die andere. Und dann vibriert es und windet sich und blinkt. Einen Tipp haben die Bediensteten auch für die ein oder andere dieser Spielsachen: Die japanische Kugelkette besser als Schmuck um den Hals gelegt als in die Tüte mit den Dildos gesteckt.

Nach der Gepäckkontrolle kommt der nächste Schock: Die Frauen selbst werden gründlich durchsucht. Sich vor wildfremden Menschen komplett ausziehen zu müssen ist nicht jederfraus Sache. Manche werden aggressiv, manche schämen sich, manche sind einfach nur traurig, manche weinen, und immer mal wieder versucht eine, sich dem zu entziehen. Es führt aber kein Weg an dieser Durchsuchung vorbei. Dass weder andere Gefangene noch männliche Bedienstete dabei anwesend sein dürfen, versteht sich von selbst. Auch dass nach dem Entkleiden jeder Körperkontakt zwischen Bediensteter und Gefangener zu unterbleiben hat.

Gepäck- und Körperkontrolle nehmen natürlich Zeit in Anspruch – und finden an Wochenenden gar nicht statt –, weshalb die Frauen zunächst im Zu- und Abgangsbereich untergebracht werden. Auch die letzte Nacht vor der Entlassung verbringen die Gefangenen dort. Meist wollen sie am Entlassungstag das Gefängnis so schnell wie möglich verlassen. Der Freund wartet draußen, der Zug nach Hause will erreicht werden, der erste Schluck am Kiosk winkt. Deshalb gehen die Frauen bereits am Tag vor der Entlassung durch die Kammer, wo sie ihre Habe und die Personalpapiere ausgehändigt bekommen.

Der Zu- und Abgangsbereich gehört zum Hässlichsten, was ein Gefängnis zu bieten hat. Gefangene, die stinksauer sind über ihre Inhaftierung, beschmieren die Wände mit übelsten Graffiti. Die Ausstattung der Zellen besteht lediglich aus Metalldoppelbetten mit Matratzen, in denen die Vorgängerinnen bereits ihre Probleme verewigt haben – Einnässen im Alkoholentzug, Schweiß im Opiatentzug, Spucke im Wutanfall –, Metallspinden und einfachstem, heruntergekommenem Mobiliar: Stühle und Tisch. Einzelunterbringung ist fast nie möglich. Entsprechend grauenvoll ist der erste Eindruck auf Häftlinge ohne Hafterfahrung.

Und es wird erstmals die Erfahrung gemacht, die vor vielen Jahren als Thema für einen Foto-Workshop für Gefangene formuliert wurde: »Die Tür hat keine Klinke, das ist das Linke!«

Im nächsten Schritt werden alle Strafgefangenen – außer Untersuchungshäftlinge und Jugendliche – auf der »Aufnahmestation« untergebracht. Dort wird zunächst ein Aufnahmegespräch geführt. Diesem Gespräch, das unverzüglich nach der Zuführung durchzuführen ist, kommt eine wichtige Bedeutung zu. Neben den spezifischen Daten zur Inhaftierung – wie Delikt, Dauer der Strafe, Aufnahmedatum und -zeit, selbst gestellt oder nicht, offene Verfahren, Strafen zur Bewährung, Erstvollzug oder hafterfahren – werden auch persönliche Umstände erfasst: Liegt eine Abhängigkeit vor, ist eine Therapie beabsichtigt, ist zunächst gemeinschaftliche Unterbringung erforderlich, gibt es Angehörige, wer ist der Rechtsanwalt, gibt es einen...

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