Sie sind hier
E-Book

Kaiserliche Kindheit

Aus dem aufgefundenen Tagebuch Erzherzog Carl Ludwigs, eines Bruders von Kaiser Franz Joseph

AutorGabriele Praschl-Bichler
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783902998347
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Es zählt zu den Sternstunden eines Historikers, wenn er unverhofft auf handschriftliches Material stößt, das interessant ist und noch nicht veröffentlicht wurde. So fand sich unter verschiedenen Dokumenten des österreichischen Kaiserhauses das Tagebuch eines Erzherzogs, das er im Alter von elf Jahren begonnen hatte und zwei Jahre lang führte. Bei dem jugendlichen Autor handelt es sich nicht nur um einen der ranghöchsten Erzherzoge, sondern auch um den zweitältesten Bruder des späteren Kaisers Franz Joseph, der während der Entstehungszeit des Tagebuches bereits als Österreichs nächster Regent feststand. Seine und seiner Brüder späte Kindertage bilden den Inhalt des Buches, aus dem hervorzulesen ist, daß ihnen das Privatleben das Wichtigste war. Die überraschendste Entdeckung dabei: Der kaiserliche Alltag hätte nicht bürgerlicher und biederer sein können. Das Tagebuch gewährt Einblick in einen sehr privaten Lebensbereich der kaiserlichen Familie. Denn abgesehen von der Wiedergabe der Tageserlebnisse und von der Nähe des Erzählers zu den Ersten Personen des Landes entsprang dem Kindermund doch viel Spontanes und Wahrhaftes, das ein erwachsener Schreiber sicherlich unterdrückt hätte.

Dr. Gabriele Praschl-Bichler, geboren 1958 in Wien, beschäftigt sich beruflich mit Alltags- und Habsburger Geschichte und privat mit historischer und gegenwärtiger Koch- und Backkunst. Sie hat zahlreiche Bücher über die Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts sowie über das österreichische Kaiserhaus veröffentlicht und organisiert Ausstellungen zu diesen Themen. Nebenbei kopiert sie dekorative Wandmalerei und renoviert Häuser.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

April .1844.


Samstag

13. Man fürchtet, daß der Franzi Scharlach bekommen. Zur Vorsorge bin ich Nachmittags in den rothen Saal geschickt worden und habe dort geschlafen.

Mit Franzi ist der älteste Bruder Erzherzog Carl Ludwigs gemeint, der damals vierzehnjährige Franz Joseph und spätere Kaiser. Er war tatsächlich an Scharlach erkrankt, doch verlief die Krankheit – wie sich bald herausstellen sollte – für ihn und seine Familie sehr harmlos. Als Vorsichtsmaßnahme war er aber sofort von seinen Brüdern getrennt worden, mit denen er üblicherweise ein Appartement bewohnte. Für Carl Ludwig bedeutete die Krankheit des Bruders zunächst den Auszug in einen ›rothen Saal‹. Später übersiedelte er in ein noch weiter entfernt liegendes Quartier, in dem er in den folgenden Wochen wohnen sollte.

Sonntag

14. Heute hat sich der Scharlach entschieden ausgesprochen. Wir sind in der Früh mit dem kleinen Ludwig in den ersten Stock gezogen und bleiben nun von der Mama geschieden. Der Maxi geht zwar Früh und Abends zur Mama, weil er den Scharlach schon überstanden und folglich keine Ansteckung mehr zu fürchten hat; aber ich darf die Mama nur im Prater und auf dem Gang von Weitem sehen.

Bei den »Übersiedlern« handelt es sich um die drei Brüder Ferdinand Maximilian (›Maxi‹), Carl Ludwig und den ›kleinen Ludwig‹ (Victor). Daß die drei gesunden Kinder – und nicht das kranke – von der Mutter getrennt wurden, war unüblich für die Zeit. Denn Erzherzogin Sophie pflegte – im Unterschied zu den meisten Frauen der obersten Gesellschaftsschichten – die kranken Familienmitglieder selbst. Im Fall von ansteckenden Krankheiten – wie dem Scharlach, der damals bei mehr als einem Viertel der Bevölkerung tödlich endete – begab sie sich mit dem Betroffenen in Quarantäne. Sie übernahm meist alle Tag- und Nachtdienste und ließ sich nur selten von Pflegern unterstützen. Als im Jahr 1840 ihre einzige Tochter Maria Anna im Alter von knapp viereinhalb Jahren an einer schweren Krankheit litt (an deren Folgen sie auch verstarb), war sie keinen Augenblick lang von ihrer Seite gewichen und hatte das Kind bis zu seinem Tod ununterbrochen betreut.

Die Bemerkung, daß Carl Ludwig seine Mutter ›nur im Prater‹ und ›auf dem Gang von Weitem sehen‹ durfte, bezieht sich auf die Trennung von ihr, die den scharlachkranken Sohn Franz Joseph versorgte. Treffen durfte er sie nur auf den Gängen der Hofburg und bei Spaziergängen im Prater, wo keine Ansteckung zu befürchten war. Der Wiener Prater hatte ursprünglich zu den kaiserlichen Jagdrevieren gehört, seit 1766 war er der Öffentlichkeit zugänglich. Dorthin führten – solange man in der Hofburg wohnte – viele Spaziergänge der kaiserlichen Familie. Die elegante Welt Wiens fand sich allnachmittäglich im Prater ein, und Erzherzog Carl Ludwig sollte die Spaziergänge dorthin bis ins Alter pflegen. Als Erwachsener marschierte er meist die gesamte Strecke von der Innenstadt bis in den Prater und zurück (das dauerte je nach Route zwei bis drei Stunden), wohin er sich von einem Mann seines Gefolges oder von einem Verwandten begleiten ließ.

Montag

15. Heute hat uns der Franzi durch den Baron Gorizzutti einen Brief schreiben lassen. Heute begegneten wir der Mama und dem kleinen Ludwig. Ich bin zur Toilette zum kleinen Ludwig gegangen. Abends kamen die Bombelles.

Baron Franz Gorizzutti, einer der Kammerherren Erzherzog Franz Carls und Erzieher seiner drei älteren Söhne – Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig – hatte sich offensichtlich mit dem Scharlachkranken in Quarantäne begeben.

Daß man die Mama und den kleinen Bruder Ludwig traf, muß bedeuten, daß man beiden – getrennt – begegnete, da Erzherzogin Sophie sicherlich auch mit ihrem zweijährigen Sohn jeden Kontakt vermied.

›Die Bombelles‹ waren Studien- und Spielkameraden der jungen Erzherzoge und Söhne des kaiserlichen Ajos Heinrich Graf Bombelles. Sie hießen Markus (›Marko‹) und Carl (›Charli‹) und entsprachen im Alter den Erzherzogen Franz Joseph und Ferdinand Maximilian.

Dienstag

16. Dem Franzi geht es besser. Ich habe zum ersten Mahle die Urika geritten. Zum ersten Mahl bin ich zum Frühstück vom kleinen Ludwig gegangen.

Der Scharlach Franz Josephs nahm einen schnellen Verlauf. Die Krankheit war am 13. April aufgetreten, und schon bald ging es ihm nach eigenen Angaben wieder ›sehr gut‹. Daraufhin nahmen die Bemerkungen darüber im Tagebuch Carl Ludwigs ab, weshalb die Sensation des Tages dem ersten Ritt auf einem Pferd namens Urika galt.

Der Besuch des kleinen Bruders Ludwig Victor während seines Frühstücks ist einer der vielen Hinweise darauf, daß die Bewohner der verschiedenen Appartements (die drei älteren Brüder Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig, die Eltern, Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl, der kleine Ludwig Victor, das Kaiserpaar usf.) das Morgenmahl getrennt einnahmen. Zu Mittag aßen die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern, worauf ein langes, familiäres Zusammensein folgte.

Mittwoch

17. Heute sind wir mit dem Papa, der Mama und dem kleinen Ludwig in dem Prater zusammengekommen. Abends bin ich allein.

Wegen der Ansteckungsgefahr waren die gemeinsamen Zusammenkünfte der Eltern mit den drei gesunden Brüdern noch immer auf die Praterspaziergänge beschränkt. Der Hinweis auf das abendliche Alleinsein bezog sich ebenfalls auf die Trennung von den Eltern, bedeutete aber ›allein mit einem der Erzieher‹. Sie teilten – vor allem zum Schutz ihrer Zöglinge – das Appartement mit ihnen. Das Abendprogramm mit dem Erzieher oder mit den Eltern war auf das Alter der Kinder abgestimmt. In dieser Epoche wurden meist Geschichten vorgelesen oder andere Unterhaltung gepflogen.

Donnerstag

18. Der Albert, die Marie, der Onkel Carl und der Stephan sind heute angekommen. Wir sind geritten. Der Wittek war Abends allein bei uns.

Mit Albert und Marie sind – streng genommen – ein Onkel und eine Tante zweiten Grades gemeint, die an diesem Tag mit ihrem Vater, Erzherzog Carl (dem ersten Bezwinger Napoleons), – von wo immer – in Wien ankamen. Stephan war ein Neffe Erzherzog Carls, der spätere Palatin von Ungarn.

J. Wittek zählte zu den Erziehern der jungen Erzherzoge. Er unterrichtete Böhmisch (Tschechisch) und war vermutlich ein Verwandter – vielleicht sogar der Vater – Heinrich Ritters von Wittek, des späteren Ministerpräsidenten.

Freitag

19. Heute ist der Geburtstag des Kaisers. Deßwegen ist große Parade; wir waren bei ihm, um zu gratuliren. Der Palatino ist angekommen. Dem Franzi geht es besser. Der Graf Coronini ist angekommen. Heute Abends sind die Bombelles gekommen.

Der Kaiser, dessen 41. Geburtstag man feierte, war Ferdinand I., ein direkter Onkel Carl Ludwigs. Mit dem ›Palatino‹ ist Erzherzog Josef, ein Großonkel, gemeint, der zu diesem Zeitpunkt die Würde des Palatins von Ungarn innehatte und der – wie einen Tag vorher die Familie Erzherzog Carls – vermutlich auch wegen der Geburtstagsfeierlichkeiten zu Ehren des Kaisers angereist war.

Graf Johann Baptist Coronini-Cronberg war einer der Kammerherren Erzherzog Franz Carls und Erzieher der jungen Erzherzoge, der hauptsächlich dem ältesten Sohn, Franz Joseph, zugeteilt war.

Das abendliche Kommen der Brüder Bombelles bedeutete Spiel und Unterhaltung.

Samstag

20. Heute sind wir geritten und haben Visite gemacht. Abends war die Großmama mit der Amie bei uns.

»Visitemachen« gehörte zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Ohne sich anzumelden, schaute man bei Bekannten vorbei, um ihnen einen Kurzbesuch abzustatten. Er verlangte dem Besuchten einen Gegenbesuch ab. War er nicht anzutreffen, so hinterließ man die Visitenkarte, die ebenso zum Gegenbesuch verpflichtete.

Beliebte Gesellschafterinnen der jungen Erzherzoge waren die ›Großmama‹ und die ›Amie‹ (ihre ›Freundin‹). Kaiserin Caroline Auguste war eine geborene Prinzessin von Bayern, vierte Ehefrau und Witwe nach Kaiser Franz II./I. Als solche rangierte sie als Großmutter. Da sie aber auch Halbschwester Erzherzogin Sophies, der Mutter Carl Ludwigs, war, stand ihr ebenso die Ansprache ›Tante‹ zu. Erzherzog Franz Joseph hatte für sie den Titel einer Großmutter-Tante entworfen. Ihre ›Freundin‹, Hofdame und Sternkreuzordensdame Baronin Luise Sturmfeder, hatte ursprünglich die...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Europa - Geschichte und Geografie

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Faschistische Selbstdarstellung

E-Book Faschistische Selbstdarstellung
Eine Retortenstadt Mussolinis als Bühne des Faschismus Format: PDF

Unter dem italienischen Faschismus wurden südlich von Rom neue Städte in den ehemaligen Pontinischen Sümpfen gegründet. Diese faschistischen Retortenstädte verknüpften neue sozialpolitische Modelle…

Spätmoderne

E-Book Spätmoderne
Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I Format: PDF

Der Sammelband „Spätmoderne" bildet den Auftakt zur Reihe „Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa" und widmet sich zuvorderst osteuropäischen Dichtwerken, die zwischen 1920 und 1940…

Spätmoderne

E-Book Spätmoderne
Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa I Format: PDF

Der Sammelband „Spätmoderne" bildet den Auftakt zur Reihe „Lyrik des 20. Jahrhunderts in Ost-Mittel-Europa" und widmet sich zuvorderst osteuropäischen Dichtwerken, die zwischen 1920 und 1940…

Weitere Zeitschriften

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

CE-Markt

CE-Markt

CE-Markt ist Pflichtlektüre in der Unterhaltungselektronik-Branche. Die Vermarktung von Home und Mobile Electronics mit den besten Verkaufsargumenten und Verkaufsstrategien gehören ebenso zum ...

dental:spiegel

dental:spiegel

dental:spiegel - Das Magazin für das erfolgreiche Praxisteam. Der dental:spiegel gehört zu den Top 5 der reichweitenstärksten Fachzeitschriften für Zahnärzte in Deutschland (laut LA-DENT 2011 ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...