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E-Book

Schuberts Liederzyklen

Ein musikalischer Werkführer

AutorElmar Budde
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406633393
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Es gibt wohl kaum einen Komponisten, mit dem man in solchem Maße die musikalische Gattung der Liedkomposition verbindet, wie dies bei Franz Schubert der Fall ist. Insgesamt sind mehr als 600 seiner Lieder erhalten. Der Versuch einer Einführung in diesen Teil seines Werkes mußte sich also notwendigerweise beschränken. Die Konzentration auf die Liederzyklen scheint freilich nicht zuletzt deshalb angemessen, als etwa seine beiden Liederzyklen «Die schöne Müllerin» und «Winterreise» für einJahrhundert die Entwicklungsgeschichte der deutschen Lyrik maßgeblich mitgeprägt haben. An ihnen lassen sich ebenso wie an dem sogenannten «Schwanengesang», der erst posthum von Schuberts Bruder Ferdinand und seinem Verleger Haslinger zusammengestellt wurde, zeigen, welche lyrisch-musikalische Ausdruckskraft Schubert auszeichnete und weshalb seine Lieder zu den zeitlosen Schätzen der Musikgeschichte zählen.

Der Autor Elmar Budde, Jahrgang 1935, lehrte von 1972 bis 2001 als Ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin. Das musikalische Schaffen Franz Schuberts bildet einen seiner Forschungsschwerpunkte. Gemeinsam mit Kammersänger Dietrich Fischer-Dieskau hat er eine vierbändige textkritische Neuausgabe der Lieder Schuberts vorgelegt.

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Leseprobe

II. Der Liederzyklus ‹Die schöne Müllerin› op. 25 (D 795)


1. Die Vorgeschichte der ‹Schönen Müllerin›


In der amtlichen ‹Wiener Zeitung› vom 17. Februar 1824 können wir die folgende Verlagsanzeige lesen: «Bei Sauer und Leidesdorf, Kärtnerstraße 941, ist neu erschienen: Die schöne Müllerin. Ein Zyklus von Liedern, gedichtet von W. Müller. Für eine Singstimme in Musik gesetzt mit Klavier-Begleitung von Franz Schubert. 25stes Werk, erstes Heft, 2 fl. W. W. – Unserer Meinung getreu, daß jedes gelungene Werk die empfehlendste Lobrede in sich selbst trägt, enthalten wir uns bei diesen Liedern am liebsten aller emphatischen Anpreisung, und bemerken bloß, daß es dem rühmlich bekannten Tonsetzer in diesen Liedern in vorzüglich hohem Grade gelungen ist, die Neuheit seiner Melodien mit jener Faßlichkeit zu verbinden, wodurch ein musikalisches Kunstwerk sowohl den Kunstkenner, als auch den gebildeten Musikfreund gleich einnehmend anspricht.» Der Liederzyklus erschien in fünf Heften; Heft 1 am 17.2.1824, Heft 2 am 24.3.1824 und die Hefte 3 bis 5 am 12.8.1824. Alle Notendrucke tragen gegenüber der Verlagsanzeige noch den Widmungszusatz: «dem Carl Freyherrn von Schönstein gewidmet».

Aus einem Brief von Franz Schubert an Ignaz von Mosel vom 28. Februar 1823 wissen wir, daß Schubert zu Beginn des Jahres schwer erkrankt war, wahrscheinlich an einer Syphilis-Infektion. Die Krankheit sollte sich über das ganze Jahr hinziehen. Schubert mied weitgehend die Öffentlichkeit; dennoch widmete er sich intensiv der kompositorischen Arbeit. Im Mittelpunkt stand die Komposition der dreiaktigen Oper ‹Fierabras› nach einem Libretto von Josef Kupelwieser, dem Bruder des Malerfreundes Leopold Kupelwieser. Mit dieser Oper erhoffte sich Schubert einen endgültigen Durchbruch im öffentlichen Musikleben. Im Spätsommer schien er von seiner Krankheit so weit geheilt zu sein, daß er von Juli bis September mit dem Sänger Johann Michael Vogl eine Reise durch Oberösterreich, nach Steyr und Linz, machen konnte. Im Oktober verschlechterte sich sein Gesundheitszustand wiederum, und er mußte ein Spital aufsuchen. Im November schien sich sein Gesundheitszustand so weit gebessert zu haben, daß er entlassen werden konnte. Während seines Krankenhausaufenthalts komponierte Schubert mit großer Wahrscheinlichkeit den Liederzyklus ‹Die schöne Müllerin› und die Bühnenmusik zu ‹Rosamunde›. Wilhelm von Chézy, der Sohn der ‹Rosamunde›-Dichterin Hermina von Chézy, deutet in seinen Erinnerungen an, daß Schubert die «Müller-Lieder unter ganz anderen Schmerzen gesetzt hatte, als jene waren, die er im Munde des armen Müllerknappen mit der verschmähten Liebe durch seine Noten unsterblich machte».[1] Schubert fand den Gedichtzyklus in dem 1821 in Dessau erschienenen ersten Bändchen der ‹Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten›, herausgegeben von Wilhelm Müller.[2] Das Gedichtbändchen wird mit dem ‹Müllerin›-Zyklus eröffnet; Wilhelm Müller hat der Titelüberschrift indessen noch in Klammern den Zusatz beigegeben: «Im Winter zu lesen.»

Die Figuren der schönen Müllerin und des Müllers als verschmähten Liebhabers sind keine Erfindungen von Wilhelm Müller. Müllerin, Müller, Mühle und Bach sind als Figuren literarische Topoi, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ihr Wesen in der deutschsprachigen Literatur treiben. Am 16. Oktober 1793 fand in Berlin die Erstaufführung eines Singspiels mit dem Titel ‹Die schöne Müllerin› statt. Das Singspiel ist eine deutschsprachige Umarbeitung der italienischen Oper ‹La Molinara› von Giovanni Paisiello. Goethe war von diesem Singspiel so beeindruckt – er sah es im Sommer 1797 in Frankfurt –, daß er den Plan zu einer ‹Müllerin›-Operette faßte. Der Plan konnte leider nicht realisiert werden, da es an einem Komponisten fehlte. Immerhin sind die folgenden Gedichte aus dem geplanten Singspiel erhalten: ‹Der Edelknabe und die Müllerin›, ‹Der Junggeselle und der Mühlbach›, ‹Der Müllerin Verrat› und ‹Der Müllerin Reue›. Mit Sicherheit hat Wilhelm Müller Goethes Gedichte gekannt; die distanzierte Ironie, die aus Goethes Versen spricht, hat er sich geschickt angeeignet. Aber nicht nur Goethe, auch Eichendorff, Brentano, Rückert und Kerner haben die schöne und untreue Müllerin in Gedichten und Erzählungen besungen. Schließlich ist noch die Sammlung ‹Des Knaben Wunderhorn› zu erwähnen, in der sich eine ganze Reihe von Gedichten und Liedern findet, die von der Müllerin, dem Müller, der Mühle und dem Bach handeln. Im frühen 19. Jahrhundert galt die Vorliebe für diesen literarischen Stoff wohl, über Müllerin-, Bach- und Mühlen-Idylle hinaus, der Figur des Müllerburschen, in der sich Naturnähe und Ungebundenheit beispielhaft verbinden. Nicht Seßhaftigkeit ist ihm eigen; er schaut dem Bache nach, denn ihn drängt es in die Ferne; der Bach ist sein Gefährte und Wanderkamerad. So kann es nicht verwundern, daß des Müllerburschen Versuch, seßhaft zu werden, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Absage der Müllerin, die ja des Müllers Tochter, also die Tochter eines vermögenden Vaters, ist, bedeutet mehr als ein «Ich liebe dich nicht», es ist die Absage an einen Menschen, dessen Ungebundenheit sich nicht den alltäglichen Normen fügt. Der konkurrierende Jäger stellt gegenüber dem Müllerburschen jene Person dar, deren gesellschaftliche Reputation nicht in Zweifel gezogen werden kann; daß die Müllerin sich ihm zuwendet, ist also durchaus einzusehen. Dennoch ist es der Müllerbursche, der die Zuneigung der Zeitgenossen findet; denn er ist es, der jene Ungebundenheit beispielhaft vorlebt, die dem Bürger verwehrt ist. Der Traum vom Müllerburschen ist darum zugleich auch der Traum von einem anderen, ungebundenen Leben.

Wilhelm Müller wurde 1815 während seines Studiums an der Berliner Universität mit dem ‹Müllerin›-Stoff konfrontiert, und zwar in einem sehr persönlichen und privaten Rahmen. Darüber berichtet der Berliner Schriftsteller und Kritiker Ludwig Rellstab: «Im Hause des Geh. Staatsraths v. Staegemann hatte sich zunächst um dessen, in Gentz[3] Briefen unter der Bezeichnung Elisabeth verewigten Gattin und deren Tochter, der jetzigen Frau v. Olfers, ein jugendlicher Kreis von Talenten gebildet, der einander dichterische Aufgaben stellte. Zu denselben gehörte Wilhelm Müller, der schnell berühmt gewordene, schnell dem Leben entrissene Dichter. Hier war es, wo er die ersten jener schönen Lieder schrieb, die nachmals als Wanderlieder und unter andern Bezeichnungen ganz Deutschland durchwandert haben, und überall heimisch geworden sind. Unter der Bezeichnung ‹Rose, die Müllerin› hatte man sich eine Art dramatischer, aber durch eine Verkettung von Liedern zu lösende Aufgabe gestellt. Rose, die schöne Müllerin, wird von dem Müller, dem Gärtnerknaben und dem Jäger geliebt; leichten, fröhlichen Sinns giebt sie dem letzteren den Vorzug, nicht ohne früher den ersten begünstigt und zu Hoffnungen angeregt zu haben. Die Rollen wurden nun in dem Kreise vertheilt. Die geistvolle Tochter des Hauses, mit einem äußerst glücklichen Dichtungstalent begabt, übernahm die der Müllerin; Wilhelm Müller die des Müllers; so trieb man mit dem Namen Scherz, doch wie schöner Ernst ist aus diesem Scherz geworden! – Der jetzt so anerkannte Maler Prof. Hensel[4] hatte damals den Jäger zu vertreten; noch einige andere minder bedeutende Aufgaben waren an Andere vertheilt. Jeder mußte sich in Liedern aussprechen, für die das genaue Verhältniß näher angegeben wurde.»[5] Im Mittelpunkt des kleinen Liederspiels steht also Rose, die schöne Müllerin. Der Müllerbursche und der Jäger sind die beiden von ihr bevorzugten Liebhaber; schließlich erhört sie den Jäger, und der verzweifelte Müllerbursche stürzt sich in den Bach. Hedwig von Staegemann, die Tochter des Hauses, hat später von einem anderen melodramatischen Schluß des Liederspiels berichtet: «danach ging das harmlose Spiel des Staegemannschen Kreises zuletzt weit hinaus über die anfänglich gestellte Aufgabe in einen ganz phantastischen Schluß: erschüttert von dem Ende des Müllers, sucht auch Rose in tiefer Reue den Tod in den Wellen, und der Jäger stimmt auf dem Grabe der Liebenden ein wehmütiges Klagelied an.»[6] Von Anfang an bestand der Wunsch, den Gedichten im Sinne eines Liederspiels auch eine musikalische Gestalt zu geben. Es war der Komponist Ludwig Berger, [7] der zehn Gedichte auswählte und als Liederspiel komponierte. Bei der Auswahl der Gedichte hat sehr wahrscheinlich Wilhelm Müller mitgewirkt; fünf der ausgewählten zehn Gedichte stammen von ihm.

Das Liederspiel erschien im Jahre 1819 bei E. H. G. Christiani in Berlin unter dem...

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