Die katastrophale Finanzlage der Sowjetunion zum Ende des Ost-West-Konflikts belastete die gesamte Wirtschaft. Die Sowjetunion sah sich der Situation gegenübergestellt, dass die Aufrüstung der NATO immer weiter vorangeschritten war und vor allem ihr wirtschaftlicher Rückstand gegenüber dem Westen wuchs. Angesichts dessen war die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken auf einmal bereit Abrüstungsverträge abzuschließen, die vorher als zu nachteilig abgelehnt worden waren. Der INF-Vertrag ist für diese Entwicklung ein gutes Beispiel. In diesem Vertrag einigten sich beide Seiten über die Beseitigung von landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen.[95] Explizit handelte es sich um die in Europa und Ostasien stationierten Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von 500 bis 5500km. Bekanntlich hatte hier die Sowjetunion einen quantitativen und qualitativen Vorsprung. Die sowjetische Regierung versuchte lange sich einen Teil dieses Vorteils zu sichern. Michail Gorbatschow ließ sich notgedrungen auf die „Nullösung“ ein. Dies bedeutete die Beseitigung und Zerstörung sämtlicher Mittelstreckenraketen und deren mobile Abschussrampen.[96]
Zu Beginn des INF-Vertrages bestimmen beide Parteien, welche Waffensysteme welche Bezeichnung haben und was genau unter diesen Bezeichnungen zu verstehen ist. In Artikel III werden alle Typen von Flugkörpern mittlerer Reichweite aufgelistet und im Artikel IV wird deren Abrüstung festgelegt,
„so daß spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Vertrags und danach keine der beiden Vertragsparteien solche Flugkörper, Abschußvorrichtungen, Unterstützungs-bauwerke oder Unterstützungsausrüstungen besitzt.“[97]
Das Zustandekommen dieses Vertrags leitete die Ära der wirklichen nuklearen Abrüstung ein.
Auf einem Gipfeltreffen in Moskau 1991 unterzeichneten Goerge Bush sen. und Michail Gorbatschow den Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen.[98]
Der START-I-Vertrag, Strategic Arms Reduction Treaty, stand noch ganz in der Tradition der Rüstungskontrolle zu Zeiten des Kalten Krieges, wobei die wechselseitige Abschreckung im Zentrum der strategischen Denkweise lag. Dieser Vertrag sollte wie auch die SALT-Abkommen, welche zu Beginn beleuchtet wurden, die nukleare Abschreckung stabilisieren und die strategischen Systeme begrenzen. Rückblickend betrachtet beschränkte der Vertrag nicht nur die Zahl der strategischen Raketen, sondern er verringerte ferner die Zahl der Sprengköpfe.[99]
Zunächst sollen der Inhalt genauer vorgestellt und die Folgen für die Abrüstung nach dem Doppelbeschluss der NATO beschrieben werden.
Der START-Vertrag hatte als Zielsetzung, dass die Zahl der auf strategischen Trägersystemen montierten “anrechenbaren“ Sprengköpfe reduziert wird. Es gab eine große Differenz zwischen den anrechenbaren und den tatsächlichen Sprengköpfen, was an der verwendeten Zählweise lag. Hierin bestand die Hauptproblematik beim START-I-Vertrag.[100]
Dieser Vertrag strebte eine Reduzierung der strategischen Waffen auf 1600 Trägersysteme, ballistische Raketen und schwere Bomber sowie 6000 „zählbare“ Gefechtsköpfe an. Die strategischen Bombertypen beider Seiten wurden nur als „ein Sprengkopf“ gezählt, obwohl sie mit deutlich mehr beladen werden konnten. Überdies wurden die luftgestützten Marschflugkörper falsch berechnet. Amerikanische Bomber waren in der Lage 20 dieser Flugkörper zu transportieren und die sowjetischen 16 Marschflugkörper. Es wurde hingegen jeweils nur die Hälfte der eigentlichen Kapazitäten auf die START-Obergrenzen angerechnet.[101] Aufgrund der Größe und Ladekapazität der amerikanischen Bomberflotte kam den USA diese Rechenweise sehr zugute. Sie konnten mehr Bomber und auch mehr Marschflugkörper behalten.
Die Initiatoren des START-Vertrags hatten sich zum Ziel gesetzt, bei der angestrebten Reduzierung zwischen den Parteien eine Parität auf deutlich niedrigerem Niveau herzustellen. Beide Seiten besaßen jeweils ca. 12000 Nuklearsprengköpfe und START I reduzierte diese auf 6000 Stück. Die verwendete Zählweise bei den Bombern und den Marschflugkörpern führte hingegen dazu, dass die USA nur ca. 30% und die Sowjetunion etwa 40% ihrer Nuklearsprengköpfe abrüsten mussten. Angestrebt war aber eine Halbierung der Nuklearwaffenarsenale.[102]
Weiterhin sahen die vertraglichen Bestimmungen keine Grenzen für seegestützte Marschflugkörper vor, wobei anzumerken ist, dass beide Parteien sich auf ein Maximum von jeweils 880 Stück einigten. Die vereinbarte Reduzierung von Sprengköpfen für die mobilen Interkontinentalraketen auf 1100 Stück blieb hinter den Erwartungen zurück.[103] Für die Stabilität des Abschreckungssystems wäre eine deutlichere Reduzierung dienlicher gewesen. Der Grund hierfür liegt darin, dass diese Raketen sehr zielgenau sind und mehrere Ziele gleichzeitig angreifen können. Diese Eigenschaften sind sehr gut für einen Erstschlag geeignet. [104] Paradoxerweise stellt dies gerade für den Gegner einen hohen Anreiz dar, die gefährlichen Waffen des Feindes vor ihrem Einsatz zu vernichten, was wiederum einen Erstschlag wahrscheinlicher macht, der das Ziel hat dem Gegner zuvorzukommen.
Dieser Vertrag setzt die Mentalität der Verträge, die zu Zeiten des Kalten Krieges geschlossen wurden, fort. START erlaubte beiden Blöcken die laufenden und geplanten Modernisierungen der strategischen Nuklearstreitkräfte fortzuführen. Ebenfalls wurde die Dynamik der qualitativen Aufrüstung nicht verlangsamt oder gestoppt. Nur die SS-18-Raketen unterlagen einem Modernisierungsverbot.[105] Das Pentagon, auf der Seite der NATO, hielt weiter an den Plänen fest, die zur Zeit der Präsidentschaft Reagans beschlossen wurden. Dabei sollten unter anderem 2000 neue U-Boote, ca. 2000 Marschflugkörper und 72 B-2 Stealth-Bomber[106] „modernisiert“, in diesem Fall neu stationiert werden. Auf der sowjetischen Seite sollten zwei neue Typen landgestützter und neue Typen seegestützter Interkontinentalraketen in Planung gehen und später stationiert werden.[107]
Daneben konnte es bei „abgerüsteten“ Raketen zu weiteren Schwierigkeiten kommen. Der Prozess des sogenannten „Downloading“[108] musste in die START-Verhandlungen eingebaut werden. Dies betraf die Raketen mit Mehrfachsprengköpfen. Bei ihnen konnten einzelne Sprengköpfe entfernt werden. Die Raketen blieben mit einer geringeren Anzahl an maximal möglichen Sprengköpfen stationiert. Dies stellte die schnellste und preiswerteste Form der „Abrüstung“ dar. Hierbei bestand die größte Gefahr darin, dass diese Raketen sehr schnell wieder voll bestückt werden konnten, „reloaded“. Dies musste vertraglich unterbunden werden. Das Downloading wurde auf 1250 Sprengköpfe beschränkt und pro Rakete durften nicht mehr als zwei Sprengköpfe entfernt werden. Zugleich musste man neue Raketen mit einer geringeren Anzahl an Mehrfachsprengköpfen montieren. Ein schnelles Wiederbeladen wurde durch diese Einschränkungen erschwert.[109]
Im Bereich der Verifikation, der Überprüfung auf die Einhaltung von Abrüstungsmaßnahmen, wurden die bis dato weitreichendsten Bestimmungen getroffen. Die Zerstörung der Raketen sollte unter der Beobachtung der jeweiligen Gegenseite erfolgen. Strategische Bomber wurden zwar aus der Distanz kontrolliert, aber die Inspektoren konnten die Sprengköpfe der Interkontinentalraketen durch ein Milchglas anschauen und überprüfen, ob die jeweiligen Höchstgrenzen überschritten wurden. Dies war ein Novum im Bereich der vertrauensbildenden Maßnahmen.[110] Verständlicherweise wurden Vorkehrungen getroffen, die technischen Details zu verbergen.
Der Verifikationsabschnitt des START-I-Vertrags hat verboten, dass die Überwachung des Abkommens durch sogenannte „nationale technische Mittel“[111] beeinträchtigt wird. Der Vertrag sah vor, 12 unterschiedliche Arten von Vor-Ort-Inspektionen durchzuführen. Darunter waren Ausgangs-, Verdachts-, Eliminierungs- und permanente Inspektionen vorgesehen.[112]
Außerdem ist positiv anzumerken, dass seit den SALT-Verträgen diese strategische Rüstungskontrollpolitik auf eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage gestellt wurde. Aufgrund der dargestellten Schlupflöcher, Zählart der Raketen in den Fernbombern, kein Modernisierungsverbot und die Downloading-Kapazität, in dem START-I-Vertrag ist dieser nur ein Teilerfolg in Bezug auf eine effektive Abrüstung der beiden Großmächte.