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E-Book

Super

Mein Leben

AutorFriedrich Liechtenstein
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783492969772
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Mit seinem Tanz durch den Supermarkt hat Friedrich Liechtenstein im Internet über 20 Millionen Klicks erreicht. 'Supergeil' wurde zum Schlagwort der Stunde. Bis hin zur internationalen Presse wie der New York Times und dem Guardian beschäftigt sich die Welt mit Friedrich Liechtenstein. Der vielschichtige Künstler ist 'Deutschlands berühmtester Eremit' (Die Zeit), professioneller Flaneur und Utopist. Aber wer ist er wirklich? Zum ersten Mal erzählt der 'Kinky King' sein Leben: von der Zeit, als er sich ohne festes Engagement durchs Leben schlug und von Billigquark auf der Schrippe lebte, über den sagenhaften Erfolg, der mit 'Supergeil' über ihn kam, bis hin zu seiner Selbstfindung als Künstler und Mensch. 'Die Armut, in der ich lebte, hat mich angstfrei gemacht. Und aus diesem Gefühl entsteht meine Kunst.'

Friedrich Liechtenstein, 1954, 1956, 1958 als Hans-Holger Friedrich in Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt) geboren, studierte an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin, wo er seit 1995 lebt. Er ist ausgebildeter Puppenspieler, Theaterregisseur und Schauspieler. Gastauftritte bei Sasha Walz, an der Volksbühne und in diversen Theatern der Bundesrepublik machten ihn bekannt. 2003 begann er als Friedrich Liechtenstein seine Karriere als Elektro-Popmusiker. Sein aktuelles Album »Bad Gastein« wird von der Kritik hymnisch gefeiert.

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Leseprobe

DIE ALGE DES JAHRES


Mein erstes Tagebuch hatte ich unter Aufsicht meiner Eltern geführt. Die wollten wahrscheinlich überprüfen, ob ich das auch ordentlich machte und vor allem: regelmäßig. Vielleicht waren sie auch an meiner Sicht auf die Welt interessiert. Jedenfalls klebte ich dahinein den Ausschnitt aus einer Zeitung oder Zeitschrift, in dem von Algen als Kost der Zukunft die Rede war. Dass die Lösung des Welthungers möglicherweise in einer Ernährung durch Algenprodukte bestand. Ich kann mich nicht erinnern, in welcher Zeitschrift ich den Text entdeckt hatte, aber eher unwahrscheinlich, dass es in der »FRÖSI« gewesen war. Meine Eltern hatten jede Menge Zeitschriften und Zeitungen abonniert. Aber weder »Neues Deutschland« noch »FRÖSI«. Die hieß tatsächlich so: »Fröhlich sein und singen«, dafür stand diese Abkürzung. Woran ich mich aber sehr wohl erinnern kann: Mich hat diese Idee mit den Algen total fasziniert. Eigentlich ist das noch untertrieben, denn ich konnte an kaum etwas anderes mehr denken (außer an Sylvia). Das hatte bestimmt mit den Algenpudeln zu tun, die zu basteln mir meine über alles geliebte Mutter beigebracht hatte. Ich konnte mir ja selbst nie erklären, weswegen ich den Duft meiner Algenpudel als wohltuend empfunden hatte – nun schien es Schicksal! In meinen Aquarien hatte es ja mit dem Grünzeug auch besser funktioniert als mit den Flossengenossen. Und das Abschaben der Beläge aus Grünalgen von den Scheiben meiner Aquarien vermittels des langstieligen Rasierers war mir stets als eine mir liebe, weil mich gemütlich stimmende Tätigkeit erschienen, mit der ich mich nach anstrengenden Tagen selbst belohnen konnte.

Es deutete von daher alles mit heftig blinkenden Indikatoren auf ein Leben mit den Algen hin. Es hieß, dass es in Potsdam-Rehbrücke ein Institut geben sollte, an dem bereits an den Möglichkeiten der Algenverwertung geforscht wurde. Naturgemäß bedeutete das für einen jungen Bürger der Deutschen Demokratischen Republik ein so erstrebenswertes wie interessantes Feld: Verbesserung der Zukunft aller, gesellschaftliche Veränderung, Rettung der Menschheit – und das vor allem durch etwas, das nichts oder kaum etwas kostete. Algen erschienen mir als Kartoffeln in Grün.

Allzu hochfliegende Pläne wurden von meinen Eltern allerdings nicht unterstützt. Zumindest nicht mit jener Euphorie, nach der ich mich sehnte. Denn, das war damals schon so und ist es bis heute so geblieben: Ich brauchte und brauche Begeisterung und Applaus; ich brauche Aufmerksamkeit, um mich aufraffen zu können. Ich will gefallen. Und wenn es anderen nicht gefällt, was ich mache, gefällt es mir selbst auch nicht mehr. Es gab wohl, das fand ich nicht nur bei dieser Gelegenheit heraus, seitens meiner Eltern keinerlei Wünsche oder gar Pläne, was ich aus meinem Leben machen sollte. Zufrieden sein halt.

Das Umfeld, das dieser Staat geschaffen hatte, machte ja phlegmatisch bis fatalistisch. Privatisieren, darauf schauen, dass man auf seine eigenen Kosten kam, war wichtig geworden. Und Probleme ließen sich zunehmend durch Diebstahl regeln. Wenn die Arbeiter des Stahlwerks ausgeruht vom Nichtstun auf ihren Fahrrädern nach Hause kamen, hatten sie wieder ganz gute Laune, weil es ihnen gelungen war, etwas Material beiseitezuschaffen. Dann fuhren sie auf ihre Datschen und legten dort noch einmal richtig los. Der Versuch, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle gleichgestellt waren, hatte im Endeffekt zu einem generell antriebslosen Klima geführt. Wer Ehrgeiz hatte – der hatte sie doch nicht mehr alle. Der Vorgesetzte wurde grundsätzlich für blöd gehalten, auch expressis verbis, also indem man ihm ins Gesicht sagte, dass man ihn für einen Trottel hielt. Und das schien gut so.

Ich bin natürlich immer höflich und geschmeidig geblieben, ich mag es seicht und harmonisch, wenngleich mir nach dem Fall der Mauer schon aufgefallen ist, dass im Westen ein krass anderer Umgangston angesagt war. Dass man dort auf gar keinen Fall seinem Vorgesetzten ins Gesicht sagen konnte, dass man ihn für einen Trottel hielt (selbst wenn das eindeutig so der Fall war). Es gab Klassen. Das war ein Kulturschock. Einer von vielen.

Warum ich dann aber doch kein Algenforscher geworden bin und das Ernährungsproblem der Menschheit von anderen gelöst werden wird – ich prophezeie mal: durch Algen –, liegt an einem Teil meiner Persönlichkeitsstruktur, den ich mir durch die Umstände meiner Geburt erkläre. Ich wurde eben nicht herausgequetscht und musste meinen Weg ans Licht nicht mühsam finden. Andere haben meiner Mutter den Bauch aufgeschnitten. Andere haben sich die Mühe für mich gemacht. Bis heute kann ich meine Probleme nicht selbst lösen, sondern lasse das andere für mich machen. Das ist aber auch eine Fähigkeit. Und es wäre eine Katastrophe, wenn ich nicht dieser Typ mit den Ideen wäre. Einfach nur rumliegen und warten wie bei Brecht der Fisch Fasch läuft eben auch nicht. Aber wenn du Ideen hast, ist es auch nicht schlimm, wenn mal aus einer nichts wird. Ideen wachsen nach, ich habe jeden Tag ein paar neue davon. Ideen sind wie Algen, aber Algen sind halt auch zäh. Die halten durch. Algen können ein Segen sein, aber Algen können auch gefährlich werden. Es sind schon Menschen an Algenvergiftung gestorben. Durch Killeralgen. Und Algen, die ja an Sonnentagen so hübsch vom Grund des Sees her leuchten, können in einem sehr heißen Sommer, wenn sehr viele Menschen mit sehr viel Sonnencreme auf der Haut sehr viel in diesem See schwimmen gehen, das Wasser dieses Sees sehr schnell zum Kippen bringen. Ihn für Menschen unbenutzbar machen. Dass Algen dieses ambivalente Naturell besitzen, gefällt mir daran.

Nun hatte ich damals zwar diese Idee einer Zukunft als Algenforscher, ich sah mich bereits in Aschersleben an der Anhaltinischen Hochschule sitzen und an den Lebensmitteln der Zukunft forschen, aber als sich dann eine Möglichkeit ergab, in Frankfurt an der Oder eine Ausbildung zum Koch zu machen, fand ich das ebenfalls möglich für mich. Eventuell war das ja lediglich eine Art Umweg, der grundlegend zu meiner Vision passte: Um die Lebensmittel der Zukunft herzustellen, musste ich ja auch etwas über die Natur der Lebensmittel von heute lernen. Da musste doch noch mehr zu holen sein als Kartoffelbrei. Außerdem – so stellte ich es mir vor – unterschied sich der Arbeitsplatz des Algenforschers von dem eines Küchenchefs nicht wesentlich: hygienischer Chromstahl, hell beleuchtete Arbeitsplätze, weiße Arbeitskleidung, Apparaturen und so fort. War allerdings noch deutlich vor dem Trend zur Molekularküche, wo sich dann diese Arbeitswelten tatsächlich ineinanderblenden durften. Aber was weiß man denn als Sechzehnjähriger schon groß von den Realitäten der Arbeitswelt – ich hatte doch den Kopf voller Ideen!

Meinen Eltern war das recht. Bei der Lebensplanung ging es darum, seinen Platz zu finden. Ein Vorankommen gab es in dem Sinne ja nicht. Obwohl es auch private Bäcker gab in der Deutschen Demokratischen Republik. Sogar Millionäre gab es – aber die kannten wir nicht. Ich erinnerte mich an einige von mir zubereitete Kartoffelpüreevariationen, die im Familienkreis großen Anklang gefunden hatten, und malte mir aus, dass ich bald schon mit noch mehr Anklang würde rechnen können – kraft jener mir in Frankfurt verliehenen Fertigkeiten.

Nun gibt es ja den Spruch aus dem Katzenkalender, der besagt: Wer sich in die Küche wagt, sollte die Hitze des Herdfeuers nicht scheuen, und wie ich im weiteren Verlauf meines Lebens herausfinden sollte, stimmen die allesamt – die Katzenkalendersprüche –, aber …

In einer professionell ausgerichteten Küche wird es so richtig heiß. Erschien mir dann doch als ein wesentlicher Unterschied zu den Arbeitsbedingungen des Algenforschers. Von lichtdurchfluteten Räumen konnte ebenfalls keine Rede sein. Zudem sind, wie Katzenkalenderbesitzer wissen, Lehrjahre keine Herrenjahre. Der Umgangston unter Algenforschern, habe ich mir sagen lassen, ist von teilweise tief empfundenem, in jedem Fall auf Gegenseitigkeit basierendem Respekt geprägt. Die Arbeitsgeräte im Hotel Stadt Frankfurt waren im Vergleich zu dem zierlichen Laborgerät, das ich mir vorgestellt hatte, ausgesprochen klotzig. Geradezu monströs. Wahrscheinlich hat der Beruf eines Kochs schon eher mit dem eines Kreativen oder eines Künstlers zu tun, wenn er die Möglichkeit bekommt, in einem spiegelnd polierten Kupferwinzling etwas über einer justierten Flamme zu sautieren. Bei uns gab es Kipppfannen, in denen die Bratkartoffeln für einige Tischgesellschaften zugleich fertig gemacht wurden. Wenn man morgens um sechs Uhr zwölf Kilogramm Gemüsezwiebeln geschält hat, danach in einem Bottich erst mal 50 Eier hart kocht für das Frühstück der Gäste, weiß man Bescheid. Ein Lehrbuch von der Qualität der Neuen Küche, wie es Paul Bocuse eben verfasst hatte und worin er beispielsweise auf zwei großen Textseiten erklärt, worin die Kunst, ein Spiegelei fachgerecht herzustellen, besteht, hatten wir nicht zur Verfügung. Ist ja auch nicht massentauglich. Ich habe es trotzdem sehr gerne gelesen, als ich es Jahrzehnte später endlich fand. In meiner Ausbildung ging es um eine andere Schule einer andersartig Neuen Küche. Es ging eindeutig in Richtung Luise Haarers, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Noch heute koche ich zur Freude meiner Gäste nach der Dreisatzregel: Schnell, billig, viel.

Zur Peak Time waren mit dem Dampf aus den Pfannen und Töpfen bereits derart viele Fettpartikel in die Atmosphäre des geschlossenen Raumes aufgestiegen, dass dort bald sämtliche Oberflächen, kritischerweise vor allem die Fußböden, mit einer glitschigen Schicht überzogen...

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