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E-Book

Kursbuch 180

Nicht wissen

VerlagMurmann Publishers
Erscheinungsjahr2014
ReiheKursbuch 180
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783867744003
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Das Bewusstsein der Unmöglichkeit eines vollständigen Weltwissens, wie Sokrates es einst konstatierte, galt lange als ultimative Erkenntnis. Doch diese Form des Nichtwissens lässt sich noch steigern! Der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erweiterte mit seinem legendären Zitat ('But there are also unknown unknowns') das Spektrum der Dinge, die wir nicht wissen, um die Dinge, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie nicht wissen. Im Kursbuch 180 'Nicht wissen' gehen deshalb unter anderem Harald Lesch, Jürgen Zöllner und Gregor Maria Hoff der Bedeutung von Nicht-Wissen in Physik, Medizin Religion auf den Grund. Mit Beiträgen von Armin Nassehi, Wolfgang Schmidbauer, Karsten Fischer, Werner Vogd, Jürgen Zöllner, Ernst Poppel, Harald Lesch, Paul Hahn, Gregor Maria Hoff, Hans Urlich Gumbrecht, Peter Felixberger, Marting G. Kocher, Andreas Zeuch, Colm Tóibín und Andrian Kreye.

Seit 2012 erscheint das Kursbuch unter der Herausgeberschaft von Armin Nassehi und Peter Felixberger. ARMIN NASSEHI (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem 'Mit dem Taxi durch die Gesellschaft', in der kursbuch.edition erschien 'Gab es 1968? Eine Spurensuche'. PETER FELIXBERGER (*1960) ist Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers. Als Buch- und Medienentwickler ist er immer dort zur Stelle, wo ein Argument ans helle Licht der Aufklärung will. Seine Bücher erschienen bei Hanser, Campus, Passagen und Murmann. Dort auch sein letztes: 'Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?'. Das Kursbuch wurde 1965 von Hans Magnus Enzensberger zusammen mit Karl Markus Michel gegründet. Als einer der wichtigsten kritischen Begleiter der bundesdeutschen Öffentlichkeit setzte die Kulturzeitschrift Themen, die sonst nicht auf der öffentlichen Agenda standen. Demgegenüber gilt es heute, im vorhandenen Themendickicht neue Schneisen zu schlagen und überraschende und ungewohnte Verbindungen herzustellen. Unter der Herausgeberschaft von Peter Felixberger und Armin Nassehi bietet das Kursbuch solche neuen unerwarteten Perspektiven an. Nicht die großen Unterschiede werden diskutiert, sondern das, was einen Unterschied macht.

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Leseprobe

Armin Nassehi

Wenn wir wüssten!

Kommunikation als Nichtwissensmaschine

Eines der schönsten Kinderspiele ist die »Stille Post«. Einer beginnt und flüstert dem Nächsten ein Wort oder einen Satz ins Ohr, und am Ende wird dann geprüft, ob tatsächlich das herausgekommen ist, was der Erste gesagt hat. Dieses bisweilen lustige Kinderspiel klingt sehr harmlos, und doch variiert es die vielleicht wirkmächtigste Kommunikationstheorie des 20. Jahrhunderts, nämlich das Verständnis von Kommunikation als Relation von Sender und Empfänger. Sender und Empfänger werden durch die Informationsübertragung unterschieden. Wenn also der erste Sprecher »Mist« ins Ohr des zweiten flüstert und dieser »List« weitergibt und der Dritte dem Vierten eine »Lust« anvertraut, dann lässt sich darauf schließen, dass die Kommunikation insofern gestört ist, als das Signal nicht genau genug war.

Es ist auf dem Weg vom Ersten über den Zweiten und Dritten zum Vierten etwas verloren gegangen, Präzision nämlich, denn in einem wirklich gelungenen Kommunikationsprozess müsste auch der Letzte noch »Mist« hören. Für solch einen Kommunikationsprozess steht letztlich die technische Übertragung von Signalen Pate – also etwa die Übertragung über ein Kabel oder über Funk, bei der ja in der Tat meistens etwas verloren geht. Es entsteht im buchstäblichen Sinne des Wortes ein Rauschen, weil entweder der Sender nicht genau chiffriert hat oder der Empfänger nicht mit dem gleichen Algorithmus dechiffriert hat oder auf dem Übertragungsweg Bandbreite verloren gegangen ist. Was wir im Radio hören, ist nie so gut wie das, was in das Mikrofon gesprochen wurde – zunächst nur bezogen auf die Tonqualität –, und doch richten wir uns irgendwie darin ein, mit einer gewissen Unschärfe umzugehen. So werden Kommunikationskanäle dahin gehend eingerichtet, dass ihre Bandbreite der Differenziertheit und Tiefe des Signals entsprechen muss. Für die Übertragung einer Morsenachricht reicht tatsächlich ein Kanal aus, der Aktivität von Nichtaktivität unterscheiden kann, während die Stereoübertragung eines Symphoniekonzerts eine erheblich komplexere oder wenigstens dichtere Übertragungsform und -rate erfordert. Im Übrigen ist das Morsealphabet oder die binäre Darstellung von Zahlenwerten gerade dafür erfunden worden, mit möglichst einfachen Übertragungswegen auszukommen, während im Falle der Übertragung eines Symphoniekonzerts sich die Übertragungstechnik dem Übertragungszweck anpasst. Es gibt Technikfreaks, die bestimmte Musikaufnahmen oder auch Töne nur hören, um messen zu können, ob etwas und, wenn ja, was auf dem Übertragungsweg von einer Schallplatte oder CD-ROM über einen Verstärker bis zu den Lautsprechern verloren geht. Wer je solche Freaks über schlichte Lautsprecherkabel hat fachsimpeln hören (Material, Abschirmung, Querschnitt und so weiter) und wer sich schon einmal über den Meterpreis solcher Kabel gewundert hat, weiß, wovon hier die Rede ist.

Bis dato war nur vom Übertragungsweg die Rede. Natürlich kommt es auch auf Sender und Empfänger an. Man sagt dann, dass Verschlüsselung und Entschlüsselung nach den gleichen Regeln, in den gleichen Frequenzen oder in der gleichen Sprache erfolgen muss. Wer nicht »Mist«, sondern »rubbish« sagt, kommt weniger wahrscheinlich zum Missverständnis »List«, sondern hört dann vielleicht »rabbit«, und der nächste dann »Hobbit«. Also sogar das Missverständnis hängt davon ab, dass man mit ähnlichen Chiffrierungen, etwa einer Sprache, hier des Deutschen oder des Englischen, oder im Falle anderer Übertragungswege analoger oder digitaler Signale, Frequenzen oder sonstiger Einheiten arbeitet. Kommunikation in dem Sender-Empfänger-Modell ist davon abhängig, dass Sender und Empfänger auf der gleichen Frequenz senden und empfangen, und zugleich ist sie davon abhängig, dass möglichst wenig zwischen Sendung und Empfang verloren geht oder durcheinanderkommt.

Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation

Das ist freilich eine allzu simple Darstellung, denn hier würde Kommunikation gar nicht erklärt, sondern das größte Problem der Kommunikation bereits als gelöst vorausgesetzt, nämlich: dass auf denselben »Frequenzen« gesendet und empfangen wird. Doch die Sache ist komplizierter, und deshalb lohnt es sich, auf die aus den 1940er-Jahren stammende mathematische Kommunikationstheorie von Claude Shannon und Warren Weaver zu sprechen zu kommen.1 Shannon und Weaver haben versucht zu zeigen, dass Kommunikation nur zustande kommt, wenn aus Signalen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit Informationen generiert werden können – die Wahrscheinlichkeit richtet sich danach, ob die Signale sich einer mit den Mitteln des Empfängers dechiffrierbaren Ordnung fügen, die wiederum als Ordnung für den Empfänger plausibel sein muss. Das bedeutet, dass Kommunikation nicht einfach eine Übertragung von Informationen sein kann, weil Informationen nichts anderes sind als Kalkulationen im Hinblick auf andere mögliche Lösungen.

Wer also Funksignale aus dem All danach abscannt, ob sie womöglich von intelligenten Lebensformen stammen könnten, wird sie im Hinblick auf eine Ordnung im Vergleich zu anderen möglichen Ordnungen ordnen. Und wer versucht, herauszubekommen, was sein Mitmensch – Arbeitskollege, Liebespartner, Steueranwalt, Nachrichtensprecher – gerade mitteilt, wird die Signale auf Muster beziehen, die ihm selbst wahrscheinlich erscheinen, und entsprechend einordnen. Was Shannon und Weaver als mathematische Kommunikationstheorie bezeichnen, ist also das Kalkül, mit dem die Wahrscheinlichkeit des Signals von einem Empfänger berechnet wird.

Den beiden Pionieren der Kommunikationstheorie ging es zunächst um die technische Übertragung von Signalen, aber auch die semantische Form der Kommunikation, etwa in natürlicher Sprache, arbeitet sich an Wahrscheinlichkeiten von Bedeutungen ab. Das hätte man bereits aus der klassischen Hermeneutik wissen können, denn wenn sprachliche Äußerungen – von der einfachen Äußerung eines Mitmenschen bis zu göttlich geoffenbarten heiligen Schriften – unterschiedlich verstanden werden können, unterliegen Verstehensprozesse letztlich einem Wahrscheinlichkeitsmanagement der angemessenen Bedeutung, was immer und wer auch immer die jeweilige Angemessenheit kalkuliert.

Das Sender-Empfänger-Modell dieser klassischen Kommunikationstheorie ist also keineswegs so simpel, wie es sich zunächst anhört, denn es wird nicht einfach ein Signal übertragen, sondern es wird darauf hingewiesen, wie voraussetzungsreich es ist, dass Signale als Signale rezipiert werden. Die Grundbedingung der Kommunikation – symbolisiert in der Metapher der gemeinsamen »Frequenz« – kann also nicht vorausgesetzt werden, sondern muss im Prozess der Kommunikation erzeugt werden.

Shannons und Weavers Verdienst ist es also, auf die Unschärfe der Kommunikation hingewiesen zu haben. Sie haben letztlich sogar gezeigt, wie unwahrscheinlich Kommunikation ist, eben weil Kommunikationsprozesse stets mit der Unschärfe der Informationsübertragung umgehen müssen und gerade der Empfänger nicht einfach ein passiv empfangendes Gefäß ist. Auch das Empfangen von Signalen ist ein aktiver Prozess, der vor dem Hintergrundrauschen möglicher Signale dasjenige identifizieren muss, das insofern einen Unterschied macht, als es eine Information sein kann – oder muss man formulieren: einen Unterschied identifizieren, der dann einen Informationswert hat? Letztlich ist das egal, wenn nur darauf geachtet wird, dass auch der Empfang aktive Qualitäten haben muss. Das Übertragungsmodell Sender-Empfänger meint also streng genommen gar keine Übertragung, weil der Sender nur übertragen kann, wenn der Empfänger empfangsbereit oder -fähig ist. Das ist uns in unserer stark technisierten Welt heute vielleicht plausibler, als es zu Shannons und Weavers Zeiten war: Wir ärgern uns permanent mit technischem Equipment herum, das irgendwie kompatibel sein oder gemacht werden muss mit anderem technischem Equipment, wobei die Kompatibilität beziehungsweise die connectivity noch nicht die Kommunikation ersetzt, sondern bloß die Bedingung ihrer Möglichkeit darstellt. Letztlich aber halten wir Kommunikation dann für gelungen, wenn es so aussieht, als handle es sich um einen nachgerade verlustfreien Prozess von A nach B.

So gehen wir im Alltag öfter als selten davon aus, dass unser Gegenüber uns versteht und wir unser Gegenüber verstehen. Wir sind sogar so sehr darin geübt, dies kontrafaktisch vorauszusetzen, dass wir im Alltag mit vergleichsweise unscharfen Signalen umgehen können. Auch hier richtet sich die Notwendigkeit der Bandbreite von Kommunikationskanälen nach der Informationstiefe. Ein rotes Licht reicht schon, um uns dazu zu veranlassen, unser Automobil zum Stehen zu bringen. Und wenn uns im Zug der Schaffner auf Erschleichung des Wegeentgeltes prüft, dann reicht es schon, sein Gemurmel von dem der anderen Fahrgäste unterscheiden zu können, um die Fahrkarte zu zücken, während eine halbe Stunde zuvor die Wegeauskunft, wie man zum Bahnhof kommt, eine ziemlich genaue Übertragungsrate erfordert, um nicht eine Abzweigung zu übersehen, die dann alle anderen nachfolgenden Abzweigungen ihres Sinnes beraubt. Das war übrigens auch eine der Intentionen von Shannon und Weaver – mit einer mathematischen Kommunikationstheorie mitberechnen zu können, wie viel Störung in der Kommunikation tolerabel ist, woraus sich dann die technische Einrichtung von Signalstärke, -art, -tiefe und -bandbreite kalkulieren lässt. Kommunikation hat es also weniger mit einem Übertragungsmanagement im engeren Sinne zu tun,...

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