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E-Book

Runen

Geschichte - Gebrauch - Bedeutung

AutorArnulf Krause
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843805438
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die germanischen Schriftzeichen der Runen umgab seit jeher ein Schleier des Geheimnisvollen. Diese Aura verstärkte der englische Fantasy-Autor J. R. R. Tolkien, indem die Fabelwesen seiner Mittelerde-Welt Runen als rätselhafte Symbole verwenden. Seine Romane und deren Verfilmungen haben so das Interesse an germanischer Kultur und Geschichte rapide verstärkt. Grund genug, erstmals ein wissenschaftlich fundiertes und verständliches Sachbuch über Runen vorzulegen. Arnulf Krause präsentiert in diesem marixwissen-Band eine unterhaltsame Geschichte der Schrift seit ihrem frühesten Auftreten und eine leicht einsichtige Einführung in ihren Gebrauch. Er zeichnet ihre Verwendung, wie z. B. bei den berühmten Runensteinen der Wikinger, nach und verfolgt ihre Renaissance in der Neuzeit. Kritisch setzt er sich mit dem völkischen und nationalsozialistischem Missbrauch auseinander, der den Schriftzeichen in Deutschland den Ruf rechtsextremer Attribute einbrachte - während sie in Skandinavien immer als authentisches Erbe angesehen wurden.

Arnulf Krause promovierte 1989 in Germanistik und Skandinavistik und ist Honorarprofessor für Ältere Germanistik und Skandinavische Sprache und Literatur an der Universität Bonn sowie Lehrbeauftragter an der Universität Köln. Als Übersetzer der Edda und Autor zahlreicher Sachbücher ist er Experte für die Geschichte der Germanen, Wikinger und Kelten sowie der Mythologie und Heldensage.

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Leseprobe

1. RUNEN HEUTE


RUNEN IN DER LITERATUR UND EINE KURZE EINFÜHRUNG


Mondrunen und andere Runenrätsel


Mai 1863 in Hamburg: Der stadtbekannte Professor Otto Lidenbrock, als Mineraloge und Geologe unter Gelehrten und Kollegen hochgeachtet, stürzt überhastet in sein altes Haus in der Königstraße 19, wo er von Haushälterin Marthe und seinem Neffen Axel mit Bangen erwartet wird. Schließlich gilt der Hausherr als cholerisch-rastloser Pedant, der mit seinem umtriebigen Wesen alle und jeden schikaniert. Diesmal entpuppt er sich als polyglotter Literaturkenner, der in einem Antiquariat ein altes Manuskript aufgetan hat. Es stammt von der Hand des isländischen Gelehrten Snorri Sturluson und enthält dessen Geschichte der norwegischen Könige. Nun, viele Leserinnen und Leser werden den Fortgang kennen; denn es handelt sich bei der beschriebenen Szene natürlich um den Beginn von Jules Vernes (1828–1905) berühmtem Roman Reise zum Mittelpunkt der Erde (Voyage au centre de la terre), der 1864 in Paris erschien. Darin steht keine technisch-utopische Innovation des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Handlung, etwa die Fahrt in einem Unterseeboot durch die Weltmeere oder ein Raketenflug zum Mond, sondern eine Expedition geradezu aberwitziger Ausmaße – eben die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Den Professor und den Ich-Erzähler Axel treibt es über Kopenhagen bis ins ferne Island im Nordatlantik. Dort lassen sie sich von dem stoischen Eiderjäger Hans zum Gletscher des Snæfellsjökull führen, einen derzeit und seinerzeit inaktiven Vulkan, in dessen Krater die drei Reisenden hinabsteigen. Der weitere Weg ist aus Roman und zahlreichen Verfilmungen hinlänglich bekannt: Er führt in die Tiefen unseres Planeten, durch Höhlenschlünde, vorzeitliche Meere und Magmaströme – bis die beiden Hamburger und der Isländer mehr oder weniger wohlbehalten vom Stromboli auf Sizilien wieder »ausgespuckt« werden. Diese abenteuerliche Romanreise würde hier nicht weiter interessieren, spielten Runenzeichen zu Beginn der Handlung nicht eine bedeutende Rolle. Denn Professor Lidenbrock schleppt ein Manuskript nach Hause, das vollständig in Runen(text) geschrieben ist. Nebenbei bemerkt: In der Tat sind mittelalterliche Runenmanuskripte erhalten geblieben, aber von Snorri Sturluson hat sich derartiges nicht gefunden, bediente sich der isländische Politiker und Gelehrte (1179–1241) doch des lateinischen Alphabets. Solch historische Fehler ändern natürlich nichts an der Qualität des Verne’schen Romans. Zudem ist es nicht Snorris Manuskript, das die Handlung ins Rollen bringt, sondern ein Pergamentzettel des Alchemisten Arne Saknussemm aus dem 16. Jahrhundert. Diese Figur hat Jules Verne übrigens erfunden. Unrealistisch ist sie nicht, denn die skandinavischen Gelehrten dieser Zeit beherrschten sehr wohl die Runenschrift und waren an ihr als antiquarischer Besonderheit brennend interessiert. Arne jedenfalls verfasste seine Mitteilung nicht nur in Runen, sondern auch noch in einer Geheimschrift. Axel bleibt es vorbehalten, deren Sinn – zu seinem Schrecken – zu entschlüsseln. Danach weist nämlich der isländische Alchemist den Eingang zur »Reise zum Mittelpunkt der Erde« eben in den Krater des Snæfellsjökull an einem ganz bestimmten Zeitpunkt des Jahres. Und dort unten stoßen die Reisenden in der Tat auf weitere Runenzeichen Arne Saknussems. Dem französischen Romancier, der dem technischen Fortschritt aufgeklärt und offen gegenüberstand, dienen die alten Runenzeichen als Medium des Geheimnisvollen und Rätselhaften – das sich aber mit Vernunft entschlüsseln lässt.

Bei dem englischen Altertumsforscher und Schriftsteller Montague Rhodes James (1862–1936) sieht das schon ein wenig anders aus. Der Kenner mittelalterlicher Manuskripte – deren Katalogisierung an den Universitäten von Cambridge und Oxford gehört zu seinen wissenschaftlichen Verdiensten – schrieb für sein Leben gern Geistergeschichten. Er siedelte sie an authentisch wirkenden Schauplätzen an und ließ ab und an einen spleenigen Gelehrten in einem Antiquariat ein altes Buch finden (Otto Lidenbrock lässt grüßen). Davon geht dann allerdings kein mit Verstand zu lösendes Geheimnis aus, sondern die Manifestation des Bösen und eine dunkle Bedrohung. In einer seiner Erzählungen greift er auf Runen zurück, worauf bereits der Titel hinweist: Casting the Runes (1911; deutsch Drei Monate Frist). Diese Horrorgeschichte wurde sogar 1957 in Großbritannien verfilmt. In Night of the Demon (deutsch Der Fluch des Dämonen) bekommt es ein amerikanischer Wissenschaftler mit englischen Teufelssektlern zu tun, die ihm prompt einen Zettel zustecken, auf dem Runen geschrieben stehen. Sie sollen einen Dämon heraufbeschwören und verheißen dem Amerikaner einen nahen Tod. Nun – alles geht gut aus und der böse Protagonist wird letztendlich anstelle des Forschers vom Dämon zerrissen. Aber den Runen haftet hier etwas Dunkles und Bedrohendes an, sie dienen schlichtweg als Medium böser Mächte.

Verne und James – zwei Beispiele für die Verwendung der Runenzeichen als rätselhaftes literarisches Motiv. Daneben fanden sie seit der Romantik auch andernorts Verwendung. So schreibt der deutsche Romantiker Ludwig Tieck (1773–1853) sein symbolreiches Kunstmärchen Der Runenberg (1804) nicht über die Runen als Schriftzeichen, wohl aber um die zutiefst damit zusammenhängende Wortbedeutung des »Geheimnisses« (dazu unten mehr). Zwanzig Jahre später veröffentlicht der schwedische Bischof Esaias Tegnér (1782–1846) mit der Frithiofs saga (1825) nicht nur den ersten Weltbestseller der schwedischen Literatur, sondern auch ein Epos, in dem ab und an Runen geritzt werden. Kein Wunder, handelt das Werk doch von einer sentimental-verklärten Liebesgeschichte aus der fernen Wikingerzeit. Je mehr sich die germanischsprachigen Länder in Skandinavien, aber auch Deutschland und England mit ihrer Geschichte poetisch und nationalpolitisch auseinandersetzten, umso mehr wurden Runen als die archaischen und ideologischen Relikte der germanischen Vorzeit und der frühmittelalterlichen Wikinger wahrgenommen. Wie sehr dieses Interesse gerade in den deutschsprachigen Ländern zum Missbrauch der alten Zeichen geführt hat, wird noch in einem späteren Kapitel zu beleuchten sein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs jedenfalls genossen die Runen zumindest in Deutschland einen schauderhaften Ruf. Denn in den ideologischen Pseudowissenschaften des »Dritten Reiches« galten sie gleichsam als staatstragende Ideogramme. Dies fand einen prägnanten Ausdruck darin, dass man in jener Zeit sogar das allgegenwärtige Hakenkreuz als runische Eigentümlichkeit ansah. Dementsprechend griffen nach 1945 diverse neofaschistische Gruppen auf andere »echte« Runenzeichen zurück. Runen waren darum übel beleumdet und wurden ihrer mutmaßlich rechtslastigen Symbolik wegen heftigst angefeindet.

Dass die Runen mittlerweile eine Rehabilitation erfahren haben, ist dem Lebenswerk eines englischen Gelehrten geschuldet: John Ronald Reuel Tolkien (1892–1973) lehrte unter anderem an der Universität Oxford die mittelalterliche englische Sprache und Literatur. Aber nachhaltigen Ruhm hat er durch seine Fantasy-Romane The Hobbit: Or There and Back Again (1937; deutsch Der Hobbit oder Hin und Zurück, 1998) und The Lord of the Rings (1954/55; deutsch Der Herr der Ringe, 1969/70) errungen; ein Ruhm übrigens, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Peter Jacksons Verfilmungen der Romane als Doppeltrilogie ungeahnte globale und digitale Dimensionen annahm (Der Herr der Ringe 2001–2003, Der Hobbit 2012–2014). Sowohl in der Romanvorlage als auch in der Verfilmung des Hobbits finden Runen Verwendung, werden auf Haustüren geritzt und auf alten Karten mühsam entschlüsselt. Tolkien greift allerdings nicht auf beliebige historische Zeichen zurück, sondern benutzt seine eigenen Runen. Denn mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass der englische Wissenschaftler in seiner Freizeit über ein halbes Jahrhundert an einer eigenen fiktiven Welt bastelte, die wir heute unter dem Namen Middle-earth (›Mittelerde‹) kennen – obwohl Tolkiens Phantasiewelt viel größer war und darum weit darüber hinaus reichte. Er bevölkerte sie mit einer Unzahl von Wesen wie Zwergen, Elben, grässlichen Orks, kleinwüchsigen Hobbits und Menschen. Zahlreiche Elemente sind historischen Vorgaben keltischer sowie germanischer Mythen und Sagen verpflichtet, denn Tolkien siedelte sein Fantasy-Universum sehr bedacht in einer historischen Frühzeit Nordwesteuropas an. Insbesondere beherrschte er die altgermanischen Sprachen vom frühen Gotischen über das Altenglische bis zum Altnordischen, die dann neben keltischen Idiomen und dem Finnischen in seine Welt einflossen. Der Gelehrte aus Oxford verstand sich nämlich erst in zweiter Linie als Geschichtenerzähler; zuerst sah er sich immer als Erfinder von Sprachen (unter denen das »Elbische« gleichsam sein Meisterstück wurde). Und von der Kenntnis der alten germanischen Sprachen war es lediglich ein kleiner Schritt zur...

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