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Kampfplatz Kamera. Die filmkulturelle Bedeutung der filmstudierenden '68er Generation

Am Beispiel der Protestaktivitäten an der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb)

AutorKarl-Heinz Stenz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl73 Seiten
ISBN9783640140312
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Kulturwissenschaften - Empirische Kulturwissenschaften, Note: 1,1, Universität Hildesheim (Stiftung), 65 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Herbst 2006 feierte die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ihr 40jähriges Jubiläum. Die geladenen Ehrengäste der obligaten Feierstunde wurden mit Hartmut Bitomski von jemandem begrüßt, der einst als Student von eben dieser dffb relegiert wurde, der er nun als Direktor vorstand. Es war im Herbst 1968, als die damalige dffb-Leitung auf einen Schlag etwa ein Drittel ihrer Studenten, 18 an der Zahl, vom Studium ausschloss. Selbst im Symboljahr der Studentenunruhen war eine solche Massenrelegation ein einmaliger Vorgang. Vorausgegangen war ihr eine anderthalb Jahre dauernde schwere Auseinandersetzung zwischen Studenten und Leitung, die die dffb fast an den Rand ihrer Schließung manövriert hätte, nach gerade Mal zwei Jahren des Bestehens. Unter großem öffentlichem Interesse hatte im September 1966 mit der feierlichen Eröffnung der dffb als der ersten westdeutschen Filmschule die akademische Filmausbildung in der BRD überhaupt erst begonnen. Erstmalig in der BRD sollten 35 Ausgewählte eine akademische Filmausbildung erhalten. Dazu zählten zahlreiche später relevante Namen, etwa erwähnter Bitomski und Harun Farocki, beide maßgebend für den Essayfilm; Helke Sander, später eine Wortführerin des Frauenfilms; Christian Ziewer und Max Willutzki, Protagonisten des Arbeiterfilms und Jonathan Briel, dem maßgebende Wirkung für Literaturverfilmungen nachgesagt wird. Aber auch Namen, die sich weniger mit dem späteren Profil der dffb als Schule des politisch-engagierten Gegenwartsfilms verbinden, wie Daniel Schmidt, Wolf Gremm oder Wolfgang Petersen. Andere erlangten außerhalb des Films Bekanntheit, wie Gerry Schum, der mit seinen 'Fernsehausstellungen' und der 'Videogalerie' zu einem Vorreiter der Videokunst avancierte, oder der spätere RAF-Terrorist, Holger Meins. Die Studienzeit dieses Jahrgangs und die ersten Betriebsjahre der dffb fielen zusammen mit '68'. Bereits im Frühsommer 1967 kam es zu öffentlichen Angriffen und Rücktrittsforderungen gegenüber dem Direktor, Erwin Leiser. Die nach dem Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 durch einen Polizisten einsetzenden Studentenrevolten ergriffen auch die Filmakademie. Öffentliche Aktionen, wie die Besetzung der Akademieräume, und politisch radikale Filme der Studenten, etwa gegen die Springerpresse, verliehen der dffb den Ruf, ein 'Hort linker Umtriebe' zu sein.[...]

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Leseprobe

Einleitung

 

Im Herbst 2006 feierte die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ihr 40jähriges Jubiläum. Die geladenen Ehrengäste der obligaten Feierstunde wurden mit Hartmut Bitomski von jemandem begrüßt, der einst als Student von eben dieser dffb relegiert wurde, der er nun als Direktor vorstand. Es war im Herbst 1968, als die damalige dffb-Leitung auf einen Schlag etwa ein Drittel ihrer Studenten, 18 an der Zahl, vom Studium ausschloss. Selbst im Symboljahr der Studentenunruhen war eine solche Massenrelegation ein einmaliger Vorgang. Vorausgegangen war ihr eine anderthalb Jahre dauernde schwere Auseinandersetzung zwischen Studenten und Leitung, die die dffb fast an den Rand ihrer Schließung manövriert hätte, nach gerade Mal zwei Jahren des Bestehens.

 

Unter großem öffentlichem Interesse hatte im September 1966 mit der feierlichen Eröffnung der dffb als der ersten westdeutschen Filmschule die akademische Filmausbildung in der BRD überhaupt erst begonnen. Erstmalig in der BRD sollten 35 Ausgewählte eine akademische Filmausbildung erhalten. Dazu zählten zahlreiche später relevante Namen, etwa erwähnter Bitomski und Harun Farocki, beide maßgebend für den Essayfilm; Helke Sander, später eine Wortführerin des Frauenfilms; Christian Ziewer und Max Willutzki, Protagonisten des Arbeiterfilms und Jonathan Briel, dem maßgebende Wirkung für Literaturverfilmungen nachgesagt wird. Aber auch Namen, die sich weniger mit dem späteren Profil der dffb als Schule des politisch-engagierten Gegenwartsfilms verbinden, wie Daniel Schmidt, Wolf Gremm oder Wolfgang Petersen. Andere erlangten außerhalb des Films Bekanntheit, wie Gerry Schum, der mit seinen „Fernsehausstellungen“ und der „Videogalerie“ zu einem Vorreiter der Videokunst avancierte, oder der spätere RAF-Terrorist, Holger Meins. Die Studienzeit dieses Jahrgangs und die ersten Betriebsjahre der dffb fielen zusammen mit „68“. Bereits im Frühsommer 1967 kam es zu öffentlichen Angriffen und Rücktrittsforderungen gegenüber dem Direktor, Erwin Leiser. Die nach dem Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 durch einen Polizisten einsetzenden Studentenrevolten ergriffen auch die Filmakademie. Öffentliche Aktionen, wie die Besetzung der Akademieräume, und politisch radikale Filme der Studenten, etwa gegen die Springerpresse, verliehen der dffb den Ruf, ein „Hort linker Umtriebe“ zu sein. Die erwähnte Relegation bildete den Höhepunkt der Eskalation und gleichzeitig den Beginn einer Konsolidierung. Die ersten bundesdeutschen Filmstudenten zum Teil für die spätere Filmgeschichte nicht ohne Bedeutung blieben, waren also mehrheitlich „68er“ Proteststudenten. Da liegt die Vermutung nahe, dass sich darüber „68“ ins Filmwesen einschreibt.

 

Die Chiffre „68“ markiert neben der Wiedervereinigung 1990 die vielleicht wichtigste Zäsur in der Geschichte der BRD. Die spektakulären Ereignisse rund um die damalige Studentenbewegung vermochten es demnach innerhalb kürzester Zeit, eine vom Mentalitätsüberhang der NS-Zeit geprägte bundesdeutsche Gesellschaft zu reformieren. Von der konservativ-autoritären Adenauer-Ära des Nachkriegsjahrzehnts hin zur sozial-liberalen Modernität der siebziger Jahre vollzog sich in der BRD ein tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Wandel, der weitestgehend mit dem Datum 1968 assoziiert wird. Daneben wird das Datum aber auch mit dem RAF-Terror der siebziger Jahre assoziiert. Nach dem Auseinanderfallen der Einheit der APO strebte ein Teil der Studentenbewegung den gesellschaftlichen Wandel mittels militanter Aktionen an. In der Tat rekrutierte sich die erste Generation der „Roten Armee Fraktion“ aus dem Umfeld der Studentenbewegung. So erscheint 1968 als Auftakt des linksextremistischen Terrorismus, der bis in die achtziger Jahre hinein anhielt. Diese beiden unterschiedlichen Narrative bestimmten die nachfolgenden Deutungen des historischen Phänomens „68“, in denen sich die politische Konfrontation fortsetzte. Befürworter und einstige Akteure reklamierten den gesellschaftlichen Aufbruch als historische Leistung der Studentenbewegung, während die Gegner darin den Auftakt einer Gewaltserie sahen. Beide Seiten betrachten das Datum 1968 als spontanen Beginn einer Entwicklung und reduzieren das ganze Jahrzehnt auf „die Zeit um 1968“.

 

Nachdem das Interesse zwischenzeitlich nachließ, erwachte ab Ende der Neuziger Jahre ein erneutes histographisches Interesse an den 68ern, als mit der Regierung Schröder diese Generation den Gipfel der politischen Macht erreichte und ihren Machtanspruch nicht zuletzt mit ihrer einstigen historischen Leistung legitimierte. Diese neuere Forschung sei verstärkt um eine Historisierung und Entmythologisieren bemüht, so Detlef Siegfried.[1] In seiner Sammelrezension stellt er zudem drei Perspektiven dieser neuerlichen Annäherung an „68“ fest. Eine Reihe von Arbeiten historisiert das Ereignis, indem es das Datum in längere Zeitläufe einbettet, besonders in die so genannten „langen 60er Jahre“, zwischen 1958/59 und 1973/74. Zudem wird die politikgeschichtliche Perspektive häufig um moralische, kulturelle, lebensweltliche Blickwinkel erweitert. Eine andere Gruppe untersucht „68“ als historisches Ereignis in seiner internationalen Dimension und vergleicht die parallelen Ereignisse in verschiedenen Ländern. Im Gegensatz zur geographischen oder zeitlichen Makro-Perspektive nimmt eine dritte Gruppe von Arbeiten gleichsam eine Mikro-Perspektive ein und versucht eine Versachlichung durch Regionalisierung. Unterhalb der nationalen Ebene, aber auch unterhalb der ideologischen Fixierungen untersucht diese Strömung das Phänomen unter Berücksichtigung lokaler Besonderheiten, wie Institutionen, Mentalitäten und Personen. In diese Gruppe regionalisierter Untersuchungen reiht sich gewissermaßen auch die vorliegende Arbeit ein, indem sie das Phänomen 1968 anhand der Institutionengeschichte der West-Berliner Filmschule untersucht.

 

Anders als in der Zeitgeschichte ist 1968 in der Filmgeschichte nicht das entscheidende Zäsurdatum. Auch in der bundesdeutschen Filmgeschichte bilden die sechziger Jahre eine Umbruchphase, von „Papas Kino“ zum „Neuen deutschen Film“, um es auf die Kürze dieser Signaturen zu bringen. Schon um 1960, als in den meisten anderen Branchen noch ungebremstes Wachstum herrschte, geriet der Film in eine schwere wirtschaftliche Krise. Die Notwendigkeit zur Reform war somit im Film früher als anderswo erkennbar. Und früher als in anderen Feldern wurde der Wandlungsprozess lautstark artikuliert. 1962 meldete die Neuerungsbewegung im Oberhausener Manifest ihre Ansprüche an. Das Oberhausener Manifest markierte den Auftakt des „Jungen deutschen Film“, jener Neuerungsbewegung nach dem Vorbild der französischen Nouvelle Vague, wie es sie auch in anderen Länder gab: das ‚free cinema’ in Großbritannien oder die ‚New American Cinema Group’, sowie die Neuerungsbewegungen in einigen Ostblockländern. 1965 nahm das „Kuratorium junger deutscher Film“, ein filmpolitischer Erfolg der Neuerer, seine Arbeit auf. 1966 erschien mit Alexander Kluges „Abschied von Gestern“ die erste mit „Junger deutscher Film“ bezeichnete Produktion. Ihr folgten im Jahr darauf zahlreiche weitere. Der Transformationsprozess im Film machte sich als schon vor 1968 bemerkbar, so konnte das Datum filmgeschichtlich nie diese Bedeutung erlangen, die es für die Zeitgeschichte darstellt.

 

Was 1968 für die Zeitgeschichte, stellt für die Filmgeschichtsschreibung eher das Jahr 1962 dar: die entscheidende Zäsur, die eine Tradition begründet, die sich nicht aus dem bestehenden Filmwesen generierte. Teil dieser neu begründeten Tradition ist aber auch die systematische Filmgeschichtsschreibung selbst, die bis dato in Deutschland nicht existent war. Nicht zufällig sind ihre sämtlichen Standartwerke von der Generation der jungen Filmpublizisten der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre, wie Ulrich Gregor, Enno Patalas oder Hans Helmut Printzler verfasst oder herausgeben worden. Die von der Zeitgeschichte abweichende filmgeschichtliche Periodisierung der Filmgeschichte stellte für die junge Filmgeschichtsschreibung gleichsam einen Legitimationsbeweis dar. Sie unterstreicht, dass die Geschichte des Films eigenständige Dynamiken aufweist und daher einer eigenständigen Untersuchungsdisziplin bedarf. So gesehen konnte die Filmgeschichte kaum ein Interesse daran haben, den Einfluss der zeitgeschichtlichen Zäsur auf den Film zu beleuchten. Wenn ‚1968’ in der Filmgeschichte zumeist nur als Randnotiz in Erscheinung tritt, so ist dabei auch die Rolle der deutschen Filmgeschichtsschreibung zu bedenken. Zudem pflegt die Filmgeschichtsschreibung einen stilgeschichtlichen Ansatz. Aus dieser Perspektive erscheint das historische Phänomen „68“ bestenfalls als gesellschaftlicher Hintergrund, der sich im Filmwerk lediglich vermittelt artikuliert.

 

Die vorliegende kulturgeschichtliche Arbeit setzt sich zum Ziel, unmittelbare Einflussfaktoren von „68“ auf die Filmkultur zu ermitteln. Einflüsse, die sich nicht im hermeneutischen Artikulieren eines zeitgeistlichen Hintergrunds erschöpfen. Die Idee der vorliegenden Arbeit ist es, den Einflüssen an einem Punkt nachzugehen, wo sich die betreffende Zeitgeschichte und die Filmgeschichte unmittelbar berühren: dort wo die Studentenbewegung von 1968 auf Filmstudenten trifft. Dabei verfolgt die Arbeit einen...

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