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Jugenderinnerungen und Bekenntnisse

Vollständige Ausgabe

AutorPaul Heyse
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl347 Seiten
ISBN9783849627898
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Heyse verfasste auch eine der spannendsten Schriftsteller-Autobiographien des 19. Jahrhunderts. Der Dichter, selbst ein Prominenter, der viel in den arrivierten Kreisen verkehrte, lieferte in den Jugenderinnerungen und Bekenntnissen genau beobachtete Charakteristiken der berühmtesten Männer seiner Zeit. Hier finden sich unter anderem literarische Porträts der Freunde Adolph Menzel und Emanuel Geibel, Theodor Fontane und Hermann Kurz, Ernst Wichert und Ludwig Laistner. Ähnlich wie Goethe in Dichtung und Wahrheit hielt auch Heyse sich nicht mit privaten Episoden auf, sondern legte, im Bewusstsein seiner öffentlichen Rolle, eine als allgemeingültig zu verstehende Bilanz des 19. Jahrhunderts vor. Diese Erzählung seines Lebens ist zugleich eines der aufschlussreichsten Dokumente über die Verhältnisse im alten Berlin und München.

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Leseprobe

 


Dies Buch, dessen fünfte Auflage in vielfach ergänzter und erweiterter Gestalt hier erscheint, hat gleichwohl die Mängel seiner Entstehung vor zwölf Jahren nicht von Grund aus verbessern können.

 

Den ersten Anlaß zur Aufzeichnung meiner Jugenderinnerungen gab der Wunsch, meinem teuren alten Geibel einen Nachruf zu widmen, der unser Freundesverhältnis und den vielfachen Dank, den ich ihm schuldete, etwas ausführlicher schilderte. Hieran schlossen sich zwanglos, wie mir gerade die Stimmung kam, Rückblicke auf andere Menschen und Erlebnisse, ohne die Absicht, eine regelrecht durchgeführte Selbstbiographie zu verfassen. Zu einer solchen hätte es gehört, wenigstens in kurzem Umriß ein Bild der Zeit zu geben, in der ich aufwuchs, während ich mich bloß mit meinen eigenen Schicksalen und Abenteuern beschäftigte und sie zum Besten gab, wie man etwa guten Freunden behaglich plaudernd von einer langen Reise berichtet, wobei man die Kenntnis der Landkarte voraussetzt. Nicht einmal meine seit 1852 geführten Tagebücher oder die Briefe mit meinen Eltern und Freunden zog ich dabei zu Rate, um auch nur die Daten stets sicherzustellen. Am Schluß fügte ich allerlei Bekenntnisse über mein ästhetisches Credo hinzu, die gleichfalls ohne Anspruch auf Erschöpfung der Themata keinen anderen Wert hatten, als zu erklären, wie ich auf dem Wege, den ich gewandelt, gerade der geworden war, als den mich Freunde und Gegner seit langen Jahren kannten.

 

Die unregelmäßige Form des Buches wurde noch dadurch gesteigert, daß ich manche größere Partieen nur als vorläufig hingeschrieben betrachtete, die sorgfältiger durchzuarbeiten ich mir vorbehielt. Als eine längere Krankheit mich hieran verhinderte, gleichwohl aber der Abschluß des Ganzen drängte, ließ ich es bei dem ersten improvisierten Hinwurf bewenden, und fügte auch diese Abschnitte dem Buche hinzu, obwohl ich mir im stillen aus solcher Übereilung ein Gewissen machte. Doch bei dem anspruchslosen Charakter dieses Rückblicks auf meine Frühzeit und da der Leser nicht wissen konnte, was ich etwa noch Anderes und Besseres zu sagen gehabt hätte, scheint diese Ungleichheit der einzelnen Teile nicht sonderlich aufgefallen zu sein.

 

Jetzt, nach so langer Zeit, alles damals Versäumte nachzuholen, konnte ich mich nicht entschließen und beschränkte mich auf das Ausfüllen wichtiger Lücken, die Hinzufügung einiger interessanter äußerer Erlebnisse, deren ich mich später erst erinnert hatte, und Charakteristiken gewisser Personen, die auf meine Entwicklung von Einfluß gewesen waren. Nur in betreff der kritischen Aufsätze aus den fünfziger Jahren, die ich in einer Auswahl dem zweiten Bande angeschlossen, habe ich noch ein Wort zu sagen, um Mißdeutungen vorzubeugen.

 

Wiederholt bin ich von literarischen Freunden aufgefordert worden, was ich in den Jahren 1854–59 an Kritiken im Literaturblatt des Deutschen Kunstblatts erscheinen ließ, gesammelt herauszugeben. Ich habe mich stets geweigert, diese jugendlichen, in Form und Inhalt vielfach unreifen Arbeiten aus Licht zu ziehen, obwohl mir vorgehalten wurde, es sei jedenfalls von historischem Interesse, aus ihnen zu erfahren, wie man vor einem halben Jahrhundert über damals neu hervortretende Erscheinungen geurteilt habe. Auch dürfe ich es mir zum Verdienst anrechnen, auf manchen Dichter, der sich anfangs noch keiner allgemeinen Würdigung erfreute – Theodor Storm, Turgenjew, Mörike, Hermann Kurz, Hebbel als Lyriker und andere – zuerst in eingehender Kritik hingewiesen, ja selbst Grillparzer in Norddeutschland zu den gebührenden Ehren verholfen zu haben, die ihm Ende der fünfziger Jahre sogar in seinem Österreich noch vorenthalten wurden.

 

Wenn ich mich nun doch endlich diesem freundlichen Anbringen füge, so geschieht es, weil ich jenen jugendlichen Expektorationen an sich zwar auch heute noch keinen höheren Wert beilege, ihnen jedoch eine Stelle in diesem Buche nicht versagen will, da sie hier als Zeugnisse meiner Entwicklung dienen und zu den »Bekenntnissen aus der Werkstatt« wohl eine schickliche Ergänzung sein möchten.

 

Ich konnte mir freilich, als ich diese mir selbst völlig fremd gewordenen Blätter wieder überflog, nicht verhehlen, daß es eine starke Zumutung an den Leser sei, sich durch diese weitschweifigen ästhetischen Betrachtungen, die oft in einen schwerfälligen, gesuchten und überladenen Stil verfielen, geduldig hindurchzuwinden. Zumal ich mir versagen mußte, was mir selbst der Besserung sehr bedürftig schien, zu überarbeiten oder zu kürzen, um den dokumentarischen Wert nicht zu vermindern. Auch gewisse übereilte Urteile mußte ich stehen lassen, in der Hoffnung, daß im großen und ganzen das redliche Bemühen, überall der Aufgabe gerecht zu werden, erkannt und die unzulänglichen Ergebnisse nachsichtig beurteilt werden möchten.

 

Freilich begann man auch schon damals zu wünschen, über neuere Erscheinungen nicht gründlich belehrt, sondern kurz und bündig im Feuilletonstil orientiert zu werden, so daß nach einem Jahre meiner selbständigen Redaktion (1859) es dem Verleger des Kunstblatts zweckmäßig erschien, das Literaturblatt eingehen zu lassen.

 

Den jugendlichen Rezensionen habe ich zwei Aufsätze aus viel späterer Zeit über Goethes Dramen angeschlossen, auf die ich ihrer Themata wegen noch heute Wert legen möchte.

 

 

München, April 1912

 

Paul Heyse

 

 

1. Mein Elternhaus


 


 

Wenn es für ein Findelkind ein erhebendes Gefühl ist, sich selbständig durch die Welt geschlagen zu haben, so hat doch das Bewußtsein, einem edlen Stamm wackerer Vorfahren entsprossen zu sein, einen höheren Wert, in dem Maße, als dankbare Pietät das kühle Selbstgefühl, niemand als sich selbst für sein Leben verpflichtet zu sein, an wärmender und beglückender Kraft überwiegt.

 

Freilich legt ja auch der Vorzug, trefflicher Eltern sich rühmen zu dürfen, dem Sohne Pflichten auf, die kein Ausruhen auf ererbten Lorbeeren gestatten, und mein Oberlehrer in der Quinta des Gymnasiums wußte, was er tat, als er mir in mein Schülerstammbuch (auf griechisch, das ich damals noch nicht verstand) die homerische Mahnung schrieb:

 

Immer der Erste zu sein und vorzustreben den Andern,

Ehre zu machen der Väter Geschlecht

 

In mir aber war der Familiensinn, der allen Heyses im Blute liegt, noch besonders genährt worden, da ich zu dem stattlichen Bilde meines Großvaters in unserer Wohnstube von früh an mit Ehrfurcht aufblicken lernte. Auch von den Brüdern meines Vaters, dem Petersburger Großkaufmann Ludwig1, Onkel Theodor  in Italien, dem großen Griechen und Catullübersetzer, und dem Onkel Gustav in Aschersleben, der erst Bergmann, dann bis an sein Ende an der dortigen Realschule ein hochverehrter Lehrer war, von ihnen allen erfuhr ich, daß sie dem Geschlecht der Väter Ehre machten. Vor Allen aber sah ich schon in der helldunklen Knabenzeit im eigenen Vater ein Vorbild alles Edlen und Guten, Selbstlosigkeit mit schlichtem Selbstgefühl gepaart und die Pflichttreue, mit der er eine große, ihm vom Vater überkommene Arbeitslast lebenslang auf Kosten seiner Gesundheit und eigener Lieblingsaufgaben trug. Höher hinauf erstreckte sich meine genealogische Kenntnis damals nicht, und es fehlte mir auch die historische Neugier, in den Wipfel unseres Stammbaums hinaufzuklettern. Erst später erfuhr ich, daß wir unser Geschlecht bis auf einen Johann Heinrich Heyse zurückführen können, der während des Dreißigjährigen Krieges als Landwirt in Lipprechtsrode bei Bleicherode lebte und im Jahre 1683 starb. Nach ihm kam ein Johann Adam, geboren 1669, gestorben in Nordhausen als Ädituus und Schullehrer am Frauenberge. Sein Sohn Johann Georg, der Theologie und Philosophie studiert hatte, folgte dem Vater in dessen Ämtern, war auch als Organist an der Frauenberger Kirche angestellt, und starb 1784.

 

Dessen Sohn, Johann Christian August, 1764 in Nordhausen geboren, war mein Großvater. Auch er hatte Theologie und Philosophie studiert, dann aber in Oldenburg eine Mädchenschule gegründet und später seinen Wohnsitz in Magdeburg genommen, wo er 1829 als Direktor der dortigen höheren Töchterschule starb.

 

In Oldenburg war ihm sein ältester Sohn, Karl Wilhelm Ludwig, mein Vater, am 15. Oktober 1797 geboren worden. So bin ich also nur von der Mutter Seite ein richtiges Berliner Kind, da sie am 12. Januar 1788 als die jüngste Tochter des königlich preußischen Hofjuweliers, des »Hofjuden« Salomon Jakob Salomon und dessen Ehefrau Helene, geborenen Meyer (gestorben 1811) zur Welt kam. Fünf Geschwister, zwei Brüder und drei Schwestern, gingen ihr voran, sämtlich von der Natur glücklich ausgestattet mit lebhaftem Geist und einem schönen Äußeren, wie man es in gewissen aristokratischen jüdischen Familien findet. Nur die Züge des ältesten Bruders, Simon, und einer der Töchter,...

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