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E-Book

Transformationen

Zum Werk von Klaus Huber

VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783795786403
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Der 1924 geborene Klaus Huber, 2009 mit dem begehrten Siemens-Musikpreis ausgezeichnet und soeben mit dem Deutschen Musikautorenpreis 2013, ist einer der renommiertesten Schweizer Komponisten des 20./21. Jahrhunderts. Unter dem Titel «Transformationen» veranstaltete das Studio Neue Musik der Züricher Hochschule der Künste im März 2010 ein internationales Symposion zur Musik des Komponisten. Der Band versammelt die Beiträge dieses Symposiums. AutorInnen sind Thomas Gartmann, Jörn Peter Hiekel, Sibylle Kaiser, Till Knipper, Susanne Kogler, Claus-Steffen Mahnkopf, Max Nyffeler, Christian Utz, Martin Zenck und Heidy Zimmermann.

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Leseprobe

Transformationen

Zu einigen Facetten des Komponierens von Klaus Huber

Jörn Peter Hiekel

Sucht man die im kompositorischen Schaffen von Klaus Huber prägenden konzeptionellen Strategien und zugleich deren Vielschichtigkeit zu ergründen, kann es hilfreich sein, auf das Begriffsfeld des «Transformativen» oder der «Transformation» zu rekurrieren – obwohl oder gerade weil dieses Begriffsfeld recht unterschiedliche Assoziationen hervorruft. Einige der dabei aufscheinenden Facetten des «Transformativen», verstanden als beharr-liche und permanente Prozesse der Veränderung, Wandlung oder Anverwandlung, möchte ich im Folgenden kurz andeuten – dies mit dem Ziel einer Kontextualisierung und zugleich Bündelung verschiedener Ansätze von Klaus Huber, ausdrücklich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit,1 aber doch vom Wunsch getragen, die innere Konsequenz und Sinnfälligkeit von Hubers Ansatz anzudeuten. Berührt sind dabei gleichermaßen produktions- wie rezeptionsästhetische Aspekte.

1. Reflexionen älterer Musik

Eine Facette, die deswegen am Beginn dieser Überlegungen firmieren mag, weil sie beispielhaft steht für Hubers Konzept eines überaus vielschichtigen Komponierens, ist durch die darin immer wieder vorhandenen Anklänge und Reflexionen von älterer Musik markiert. Im Komponieren der letzten sechzig Jahre gibt es, grob gesagt, vier Kategorien der Auseinandersetzung mit Musik vergangener Zeiten: die erste ist die weitgehende Vermeidung oder Ausblendung von Traditionsbezügen, wie man sie, auf der Suche nach einer unabhängigen eigenen Sprache, am ehesten in der seriellen Musik der frühen 1950er Jahre findet. Die zweite, geradezu gegenläufige Tendenz ist die unbekümmert mit Traditionsbeständen jonglierende oder sie verklärende Form des Umgangs mit Traditionen, die nicht selten als «postmodern» bezeichnet wird, weil sie einen Teil – gewiss nicht alle – der mit dem Begriff «Postmoderne» verbundenen Kriterien erfüllt. Die dritte Kategorie steht im breiten Feld zwischen den beiden zuerst genannten: sie ist das bewusste Gegen-den-Strich-Lesen der Musikgeschichte, wie man es etwa bei Nicolaus A. Huber oder Rolf Riehm findet (Riehm spricht selbst vom «Fehllesen», vom absichtlichen Missverstehen mit dem Ziel, gerade so ungeahnte Potenziale eines älteren Werks zu entbinden).2 Und die vierte Kategorie der komponierenden Auseinandersetzung mit der Musikgeschichte ist eine Form des kreativen Weiterdenkens, weit jenseits von Monumentalisierung und Verklärung, dafür aber mit dem Ziel, das Sperrige, vielleicht sogar Provozierende eines vorgefundenen Elements erfahrbar zu machen.

Diese vierte Kategorie nun ist in besonderem Maße im Werk von Klaus Huber anzutreffen. Für sie liegt der Begriff der «Transformation» – im Sinne von Umwandlung oder Verwandlung – am ehesten nahe. Wenn Huber in seinen Lamentationes Sacrae et Profanae ad Responsoria Iesualdi (1993-1997) auf Carlo Gesualdo da Venosa reagiert oder wenn er in anderen Werken Elemente aus Stücken von Purcell, Bach oder Mozart einbezieht, schließt die Transformation immer auch kreative Neudeutung ein. Diese Art der Vergangenheits-Belebung bezeichnet eine wichtige Facette der heutigen Musik. Auch Namen wie Salvatore Sciarrino, György Kurtág oder Hans Zender – der mit Blick auf seine eigene Einrichtung von Schuberts Winterreise von «komponierter Interpretation» sprach – wären hier, mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen, zu nennen. Offenbar ist Klaus Huber ebenso wie Hans Zender bei der Entwicklung und Entfaltung seiner eigenen kompositorischen Verfahrensweisen am stärksten von Bernd Alois Zimmermann beeinflusst worden, der nach einer treffenden Formulierung von Zender in der Nachkriegszeit «der erste namhafte Komponist [war], der bewusst und explizit Geschichte in sein Werk eingehen» ließ.3 Interessant für die inzwischen gewandelten Einschätzungen dieser Ausrichtung ist die Tatsache, dass selbst Zimmermanns langjähriger Antipode Karlheinz Stockhausen, obschon entschieden anders ausgerichtet, diese Eigenschaft der Musik Zimmermanns wahrgenommen hat, zunächst mit einigem Unverständnis, später wohl mit gewissem Respekt. Er sprach davon, Zimmermann sei eben mehr Transformator als Generator gewesen (Stockhausen selbst empfand sich ja bekanntlich Zeit seines Lebens vor allem als «Generator», also als jemand, der ständig Neues schafft).4 In dieser Äußerung klingen jene oft dargestellten – und in mancher Hinsicht heiklen – Diskussionen zum Materialfortschritt und zur Innovation an, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten mit einiger Polemik geführt wurden. Heute, da sich die polemischen Wogen längst geglättet haben, weiß man, wie sehr auch Transformationen ihre höchst kreative, nicht-akademische und auch nicht bloß spielerische Seite haben können und sogar im Sinne eines «generativen» Prozesses verstanden werden können.

Auch für eine angemessene Beurteilung des Schaffens von Klaus Huber ist diese Einsicht wichtig. «Jedes kreative Tun», so äußerte Huber selbst, «muss eine innovative, schaffende Komponente haben, sonst vermittelt es nicht eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, sondern beschränkt sich auf sich selber, ist eine Selbstbestätigung.»5 So unspezifisch ein solcher Satz zunächst erscheinen mag, seine Aussage wird in Hubers Komponieren beglaubigt durch eine Vielzahl von Verknüpfungen mit Material früherer Zeiten, die ihren Bezug zur heutigen Gegenwart nie verschleiern. Jegliche «museale» Tendenz liegt Huber fern. Und auch mit einem weitreichenden Anspruch auf «Authentizität» des verwendeten Materials wird man seinem Ansatz nicht immer gerecht. Reibungen sind für seine kreativen Neudeutungen unerlässlich.

In der Charakterisierung seines eigenen Schaffens hat Huber für sich zwar nicht den Begriff von «Transformation» in Anspruch genommen, aber jenen der «Transmission», verstanden im Sinne von «Vermittlung». Dabei könnte die Idee von Vermittlung in zweifacher Hinsicht verstanden werden: einerseits im Sinne einer Hinführung zur Kunst früherer Zeiten und dem, was Ernst Bloch das «Unabgegoltene im Vergangenen»6 nannte (darauf wird noch zurückzukommen sein), andererseits aber auch als Integration einer Erlebnisqualität, mit dem Ziel die Musik, die von der der Grundtendenz her sich jenseits der Tonalität bewegt, mit einer gewissen Verbindlichkeit auszustatten. Es darf davon ausgegangen werden, dass auch dann beide Seiten für Hubers Musik wichtig sind, wenn der Komponist selbst sich über die zuletzt genannte Perspektive kaum äußerte. Zur eben erwähnten Komposition Lamentationes Sacrae et Profanae ad Responsoria Iesualdi formulierte Huber freilich ganz konkret: «Ich habe die Prozesse so gestaltet, dass Gesualdo in bestimmten Augenblicken wie ein Eisberg auftauchen kann, während er sonst permanent unter der Schwelle der direkten Wahrnehmung vorhanden ist, nämlich strukturell und konzeptuell.»7

Vermittlung heißt in einem Werk wie diesem,8 dass das Ohr der Zu-hörenden in ausreichendem Maße Gelegenheiten erhält, sich auf die Klangwelten Gesualdos einzulassen. Wenn er auf Material vergangener Zeiten rekurriert, prononciert Huber immer wieder auch Momente des Querständigen, freilich nicht ohne – meist stärker als etwa Zimmermann – die Vision einer Verschmelzung gegenwärtiger und früherer Klangwelten zu verfolgen.

2. Selbstbearbeitung

Die zweite Facette des Transformierens im Schaffen von Huber liegt darin, dass Huber immer wieder auf bemerkenswerte Weise eigene Stücke aufgegriffen und «rekomponiert» hat.9 Weit über bloß aufführungspraktische Erwägungen hinausgehend, hat er sie dabei verwandelt. Er weicht damit von dem ab, was für viele andere Komponisten – etwa seinen einstigen Schüler Wolfgang Rihm im Falle des Zyklus Jagden und Formen – geläufig ist, nämlich von der allmählichen «Wucherung», Fortschreibung und Verbreitung von vorhandenen Materialien. Zitiert sei hierzu nur Hubers eigener wichtiger Hinweis zu diesem Thema, demzufolge «Selbstbearbeitung» für ihn gerade nicht Erweiterung heiße: «Mich interessiert eigentlich das Gegenteil: was geschieht, wenn ich wegnehme, also sozusagen die Musik ‹entkleide›?»10 Hubers Musik wächst auf diese Weise in vielen Fällen ein besonderes Maß an Konzentration und Verdichtung zu. Das Vorhandene gerät dadurch gleichsam auf den Prüfstand – und doch kann man die Neufassungen oft kaum erleben, ohne den Nachklang oder die Aura der zuvor erlebten früherer Fassungen zu spüren.

3. Andere harmonische Räume

Als dritte Facette des «Transformativen»...

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