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E-Book

Über das Dandytum

AutorJules Barbey d'Aurevilly
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl187 Seiten
ISBN9783957570499
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Über das Dandytum ist das noch immer gültige Kultbuch zu einem faszinierenden Thema. Es ist aber auch ein klassisch gewordener Essay: raffinierte biografische Darstellung und Gesellschaftsanalyse in einem, enthält es zugleich eine eigene Dandy- Philosophie. Der erstmals vollständig auf Deutsch erscheinende Text ist voll von Beobachtungen und Aperçus, die ewig Gültigkeit haben. Die vorliegende Ausgabe des zwischen 1845 und 1879 durch mehrmalige Überarbeitung entstanden Essays enthält nicht nur die Biographie George »Beau« Brummells, der mehr als jeder andere die Vorstellung davon geprägt hat, was ein Dandy ist und der Lord Byron zu der Bemerkung veranlaßte, lieber Brummell gewesen zu sein als Napoleon. Sie enthält auch den noch nie ins Deutsche übertragenen Essay über den Marquis de Lauzun, einen »Dandy bevor es Dandys gab«, dessen tragisch-groteske Liebesgeschichte mit einer Dame aus dem französischen Hochadel nach Barbeys Worten »einen Roman von Stendhal aufwiegt«. Obwohl Barbey d´Aurevilly behauptete, selbst kein Dandy zu sein, wurde er als solcher wahrgenommen. Unzählige Klatschartikel und Karikaturen haben seine extravaganten Krawatten, Mäntel, Hüte und Manschetten festgehalten. Seine aristokratische Erscheinung war in Paris ebenso legendär wie seine Schlagfertigkeit und die oft vernichtende Schärfe seines Urteils. Der Anhang des Bandes versammelt Zeugnisse von Schriftstellern, die Barbey d´Aurevilly begegnet sind und ihn als Dandy beschrieben haben.

Jules Barbey d´Aurevilly (1808-1889) verfasste Romane, Erzählungen, Kritiken und Essays. Bewunderer loben seinen geschliffenen Stil und erfreuen sich an seiner faszinierenden Persönlichkeit. Feinde werfen ihm seine Intoleranz und reaktionäre Haltung vor.

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Leseprobe

IX


George Bryan Brummell wurde in Westminster geboren, als Sohn des Esquire52 William Brummell, Privatsekretär jenes Lord North53, der zu gewissen Stunden auch ein Dandy war und während der heftigsten Attacken der Oppositionsredner voller Geringschätzung in seinem Ministersessel schlief. North sorgte für den Aufstieg William Brummells, eines Manns der Ordnung und der fähigen Tat. Pamphletisten, die Bestechung schreien und dabei hoffen, selbst bestochen zu werden, haben Lord North the god of emoluments (Gott der Einkünfte) genannt. Aber indem er Brummell bezahlte, belohnte er tatsächliche Verdienste. Als sein Förderer das Ministeramt verlor, wurde Brummell High Sheriff in Berkshire. Er zog in die Nähe von Donnington Castle, das als Chaucers54 Wohnsitz berühmtgeworden ist, und widmete sich dort jener opulenten Gastfreundschaft, auf die sich in der ganzen Welt nur die Engländer verstehen. Seine Beziehungen waren ihm geblieben. Neben anderen Berühmtheiten der Zeit empfing er Fox55 und Sheridan. Einer der ersten Eindrücke des künftigen Dandys war also der Atem dieser mächtigen und charmanten Männer über seinem Haupt. Sie beschenkten ihn wie Feen mit ihren Gaben; doch er bekam nur die Hälfte ihrer Kraft und nur die vergänglichsten ihrer Fähigkeiten. Kein Zweifel, diese Geister, die den Glanz des Denkens verkörperten und deren Witz ihrer Rednergabe ebenbürtig war, regten mit ihrem Geplauder und ihren politischen Debatten Fähigkeiten an, die im jungen Brummell schlummerten und die ihn später (um ein von den Engländern gebrauchtes Wort zu wählen) zu einem der besten Konversationskünstler Englands machten. Als sein Vater 1794 starb, war er sechzehn Jahre alt. Man hatte ihn 1790 nach Eton geschickt, und schon dort zeichnete er sich – neben dem Studium – durch Dinge aus, die für ihn typisch werden sollten. Die Sorgfalt seiner Kleidung und die Kälte seiner Umgangsformen brachten ihm bei seinen Mitschülern einen Namen ein, der damals en vogue war; das Wort Dandy war noch nicht gebräuchlich, und die Despoten der Eleganz hießen Bucks* oder Macaronies. Man nannte ihn also Buck Brummell. Seinen Zeitgenossen zufolge übte niemand, außer vielleicht George Canning56, stärkeren Einfluß auf seine Gefährten aus; aber Cannings Einfluß beruhte auf seiner Herzens- und Verstandesglut, während derjenige Brummells auf weniger berauschende Fähigkeiten zurückzuführen war. Er bestätigte Machiavellis Satz: »Die Welt gehört den kalten Geistern.« Von Eton ging er nach Oxford, wo er den Erfolg hatte, der ihm vorbestimmt war. An ihm gefielen die äußerlichsten Seiten seines Geistes: Seine Überlegenheit machte sich nicht in mühsamer Denkarbeit bemerkbar, sondern in der Lebenspraxis. Als er Oxford drei Monate nach dem Tod seines Vaters verließ, trat er als Fähnrich ins 10. Husarenregiment ein, das der Prince of Wales kommandierte.

Man hat viel Mühe darauf verwandt, die spontane Zuneigung des Prinzen zu erklären. Man hat Anekdoten erzählt, die des Zitierens nicht wert sind. Wozu der Tratsch? Wir haben Besseres. Wie Brummell nun einmal war, konnte er unmöglich nicht die Aufmerksamkeit und Sympathie dieses Mannes erregen, der, wie man sagt, auf die Feinheit seiner Manieren stolzer war als auf seinen hohen Rang. Man weiß, daß er den Glanz seiner Jugend zu verlängern strebte. Der Prince of Wales war damals zweiunddreißig. Er war schön, aber von der lymphatischen und steifen Schönheit des Hauses Hannover, die er durch prachtvolle Kleider zu steigern, durch Diamantgefunkel zu beleben suchte. Skrofulös57 an Leib und Seele, ohne daß seine Anmut, diese letzte Tugend der Höflinge, Schaden genommen hätte, erkannte der spätere König George IV. in Brummell einen Teil seiner selbst, jenen nämlich, der strahlend und gesund geblieben war. Und das war das Geheimnis seiner Gunst! Es war so einfach wie die Eroberung einer Frau. Geht nicht manche Freundschaft von körperlichen Dingen, von äußerer Anmut aus, wie manche Liebe von der Seele, von einem immateriellen und geheimen Zauber…? Von dieser Art war die Freundschaft des Prince of Wales zu dem jungen Husarenfähnrich: Der Sinneseindruck bestimmte das Gefühl, das einzige vielleicht, das in dieser verfetteten Seele, die ganz im Körperlichen aufging, keimen konnte.

So fiel die unbeständige Gunst, die Lord Barrymore58, George Hanger59 und viele andere genossen hatten, mit der Unvorhersehbarkeit einer Laune und dem Fieber des Hingerissenseins Brummell zu. Er wurde auf der berühmten Terrasse in Windsor in die anspruchsvollste Fashionwelt eingeführt. Er zeigte dabei Eigenschaften, die der Prince of Wales am meisten schätzte: blühende Jugend, die Sicherheit eines Mannes, der das Leben kennt und meistert, die feinste und gewagteste Mischung aus Unverschämtheit und Respekt, schließlich vollendeten Geschmack und geistvolle Schlagfertigkeit. Sicher, an diesem stürmischen Erfolg waren noch andere Dinge als beider Extravaganz beteiligt. Übrigens gebrauchen verwirrte Moralisten das Wort Extravaganz wie Mediziner das Wort Nerven. Von diesem Augenblick an stand er in hohem Ansehen. Bei der Hochzeit des Thronfolgers mit Karoline von Braunschweig übernahm er, der Sohn eines einfachen Esquire, eines Privatsekretärs, dessen Großvater noch Händler war, und nicht einer von Englands Nobeln die Aufgabe des Ehrenritters. Sogleich scharte sich die Salonaristokratie um ihn: Lord Robert Edward Somerset60, Lord Petersham61**, Charles Ker, Charles und Robert Manners, und umgab ihn mit der schmeichelhaftesten Vertrautheit. Das allein war noch nicht erstaunlich: Er hatte bloß Glück. Er war, wie die Engländer sagen, mit einem silbernen Löffel im Mund geboren. Ihn schützte jenes unbegreifliche Etwas, das wir unseren Stern nennen und das jenseits von Vernunft und Gerechtigkeit in unser Leben eingreift; aber was überrascht, was ihn zu seinem Glück berechtigt, ist, daß er es festhielt. Das vom Glück verwöhnte Kind wurde auch von der Gesellschaft verwöhnt. Byron spricht irgendwo von einem Napoleon-Porträt und fügt hinzu: »Er wirkt, als sei er in seinem kaiserlichen Mantel schon zur Welt gekommen.« Das gleiche könnte man von Brummell und dem berühmten Frack sagen, den er erfunden hat. Er trat seine Herrschaft unbefangen, ohne Zaudern an, mit einem Selbstvertrauen, das nur hat, wer sich selbst kennt. Alles trug zu seiner sonderbaren Macht bei, und niemand stellte sich ihr entgegen. An der Spitze des politischen und sozialen Lebens, wo Beziehungen mehr als Verdienste zählen und Menschen sich wie Krustentiere panzern müssen, hatte Brummell mehr Bewunderer als Rivalen — in den Herzögen von York und Cambridge, den Grafen von Westmoreland und Chatham62 (letzterer war der Bruder William Pitts), im Herzog von Rutland und in Lord Delamere. Frauen, wie die Priester immer auf der Seite der Macht, posaunten rosenlippig ihre Bewunderung hinaus. Sie waren die Fanfaren seines Ruhms; aber das blieben sie auch, denn hier kommt Brummells Besonderheit ins Spiel. Sie unterscheidet ihn wesentlich von Richelieu und von fast allen Männern, die verführen wollen. Er war nicht, was man einen Libertin nennt. Richelieu eiferte den tartarischen Eroberern nach, die sich ein Lager aus Frauenleibern richten ließen. Brummell sammelte solche Beutestücke und Trophäen nicht; seine Eitelkeit rührte nicht an heißes Blut. Auch die Sirenen, Meertöchter mit betörenden Stimmen, waren in ihrem Schuppenpanzer unverwundbar, und ihre Gefährlichkeit machte sie, ach! nur noch bezaubernder!

Seiner Eitelkeit tat das keinen Abbruch; im Gegenteil. Sie stieß mit keiner anderen Passion zusammen, die ihr hätte Wunden schlagen oder ihr Paroli bieten können: Sie regierte allein, unangefochten.*** Begehren, lieben, selbst im gewöhnlichsten Sinn des Wortes, bedeutet immer, abhängig, Sklave des Begehrens zu sein. Auch die zärtlichsten Arme sind eine Kette, wenn sie sich um einen schlingen, und ob man Richelieu oder Don Juan persönlich ist — wenn man sie sprengt, geht von der Kette niemals nur ein Ring zu Bruch. Dieser Sklaverei entzog sich Brummell. Seine Triumphe beruhten auf seiner unverschämten Teilnahmslosigkeit. Er empfand nie den Schwindel jener, denen er den Kopf verdrehte. Gerade in England, wo das Zusammenwirken von Feigheit und Dünkel Prüderie statt Sittsamkeit hervorbringt, war es pikant, daß ein so junger Mann, der alle mondänen und natürlichen Reize in sich vereinte, die Frauen für ihr Begehren strafte und in den Grenzen der Galanterie blieb, die ja nicht gezogen wurden, um respektiert zu werden. Dennoch verhielt sich Brummell so; er gab sich nicht die geringste Mühe, und darin lag kein Kalkül. Wer die Frauen kennt, weiß, daß das seine Macht verdoppelte: Er verletzte den romantischen Stolz dieser hohen Ladys und brachte sie zum Träumen.

Der König der Mode hatte also offiziell keine Mätresse. Versierter als der Prince of Wales, nahm er sich keine Frau...

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