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E-Book

Frauenwunderland

Die Erfolgsgeschichte von Ruanda

AutorBarbara Achermann
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783159613147
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Dieses Buch erzählt die Erfolgsgeschichte eines afrikanischen Landes, in dem vor knapp einem Vierteljahrhundert noch ein grausamer Stammeskrieg tobte - eine Erfolgsgeschichte, die Ruandas Frauen schrieben. Noch vor zwei Jahrzehnten durften sie weder ein Bankkonto eröffnen noch in der Öffentlichkeit sprechen. Heute hat das Land mehr Frauen im Parlament als jedes andere auf der Welt, und über die Hälfte der Unternehmen sind in Frauenhand. Ohne diese Express-Emanzipation wäre das rasante Wirtschaftswachstum Ruandas nicht möglich gewesen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist eindrucksvoll, doch noch eindrücklicher sind die Menschen, die dahinter stehen. Das Buch wirft einen neuen Blick auf den afrikanischen Kontinent, der für uns in Europa immer größere Bedeutung gewinnt.

Barbara Achermann, geb. 1979, ist Redakteurin der Schweizer Zeitschrift 'annabelle'. 2016 wurde sie für ihre Reportage über Ruanda mit dem Schweizer Medienpreis 'real 21 - Die Welt verstehen' ausgezeichnet. Für die Recherche zu diesem Buch ist sie 2017 erneut nach Ruanda gereist. Der Fotograf Espen Eichhöfer, geb. 1966 in Norwegen, ist Mitglied der Agentur 'Ostkreuz' und lebt in Berlin.

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Leseprobe

Vorwort


Meine Recherche begann an einem nebligen Morgen in der Redaktion in Zürich. Ein dickes Bündel Papier lag auf der Tastatur meines Computers, dem einzig freien Platz auf meinem überladenen Schreibtisch. Ich nahm die 391 Seiten zur Hand und blätterte sie zunächst lustlos durch. Es handelte sich dabei um den Gender Gap Report, einen Bericht des Weltwirtschaftsforums, der für jedes Land untersucht, inwiefern seine Männer und Frauen gleichgestellt leben. Wie ich es erwartet hatte, standen zuoberst auf der Rangliste die üblichen Verdächtigen, die skandinavischen Staaten, die bekannt sind für ihre vorbildliche Gleichstellungspolitik. Doch an fünfter Stelle lag ein afrikanisches Land, das ich bisher vor allem mit Mord und Totschlag in Verbindung gebracht hatte: Ruanda. Es war deutlich vor der Schweiz, Deutschland oder Österreich platziert. Wie war das möglich? Noch traute ich den Zahlen nicht.

Und so kam es, dass ich mehrmals nach Ruanda gereist bin und hier von seinen Frauen erzähle, von ihrer Befreiung, ihrer rasanten Entwicklung. Ruanda hat mehr Frauen im Parlament als jedes andere Land auf der Welt und seine zahlreichen Unternehmerinnen sind der Motor einer schnell wachsenden Wirtschaft. Die Ruanderinnen werden vom Staat gezielt gefördert, sie unterstützen sich aber auch gegenseitig, sie sind hartnäckig, selbstbewusst und oft erfolgreich. Wie Epiphanie Mukashyaka, die Kaffee in die ganze Welt exportiert.

Unternehmerin Epiphanie Mukashyaka konnte nur überleben, weil sie sich emazipiert hat.

Die Geschichte von Ruandas Frauen ist eine Erfolgsgeschichte. Doch so verheißungsvoll sie heute klingt, so grauenhaft war ihr Anfang. Sie begann im Frühling 1994 mit einem Völkermord. Kaffeeunternehmerin Epiphanie erinnert sich vor allem an den Geruch der Leichen. Man könne vieles vergessen, aber nicht diesen süßlichen Gestank, der über jeder Straße, jedem Feldweg lag, den man selbst mit der besten Seife nicht aus den Kleidern waschen konnte und der einen noch Jahre später wieder einhole, wegen eines verwesenden Vogels im Hof oder einer toten Maus unter dem Sofa. Das Morden dauerte hundert Tage. Nachbarn töteten Nachbarn, Lehrer ihre Schüler, Nonnen verbrannten Gläubige. Die Flüsse führten mehr Leichen als Schwemmholz. Knapp eine Million Menschen wurden umgebracht. Epiphanie verlor ihren Mann, ein Kind und all ihr Hab und Gut. Sie wusste nicht, wie sie weiterleben sollte, Seite an Seite mit den Mördern ihrer Liebsten, ohne ein Dach über dem Kopf, ohne ihren Mann, der ihr bisher stets gesagt hatte, was zu tun war. Wie gelähmt lag sie auf dem Boden und weinte.

Doch Epiphanie rappelte sich wieder auf, den Kindern zuliebe, wie sie mir sagte. Mit einer Tasse voll Hirse, die sie von der Notration der Caritas abgespart hatte, begann sie Bier zu brauen. Das wenige Geld, das sie damit verdiente, investierte sie in Kaffeebohnen. Die Ideen, die sie in der höchsten Not entwickelte, waren der Anfang eines Unternehmens, das seither stetig gewachsen ist. Heute bezieht Epiphanie von 10 000 Kleinbauern Kaffee, wäscht und verarbeitet die Bohnen und verkauft sie ins Ausland. Bufcoffee heißt die Firma, deren Chefin sie ist.

Auf meinen Reisen nach Ruanda besuchte ich Epiphanie dreimal. Selten hat mich ein Mensch so beeindruckt wie diese besonnene Frau mit der hohen Stirn, die mit zwei Handys gleichzeitig telefonieren kann und mehr Milch trinkt als vier Kleinkinder zusammen. Sie zeigte mir ihre Kaffeewaschanlage, die aussieht wie ein zu groß geratener Swimmingpool, und die Fabrikhalle mit der modernen Mühle, wo sie mir den Unterschied zwischen guten und schlechten Bohnen erklärte. Sie lud mich in ihr Haus auf dem Land ein, in ihr Büro in Kigali und erzählte mir nach und nach ihr Leben. Epiphanie ließ sich nicht unterkriegen, im Gegenteil. Sie hat ihr Trauma überwunden und ist daran gewachsen. Resilienz nennen Psychologen diese Fähigkeit, Krisen als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Eine Gabe, die Epiphanie mit hunderttausenden Ruanderinnen teilt. Ihre Geschichte steht deshalb geradezu sinnbildlich für die Entwicklung der Frauen in Ruanda.

Epiphanie ist 58 Jahre alt, doch das hält sie nicht davon ab, Tag für Tag zu ihren Lieferanten zu kraxeln, die in 2000 Metern Höhe Kaffee anpflanzen. An einem schwülen Morgen folge ich ihr über einen rutschigen Pfad, bis sie auf einem terrassierten Feld stehen bleibt. Von hier oben hat man einen Postkartenausblick auf das »Land der tausend Hügel«, wie Ruanda von Reiseveranstaltern genannt wird. »Gorillas im Nebel« ist noch so ein Slogan, denn die Touristen kommen hauptsächlich wegen der Menschenaffen. Ruanda ist winzig und liegt wie ein Bauchnabel inmitten des afrikanischen Kontinents, nur halb so groß wie die Schweiz, aber mit deutlich mehr Einwohnern, mittlerweile sind es zwölf Millionen. Die Kaffeeunternehmerin poliert die beschlagenen Gläser ihrer Schmetterlingsbrille. Sie hat keine Augen für die atemberaubende Aussicht, die nahen Anhöhen in ihren grünen Schattierungen, die fernen Kuppen, die von blau zu grau verlaufen. Einzig die Kaffeesträucher interessieren sie. Mit zusammengekniffenen Augen untersucht sie die Kirschen und lobt dann den Bauern, der ihr keuchend folgt: »Es hat sich bezahlt gemacht, dass du den Boden mit Kompost und Zweigen bedeckt hast.« Während sie mit dem Mann spricht, reißt sie Unkraut aus. Es ist ihre Art, ihn auch auf Versäumnisse hinzuweisen. Frauen in Ruanda kritisieren nie direkt, sondern stets diskret, selbst wenn sie in der stärkeren Position sind.

Die Mutter von Epiphanie, die sie bei sich zu Hause pflegt.

Chefinnen sind heute Alltag in Ruanda. Doch das war nicht immer so. Vor dem Völkermord war das Land stark patriarchal organisiert, Frauen hatten kaum Rechte, durften weder Land besitzen noch erben, mussten ihren Männern aufs Wort gehorchen. Auch Epiphanie war erzogen worden, um zu dienen. Sie gebar ihr erstes Kind mit 17 Jahren, in kurzen Abständen folgten sechs weitere. »Ich durfte das Haus nicht ohne die Erlaubnis meines Mannes verlassen. Wenn wir eine Straße überquerten, hielt ich mich an seiner Hose fest.« Wie die meisten Frauen damals hatte Epiphanie wenig Selbstvertrauen, war isoliert und verbrachte ihre Zeit daheim mit den Kindern. Sie sollte keine sozialen Kontakte pflegen, die einzige Gelegenheit, um Leute zu treffen, waren Hochzeiten. Doch selbst dort wurde sie angehalten zu schweigen, ihre Meinung zählte nichts. Sie ordnete sich unter, weil sie wusste, was geschehen konnte, wenn man auf Konfrontation ging: »Zerstritt sich eine Frau mit ihrem Mann, so endete das oft schlimm. Man nahm ihr die Kinder weg und jagte sie davon, mit nichts als den Kleidern, die sie auf dem Leib trug.«

Sie vertrug sich mit ihrem Mann, sagt, er habe ihr ein komfortables Leben ermöglicht. Er besaß ein Auto sowie einen kleinen Laden, in dem er Seife, Zigaretten und Lebensmittel verkaufte und beschäftigte eine junge Frau, die Epiphanie bei der Hausarbeit zur Seite stand.

Mit dem Völkermord von 1994 änderte sich alles, sie war jetzt Witwe. Weil Frauen damals weder erben noch Land besitzen durften, war sie auf einen Schlag vollkommen verarmt. So wie ihr ging es Tausenden anderen. Ihre Männer waren tot, eingesperrt oder außer Landes geflohen. Schätzungen gehen davon aus, dass unmittelbar nach dem Konflikt 70 Prozent der Bevölkerung weiblich waren. Deshalb war Emanzipation für die meisten Frauen geradezu überlebenswichtig. »Wir mussten lernen, selbstständig zu handeln«, sagt Epiphanie. Sie verließen nach Kriegsende ihren Platz hinterm Herd oder am Feuer, reparierten Häuser, bestellten Felder, trieben Handel, gründeten ein Unternehmen oder machten politische Karriere. Sie schlossen sich zu Gruppen zusammen und kämpften für ihre Rechte.

Die Chefin von Bufcoffee in ihrem Wohnzimmer.

Neun Jahre nach dem Völkermord gab sich das Land eine neue Verfassung. Von nun an waren Frauen vor dem Gesetz vollkommen gleichberechtigt. Ihr Potenzial, das über Generationen brachgelegen hatte, wurde endlich genutzt. Das hat zu einem außergewöhnlichen Wirtschaftswachstum beigetragen, von dem eine breite Bevölkerungsschicht bis heute profitiert. Zahlen der Weltbank und der Vereinten Nationen belegen, dass sich Ruanda in den vergangenen zwei Jahrzehnten schneller entwickelt hat als jedes andere Land in Afrika. Das Wirtschaftswachstum lag seit 2000 bei durchschnittlich 8 Prozent, über eine Million Menschen wurden aus der Armut befreit, die Kindersterblichkeit sank von 23 auf 4 Prozent. Es mache ökonomisch gesehen schlicht keinen Sinn, die Hälfte der Bevölkerung links liegen zu lassen, sagt Präsident Paul Kagame. »Wie soll sich eine Gesellschaft verändern, wenn sie die Hälfte ihrer Ressourcen verschwendet?«

Doch Ruandas Frauen sind mehr als optimal erschlossene Ressourcen, um Kapitalzuwachs zu generieren. Sie sind zunächst vor allem eines: Menschen. Das weiß niemand so gut wie Epiphanie, deren Unternehmen teilweise auch eine humanitäre Einrichtung ist. Statussymbole sind ihr unwichtig, sie lebt in einem bescheidenen Haus, das noch nicht mal eine funktionierende Klospülung hat, denn es macht sie glücklicher, ihr Geld für andere auszugeben als für sich. Sie hat begonnen, den Kaffeebauern kostenlose Kitas anzubieten, weil sie es nicht mit ansehen kann, dass manche ihre Kinder unbeaufsichtigt zu Hause lassen. Sie verschenkt Kühe und Nussbaum-Setzlinge, um die Felder zu beschatten. Sie hat ein Waisenkind bei sich aufgenommen, sie pflegt ihre betagte...

Blick ins Buch

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