Diese Arbeit befasst sich mit dem neuartigen Begriff des Boreout. Es ist die Aufgabe dieses Abschnittes herauszufinden, was sich hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt und welche Forschungen bereits zu diesem Thema unternommen wurden.
Die Gliederung des Kapitels 3 „Boreout“ beruht nicht auf der Definition von Rothlin & Werder (2007), welche den Begriff 2007 einführten. Ihre Arbeit zum Thema Boreout war zwar Anstoß für diese Thesis, aber eine wissenschaftliche Untermauerung fehlt bisher. Diese soll mit dieser Arbeit vorgenommen werden. Es besteht jedoch die Vermutung, dass der Begriff Boreout nur eine neue Bezeichnung für ein bereits bekanntes Problem ist. Bereits 1924 wurde durch Wyatt der Begriff Boredom geprägt. Die Ähnlichkeit wird nicht nur durch die Bezeichnung deutlich. Boredom stellt einen Monotoniezustand dar und wird dadurch hervorgerufen, dass die Arbeit keine Befriedigung der individuellen Bedürfnisse bietet und den Mitarbeiter unterfordert. Wyatt & Langdon (1937, S. 35) erklären das so: „Wenn die mentalen Prozesse, welche an die Arbeit gebunden sind, nicht den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu besetzen vermögen, und wenn der Geist zugleich unfähig ist, wirksame Substitute für das ungesättigte Interesse zu finden, so tendiert er dazu, sich auf die unbefriedigenden Züge der Arbeit zu richten, was sich in Zuständen von „Boredom“ äußert.“ Auf Grundlage der Arbeit von Wyatt & Langdon (1937) ist davon auszugehen, dass ein solches Konstrukt wie das des Boreout ebenfalls eng mit Unterforderung und Motivation zusammenhängen muss. Daher soll sich zunächst wissenschaftlich mit den Themen Unterforderung und Motivation befasst werden, um diese Erkenntnisse dann mit der Definition von Rothlin & Werder (2007) zu vergleichen, die Eigenständigkeit des Konzeptes Boreout zu überprüfen und im Anschluss gegebenenfalls eine eigene wissenschaftliche Definition von Boreout abzuleiten.
„Es ist eine Herabsetzung des Menschen, ihn an eine Ruderbank zu ketten und als Kraftquelle zu gebrauchen, aber es ist eine fast ebensogroße Herabsetzung, ihm eine sich immer wiederholende Aufgabe in einer Fabrik zuzuweisen, die weniger als ein Millionstel der Fähigkeiten seines Gehirns in Anspruch nimmt“ (Wiener, 1958. S. 71).
Neben dem stets präsenten Begriff des Burnout zollt dieses Zitat von Wiener aus dem Jahre 1958 der Unterforderung im Arbeitsleben seinen Tribut.
Bei psychischen Fehlbeanspruchungen im Arbeitsalltag wird meistens eher an Überforderung anstatt an Unterforderung gedacht, dennoch ist auf Grundlage der Richtlinie 90/270/EWG der Arbeitsgeber dazu verpflichtet, präventiv gegen Über- wie auch Unterforderung tätig zu werden.
Im Hinblick auf die Zielsetzung der Arbeit soll nun geklärt werden, was Unterforderung bedeutet und warum es wichtig ist, dagegen vorzugehen.
Mitarbeiter sind von ihrer Arbeit unterfordert, wenn die Anforderungen der Tätigkeit ihre Fähigkeiten, Eignung und den Willen, Leistung zu erbringen nicht ausnutzt (Kipfer, 2009). Jedoch muss der Unterschied zwischen Anforderung und Eignung so groß ausfallen, dass er für den Mitarbeiter unerträglich wird und ihm nicht mehr zugemutet werden kann (Kipfer, 2009).
Abb. 3: Bestehendes Gesundheitsrisiko bei Über- und Unterforderung nachBundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2012) Uberl°rderung
Wenchel (2004) und Graf (1970) sprechen von Überforderung durch Unter forderung, denn Unterforderung kann wie auch negative psychische und physische Folgen hervorrufen. Abbildung 3 verdeutlicht den Zusammenhang, dass eine Abweichung der Anforderungen von den individuellen Voraussetzungen in Form einer Unterforderung als auch einer Überforderung die gesundheitlichen Risiken erhöht. Auch Kornhauser (1975) kommt in seiner Untersuchung von Automobilmitarbeitern zu dem Schluss, dass Unterforderung die psychische Gesundheit negativ beeinflusst. Diese ist demnach umso schlechter, je restriktiver und einförmiger die Tätigkeiten sind und je weniger die Mitarbeiter bei der Arbeit ihre Qualifikationen einbringen können. Eine Erklärung für diesen Zusammenhang sieht Kornhauser (1975) darin, dass eine solche Diskrepanz zwischen den Anforderungen der Arbeit und den bestehenden Qualifikationen der Mitarbeiter die Entwicklung eines Bewusstseins beruflicher Erfüllung, des Persönlichkeitswachstums und der Selbstwertschätzung hemmt.
Weitere Entstehungsbedingungen von Unterforderung sind zudem eine fehlende Ganzheitlichkeit der Aufgabe durch beispielsweise Routinisierung, rudimentäre Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, schlechte Kommunikation, geringe Transparenz und mangelnde Aufgabenvielfalt. Zusätzliche Ursachen für Unterforderung sind aus Sicht der Vorgesetzten insbesondere eine hohe Durchlaufzeit der Aufgaben, eine geringe Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter sowie fehlende Kreativität und Flexibilität (Kipfer, 2009).
2008 führte die Firma Sirota eine Befragung zum Thema Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit durch, bei welcher herauskam, dass unterforderte Mitarbeiter unzufriedener als überforderte Beschäftigte sind. Gemäß der Erhebung haben die unterforderten Mitarbeiter weniger das Gefühl etwas geleistet zu haben und sind nicht stolz auf ihre Arbeit oder ihr Unternehmen. Ein Ergebnis der Studie macht deutlich, dass auf der Ebene der Mitarbeiter bei Unterforderung die Gefahr einer sinkenden Moral, Verbundenheit und Produktivität sowie auf Unternehmensebene einer gestörten Arbeitsatmosphäre und eines erhöhten Krankenstandes besteht (Kipfer, 2009).
Laut DIN EN ISO 10075 können diese negativen Auswirkungen durch qualitative als auch quantitative Unterforderung ausgelöst werden (Mühlpfordt & Richter, 2003). Quantitative Unterforderung wird durch zu seltene Tätigkeitsanforderungen verursacht. Dagegen tritt die qualitative Unterforderung bei ausreichend häufiger Tätigkeit durch „einförmig, gleichbleibende Anforderungen, die die erforderliche Aufgabenzuwendung mit unzureichenden kognitiven Auseinandersetzungsmöglichkeiten verbinden“, auf (Hacker & Richter, 1998, S. 112). Auf die qualitative Unterforderung soll nun genauer eingegangen werden.
Im Hinblick auf das Thema Boreout ist besonders der qualitative Aspekt der Unterforderung herauszustellen, denn es ist anzunehmen, dass das Phänomen des Boreout eng mit der empfundenen Sinnhaftigkeit der Arbeit durch den Mitarbeiter, der intrinsischen Motivation des Beschäftigten und einer mangelnden Ausnutzung seiner geistigen Fähigkeiten durch die Tätigkeit verbunden ist (siehe Kapitel 3). Diese Arbeit soll einen Lösungsansatz zur Behandlung und Prävention von Boreout herausarbeiten. Eine quantitative Unterforderung bedürfe einem bloßen Mehr an Arbeit und würde im Zweifelsfall zu einer Entlassung des Mitarbeiters führen, da nicht genügend Arbeit vorhanden ist. Eine Lösung einer qualitativen Unterforderung ist wohl komplexer, daher soll die qualitative Unterforderung mit ihren Ausprägungen Monotonie und psychische Sättigung genauer beschrieben werden. Der Monotoniezustand ist zwar Folge einer quantitativen Unterforderung, aber ebenso auch einer qualitativen (Hacker & Richter, 1998). Die psychische Sättigung wird hingegen nur durch eine qualitative Unterforderung ausgelöst.
„Einförmig, gleichbleibende Anforderungen, die die erforderliche Aufgabenzuwendung mit unzureichenden kognitiven Auseinandersetzungsmöglichkeiten verbinden“ führen, wie bereits erläutert, zu qualitativer Unterforderung. (Hacker & Richter, 1998, S. 112). Qualitativ unterfordernde Tätigkeiten können unter anderem negative Emotionen wie Ärger, Angst, Frustration, Wut, Unwohlsein, Unzufriedenheit und Hilflosigkeit auslösen (Kipfer, 2009).
Um gegen qualitative Unterforderung vorzugehen, ist die intrinsische Motivation der Mitarbeiter sehr bedeutend. Nach Flöck (1989) sind Führungskräfte intrinsisch durch ihr Leistungs streben und Arbeiter mit einfachen Tätigkeiten durch Geld extrinsisch motiviert.
Flöck (1989) vertritt die Meinung, dass Unterforderung nicht die Leistung eines intrinsisch motivierten Mitarbeiters beeinflusst, daher sind für ihn Führungskräfte nicht von Unterforderung und somit auch nicht von Boreout betroffen (siehe Kapitel 1). Die intrinsische Motivation spielt bei der Bekämpfung beziehungsweise Entstehung von Unterforderung wohl eine sehr große Rolle, doch es ist schwierig, den Arbeitern eine ausschließliche extrinsische und den Führungskräften eine komplett intrinsische Motivierung zu unterstellen.
Gebert (1981) ist, ähnlich Flöck (1989), auch der Meinung, dass Führungskräfte nicht von Unterforderung betroffen sind, denn er sieht eine Gefahr der Unterforderung ausschließlich bei der Durchführung von einförmigen und reizarmen Tätigkeiten. Er blendet jedoch den Aspekt aus, dass auch objektiv betrachtete abwechslungsreiche Aufgaben von einer Person als sinnlos und langweilend angesehen werden können (Hacker & Richter, 1998).
So schlägt Gubser (1968) als Lösung beziehungsweise Maßnahme gegen qualitative Unterforderung vor, den Mitarbeitern den Sinn ihrer Arbeit zu verdeutlichen, um sich in einem...