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Hydropolis

Wasser und die Stadt der Moderne

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl372 Seiten
ISBN9783593404462
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Stinkende Abwässer im städtischen Untergrund oder kristallklares Wasser im heimischen Bad - eine funktionierende Abwasserentsorgung ist in der modernen Stadt ebenso unabdingbar wie eine gute Wasserversorgung. Die Nutzung des Wassers seit dem 19. Jahrhundert untersuchen hier unter anderem Geographen, Soziologen, Medizin- und Umwelthistoriker. Sie schildern die mit der Urbanisierung einhergehenden Veränderungen der sozialen und räumlichen Strukturen in den Städten sowie die politischen Regulierungen der Wassernutzung. Ob schrumpfende ostdeutsche Städte, Großstädte wie Berlin oder »Megacities« wie Lagos und Jakarta: Der Umgang mit Wasser erweist sich als Schlüssel zum Verständnis moderner Stadtkultur. Mit Beiträgen unter anderem von Matthias Bernt, Jürgen Büschenfeld, Elisabeth Heidenreich, Detlev Ipsen, Ulrich Koppitz, Shahrooz Mohajeri, Engelbert Schramm, Eric Swyngedouw, Heinrich Tepasse und Karin Winklhöfer.

Susanne Frank ist Juniorprofessorin für Stadtsoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der HU Berlin. Matthew Gandy ist Lektor für Geographie am University College, London.

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Leseprobe

I. Urbaner Metabolismus: Bilder und Leitbilder im Wandel


Das Wasser, die Moderne und der Niedergang der bakteriologischen Stadt


Matthew Gandy

1. Einleitung

Wenn wir die Ströme des Wassers durch die Stadt der Moderne verfolgen, können wir klare Zeitphasen in den Formen der städtischen Verwaltung und Einflussnahme erkennen. Die Entwicklung der modernen Wasserversorgung wurde von einer Reihe von Zusammenhängen beeinflusst: zwischen Körper und Stadt, zwischen sozialen und biotisch-physikalischen Systemen, zwischen der Entwicklung der technischen Netzwerke und Kapitalströmen, zwischen den sichtbaren und den unsichtbaren Dimensionen des urbanen Raums. In der modernen Stadt lässt sich feststellen, dass frühere symbolische Aspekte des Wassers nach und nach durch neue Bedeutungsfelder abgelöst wurden, etwa durch moralistische Vorurteile über Hygiene, neue Definitionen des Bürger-Seins oder architektonische Ausprägungen im öffentlichen Raum. Die Entwicklung von anspruchsvollen und umfassenden Systemen zur Wasserversorgung war nicht nur eine praktische Frage der Hygiene, sondern auch ein Vorwand, um moderne Formen der kommunalen Verwaltung und der Einflussnahme zu etablieren. Obwohl die moderne Stadt durch die vielen, komplex zusammenhängenden baulichen Strukturen definiert werden kann, die die verschiedenen räumlichen Elemente des städtischen Raums zu einer kohärenten funktionalen Einheit verbinden, ist diese Form einer integrierten Urbanität keinesfalls das vorherrschende Modell, wenn das Phänomen der moderne Stadt in einem umfassenden geografischen oder historischen Kontext betrachtet wird: die Vielfalt verschiedener institutioneller Strukturen und Vorkehrungen für die Wasserversorgung illustrieren, wie komplex die städtische Infrastruktur und ihre Beziehungen zu den unterschiedlichen Formen sozialer und ökonomischer Organisation sind.

Als der Zugang zu sicherem Trinkwasser ein selbstverständlicher Teil des täglichen Lebens in der modernen Stadt wurde, verlor es zunehmend seine herausragende politische Bedeutung und geriet insgesamt aus dem Blickfeld. In den letzten Jahren rückte Wasser jedoch erneut in das Zentrum politischer Debatten. In den Industrieländern beispielsweise ist in den letzen zwanzig Jahren die Sorge um die Qualität des Trinkwassers wieder gestiegen, und zwar in der Folge explodierender Kosten und der damit verbundenen Forderung nach der Privatisierung der bisher öffentlichen Wasserversorgung. In den Entwicklungsländern sind die Versorgungsquoten weit hinter die Erwartungen zurückgefallen, trotz einer Vielzahl von internationalen Absichtserklärungen und Initiativen. Mittlerweile verursachen Streitigkeiten über die Verteilung von Frischwasser in vielen Regionen der Welt wachsende geopolitische Spannungen, zusätzlich zu der Angst, Prozesse wie der Klimawandel und unkontrolliertes urbanes Wachstum könnten die ohnehin prekäre Situation noch verschlimmern.

In diesem Artikel wird davon ausgegangen, dass eine relativ stabile longue durée in der hydrologischen Struktur der modernen Stadt – die sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts herausbildete und bis in das dritte Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts andauerte – eine erhebliche, wenn auch noch unvollständige, Transformation erfahren hat, die sich in neuen räumlichen Konfigurationen niederschlägt. Diese erste, stabile Phase manifestiert sich in der »bakteriologischen Stadt« und schließt eine Reihe von charakteristischen Zusammenhängen zwischen Raum und Gesellschaft, Wissenschaft und kommunaler Verwaltung ebenso ein, wie die Entstehung eines integrierten, funktionalen öffentlichen Raums. Diese dezidierte zeitliche Eingrenzung der technischen Entwicklung in der modernen Stadt soll hier nicht einer technologisch deterministischen Sichtweise Vorschub leisten, sondern die zeitgleiche Entwicklung komplexer technologischer, sozialer und institutioneller Systeme hervorheben. In der bakteriologischen Stadt lässt sich die Entstehung einer Interessenkoalition zwischen Kommune und Staat beobachten, in welcher Fragen der öffentlichen Gesundheit mit Fragen des sozialen Zusammenhalts und der politischen Legitimation verbunden werden. Die bakteriologische Stadt ist Ausdruck der Verbreitung von normativem sozialem und politischem Gedankengut, das in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an Bedeutung gewann und den Einfluss von wissenschaftlichem und technischem Sachverstand in der Kommunalpolitik institutionalisierte. Während es wichtige Kontinuitäten zwischen der bakteriologischen Stadt und der Stadt der Moderne gibt, wird oft behauptet, dass eine »historizistische« Sichtweise der Entwicklung, die offensichtlichen Ähnlichkeiten zu sehr hervorhebt (etwa zwischen den rapide wachsenden Industriestädten des neunzehnten Jahrhunderts und den Megastädten des einundzwanzigsten Jahrhunderts), und der sich grundlegend ändernden Dynamik der zeitgenössischen Stadtentwicklung nicht gerecht wird.

Im ersten Teil des Artikels werden die Entstehung sowie die Charakteristiken und Besonderheiten in der Entwicklung der bakteriologischen Stadt dargestellt. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die enge Verbindung zwischen der Entwicklung eines integrierten städtischen Infrastruktursystems zu Wasserversorgung und Abwasserentsorgung und die Entstehung neuer Formen kommunaler Verwaltung und Einflussnahme gerichtet. Der zweite Teil gibt eine Übersicht über die komplexen Zusammenhänge des derzeitigen Übergangs in eine neue, noch nicht konsolidierte räumliche Konfiguration und die Implikationen für die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Raums. In der zeitgenössischen Stadt dominiert einerseits das Kapital, das seine Macht in der Strukturierung und dem Management von urbanem Raum erneut geltend macht, andererseits entstehen gleichzeitig neue Ungleichheiten im Zugang zur technischen Infrastruktur von Städten. Daraus wird der Schluss gezogen, dass der Nachdruck, mit dem das Ende der »bakteriologischen Stadt« beschworen wird, die Fragilität des urbanen öffentlichen Raums enthüllt, sowohl als materielles Artefakt als auch als ideologisches Konstrukt.

2. Skizzen zur bakteriologischen Stadt

Das schnelle Wachstum der europäischen und amerikanischen Städte im neunzehnten Jahrhundert stellte die herkömmlichen Formen kommunaler Selbstverwaltung vor eine Reihe von neuen Herausforderungen. Es wurde schnell deutlich, dass die Notwendigkeit, eine adäquate Infrastruktur für die Wasserversorgung zu schaffen, eine der größten Herausforderungen dieser neuen Entwicklung sein würde; und dennoch bedurfte es jahrzehntelanger wissenschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen, um zu einer zufrieden stellenden Lösung zu kommen. Der »bakteriologischen Stadt«, die sich letztendlich aus dem Chaos der Städte des neunzehnten Jahrhunderts entwickelte, lagen eine Reihe von Faktoren zugrunde: Fortschritte in der Epidemiologie, und später der Mikrobiologie, die nach und nach miasmatische Vorstellungen von Krankheit verdrängten; die Entwicklung neuer Formen von technischem und organisatorischem Sachverstand in der Stadtverwaltung; innovative Finanzierungsmodelle wie kommunale Anleihen, die es erlaubten, ambitionierte Infrastrukturprojekte durchzuführen; neue politische Instrumente, beispielsweise das Enteignungsrecht des Staates; und nicht zuletzt die politische Marginalisierung von Agrareliten und Grundeigentümern gegenüber Industriellen, Vorkämpfern für die öffentliche Gesundheit und anderen, die ihren Einfluss auf die Stadtentwicklung geltend machten. Die bakteriologische Stadt war vor allem ein neues sozial-räumliches System, das gleichzeitig einen gewissen gesellschaftlichen Zusammenhalt gewährleisten und die politischen und ökonomischen Funktionen der modernen Stadt schützen konnte. Die Umgestaltung städtischer Infrastruktur im neunzehnten Jahrhundert war also ein vielschichtiges Phänomen, das die sehr realen Bedrohungen durch Seuchen und ungesunde Lebensbedingungen widerspiegelte, aber auch deutlich umfangreichere Verschiebungen – von veränderten Konsumgewohnheiten bis hin zur Verschärfung bürgerlicher Ideale wie Häuslichkeit und Hygiene.

Im großen und ganzen lässt sich die Modernisierung der industriellen Städte als ein Wechsel von der »privaten Stadt« zur »öffentlichen Stadt« verstehen; dabei wurden fragmentarische, zerstückelte und hochgradig lokal beschränkte Lösungen für die Probleme von Trinkwasserversorgung und Kanalisation von einer komplexeren Koordination der politischen und ökonomischen Interessen abgelöst. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Bewegung weg von der privaten Stadt ein gradueller und sehr konfliktreicher Prozess war. Die Einführung der ersten zentralen Wasserversorgungssysteme (beispielsweise 1802 in Paris, 1808 in London und 1856 in Berlin) markiert einen entschiedenen Bruch mit der traditionellen Versorgung durch Brunnen, Wasserverkäufer und andere Quellen; sie erzeugte aber auch Differenzen darüber, wer für die Kosten dieser neuen Infrastrukturen aufzukommen habe und wem diese nützen würden. Essentiell für diese Phase der städtischen Entwicklung war die Entstehung neuer Finanzprodukte, etwa von kommunalen Anleihen, mit deren Hilfe Kapital akquiriert werden konnte, ohne größere zusätzliche Steuerlasten zu erzeugen. Es entwickelte sich ein angespanntes Verhältnis zwischen dem, was man das »alte Kapital« nennen könnte, also der Aristokratie und den Grundeigentümern, und dem »neuen Kapital« einer industriellen Bourgeoisie, die die Bedeutung einer wachsenden Konkurrenz urbaner Zentren untereinander erkannte. Im Fall von New York entwickelte sich...

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