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Geschlechterpolitische Strategien

Transformationen von Staatlichkeit als politisch gestaltbarer Prozess

AutorMarion Löffler
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl185 Seiten
ISBN9783593417011
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Im Fokus der Forschung stehen Phänomene wie die Regionalisierung und Privatisierung von Staatstätigkeiten, also der Abbau staatlicher Infrastrukturen. Gelten Staaten nicht mehr als Zentren politischer Macht, können sie auch keine Adressaten feministischer Politik sein. Mithilfe staatstheoretischer Überlegungen Bourdieus, Foucaults und Walbys greift Marion Löffler in die Debatten der Gegenwart ein. Sie konzipiert Staatlichkeit als unabgeschlossenen und unabschließbaren Prozess mit dem Ergebnis: Staaten sind und bleiben Akteure emanzipatorischer und auch antiemanzipatorischer Geschlechterpolitiken.

Marion Löffler, Dr. phil., ist Lehrbeauftragte im Bereich Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Wien.

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Leseprobe
1. Einleitung


Transformationen des modernen National- und Wohlfahrtsstaats gerieten bereits in den 1970er-Jahren ins Zentrum politischer Debatten und staatstheoretischer Überlegungen. Zum einen wurden Notwendigkeiten für Reformen der Staatsorganisation erkannt oder behauptet und verschiedene Varianten des Rückzugs des Staates aus Gesellschaft und Wirtschaft gefordert. Zum anderen wurden gesellschaftliche Transformationen registriert und problematisiert, die staatliche Politik unwirksam oder unzulänglich erscheinen ließen. Mit Ausbau und Verfestigung neoliberaler Politikstrategien im Laufe der 1980er- und 1990er-Jahre sind nicht wenige Forderungen dieser frühen Diskussionen erfüllt worden. Europäische Staaten wurden nach einer 'Logik der kompetitiven Deregulierung' verschlankt (Wöhl 2007, 139). Sie verfügen nun über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, in dem ökonomische Freihandelspostulate weitgehend verwirklicht sind. Sie haben sogar einige Souveränitätsrechte an europäische Institutionen abgegeben und koordinieren zentrale politische Entscheidungen. Derartige Einschränkungen (national-)staatlicher Souveränität gelten als eines der markantesten Zeichen für den Bedeutungsverlust moderner Staatlichkeit (vgl. Schuppert 2010, 28). Zudem wurden schon mehrfach Versuche lanciert, eine von den Einzelstaaten unabhängige europäische Außenpolitik zu etablieren, die mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ihren bisherigen Höhepunkt erreicht haben.


Scheinbar unabhängig, aber doch gleichzeitig, kam es zu gesellschaftlichen Transformationen, die insbesondere die Geschlechterverhältnisse in Europa veränderten (vgl. Walby 1997; Wetterer 2003; Becker-Schmidt 2007). Die Frauenbewegung skandalisierte die prämodern anmutenden Geschlechterverhältnisse der (fordistischen) Nachkriegsära und schaffte es, Forderungen nach echter Gleichstellung der Geschlechter und Selbstbestimmung der Frau auf die politische Agenda zu setzen. So wurden in zahlreichen europäischen Ländern in den 1970er-Jahren Reformen des Ehe- und Familienrechts durchgeführt, die einige Hürden für eine echte Gleichstellung der Geschlechter im Rechtssystem dieser Staaten beseitigt haben. Immer noch andauernde Ungleichheiten, Diskriminierungen und Schieflagen im Verhältnis der Geschlechter sind heute zumindest ein Grund zur Empörung und keine Selbstverständlichkeit mehr. Trotz aller Disparitäten zwischen den europäischen Staaten ist Chancengleichheit der Geschlechter offizielle politische Linie in der EU.


Wir können also zwei unterschiedliche Transformationswahrnehmungen benennen: Zum einen haben sich Staaten in Europa verändert. Zum anderen haben in diesen Staaten profunde Veränderungen der Geschlechterverhältnisse stattgefunden. Beide Transformationsprozesse sind politisch, werden aber kaum als politisch gemacht wahrgenommen. Ökonomische und kulturelle Veränderungen der letzen 30 bis 40 Jahre gelten vielmehr als Transformationsphase, in der politisches, insbesondere staatliches Handeln weniger Aktion denn Reaktionen auf globale Prozesse darstellt. Demnach haben Staaten ihre Wirtschaftspolitik angepasst, um dem kompetitiven Druck durch die ökonomische Globalisierung standhalten zu können. Der erreichte Grad der Gleichstellung der Geschlechter wird als Höhepunkt und Abschluss eines historischen Modernisierungsprozesses eingestuft, der in Europa bereits mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert eingesetzt hat, aber bis vor kurzem noch nicht alle Elemente des prämodernen Patriarchats beseitigen konnte. Eine solche Sichtweise auf transformatorische Prozesse unterstellt, dass Staat, Politik und Geschlechterverhältnisse voneinander unabhängige Variable sind. Demgegenüber hat politikwissenschaftliche Geschlechterforschung vielfältige Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen Politik und Geschlecht aufgezeigt und zudem nachgewiesen, dass auch Staaten keine geschlechtsneutralen Einrichtungen darstellen (vgl. Löffler 2011, 190ff.). Untersuchungen zu aktuellen Transformationen von Staaten und des Staatensystems belegen zudem, dass diese nicht als a-politische Prozesse zu begreifen sind, sondern politisch gemacht und gestaltet werden.


Im Zentrum dieses Buches steht die Frage des Zusammenhangs zwischen den Transformationen von Staat und Geschlecht. Dabei geht es nicht um eine Beschreibung des gegenwärtigen sozialen und staatlichen Wandels, sondern um das verfügbare theoretische Repertoire, mit dem diese Transformationsprozesse benannt und zusammengedacht werden können. Ziel ist es, Konzepte zu erarbeiten und zu erproben, die eine staatstheoretische Diskussion der parallelen Transformationsprozesse von Staatlichkeit und Geschlechterverhältnissen erfassen können. Eine Bestandsaufnahme der feministischen Staatsdiskussion habe ich bereits vorgelegt (Löffler 2011). Nun geht es darum herauszuarbeiten, inwiefern Staatstheorien in der Lage sind, Transformationen als politische Prozesse oder gar Strategien zu konzipieren. Daran schließen Fragen nach der Konstruktion politischer Akteure an, nach deren Handlungsfähigkeit sowie nach der des Staats. Des Weiteren ist zu klären, ob eine politische Fassung von Transformation auch Geschlechterverhältnisse einschließt, und vor allem, ob ein theoretischer Zugriff ermöglicht wird, der erlaubt, Transformationen auch als emanzipatorische Politik zu denken.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt8
Vorwort10
1. Einleitung12
Geschlechterkonservative Ideologien16
Historic (Re-)Turn in der Staatsbetrachtung19
Staatlichkeit in permanenter Transformation20
Transformation als politisch gestaltbarer Prozess24
Alternative Konzeptualisierungen28
2. Transformationenmoderner Staatlichkeit32
Transformation im staatstheoretischen Denken36
Konzeptionen von Transformation38
Transformationen des Staates42
Feministische Interventionen50
3. Geschlechterpolitikender Transformation56
Feministische Herrschaftskonzepte58
Geschlechterpolitik als transformatorische Praxis67
Geschlechterpolitik in feministischen Staatstheorien68
Zum Verhältnis von Staat und Staatlichkeit71
Staat, Staatlichkeit und Transformation74
4. Transformation und Geschichte82
Historisierung der Geschlechterordnung83
Theorien der historischen Staatsbildung90
Politikwissenschaftliche Geschichtsforschung97
5. Frühneuzeitliche Staatsbildungals politischer Prozess100
Polities in der Frühen Neuzeit103
Transformationen der Herrschaftsinfrastruktur107
Von der Familia zur Polity109
Transformationen der Sozialstruktur112
Genderprojekte einzelner Polities114
Transformationen der Geschlechterverhältnisse115
Transformationen der Geschlechterordnung118
Absolutistischer Staat124
6. Maskulinistische Staatlichkeit128
Formierung des symbolischen Gewaltmonopols131
Konstituierung von Staatsakteuren133
Staatliche Setzungsarbeit135
Gouvernementalisierung des Staates138
Maskulinistische Rationalitäten143
Männliche Herrschaftsfähigkeit147
7. Geschlechterpolitiken derTransformation158
Doppelte Subjektivierung159
Gouvernementalisierung als transformatorische Strategie161
Transformationen von Staatlichkeit als emanzipatorischeChance167
Literatur172

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