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Generationsbrücke

Wie das Miteinander von Alt und Jung gelingt

VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451809477
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Der demografische Wandel einerseits, die wachsende Kluft zwischen Alt und Jung andererseits - neue Wege im Umgang der Generationen miteinander sind nötiger denn je. Die Generationsbrücke Deutschland zeigt, wie ein solcher Weg aussehen kann: Senioren und Kinder kommen regelmäßig zusammen, sie spielen miteinander, lachen gemeinsam, schließen Freundschaften und lernen voneinander. Dieses Buch gibt erstmals Einblicke in die Arbeitsweisen, Strukturen und Potenziale dieses außergewöhnlichen Sozialunternehmens und zeigt zukunftsweisendes Modell, das es verdient flächendeckend umgesetzt zu werden.

Rocco Thiede ist einer der renommiertesten Autoren zum Thema Familie und Demographie, u.a. hat er 'Kinderglück. Leben in großen Familien' sowie bei Herder 'Mama zahlt. Familienernährerinnen berichten' veröffentlicht. www.roccothiede.de

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Leseprobe

Statt einer Einleitung: »Glücksmomente schaffen«


Ein Gespräch über die Geschichte, Wirkung und Potenziale der »Generationsbrücke Deutschland« mit Ursula Lehr, Peter Neher, Horst Krumbach und Markus Hipp

Markus Hipp (BMW Stiftung Herbert Quandt), Prälat Peter Neher (Caritas), Ursula Lehr und Horst Krumbach (Generationsbrücke) auf dem Balkon der BMW Stiftung Herbert Quandt in Berlin

Markus Hipp: Ich freue mich, als Gastgeber dieser Runde heute etwas tiefer in das Thema der Generationsbrücke einzusteigen. Nicht nur, weil sie aus Sicht der BMW Stiftung ein beispielhaftes Sozialunternehmen ist, das wir fördern. Sondern sie symbolisiert auch den Versuch, eine soziale Innovation mit dem Wohlfahrtssystem in Einklang zu bringen – und so einen systemischen Wandel voranzutreiben. Wir haben als Stiftung in den vergangenen zehn Jahren bemerkt, dass dieser Ansatz bei uns in Deutschland oftmals fehlt. Das Buch über die Generationsbrücke ist eine großartige Chance, die erfolgreiche Entwicklung für ein breites Publikum nachvollziehbar zu machen und Veränderungen einzuleiten. Wir wollen aber nicht nur Verantwortliche in der Pflege ansprechen, sondern vor allem auch politische Entscheidungsträger.

Horst Krumbach: Dieser Blick auf die uns betreffenden Veränderungen freut und motiviert mich ganz besonders. Meine Verbindung zu Markus Hipp ist nun auch schon über ein halbes Jahrzehnt alt. 2010 trafen wir uns zum ersten Mal, als zur Debatte stand, ob die damals noch »Generationsbrücke Aachen« genannte Initiative das Potenzial hat, sich in ganz Deutschland zu etablieren. Das war beim Trans­atlantic Forum in New York, als wir einen Tag lang die hochkarätige Beratung der kompetenten Menschen des Netzwerkes der BMW Foundation Responsible Leaders in Anspruch nehmen konnten. An diesem Tag bekam ich hilfreiche Antworten auf so viele existentielle Fragen, dass am Ende des Tages unser Verbreitungskonzept quasi stand. Und wenige Wochen nach New York folgte bereits ein erster Geldsegen der BMW Stiftung in Form einer Fördersumme von 25.000 Euro. So konnten wir in den Folgemonaten beginnen, das in den USA erarbeitete Konzept zu realisieren, um aus der Generationsbrücke Aachen ein bundesweites Modell zu entwickeln. Bis zum heutigen Tag basieren gut 80 Prozent unserer Arbeit auf den damaligen Empfehlungen der Experten des New Yorker Workshops.

Markus Hipp: Das war eine gute Investition unsererseits. Dennoch möchte ich betonen, dass Horst Krumbach, der ebenfalls zum Responsible-Leaders-Netzwerk der BMW Stiftung gehört, nicht nur von uns gefördert wird. Als Erstes hat ihn sein damaliger Arbeitgeber, die katholische Kirche, unterstützt, indem sie ihm überhaupt erst Freiräume zum Weiterdenken und für Fortbildungen ermöglicht hat. Zudem hat Horst Krumbach an einem Hospitationsprogramm der Robert Bosch Stiftung teilgenommen, bei dem er in den USA die Pflegeeinrichtung »Bessie’s Hope« kennenlernte. Die Körber-Stiftung wiederum half ihm dabei, die Idee für dieses generationsübergreifende Projekt nach Aachen zu bringen – und zu überarbeiten. Erst dann kamen wir ins Spiel mit unserem Workshop beim Transatlantic Forum in New York. Für Horst ging es dann weiter mit der Initiative »startsocial«, vielen Preisen sowie der Aufmerksamkeit des Bundesfamilienministeriums, der Bundeskanzlerin und einem Kontakt zum Bundespräsidenten. Die Verbindung zur Caritas ist nun ein neues Glied in dieser Kette. Und solche klugen Wirkungsketten sind absolut notwendig, um einer guten sozialen Innovation zum Durchbruch auf breiter Ebene zu verhelfen.

Horst Krumbach: Absolut, denn jeder kleine Sozialunternehmer ist am Beginn auf Förderer angewiesen, die an ihn glauben und ihn unterstützen. Das waren bei uns neben der Körber-Stiftung in Hamburg auch der Generali Zukunftsfonds in Köln und vor allem und bis heute maßgeblich die BMW Stiftung. Dabei ist Geld nur ein Aspekt, denn der eigentliche Startschuss für die Generationsbrücke Deutschland fand hier in diesem Haus statt, wo ich auch Frau Lehr als Grande Dame der Gerontologie kennenlernen durfte. Als wir 2013 unseren Beirat gründeten, war Ursula Lehr die erste Person, die ich dafür gewinnen wollte, und sie sagte spontan zu.

Ursula Lehr: Ja, unser erstes Gespräch kreiste sowohl um Alters-, als auch um Kindheitsfragen. Als Familienministerin wurde ich damals furchtbar kritisiert, weil ich Kindergärten schon für Zweijährige öffnen wollte. Ich bekam Briefe und Unterschriftenlisten gegen meinen Vorschlag aus dem ganzen Land, weil ich angeblich die Familie kaputt machen würde. Bundeskanzler Helmut Kohl bat mich damals um Zurückhaltung, da die süddeutsche Bevölkerung, Franz Josef Strauß und viele andere sehr gegen meinen Vorstoß waren. Da wollte ich wenigstens das Recht auf einen Kitaplatz für Dreijährige erwirken und klapperte im Vorfeld die Ministerpräsidenten der Länder ab. Als ich bei Herrn Albrecht in Niedersachsen war, sagte er nur: »Ein Kind gehört in die Familie und auch Dreijährige bekommen nicht das Recht auf den Kindergartenplatz«. Heute freue ich mich, dass seine Tochter Frau von der Leyen da mehr bewirkte. Es hat aber 25 Jahre gedauert … Mittlerweile kommt niemand mehr um den demografischen Wandel und die Veränderungen der Familienstrukturen herum. Dreigenerationenfamilien findet man heute kaum noch, in nur 0,1 Prozent aller Haushalte in Deutschland leben drei Generationen unter einem Dach. Oft sieht es so aus: Der »Einzelenkel« hat nicht nur vier Großeltern, sondern auch noch Urgroßeltern und manches Mal auch Stiefgroßeltern. Obwohl sie nicht zusammen wohnen, werden viele dieser Kinder ordentlich verwöhnt. Immer mehr Kinder haben dennoch keinen regelmäßigen Kontakt zu älteren Menschen und ältere Menschen verlieren umgekehrt auch mehr und mehr den Kontakt zu Kindern, nicht zuletzt weil nun Senioren in die Heime kommen, die nie eigene Kinder und Enkel hatten. Das Zusammenbringen der Generationen ist eine sehr große gesellschaftliche Aufgabe. In einer mir bekannten Studie, die auch schon gut zehn Jahre alt ist, sagten Kinder nach dem Besuch im Altenheim: »Nein, alt will ich nicht werden, die sabbern ja beim Essen.« Aber als dieselben Kinder mit einem Altenklub in den Zoo gingen, waren sie von diesem Besuch begeistert. Sie konnten etwas von den alten Menschen lernen, und sie bewunderten sie dafür, dass sie alle Tiere kannten. Mit anderen Worten: Wir müssen darauf achten, dass das Altersbild der Kinder nicht ausschließlich von pflegebedürftigen alten Heimbewohnern geprägt wird.

Peter Neher: Ich bin mal ganz offen: Als ich das erste Mal von der Generationsbrücke hörte, habe ich mich schon gefragt, was denn daran neu ist. Ich bin ja im Allgäu zu Hause. Nach dem Krieg baute dort ein Pfarrer in einem kleinen Ort ein Altenheim und einen Kindergarten an einer Stelle. Das fand ich faszinierend, weil er von Anfang an die Idee hatte, dass in seinem Ort alte Menschen und Kinder zusammengehören. In diesem Caritas-Heim war auch Jahre später meine eigene Mutter. So hatte ich eine persönliche Berührung mit dem Thema. Was ich aber bei der Generationsbrücke als Besonderheit sehe, ist die Systematik, mit der hier gearbeitet wird. Ich kenne wenige Häuser der Caritas, wo es so etwas gibt.

Markus Hipp: Ich erinnere mich an meine Zeit als Caritas-Helfer. Damals habe ich Theologie bei den Jesuiten in München studiert. Jesuit bin ich dann zwar nicht geworden – ich bin Familienvater mit vier Kindern –, aber ich habe damals etwas Wichtiges gelernt: Zu einem gelungenen Miteinander zwischen Jung und Alt gehört auch eine gute Vorbereitung. Die Generationsbrücke bringt dieses Miteinander nun auf eine professionelle Ebene. Und sie zeigt: Es braucht nicht Unmengen von Geld, sondern engagierte Pädagogen, Altenheimbetreuer und Freiwillige – der Rest ist Lernen, ein gutes Handbuch und ein System.

Ursula Lehr: Als ich das erste Mal von der Generationsbrücke hörte, war ich auch etwas skeptisch. Doch dann erlebte ich die Begegnungen in Aachen und war von da an zu hundert Prozent überzeugt. Vor allem auch, weil die Kinder nicht nur einmal im Jahr im Heim vorbeikommen, sondern regelmäßig, und weil spielerisch Verständnis für die Belange der älteren Menschen geweckt wird. Bei meinem Besuch gab es eine Reihe von Interaktionen: Ball spielen, zur Musik tanzen, das gegenseitige Ummalen der Hände. Das Wichtigste war das gemeinsame Tun. Seitdem ist mir klar: Das muss man unterstützen und fördern!

Horst Krumbach: Sie alle haben Recht. Wir machen grundsätzlich nichts Neues und haben das Rad nicht neu erfunden. Jung und Alt zusammenbringen – das hat es immer gegeben. Uns war es darüber hinaus wichtig, dass wir eine Nachhaltigkeit und höhere Wirkung erzielen, und das bewirken wir durch folgende fünf Elemente: die altersgerechte Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen, Regelmäßigkeit und Langfristigkeit, die feste Paarbildung in fester Gruppe, das aktive Miteinander und strukturierte, ritualisierte Begegnungen. Im Unterschied zu den USA haben wir feste Partnerschaften zwischen Jung und Alt, die sogenannten ­Bewohnerpartner. Wenn ein Mensch bei uns im Heim stirbt, stehen wir also vor einem Problem. Aus dieser Herausforderung ist mittlerweile eine der größten Stärken der Generationsbrücke geworden. Wir enttabuisieren den Tod, indem wir ihn zurück ins Leben holen. Kinder werden bei uns auf eine sanfte, aber verbindliche Weise mit Tod, Sterben und Trauer konfrontiert. Da ist es wichtig, dass nicht gleich ein neuer Partner für das Kind bereitsteht, wenn ein Bewohnerpartner verstirbt. Wir bieten Raum zum Abschied.

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