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E-Book

Migrationsprozesse und soziale Transformation in Südasien

AutorSabrina Lasar
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl92 Seiten
ISBN9783640339723
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Ethnologie / Volkskunde, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Philosophische Fakultät), Veranstaltung: Hausarbeit zur Erlangung einer Magistra Artium, Sprache: Deutsch, Abstract: Neuere Forschungen jedoch zeigen, dass Migration keineswegs ein einseitiger Austausch - vom Heimatland ins Zielland - darstellt, sondern in beide Richtungen verläuft. Ein Großteil der Migranten pflegt während der Abwesenheit einen intensiven Kontakt mit der Familie, Informationen und Gelder fließen zwischen den Ländern hin und her. Migranten sind nicht nur innerhalb eines Kontextes, sondern in verschiedenen 'Welten' präsent. Das heißt, sie agieren 'transnational' (Glick Schiller/Basch/Blanc-Szanton 1992). Das Herkunftsland ist für sie genauso wichtig wie das Zielland, zumal viele Migranten nur temporär ihr Land verlassen, um nach einiger Zeit wieder zurückzukehren. Transnationale Migration hat somit nicht nur Auswirkungen auf das Land, das die Migranten empfängt, sondern auch auf das Land, das sie (zeitweise) verlassen. In der vorliegenden Arbeit steht daher das Herkunftsland der Migranten im Mittelpunkt und inwieweit eine Migration das Leben und die kulturellen Werte und Normen dieses beeinflusst und verändert - sowohl während der Abwesenheit der Migranten, also auch nach ihrer Rückkehr. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf Südasien mit den Ländern Indien, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesh.

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Leseprobe

3 Soziale Transformation


 

3.1 Einführung


 

Die meisten Migranten stehen während ihrer Abwesenheit in engem Kontakt zu ihrer Familie in der Heimat. Sie schicken regelmäßig Geld nach Hause und diejenigen, die es sich leisten können oder nicht allzu weit von ihrer Familie leben, machen regelmäßige Besuche. Dennoch müssen sie sich auch mit den Menschen in ihrem Zielland auseinandersetzen und so kommen sie in Kontakt mit fremden Kulturen, anderen Vorstellungen und neuen Ideen. Dies bleibt nicht ohne Folgen: „[…] The exposure to new places, ideas and practices which migrants experience often seems to lead to a questioning of existing forms of hierarchy or a reinvention of the self’s place within the social order“ (Gardner/Osella 2003: xiv). Die eigenen kulturellen Werte und Normen werden nicht nur in Frage gestellt, sondern obendrein verändert und neu interpretiert. Migranten, die nach ihrer Zeit im Gastland wieder in ihre Heimat zurückkehren, bringen neben ihren Erfahrungen auch neue Vorstellungen mit nach Hause und versuchen zum Teil, diese mit ihrer ‚alten’ Kultur zu verbinden und in diese einzugliedern. Doch nicht nur Veränderungen auf der ideellen Ebene sind zu beobachten. Migranten streben in erster Linie wirtschaftliche Verbesserungen an. Dies führt dazu, dass Migration Prozesse von sozialer Transformation und Differenzierung herbeiführt, denn eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation führt gleichzeitig auch zu einem Aufstieg innerhalb der sozialen Hierarchie.

 

Migration hat somit nicht nur Auswirkungen auf die Zielländer der Migranten, sondern auch auf die Länder und Gegenden aus der sie ursprünglich kommen. Die meisten Studien untersuchen die neuen Strukturen im Gastland und inwieweit sich die Migranten in ihrer neuen Umgebung organisieren und sich ein neues soziales Netzwerk aufbauen.[12] Doch neben dem Gastland muss auch das Land untersucht werden, das die Migranten verlassen. Dort hat eine Migration Auswirkungen auf das Familienleben, da diese, wenn auch manchmal nur temporär, ein Mitglied verlieren, das vorher in den Haushalt eingebunden war. Insbesondere in Ländern wie Südasien, wo der Familienverbund enger und größer ist als es z.B. in europäischen Ländern der Fall ist. Das Familienleben muss neu organisiert und strukturiert werden und andere Familienmitglieder müssen die Aufgaben desjenigen übernehmen, der den Haushalt verlässt. Migration betrifft nicht nur das Individuum, sondern findet immer innerhalb einer sozialen Gruppe statt, die durch die Migration Veränderungen erfährt. Die Rolle der Familie und die Auswirkungen einer Migration auf die Familienstruktur müssen daher  bei der Untersuchung von Migrationsprozessen beachtet werden.

 

Neben den Beziehungen innerhalb einer Großfamilie beeinflusst Migration auch die Beziehung zwischen Ehepartnern. Vor allem dann, wenn eine Frau ihren Mann bei dessen Migration nicht begleiten kann und sie alleine zurückbleibt, hat dies entscheidend Einfluss auf die Beziehung zueinander. Neben dem Haushalt und der Kindererziehung kommen nun weitere Aufgaben auf die Frau zu, die traditionell vom Mann erledigt wurden. Das Leben ohne Mann und das Übernehmen der gesamten Verantwortung für die Familie verändert Frauen und damit auch die Beziehung zwischen den Ehepartnern (siehe Punkt 3.3).

 

Veränderungen im religiösen und wirtschaftlichen Bereich führen ebenfalls zu einer sozialen Transformation. Menschen, die es durch eine Migration ins Ausland zu einem gewissen Wohlstand gebracht haben, sind in der Lage, ihren sozialen Status z.B. dadurch zu verbessern, dass sie sich wirtschaftlich vergrößern. Dazu gehört der Landerwerb, da der Besitz von Land in vielen Gegenden Südasiens mit sozialem Status verbunden ist. Einstmals Mittellose oder Kleingrundbesitzer, die ihre Migration nur mit Mühe finanzieren konnten, kamen als reiche Männer zurück. Sie kauften viel Land, bauten sich Häuser und erlangten dadurch einen hohen sozialen Status. Dies gilt jedoch nicht nur für reiche Migranten. Selbst diejenigen, die im Gastland nicht so viel Geld verdienen, versuchen so viel zu sparen, dass sie sich eine Renovierung ihres Hauses oder einen Neubau finanzieren können. Dies bringt ihnen soziales Ansehen und einen Aufstieg innerhalb der sozialen Hierarchie.

 

Auch Religion spielt eine wichtige Rolle, denn „[…] the (public) ritual/ religious domain has been central to migrants’ strategic conversion of economic capital into prestige and status” (Osella/Osella 2003: 114). Die neuen finanziellen Möglichkeiten erlauben es den Migranten z.B. an Tempel oder Moscheen zu spenden, beim Wiederaufbau religiöser Gebäude zu helfen, oder große religiöse Feste auszurichten. Migration führt dazu, dass sie nun an religiösen Aktivitäten teilnehmen können, von denen sie vorher aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln ausgeschlossen waren. Der religiöse Bereich stellt somit einen der wichtigsten Bereiche dar, in dem sozialer Status neu verhandelt wird.

 

Auf den folgenden Seiten steht der soziale Wandel infolge von Migration im Vordergrund. An unterschiedlichen Ländern Südasiens soll dieser verdeutlicht und beispielhaft dargestellt werden. Auch wenn eine generalisierende Aussage aufgrund der Größe und der vielen unterschiedlichen Gesellschaften nur sehr schwer möglich ist, so sind die Strukturen doch recht ähnlich, weshalb einzelne Ergebnisse auf andere Länder ausgeweitet werden können. Die eben angesprochenen Bereiche – Familie, gender, Religion und Wirtschaft – stehen im Mittelpunkt der Beschreibung.

 

3.2 Veränderungen in der Familienstruktur


 

3.2.1 Das traditionelle Familienbild


 

Das Familienleben und die Familienstrukturen sind in Südasien sehr unterschiedlich. Allein in Indien leben etwa 1,1 Milliarde Menschen, die sich in 22 Sprachgemeinschaften aufteilen (Census India 2001) und fast allen ‚großen’ Religionsgemeinschaften angehören.[13] Hinzu kommen weitere soziale Differenzierungen, die sich z.B. in der Zugehörigkeit zu einer Kaste zeigen. Diese Vielzahl allein an Sprachen, Religionen und Kasten, die in sich ebenfalls keine homogene Gruppe bilden, zeigt die Vielfalt Indiens und macht es schwierig, generalisierende Aussagen über einzelne Bereiche, wie z.B. die Familien- und Sozialstruktur zu machen. Dennoch sprechen Ethnologen und Sozialforscher von der „traditionellen indischen Familie“.

 

Diese traditionelle Familienstruktur in Indien ist die joint family oder extended family.[14] Definiert wird die joint family als ein Familienmodell, das mehrere Generationen umfasst, bei dem sich die Mitglieder einen gemeinsamen Wohnsitz teilen und das nur auf Basis von gemeinschaftlichem Besitz existieren kann (Epstein 1962: 176). Aufgrund der patrilinearen Filiationsregelung vieler Gesellschaften Südasiens und der daraus resultierenden patrilokalen Wohnfolgeordnung, sind es die männlichen Familienmitglieder, die gemeinsam mit ihren Frauen und Kindern unter einem Dach wohnen und gewöhnlich gemeinschaftlich wirtschaften. Die Frau verlässt nach der Hochzeit das Haus und das Dorf der Eltern und zieht zur Familie ihres Mannes. Neben den Eltern können verheiratete Brüder und deren Familien mit im Haushalt leben, oder aber nicht verheiratete Geschwister des Mannes. Das Geld, das die männlichen Familienmitglieder zum Großteil in der Landwirtschaft verdienen, wird gemeinschaftlich verwaltet und ausgegeben. Diese Organisation des Haushaltes, die joint familiy, gilt als Ideal, als erstrebenswert und wünschenswert, ist aber dennoch nicht in jedem Haushalt zu finden. Zusätzlich gibt es Unterschiede bezüglich der Personen die in einem Haus zusammen leben und auch der Vorstellung darüber, wie das Geld verteilt wird (Gore 1965, Vatuk 1972). Für Gore sind zwei Formen besonders wichtig: Erstens, wenn in einer joint family die Eltern (insbesondere der Vater) noch am Leben sind. Dann besitzen diese die größte Autorität in der Familie. Zweitens, die Form der joint family, in der die Eltern tot sind und die Brüder gemeinsam mit ihren Familien und unverheirateten Geschwistern eine Lebens- und Verdienstgemeinschaft bilden (Gore 1965: 211). Im zweiten Falle ist es der älteste Bruder, der die Stellung als Haushaltsvorstand übernimmt.

 

Wie in westlichen Gesellschaften, verändert sich die Familienstruktur mit der Zeit und die joint family stellt häufig ein Ideal dar, das aber in dieser ausgeprägten Form von immer weniger Familien gelebt wird. Gardner vermutet für Talukpur, dass es viele Menschen gibt, die sich auf der einen Seite eine Rückkehr zur joint family wünschen, andererseits aber das Leben mit mehreren Generationen und Familien unter einem Dach sehr kritisch sehen (Gardner 1995: 105). Das Leben in einer joint family bietet sowohl Vor- als auch Nachteile. So ist eine frisch verheiratete Frau nicht sofort auf sich alleine gestellt wenn sie heiratet und das Haus ihrer Eltern verlässt, sondern erhält Unterstützung von ihrer Schwiegermutter und anderen Frauen die mit im Haushalt leben. Sie kann sofort auf ein weites soziales Netz zurückgreifen. Allerdings untersteht sie ihrer Schwiegermutter und wird immer unter deren Kontrolle und Aufsicht stehen. Die joint family bedeutet auf der einen Seite Sicherheit und soziale Eingebundenheit, andererseits Kontrolle und Beobachtung.

 

Genauso wie in einer joint family,...

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