Das allgemein verbreitete Bild von Schule sieht so aus: Im geschlossenen Klassenzimmer steht die Lehrkraft als Einzelkämpfer und arbeitet unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Kollegen mit den Schülerinnen und Schülern (Carle, S. 79). Die Kooperation mit anderen Lehrkräften beschränkt sich auf die knapp bemessene Zeit im Lehrerzimmer, wo häufig Platzmangel vernünftiges Arbeiten verhindert. Nach erledigtem Unterricht korrigiert die Lehrkraft zuhause Hausaufgaben, vergibt Noten und bereitet sich für den nächsten Tag vor. Gräsel, Fußangel und Pröbstel (2012, S. 205) erkennen durch Vergleich empirischer Studien von 1969 bis 2002 keinen Trend zu vermehrter Zusammenarbeit und unterstreichen den untergeordneten Stellenwert der Lehrkräftekooperation im Schulalltag.
Das folgende Kapitel charakterisiert den Begriff der „Kooperation“ und deren Bedingungen bzw. Formen hinsichtlich der Erstellung von Unterrichtsvorbereitungen. Es werden zwei dafür geeignete Modelle der Gruppenkooperation beschrieben und sowohl die positive Wirkung von Lehrkräftekooperation als auch mögliche Grenzen aufgezeigt.
Die Organisationssoziologie bezeichnet Kooperation als den Übergang von einer isolierten, individuellen Bemühung um die Verfolgung eines Zieles zu einer kollektiven Anstrengung im Interesse einer gesteigerten Leistungsfähigkeit (Bonazzi, 2008 S. 65). Die Anlässe für Kooperation liegen darin, die Grenzen individueller Leistungsfähigkeit zu überwinden. Sie ist das Resultat einer komplexen Abstimmung, in der die Bedingungen der Beteiligung und die individuellen Beiträge ausgehandelt werden (Kuper & Kapelle, 2012, S. 41). Van Lange und De Dreu (2002) definieren Kooperation als „Verhalten, das die Handlungsergebnisse (oder das Wohl) eines Kollektivs (bzw. einer Gruppe) maximiert“. Der Sozialpsychologe Argyle (1991, zitiert nach Spieß, 2005, S. 209) versteht Kooperation als Form gesellschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Personen, Gruppen oder Institutionen bzw. als soziale Interaktion. Sie zeichnet sich durch bewusstes und planvolles Herangehen bei der Zusammenarbeit sowie durch Prozesse der gegenseitigen Abstimmung aus (Piepenburg, 1991).
In der Schulforschung lässt sich der Begriff der Kooperation vielfältig anwenden. Er reicht von gemeinsamer Unterrichtsvorbereitung, Team-Teaching über kollegiale Hospitationen bzw. kooperativer Beobachtung bis hin zur sogenannten „professionellen Lerngemeinschaft“ (Schmich & Burchert, 2010, S. 63). Häufig (vgl. Fussangel & Gräsel, 2012; Pröbstel & Soltau, 2012; Schmich & Burchert, 2010) wird in diesem Zusammenhang die Definition nach Spieß (2004, S. 199) verwendet:
„Kooperation ist gekennzeichnet durch den Bezug auf andere, auf gemeinsam zu erreichende Ziele bzw. Aufgaben, sie ist intentional, kommunikativ und bedarf des Vertrauens. Sie setzt eine gewisse Autonomie voraus und ist der Norm von Reziprozität verpflichtet.“
Gräsel et. al. (2012, S. 206) betonen, dass die Definition nach Spieß keine dauerhaft zusammenarbeitenden Arbeitsgruppen erfordert, die durch ein „Wir-Gefühl“ oder durch Gruppennormen gekennzeichnet sind. Sie erfordert keine spezifische Organisationsstruktur und ist damit für das Arbeitsfeld „Schule“ geeignet, weil dort feste Arbeitsgruppen eher eine Ausnahme bilden und nicht obligatorisch sind.
Was die Organisation Schule betrifft, so betrachten Steinert et al. (2006, S. 191) den Begriff der Kooperation aus der Perspektive dreier Ebenen. Die erste Ebene ist die Schulorganisation, die sich um die pädagogische Orientierung und das Zielkonzept der Schule kümmert. Ihr obliegt die Koordination der schulischen Förderangebote, die Information und Kommunikation, die Aufgabenverteilung sowie die Berichterstattung und Evaluation. Auf einer weiteren Ebene beschäftigt sich das Personalmanagement mit Professionalisierung, Rekrutierung, Fortbildung und Beratung der Lehrkräfte und der Diagnose des Lehrerhandelns. Auf einer dritten Ebene findet sich die Unterrichtsorganisation: Hier geht es um Kooperation bezüglich Curriculum, Unterrichtsvorbereitung, Fachinhalte, Fach-Didaktik und Methodik, Beratung und Diagnose der Lernentwicklung und individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler.
Vorrangig ist für die Kooperation bei der Unterrichtsvorbereitung die dritte Ebene der Unterrichtsorganisation relevant, obwohl auch die Ebenen der Schulorganisation und des Personalmanagements davon profitieren können, beispielsweise durch Evaluierung des Materials hinsichtlich der gesteckten Ziele oder zur Diagnose des Lehrerhandelns.
Gräsel et al. (2006, S. 207-209) führen drei Kernbedingungen für Kooperation an, die sowohl in der organisationspsychologischen als auch in der Schulforschung untersucht wurden. Diese sind: Gemeinsame Aufgaben und Ziele, Vertrauen sowie Autonomie.
Was den Austausch von Unterrichtsvorbereitung betrifft, so stellt sich für Lehrkräfte die gemeinsame Aufgabe und das Ziel, den einheitlichen Rahmenlehrplan bestmöglich zu erfüllen. Die Art der Zielerreichung hängt von individuellen Präferenzen für pädagogische, didaktische und methodische Vorgehensweisen ab.
Vertrauen als Kernbedingung bezieht sich auf mögliche Handlungen anderer, die sich der eigenen Kontrolle entziehen. Die Kooperationspartner vertrauen darauf, dass öffentlich anerkannte Regeln und Verfahren von allen akzeptiert werden und faire Bedingungen der Zusammenarbeit vorherrschen. Dies beinhaltet den Grundgedanken von Gegenseitigkeit bzw. der Reziprozität (Spieß, 2005, S. 209–210). Lehrkräfte sollen vertrauen können, dass sie ihre Unterrichtsvorbereitungen nicht nur anderen zur Verfügung stellen, sondern mittelfristig auch davon profitieren können.
Das kann in Form von erhaltenem Unterrichtsmaterial oder durch soziale Anerkennung und Wertschätzung erfolgen. Die allgemeine Bekanntheit dieser sozialen Anerkennung und Wertschätzung kann wiederum eine Entscheidungsgrundlage dafür sein, wessen Unterrichtsmaterial „vertraut“ wird, welches qualitativ hochwertig, brauchbar, ideenreich oder empfehlenswert ist. Was Vertrauen betrifft, halten sich Menschen üblicherweise an soziale Merkmale. Das sind zum Beispiel der Beruf, die soziale Rolle, das Alter oder das Geschlecht. Ein zusätzlicher, wichtiger Entscheidungsfaktor ist die Reputation (Kalz, Klamma & Specht, 2008, S. 25). Menschen werden eher als vertrauenswürdig eingeschätzt, wenn dies auch Personen des engeren Umkreises tun, beispielsweise Freunde oder Kollegen.
Wenn aufgabenbezogene oder personelle Konflikte auftreten, ist ihre Handhabung sowohl vom individuellen Vertrauen der beteiligten Personen als auch von schulischen Strukturen und vom Schulklima abhängig. In einem allgemeinen Klima der Wertschätzung erfolgt Kritik konstruktiv und angemessen. Probleme können hier effizienter gelöst werden (Gräsel et al., S. 207–209).
Die dritte Kernbedingung, die Autonomie, beschreibt die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Lehrkraft. Diese Bedingung ist von ambivalentem Charakter. Zu viel Autonomie einer Einzelperson verhindert echte Gruppenkohäsion, ein Mangel wirkt einschränkend auf die Motivation. Um letzterem entgegenzuwirken, muss die Leistung des Einzelnen sichtbar bleiben. In Bezug auf die Lehrtätigkeit wird allerdings oft über ein Zuviel an Autonomie diskutiert, wenn die Unterrichtsvorbereitung nahezu vollständig in Einzelarbeit durchgeführt wird und wenn sich die Lehrkraft im Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern alleine im Klassenzimmer aufhält. Ein Eingriff in den Unterricht durch Außenstehende ist ungewohnt und wird entgegen jeder Norm empfunden (Gräsel et al., S. 207–209).
Sind die genannten Bedingungen der gemeinsamen Aufgaben und Ziele, des Vertrauens und der Autonomie erfüllt, kann es zur Kooperation von Lehrkräften kommen. In weiterer Folge können drei Formen der Kooperationsintensität unterschieden werden (Gräsel et al., S. 209–211):
1. Wechselseitiger Austausch von Informationen oder Unterrichtsmaterial: Dieser kann jederzeit stattfinden, eine zeitgleiche Arbeit an Aufgaben ist nicht notwendig. Die Lehrkräfte arbeiten individuell, was weiterhin eine hohe Autonomie gewährleistet. Man braucht keine Verhandlungen, sondern nur kurze informelle Gespräche oder Treffen. Diese werden als Informationssuche gewertet, nicht als Inkompetenz. Es finden sich selten negative Konsequenzen wie zeitraubende Aushandlungsprozesse, Konflikte oder eine Bedrohung des Selbstwertes.
2. Synchronisation bzw. arbeitsteilige Kooperation: Wenn Aufgaben so strukturiert werden können, dass eine verteilte Bearbeitung möglich ist, so kooperieren Lehrkräfte nach der Verständigung über gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen arbeitsteilig. So kann beispielsweise die Vorbereitung einer oder mehrerer Unterrichtseinheiten im Team...