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Verantwortung als marktwirtschaftliches Prinzip

Zum Verhältnis von Moral und Ökonomie

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl544 Seiten
ISBN9783593402697
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
»Raubtierkapitalist« und Wohltäter - auf viele Unternehmer scheinen beide Zuschreibungen gleichermaßen zuzutreffen. Die Autoren des Bandes gehen diesem scheinbaren Widerspruch zwischen Markt und Moral nach. Sie prognostizieren das Ende der sozialen Marktwirtschaft und entwerfen Perspektiven für eine globale Marktwirtschaft, die von der Suche nach einer Verbindung von ökonomischer Freiheit und sozialer Verantwortung geprägt ist. Mit der »Geiz ist geil«- Debatte wird zudem die Mitverantwortung des Konsumenten für wirtschaftliche Entwicklungen thematisiert. Aber auch die allseits geforderte Flexibilisierung und Mobilisierung der Gesellschaft wird kritisch hinterfragt. Mit Beiträgen von Michael Baurmann,Peter Koslowski, Ingo Pies, Birger Priddat, Andreas Suchanek, Josef Wieland und anderen.

Ludger Heidbrink, PD Dr. phil., ist Leiter der Forschungsgruppe »Kulturen der Verantwortung« am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen; Alfred Hirsch, PD Dr. phil., ist dort Forschungsgruppenkoordinator.

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Leseprobe
Die Rolle des Verantwortungsprinzips in der modernen Marktwirtschaft ist umstritten. Hält man sich an den bekannten Satz von Milton Friedman: 'The social responsibility of business is to increase its profits', so besteht die moralische Verpflichtung von Unternehmen in erster Linie darin, rentabel zu wirtschaften und Gewinne zu erzielen. Auf der anderen Seite existiert eine lange Tradition der Vereinbarkeit, ja wechselseitigen Bedingung von Ökonomie und Moral, die sich in der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftsbürgertums wiederfindet Dieser Traditionsstrang findet heute seine Fortsetzung darin, dass es zum guten Ton der Unternehmenspraxis gehört, sich für soziale Belange zu engagieren und Standards der 'guten' Unternehmensführung einzuhalten. So verstehen sich immer mehr Unternehmen als 'Corporate Citizen', und subventionieren mit Geld- und Sachspenden öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser, unterstützen ihre Mitarbeiter bei ehrenamtlichen Aktivitäten oder stellen kostenlos Dienstleistungen und Gerätschaften zur Verfügung. Nach einer Studie des 'Centrums für Corporate Citizenship in Deutschland' gehört es inzwischen bei etwa siebzig Prozent größerer Gesellschaften, aber auch kleiner und mittelständischer Unternehmen zum Selbstverständnis, sich mithilfe von 'Corporate Giving' oder 'Corporate Volunteering' für das Gemeinwohl einzusetzen, wobei als Hauptziel die 'Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung' genannt wird. Wachsende Bedeutung ethischer Standards Im Zusammenhang mit diesem Selbstverständnis wächst die Bedeutung von 'Corporate Social Responsibility' (CSR), unter die nicht nur das soziale Engagement von Unternehmen fällt, sondern auch die moralischen Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Zulieferern und anderen Stakeholdergruppen sowie die Einhaltung von ökologischen, arbeits- und menschenrechtlichen Standards. Nach einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung von 2005 sehen sich 60 Prozent der europäischen Unternehmen in einer 'aktiven Rolle' bei der Entwicklung von CSR-Programmen, während laut 'European Corporate Integrity Survey' von 2007 so gut wie alle befragten europäischen Unternehmen über einen 'Code of Conduct' verfügen und über 70 Prozent der Unternehmen davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren die Wichtigkeit von Ethik-Kodizes und Compliance-Programmen zunehmen wird Diese Entwicklung spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass Regeln des unternehmerischen Wohlverhaltens, sozialethische Auditierungen und Zertifizierungen sowie freiwillige Selbstbindungen verstärkt an Bedeutung gewonnen haben. So werden inzwischen etwa 95 Prozent der Empfehlungen des 'Corporate Governance Kodex', der 2002 auf Initiative der Bundesregierung ins Leben gerufen wurde, von den berücksichtigten DAX-Gesellschaften befolgt. Über zwei Drittel der deutschen Unternehmen verfügen über ethische Richtlinien (Code of Ethics), während in wachsendem Maß Wertemanagementsysteme in die Unternehmenspraxis Einzug halten sowie Zertifikate nach ISO-, SA- und DIN-Normen vergeben werden, denen soziale und ökologische Kriterien zugrunde liegen. Weitere Indizien für die Relevanz moralischer Maßstäbe in der Wirtschaft sind der Zusammenschluss zu Interessenverbänden wie dem 'Global Compact Network', dem inzwischen weltweit über 3.800 Unternehmen angehören, das Ranking in Nachhaltigkeitsindizes wie dem 'Dow Jones Sustainability Index', die steigenden Renditen von Ethik-Fonds oder die Vergabe von Preisen und Auszeichnungen für 'Social Entrepreneurship' oder die beste 'Good Company'. Kritik des Neoliberalismus Gleichzeitig nimmt aber auch die Kritik an der Amoralität des marktwirtschaftlichen Systems und der Gewissenlosigkeit der wirtschaftlichen Eliten zu. Schon länger ist der Ausdruck 'Neoliberalismus' zum Synonym für zahlreiche Fehlentwicklungen der globalisierten Wirtschaft und ihrer Protagonisten geworden, die gern mit Metaphern aus dem Tierreich wie 'Raubtierkapitalismus' oder 'Heuschreckenschwärme' attackiert werden. Kritiker werfen dem Neoliberalismus vor, dass die Dominanz von Markt und Wettbewerb zu einer ökonomisch geprägten Gesellschaft geführt habe, die durch rücksichtsloses Vorteilsstreben gekennzeichnet sei und den Menschen zum nutzenmaximierenden Egoisten degradiert habe. Zudem büße durch die fortschreitende Deregulierung und Privatisierung der Nationalstaat seine Macht ein, während die Freihandelszonen sich weiter ausbreiten und besonders in den Entwicklungsländern mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeit entstehen würden. Der Abbau oder die Verlagerung von Arbeitsplätzen, zahlreiche Korruptionsskandale und Bilanzfälschungen sowie überzogene Managergehälter haben dazu geführt, dass Unternehmen und ihre Führungskräfte gegenwärtig in einem schlechten Licht dastehen. Der Reputationsverlust der Wirtschaft in der Öffentlichkeit ist eklatant. In einer Studie von 2006 geben die befragten Teilnehmer an, dass etwa 70 Prozent der Manager und 60 Prozent der Unternehmen eine 'geringe oder keine Verantwortung' tragen, womit die Wirtschaft noch hinter der Politik auf dem letzten Platz liegt. Die Skepsis gegenüber der freien Marktwirtschaft und ihren Hauptakteuren spiegelt sich auch in dem Umstand wider, dass der Wert der Freiheit insgesamt an Bedeutung verloren hat und die Mehrzahl der Deutschen einen Staat bevorzugt, der sich durch Eingriffe in die Wirtschaft um seine Bürger kümmert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen auf große Zweifel trifft. Den CSR-Hochglanzbroschüren aus den PR-Abteilungen wird genauso wenig Glauben geschenkt wie den Reports über 'Socially Responsible Investing' oder den Bilanzen zum Kultursponsoring. Die Mission-Statements und Ethics-Guidelines, mit denen Unternehmen ihre Homepages schmücken, werden von einem Großteil der Bevölkerung ebenso wenig ernst genommen wie die öffentliche Präsentation von unternehmerischen 'Best Practice'-Erfolgen, die vom Klimaschutz über Mikrokredite bis zur medizinischen Hilfe in Entwicklungsländern reichen. Karitative Aktivitäten, das Öko- und Bio-Labeling von Produkten oder die Kooperation mit Organisationen wie Transparency International werden als notdürftige Kompensationen und moralische Ablenkungsmanöver betrachtet, die vorrangig der Imagepflege und dem eigenen Marketing dienen und entsprechend als 'Greenwashing' oder 'Bluewashing' kritisiert werden. Dem Vorwurf der ethischen Camouflage steht der Umstand gegenüber, dass inzwischen immer mehr Unternehmen mit moralisch fundierten Geschäftspraktiken Gewinne machen. So führt nicht nur die Befolgung von Corporate-Governance-Regeln bei Aktiengesellschaften zu einer um 20 Prozent besseren Bewertung an der Börse, es lässt sich insgesamt beobachten, dass die Einhaltung sozialer, ökologischer und ethischer Standards zur Wertschöpfung beiträgt. Nach Schätzungen des World Economic Forums gehen mehr als 40 Prozent der Marktkapitalisierung eines Unternehmens auf dessen Reputation zurück. In wachsendem Maß sind Investoren und Konsumenten daran interessiert, dass Unternehmen sich an integren Verhaltensprinzipien orientieren, in ihrer Geschäftspraxis Loyalität und Fairness walten lassen und sich für soziale Zwecke einsetzen. Auch wenn immer noch zahlreiche Firmen in Deutschland (im Unterschied zu den USA) der Ansicht sind, dass sich moralisches Engagement nicht auszahlt, nimmt die Bereitschaft zu, Verantwortung als integralen Bestandteil der Unternehmensführung und als Voraussetzung für unternehmerischen Erfolg zu betrachten. Soziale und kulturelle Hintergründe Die Ursachen für die genannten Entwicklungen liegen in einer Reihe von sozialen und kulturellen Wandlungsprozessen, durch die Unternehmen und privatwirtschaftlichen Akteuren eine neue Rolle im Gefüge demokratischer Gesellschaften zufällt. Zu diesen Entwicklungen zählt die wachsende Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Sektors, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sich Bürger, Vereine, Verbände und soziale Interessengruppen in eigener Verantwortung um öffentliche Aufgaben und die Realisierung von Gemeinwohlzwecken kümmern. Ein wesentlicher Grund hierfür besteht darin, dass der Staat sich aus zentralen Steuerungsgebieten zurückgezogen hat, seine hoheitlichen Aufgaben auf die Garantie der Grundversorgung und die Gestaltung von Rahmenordnungen beschränkt, was eine verstärkte Verantwortungsteilung zwischen öffentlichen und privaten Sektoren zur Folge hat. Der Bedeutungszuwachs der Zivilgesellschaft und die Beschränkung des Staates auf die politische Kontextsteuerung haben dazu geführt, dass wirtschaftlichen Akteuren ein zentraler Stellenwert bei der Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse zukommt. Von konkreten Kooperationen im Bereich der Abfallentsorgung (Duales System) bis zu gemeinsamen Verhandlungen über Grenzwerte und Selbstverpflichtungen ist die Wirtschaft schon längst zu einem unverzichtbaren Partner bei der Gemeinwohlorganisation geworden, dem durch den begrenzten Einfluss des Staates auf nationale und globale Prozesse neue gesellschaftliche Verantwortungsaufgaben zufallen. Parallel zu dieser Entwicklung lässt sich in weiten Bereichen der Gesellschaft, in der Arbeitswelt und in der persönlichen Lebensführung eine Ausbreitung unternehmerischer Organisationsformen beobachten, die auf der einen Seite als willkommener Zuwachs an Effizienz, auf der anderen Seite aber auch als Destabilisierung intakter Daseinsverhältnisse wahrgenommen wird. Der Hintergrund hierfür ist, dass immer mehr Bereiche der Gesellschaft durch die Rationalität unternehmerischen Handelns und das Leitbild des 'Entrepreneurship' bestimmt werden. Exemplarisch für diese Tendenz ist die Rede vom 'Lebensunternehmer' und 'Arbeitskraftunternehmer', die ihr Leben nach Kriterien des Wettbewerbs und Erfolgs organisieren sowie ihre Fähigkeiten und Qualifikationen selbstständig vermarkten müssen. Ein weiteres Indiz für den Trend zur Ökonomisierung besteht darin, dass das unternehmerische Leitbild nicht nur Einzug in die Zusammenarbeit von öffentlichem und privatem Sektor (Public Private Partnership) und in das Verwaltungswesen (New Public Management) gehalten hat, sondern inzwischen auch die Reform des Gesundheitswesens und der Universitäten beherrscht, wo von Qualitätssicherung, Zielvereinbarungen und partizipativem Management die Rede ist. Trotz positiver Arbeitsmarkt- und Leistungseffekte geht diese Entwicklung mit einer vehementen Kritik an der umfassenden Ökonomisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse einher. Das unternehmerische Selbst erscheint nicht nur als autonomes Subjekt, das sein Leben eigenverantwortlich gestaltet, sondern auch als fremd gesteuertes Individuum, das sich marktwirtschaftlichen Imperativen der Flexibilität und Mobilität unterwirft. Das Qualitätsmanagement von Universitäten und Kliniken wird nicht nur als Gewinn an Effizienz, sondern genauso als kompetetive Fehlsteuerung wahrgenommen. Die gegenwärtige Situation ist somit alles andere als eindeutig und widerspruchsfrei: Auf der einen Seite breitet sich eine neue Kultur des Entrepreneurship, der Selbständigkeit und Eigenverantwortung aus, die vom Leitbild des Unternehmertums profitiert. Auf der anderen Seite nehmen die Sorgen vor den Zumutungen der ökonomischen Lebensführung und die Ängste vor der Ausbreitung der globalisierten Marktwirtschaft zu, die für viele Menschen die Hauptursache für soziale Kälte und moralische Rücksichtslosigkeit bildet. Verantwortung als marktwirtschaftliches Prinzip Die beschriebenen Entwicklungstendenzen machen es erforderlich, die Frage nach dem Zusammenhang von Moral und Ökonomie in einen erweiterten Kontext zu stellen. Die veränderte Rolle der Wirtschaft, die sich einem immer stärkeren Legitimationsdruck durch eine sensibel gewordene Öffentlichkeit ausgesetzt sieht, die durch zahlreiche Umwelt-, Beschäftigungs- und Geschäftsskandale aufgerüttelt worden ist, lässt es ratsam erscheinen, den Blick stärker als bisher auf die gesamtgesellschaftlichen Vorgänge zu richten, ohne die sich der Status wirtschaftlicher Prozesse nicht angemessen erfassen lässt. Das Verantwortungsprinzip ist für diese Betrachtungsweise besonders geeignet, da es gleichzeitig mehrere Ebenen und Perspektiven umfasst: Die Kategorie der Verantwortung bezieht sich sowohl auf zurückliegende Handlungen wie auf zukünftige Handlungsfolgen. Verantwortung besitzt eine retrospektive Dimension, die zumeist mit der Rechenschaft und gegebenenfalls Schuldzuweisung für vollzogene Handlungen einhergeht, sowie eine prospektive Dimension, die sich auf die Vermeidung voraussehbarer Schadensfolgen bezieht. Das Verantwortungsprinzip ist jedoch nicht nur durch eine legitimatorische und rechtliche Dimension gekennzeichnet, sondern auch durch eine genuin moralische Dimension, die darin besteht, dass Akteure sich aus intrinsischen Überzeugungen und Werthaltungen für bestimmte Ziele einsetzen und für die Verbesserung bestehender Zustände engagieren. Wo Verantwortung übernommen wird, handelt man nicht nur aus Gründen der Schuldigkeit, sondern ebenso aus Motiven der Fürsorglichkeit, nicht nur aus Zwang, sondern genauso aus freiem Willem. Außerdem richtet sich die Verantwortung nicht nur auf absehbare Folgen des eigenen Tuns, sondern auch auf nicht-intendierte Handlungskonsequenzen, die zwar jenseits des eigenen Wissens- und Kontrollhorizontes liegen, für die man aber gleichwohl die Zuständigkeit übernimmt. Diese Mehrdimensionalität macht die Verantwortungskategorie besonders geeignet, um mit komplexen Problemlagen und ungewissen Handlungssituationen umzugehen. Wo von Verantwortung die Rede ist, treffen Recht und Moral, Nichtschädigungsgebote und prosoziale Einstellungen, Rahmenregeln und Spielzüge, Notwendigkeit und Freiheit aufeinander. In dieser Mehrdeutigkeit dürfte der Hauptgrund liegen, warum der Begriff der Verantwortung in den aktuellen Diskussionen um das Verhältnis von Ökonomie und Moral eine herausgehobene Rolle spielt. Das Verantwortungsprinzip ermöglicht es, Fragen der Zurechenbarkeit mit sozialmoralischen Handlungseinstellungen zu verbinden und Unternehmen als korporative Akteure zu behandeln, die nicht nur dem Gebot der erfolgreichen Geschäftsführung unterliegen, sondern auch ethische Verpflichtungen gegenüber ihren Stakeholdern und gesellschaftlichen Anspruchsgruppen besitzen. Diese Verpflichtungen stehen nicht notwendigerweise im Widerspruch zur betriebswirtschaftlichen Gewinnorientierung, sondern lassen sich unter günstigen Bedingungen mit ihr in Übereinstimmung bringen. Da das Verantwortungsprinzip sowohl auf moralische Regeln des Handelns wie auf deren erfolgreiche Umsetzung gerichtet ist, enthält es immer schon eine ethische und eine ökonomische Komponente. Aus der Perspektive der Verantwortbarkeit wird nicht nur danach gefragt, ob eine Aktion rechtlich oder moralisch legitim ist, sondern auch, ob die Mittel für ihre Realisierung gegeben sind. Das eingebaute Erfolgskalkül prädestiniert das Verantwortungsprinzip zu einer ethischen Reflexionskategorie ökonomischer Prozesse in komplexen gesellschaftlichen Kontexten, die sich den Standardmodellen der moralischen Vernunft entziehen. Aus diesem Grund ist es wenig sinnvoll, pauschal von 'der' Verantwortung zu sprechen, die Unternehmen vor dem Hintergrund der globalisierten Marktwirtschaft besitzen oder übernehmen sollten. Unternehmen tragen nicht eine, sondern verschiedene Formen der Verantwortung, die von der Verpflichtung zu profitablen Wirtschaften (ökonomische Verantwortung) über die Einhaltung von Gesetzen (rechtliche Verantwortung) und die Beachtung moralischer Prinzipien (ethische Verantwortung) bis zum gesellschaftlichen Engagement (philanthropische Verantwortung) reichen. Diese unterschiedlichen Formen der Verantwortung greifen ineinander und bedingen sich wechselseitig. Sie hängen unmittelbar voneinander ab, da ohne Gewinne die Spielräume für soziale Aktivitäten schrumpfen, ethische Selbstverpflichtungen durch rechtliche Regeln abgesichert werden müssen und eine erfolgreiche Unternehmensführung auf ein effektives Wertemanagement angewiesen ist. Professionalisierung der Moral Wenn man sich die wechselseitigen Abhängigkeiten von Profitabilität, Legalität, Ethik und Wohltätigkeit vor Augen führt, wird verständlich, warum gerade das Verantwortungsprinzip im Zentrum der gegenwärtigen Diskussion um die Zukunft der Marktwirtschaft und die gesellschaftliche Rolle von Unternehmen im mitteleuropäischen Raum steht. Drei Gründe, die abschließend noch einmal genannt werden sollen, sind hierfür ausschlaggebend. Zum einen füllt das Modell unternehmerischer Verantwortung, insbesondere in Deutschland, die Leerstelle, die durch den Abschied vom Rheinischen Kapitalismus und eine am moralischen Konsens orientierte Wohlfahrtspolitik entstanden ist. Mit dem Ende der Nationalökonomie und der Herausbildung globaler Transaktionsnetzwerke sehen sich die Unternehmen genötigt, durch die Selbstbindung an ethische Leitlinien ein institutionelles Fundament zu erzeugen, das verlässliche Kooperationen ermöglicht und die soziale Akzeptanz erhöht. Zum zweiten fungiert das Verantwortungsprinzip als Integrationsprinzip unterschiedlicher Interessenlagen und Handlungszwecke, indem es ökonomische, rechtliche, ethische und philanthropische Zielsetzungen so miteinander verbindet, dass dilemmatische Konflikte zwischen diesen Zielsetzungen möglichst gering gehalten werden. Und schließlich bildet das Verantwortungsprinzip den größten gemeinsamen Nenner in der aktuellen Diskussion um die Ausrichtung der Unternehmensethik, die inzwischen als integraler Bestandteil der Betriebswirtschaftslehre betrachtet wird und dabei vor allem die Rolle einer moralischen Reflexionstheorie ökonomischer Entscheidungsprozesse spielt. Die Relevanz des Verantwortungsprinzips in der wirtschaftsethischen Diskussion ist so gesehen auch Ausdruck einer Professionalisierung der Moral, die nicht mehr als Widerpart des Marktkapitalismus oder als normatives Ideal der Kulturwissenschaften in Erscheinung tritt, sondern zu einem immanenten Faktor der ökonomischen Realität geworden ist. Genauso wie die fachwissenschaftlichen Debatten sich nicht mehr vorrangig um Grundsatzfragen und ideologische Differenzen drehen, sondern sich auf Anwendungsprobleme und die Implementierung ethischer Standards in das unternehmerische Alltagsgeschäft konzentrieren, werden Moral und Ökonomie heute nicht länger als verfeindete Kontrahenten, sondern vielmehr als vitale Koalitionäre gesehen, die sich untereinander zu innovativen und gesamtgesellschaftlich vorteilhaften Leistungen anspornen. Der Umstand, dass moralische Prinzipien das philosophische Gedankenlabor verlassen haben und zum 'Business Case' geworden sind, ist freilich kein Indiz dafür, dass sich in der Wirtschaft ein Wertewandel vollzogen hat, durch den plötzlich Kriterien der Rentabilität und Produktivität eine geringere Rolle als zuvor spielen. Die Berücksichtigung ethischer Standards in der Unternehmenspraxis ist vielmehr Ausdruck einer gewandelten gesellschaftlichen Lage, in der die sozialen Akteure insgesamt größeren Wert auf umweltverträgliche Produkte, humane Arbeitsbedingungen und faire Gewinnverteilungen legen. Die 'Moralisierung der Märkte', die sich gegenwärtig beobachten lässt, beruht auf dem Zusammenwirken verschiedener und teilweise widersprüchlicher Faktoren, zu denen nicht nur die fortschreitende Differenzierung und Ausweitung der Marktzonen, sondern auch der wachsende Wohlstand und die zunehmende Informiertheit der Konsumenten gehören. Es ist das Ineinandergreifen von Produktion und Konsumtion auf einem hohen Aufmerksamkeits- und Anspruchsniveau der Bevölkerung, das die Unternehmen dazu nötigt, in ihrer Geschäftspraxis stärker als bisher moralische und soziale Kriterien zu berücksichtigen. Die Frage, ob der Ethik-Boom in der Wirtschaft primär dem öffentlichen Druck entspringt oder auf ein verändertes Selbstverständnis marktwirtschaftlicher Akteure zurückzuführen ist, lässt sich deshalb nicht eindeutig beantworten. Fest steht auf jeden Fall, dass das Verantwortungsprinzip von dieser Situation profitiert, da es ökonomische und moralische Zielsetzungen miteinander in Verbindung bringt, ohne eine vorschnelle Harmonisierung herbeizuführen. Aus Sicht der verantwortungsgeleiteten Handlungsrationalität bleibt die Spannung zwischen Moral und Ökonomie so lange bestehen, wie es keine triftigen Alternativen zum marktwirtschaftlichen System gibt, was nicht bedeutet, dass innerhalb dieses Systems nicht zahlreiche Verbesserungen möglich und notwendig sind.
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