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E-Book

Mein Irland

AutorRalf Sotschek
Verlagmareverlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783866483569
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Nach dreißig Jahren als Wahl-Dubliner und Irlandkorrespondent der taz hat Ralf Sotscheck (fast) jeden Stein auf der Insel umgedreht, (fast) jeden Pub besucht und zu (fast) jedem denkbaren Thema recherchiert. Und so kann er von Dingen erzählen, die weit über das bei Irland-verliebten Deutschen verbreitete Klischee von der Insel mit den melancholischen Liedern und den trinkfreudigen Bewohnern hinausgehen. Auf einer Reise entlang der irischen Küste berichtet Sotscheck nicht nur von atemberaubenden Landschaften und der erstaunlichen Eintracht einer aus der Arktis, dem Mittelmeerraum und den Alpen stammenden Flora - er erklärt auch, wie europäische Quotenregelungen zu einem irischen Golfboom führen konnten, warum Barack 'O'Bama' eigentlich Ire ist und was den Gallier Asterix an die felsige Westküste trieb. Wer sich an Sotschecks Fersen heftet, erfährt vom Lebenswasser 'Uisce Beatha', von ehrenamtlichen Heiratsvermittlern, Seilbahn fahrenden Kühen, Sambarhythmen im Country Pub und todkündenden Erscheinungen über dem Meer - und von einem liebenswerten und verrückten Land, das so viel mehr ist als eine grüne Insel im Regen.

Ralf Sotscheck, 1954 in Berlin geboren, studierte Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität Berlin. Er ist langjähriger Korrespondent der tageszeitung für Großbritannien und Irland. Seit 1985 lebt er in der irischen Hauptstadt Dublin und hat mehrere Bücher über Irland verfasst, u. a. die erfolgreiche Ausgabe Gebrauchsanweisung Irland.

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Leseprobe

Vorwort


Es fing mit der Musik an. Es war 1970, ich ging noch zur Schule. Freunde von mir spielten in Berliner Folkclubs irische Balladen, und mir gefielen diese Melodien. Die Trinklieder verstand ich auf Anhieb, die »Rebel Songs« brachten mich dazu, mich mit irischer Geschichte und Politik zu beschäftigen. Irgendwann wollte ich dieses »sommersprossige, trinkfeste und rauflustige Volk«, wie es in so manchem Reiseführer genannt wurde, persönlich kennenlernen.

Deutsche, so las ich, waren in Irland willkommen. Schließlich hatten sie gegen die verhassten Engländer gekämpft. Die Iren wiederum hatten in Deutschland den Ruf, bemitleidenswert arm zu sein, ihre wenige Habe zu vertrinken und dabei melancholische Lieder zu singen. Das lag nicht zuletzt an Heinrich Böll, der mit seinem Irischen Tagebuch eine ganze Generation deutscher Irland-Touristen prägte. Das Irland, das er beschreibt, gab es allerdings schon damals, Ende der Fünfzigerjahre, nicht so ganz. Vieles hat Böll erfunden, und das ist ja auch in Ordnung, schließlich war er Schriftsteller und kein Zeitungskorrespondent. Auch ich hatte das Irische Tagebuch im Gepäck, als ich dann, 1974, erstmals nach Irland reiste. Damals wunderte ich mich noch über Bölls Entgegnung auf die Frage eines Einheimischen, ob er die Iren für ein glückliches Volk halte. Der Schriftsteller antwortete, sie seien sicher glücklicher, als sie wüssten. »Und wenn ihr wüsstet, wie glücklich ihr seid, würdet ihr schon einen Grund finden, unglücklich zu sein. Ihr habt viele Gründe, unglücklich zu sein, aber ihr liebt auch die Poesie des Unglücks.« Erst im Lauf der Jahre kam ich zu der Einsicht, dass er mit dieser Einschätzung gar nicht so falschgelegen hatte.

Mir gefiel das Land bei meinem ersten kurzen Urlaub auf Anhieb, sodass ich im nächsten Sommer wiederkehrte, diesmal in Begleitung eines Freundes und für ganze sechs Wochen. Wir kamen gerade rechtzeitig nach Listowel im Südwesten der Insel, um das Fleadh Cheoil zu erleben, das größte irische Musikfestival auf Erden, das jedes Jahr von einem anderen Ort ausgerichtet wird. Bei dem Festival geht es nicht nur um Unterhaltung, es hat auch einen ernsthaften Aspekt, denn die Sänger und Musiker konkurrieren dabei in verschiedenen Disziplinen um die irische Meisterschaft. Die Punktrichter, die sich acht Stunden lang Dudelsackmusik anhören müssen, sind freilich nicht zu beneiden. Zwar ist der irische Dudelsack mein Lieblingsinstrument, er klingt weicher und harmonischer als sein schottischer Verwandter, aber man muss ja nicht übertreiben.

Irgendwann war das Festival zu Ende, und wir begannen, uns Gedanken um den weiteren Verlauf unserer Reiseroute zu machen. Zwei Straßenmusiker, mit denen wir uns angefreundet hatten, gaben uns den Tipp, dass in Lisdoonvarna in der Grafschaft Clare ein weiteres Festival stattfinde. Einer der Musiker nuschelte noch etwas, das wie »verlängerte Kneipenöffnungszeiten« klang, und mehr mussten wir nicht wissen. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, welch erheblichen Einfluss dieser lapidare Satz auf meine Zukunft und meine Beziehung zur Grünen Insel und zu ihren Bewohnern haben würde.

Die Musiker hatten uns die Roadside Tavern empfohlen, einen Pub in der Nähe des Marktplatzes. In Lisdoonvarna angekommen, suchten wir die Taverne gleich am ersten Abend auf. Der Raum war brechend voll, und so setzten wir uns an einen Tisch zu einem alten Mann und zwei jungen Mädchen, offenbar seine Enkelinnen. Nach einer Weile erhob sich der Alte und begann, lautstark von seinem Bauernhof zu reden: Er habe zwanzig Kühe und eine elektrische Melkmaschine, begann er seine Ausführungen. Während er fortfuhr, seinen Hof anzupreisen, erkundigten wir uns möglichst unauffällig bei den Tischnachbarn, was es mit der merkwürdigen Situation auf sich habe. »Matchmaking festival«, antwortete jemand. Wir waren auf einem Heiratsmarkt gelandet.

Lisdoonvarna ist der einzige Kurort der Grünen Insel, die Heilquelle am Ende des Ortes enthält Schwefel, Magnesium, Eisen und Jod. Schon im 19. Jahrhundert kamen die reichen Landbesitzer im September, wenn das Heu eingebracht und das Korn geschnitten war, hierher und brachten ihre ganze Familie mit. Während die alten Leute zur Heilung in die Bäder gingen, veranstalteten die jüngeren Familienmitglieder Tänze, um sich die Zeit zu vertreiben, und daraus entwickelte sich der Heiratsmarkt. Der »Tangler« sorgte für die Eheanbahnung. Einst war er nur für den Rinderhandel zuständig gewesen, doch dann dehnte er seinen Geschäftsbereich aus.

Uns stand der Sinn bei unserem Pubbesuch 1975 jedoch ganz und gar nicht nach Hochzeit. Wir verdrückten uns mit einer entschuldigenden Geste in eine Ecke des Wirtshauses und beobachteten das Treiben. Dort entwickelte sich ein Gespräch mit zwei Irinnen, die wegen Musik und Tanz aus Dublin angereist waren und an der Eheanbahnungskomponente der Veranstaltung genauso wenig Interesse hatten wie wir. Áine und ich kamen uns im Laufe des Abends näher. And the rest is history, wie man im Englischen sagt.

Kaum war ich zurück in Berlin, bewarb ich mich beim Pädagogischen Austauschdienst für eine Stelle als Assistenzlehrer. Da es damals kein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Irland gab, blieb nur Nordirland. Ich wollte eine Stelle in Süd-Armagh, weil es Dublin – und der Liebsten – am nächsten lag, doch man bot mir einen Posten an einer protestantischen Schule in Lisburn bei Belfast an. Mein Direktor, ein unionistischer Stadtverordneter, der später Bürgermeister wurde, hielt mich für verrückt, denn er hatte meine Bewerbung gelesen. Ob ich nicht wisse, dass in Süd-Armagh die Irisch-Republikanische Armee herrsche?

Ich sagte ihm nicht, dass ich an den Wochenenden stets nach Dublin fuhr und bei einem IRA-Veteranen übernachtete. Mein künftiger Schwiegervater hatte nämlich mit zwei anderen Männern zu Weihnachten 1940 den größten Munitionsraub in der irischen Geschichte begangen und wurde dafür zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Ich wusste zu dieser Zeit aber nicht, dass er immer noch aktiv war. 1973 waren der IRA-Kommandant Seamus Twomey und zwei weitere IRA-Mitglieder mit einem gekaperten Hubschrauber aus dem Mountjoy-Gefängnis in Dublin befreit worden. Erst viel später, Áine und ich waren schon verheiratet, erfuhr ich, dass mein Schwiegervater an der Organisation der Gefangenenbefreiung beteiligt gewesen war und zwei der Entflohenen in einem von ihm gemieteten Haus versteckt hatte, wo sie Ende 1977 verhaftet wurden. Auch mein Schwiegervater wurde festgenommen, doch man konnte ihm nichts nachweisen und musste ihn schon nach kurzer Zeit wieder freilassen.

Zu dem Zeitpunkt war meine Zeit als Assistenzlehrer bereits vorbei, und Áine und ich waren nach Berlin gezogen, weil ich mein Studium beenden wollte, was mir auch gelang. Aber es gab damals keine Jobs für Wirtschaftspädagogen. So arbeitete ich zunächst als Lastwagenfahrer – eine Arbeit, die mir zwar Spaß machte, der ich aber sicher nicht bis zur Pensionierung nachzugehen gedachte. Deshalb beschlossen wir 1985, auf gut Glück nach Dublin zu ziehen. Der offensichtliche Vorteil an einem Leben in Irland war, dass wir dort keine Miete zahlen mussten, denn wir kamen mit unseren beiden Kindern erst einmal im Haus der Schwiegereltern unter.

Ein weiterer Vorteil ergab sich vor Ort. Da Áine recht schnell eine Stelle als Grundschullehrerin fand, konnte ich mir den Luxus erlauben, es mit dem Journalismus zu versuchen. Und noch ein anderer Umstand erleichterte es mir, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen: In Irland geht es wegen der Größe des Landes viel familiärer zu als in manch anderem Land. So lernte ich in meinen ersten Dubliner Jahren den einen oder anderen interessanten Menschen kennen, ohne mich auch nur vor die Tür, geschweige denn auf eine Recherchereise oder zu einem Interviewtermin begeben zu müssen.

Wir wohnten zum Beispiel im Wahlkreis von Bertie Ahern, der elf Jahre lang Premierminister war. Da wir auch dieselbe Stammkneipe hatten und im selben Supermarkt einkauften, liefen wir uns oft über den Weg. Zu Wahlkampfzeiten klingelte er an den Haustüren in seinem Wahlkreis, denn in Irland gibt es keine Listenwahl. Auch der Premierminister muss Klinken putzen, damit er direkt gewählt wird. Einmal hatte ich Besuch aus Deutschland, als Ahern vor der Tür stand. Wer das denn gewesen sei, wollte der Besuch wissen. Der Premierminister, antwortete ich und erntete nur ungläubiges Gelächter.

Meine Frau arbeitete an einer überkonfessionellen Schule, die von Eltern gegründet worden war, aber staatlich anerkannt wurde. Eine der Gründerinnen wurde später Ministerin, eine andere stellvertretende Premierministerin, eine dritte Gewerkschaftspräsidentin, und einer der Gründer war damals schon ein berühmter politischer Künstler. Solche Kontakte erleichtern einem die Arbeit als Journalist ungemein – und haben nebenbei auch zu einigen Begegnungen geführt, von denen in diesem Buch noch zu lesen sein wird.

In den gut dreißig Jahren seit unserem Umzug nach Dublin hat Irland eine rasante Entwicklung durchgemacht. Als...

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