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Sozialdemokratische Reformdiskurse

AutorJan Turowski
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl359 Seiten
ISBN9783531924007
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,96 EUR
In diesem Buch werden Reformdiskurse sozialdemokratisch geführter, europäischer Regierungen untersucht, die in den 1990er und 2000er Jahren unter dem Druck der Globalisierung und des demographischen Wandels Sozialstaatskorrekturen durchführen mussten, welche einen Kontrast zu ihrer traditionellen programmatischen Identität und Grundwertesubstanz darzustellen schienen. Wie kommunizierten Sozialdemokraten ihre Reformprogramme? Wie verknüpften sie rhetorisch die von ihnen eingeleiteten Veränderungen mit ihrem sozialdemokratischen Wertesystem? Auch wenn die Stoßrichtung der sozialdemokratischen Reformdiskurse in allen drei Ländern ähnlich war, sie blieben in ihren nationalen Kontext eingebettet, der bestimmte strategische Diskursführungen ermöglichte oder behinderte. Der Vergleich der nationalen Diskurskontexte und der tatsächlich durchgeführten Reformdiskurse öffnet den Blick für diskursive Spielräume in den jeweils gegebenen Konstellationen und zeigt, dass der Erfolg der jeweiligen Reformdiskurse maßgeblich davon abhing, wie sie mit ihren Diskurskontexten korrespondierten.

Jan Turowski ist Politikwissenschaftler und Kulturtheoretiker in Berlin.

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Leseprobe
5 Verlauf öffentlicher Reformdiskurse: Inhaltlichstrategische, kommunikative und normative Positionierung sozialdemokratischer Diskurse (S. 206-207)

Öffentliche Reformdiskurse sind immer in ihren jeweiligen nationalen Diskurskontext eingebettet, der die Diskursprotagonisten mit jeweils höchst unterschiedlichen kommunikativen Ressourcen und Restriktionen ausstattet und Reformdiskurse sowie die in ihnen formulierten und programmatisch gestützten Reformideen durch ein historisch gewachsenes Wertesystem unterschiedlich filtert. Doch unabhängig davon, wie die jeweiligen kommunikativen Ausformungen der Diskurse durch ihre nationalen Diskursbedingungen determiniert sind, bleibt der öffentliche Diskurs überall gleichermaßen ein zentraler Bestandteil demokratischen Regierens, durch den politische Ziele definiert und Ereignisse interpretiert werden ebenso wie die Auswahl möglicher Policy-Optionen begründet wird.

Der nationale Diskurskontext stellt somit ein Raster dar, in dem sowohl unablässig politische Diskurse und Wandel stattfinden als auch Regeln und Bedingungen der politischen Auseinandersetzung kontinuierlich neu konstruiert werden. Auch wenn es in der liberalen Demokratie für politische Akteure im Grunde genommen keine Möglichkeit gibt, einen öffentlichen Diskurs als kohärente Konstruktion ihrer politischen Handlungsideen und als interaktiven Prozess nicht zu führen, da dieser eine notwendige kommunikative Machtressource zur Durchsetzung eigener Ziele wie auch eine Legitimation von Entscheidungen darstellt, können sich öffentliche Diskurse in Inhalt, Stil, Ausmaß und Zweck stark unterscheiden.

Hinzu kommt, dass die Begrenzungen nationaler Diskurskontexte jeweils so weit gefasst sind, dass innerhalb des jeweils gegebenen nationalen Rahmens eine Vielzahl unterschiedlicher diskursiver Strategien, kognitiver Argumentationen, rhetorischer Figuren und normativer Bezugspunkte möglich ist. Der nationale Diskurskontext kann somit von den Diskursprotagonisten zur Erreichung ihrer Ziele – hier über einen öffentlichen Diskurs Zustimmung zur Durchsetzung von sozial- und wirtschaftspolitischen Reform-Policies zu gewinnen – entweder optimal oder unzureichend ausgeschöpft werden.

Der nationale Diskurskontext stellt somit einen diskursiven Handlungsrahmen dar, der einerseits die Möglichkeiten der jeweiligen Reformkommunikation spezifisch begrenzt, und dabei andererseits den unterschiedlichen politisch-kulturellen und institutionellen Strukturen, den wohlfahrtsstaatlichen Arrangements und nationalen Akteurskonstellationen zu Beginn der Reformen komplementär entspricht. Dies bedeutet umgekehrt, dass in dem Maße, in dem es über einen erfolgreichen Reformdiskurs gelingt, die ehemals starren nationalen Ausgangsbedingungen aufzubrechen, dominante Werte zu re-konzeptualisieren und (zumindest teilweise) eine bestehende Pfadabhängigkeit hinter sich zu lassen, sich gleichermaßen der nationale Diskurskontext verschiebt und sich auf diese Weise die kommunikativen wie normativen Ressourcen zukünftiger sozialdemokratischer Diskurse entweder vergrößern oder – weil sich die erfolgreiche Durchsetzung von Reform-Policies über eher kurzfristige, insgesamt aber kontraproduktive diskursive Geländegewinne herleitete – verkleinern.

Es ist ebenso möglich, dass ein erfolgreicher sozialdemokratischer Reformdiskurs den gegebenen nationalen Diskurskontext (als Kontinuität im Wandel) stabilisiert und dadurch – je nachdem, ob der Kontext für sozialdemokratische Diskurse ursprünglich eher günstig oder ungünstig gewesen ist – sich langfristig diskursive Ressourcen sichert oder die Sozialdemokratie sich weiterhin auf eher ‚fremdem Terrain’ artikulieren muss.

Der öffentliche Reformdiskurs erzeugt somit Wandlungseffekte in zweifacher Hinsicht: Erstens legitimiert er – sofern erfolgreich – die Durchsetzung von Reform-Policies gegen den Widerstand etablierter Interessen und eingespielter Erwartungshaltungen, älterer Organisations- und Verteilungsformen. Indem der Reformdiskurs seine kognitiven Problemlösungsargumente dabei immer an normative Neukonzeptionen von Werten, Sinnstrukturen und Begriffsdefinitionen koppelt, verändert sich zweitens – über eben diese diskursive Verwandlung dominanter Werteordnungen und Gerechtigkeitsvorstellungen – zugleich das bestehende Kräfteverhältnis der kommunikativen Konzept- und Deutungsressourcen.
Inhaltsverzeichnis
VORWORT5
Inhaltsverzeichnis7
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis11
Abkürzungsverzeichnis12
1 Einleitung: Reform und Diskurs13
1.1 Fragestellung27
1.2 Methode und Aufbau29
2 Der öffentliche Diskurs: Methodische Abgrenzung, inhaltlich-konzeptuelle Begriffsverwendung und erkenntnisleitende Problembegrenzung37
2.1 Diskurs und Diskursforschung: Ein kurzer Abriss der Diskursverwendungen37
2.2 Der öffentliche Diskurs: Inhaltliche und methodische Abgrenzung41
2.3 Was ist ein öffentlicher Reformdiskurs?44
2.4 Funktionsund Wirkungsweisen des öffentlichen Diskurses47
3 Der sozialdemokratische Grundwertediskurs: Ziele und Politikinstrumente in neuen Spannungsfeldern51
3.1 Reformen, Diskurse und Parteiendifferenz: Die Notwendigkeit der richtungspolitischen Einordnung von Reformdiskursen51
3.2 Normen und Ideen sozialdemokratischer Reformdiskurse: Programmatische Veränderungsprozesse und inhaltliche Neujustierungen59
3.2.1 Gründe und Motivationen der programmatischen Revision: Veränderte Rahmenbe-dingungen für sozialdemokratische Politik62
3.2.2 Anthony Giddens’ Idee und Konzept des ‚Dritten Weges’ „Der Dritte Weg“69
3.3 Der ‚Dritte Weg’: Partei- und Kommunikationsmodernisierung74
3.4 Der ‚Dritte Weg’ als diskursiver Rahmen sozialdemokratischer Standortbestimmung87
3.5 Die normative Paradigmenverschiebung im sozialdemokratischem Diskurs95
4 Nationale Input- und Output-Filter öffentlicher Reformdiskurse102
4.1 Input-Filter: Das politische System104
4.1.1 Großbritannien108
4.1.2 Deutschland111
4.1.3 Schweden113
4.2 Input-Filter: Die wohlfahrtsstaatliche und politisch-ökonomische Ausgangssituation117
4.2.1 Schweden: Sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime und national koordinierte Marktwirtschaft120
4.2.2 Großbritannien: liberaler Wohlfahrtsstaat und unkoordinierte Marktwirtschaft122
4.2.3 Deutschland: konservativer Wohlfahrtsstaat und koordinierte Marktwirtschaft125
4.2.4 Unterschiedliche Wohlfahrtsregime, unterschiedliche Reformdiskurse127
4.3 Output-Filter: Politische Kultur129
4.3.1 Politische Kultur und Diskurs, Politische Kultur als Diskurs130
4.3.2 Postmaterialismus, Individualisierung, Subjektivierung und postmoderner Werte-wandel132
4.3.3 Differenzen nationaler politischer Kulturen: Unterschiedliche Vorstellungen, Ein-stellungen und Erwartungen, unterschiedliche Diskurskontexte143
4.3.4 Schweden146
4.3.5 Deutschland152
4.3.6 Großbritannien155
4.4 Output-Filter: Mediensysteme160
4.4.1 Medien und politische Öffentlichkeiten im Wandel162
4.4.2 Der politische Diskurs in zersplitterten Medienwelten und anti-hegemonialen Öf-fentlichkeiten166
4.4.3 Reformdiskurse in unterschiedlichen nationalen Mediensystemen173
4.4.4 Großbritannien182
4.4.5 Schweden186
4.4.6 Deutschland190
4.4.7 Unterschiedliche Diskursbedingungen unterschiedlicher Mediensysteme?198
4.5 Nationale Diskurskontexte200
5 Verlauf öffentlicher Reformdiskurse: Inhaltlich-strategische, kommunikative und normative Positionierung sozialdemokratischer Diskurse206
5.1 Großbritannien: Der idealtypische sozialdemokratische Reformdiskurs?210
5.1.1 New Labours interaktiver Diskurs211
5.1.2 Die ideenbegründete Diskursdimension: New Labours Diskurs der Modernisierung218
5.1.3 New Labours öffentlicher Reformdiskurs im britischen Diskurskontext228
5.1.4 Verschiebung des nationalen Diskurskontexts. Die Labour Party Zurück zum Aus-gangspunkt230
5.2 Schweden: Die diskursive Neubestimmung des schwedischen Modells238
5.2.1 SAPs interaktiver Diskurs242
5.2.2 Der ideenbegründete Diskurs: Bewahrung im Angesicht der Zukunft247
5.2.3 Die Stabilisierung des schwedischen Diskurskontexts256
5.3 Deutschland: Der unentschlossene, geliehene und verspätete Reformdiskurs261
5.3.1 Der Interaktive Diskurs266
5.3.2 Koordinierte Diskursdimension281
5.3.3 Der ideenbegründete Diskurs284
5.3.4 Verschiebung des deutschen Diskurskontextes299
6 Schlussbetrachtung und Ausblick308
6.1 Welcher öffentliche Reformdiskurs unter welchen nationalen Bedingungen?310
6.2 Der ideologische Diskurs der Sozialdemokratie319
7 Literatur327

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