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Vier Tage im November

Mein Kampfeinsatz in Afghanistan | Der Bestseller und moderne Klassiker: Erfahrungen eines Fallschirmjägers der Bundeswehr, erzählt wie ein Roman

AutorJohannes Clair
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783843703321
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Wir waren dort, um zu kämpfen. Wir wurden gedrillt, auf Menschen zu schießen. So wurde es uns gesagt, und genauso ist es gekommen.' Johannes Clair, ein 25-jähriger Fallschirmjäger, hat den Krieg in Afghanistan am eigenen Leib erlebt. Er war dabei, als erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg Artillerie eingesetzt wurde, hat mehrere Sprengstoffanschläge und vier Tage Dauerbeschuss überlebt. In seinem mitreißenden und sehr persönlichen Buch erzählt er von seinem Wunsch, in Afghanistan etwas bewirken zu können, vom Leben als Soldat, von seinen Hoffnungen und seiner Todesangst. Clair ist ein reflektierter Beobachter und beschreibt ehrlich, wie der Einsatz ihn verändert hat. Ein sehr bewegendes Dokument über eine moderne Kriegserfahrung. 'Hammer Buch' Til Schweiger

Johannes Clair, geboren 1985, verpflichtete sich nach Abitur und Wehrdienst für vier Jahre als Zeitsoldat. Der Stabsgefreite kämpfte in Afghanistan von Juni 2010 bis Januar 2011 als Mitglied einer »Task Force« an vorderster Front.

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Leseprobe

EINE SCHRECKLICHE NACHRICHT

Es war ein warmer Sommertag in Deutschland und einige Monate früher. Der Reisebus fuhr gemächlich eine Allee entlang, deren große Bäume ihren Schatten auf die Straße warfen. Ich konnte die Felder dahinter sehen. Saftige, grüne Weiden wechselten sich mit dunkelgelben Kornfeldern ab. Dazwischen wiegte der Wind langsam den jungen Mais hin und her. Irgendwo am Rand eines Dorfes spielten Kinder auf einem großen Erdhaufen, der vielleicht zu einer Baustelle gehörte. Die Sonne kitzelte mich. Ich dachte daran, wie angenehm es jetzt wäre, an einem Baggersee auf dem Boden zu liegen. Unter mir den feinen Sand zu spüren, den Geruch von frischem Gras und Wasser in der Nase und dabei die Wolken zu beobachten, wie sie langsam am Himmel entlangziehen.

Joe, gib mir mal ’nen Kugelschreiber.

Ich wurde von Hardy aus meinen Gedanken gerissen. Joe war mein Spitzname in der Schulzeit. Und weil wir uns in Afghanistan nicht wie in der Bundeswehr sonst üblich beim Nachnamen nennen wollten, fand er neue Verwendung.

Weißt du, wo wir gerade sind?, wollte Hardy wissen.

Ich schaute nach draußen. Der Bus bog auf den Autobahnzubringer ein. Wir würden bald am Flughafen sein. Ich schaute an mir herunter, betrachtete den sandfarbenen Anzug mit den grünen und braunen Flecken. Sie sahen aus, als hätte jemand einen Pinsel in zwei Farbtöpfe getaucht und damit die Hose und die Bluse bespritzt. Ein unregelmäßiges Muster, die Farben ineinander verlaufend. Bequem war der Anzug. Viel bequemer als der dunkelgrüne, den wir sonst trugen. Er war luftig, aus viel dünnerem Stoff. Hatte Netzeinsätze unter den Armen für eine bessere Luftzirkulation. Mein Name prangte über der linken Brusttasche. Fein gestickt auf einem olivfarbenen Streifen, der durch einen Klettverschluss mit der Bluse verbunden war. Ich hatte kaum etwas in den Taschen. Es war verboten worden. Wegen der Sicherheit im Flugzeug, hatten sie gesagt. Das kam mir etwas merkwürdig vor. Wenn man bedachte, wer wir waren und wohin wir reisten, sollte das eigentlich die geringste Sorge sein.

Endlich geht’s los!, rief Muli von vorne.

Endlich? Wir hatten uns lange vorbereitet. Jedem von uns war die Aufregung ins Gesicht geschrieben. Diese Art von Erregung, die dich ergreift, wenn du lange auf etwas wartest, ohne genau zu wissen, was es ist. Wie früher, als Kind an Weihnachten. Du wusstest, dass du Geschenke bekommst, und trotzdem warst du so gespannt, weil du nur raten konntest, welche.

Muli war vor einem Jahr unser Gruppenführer geworden. Er war ein kleiner Mann, Anfang dreißig und hatte kurze, schwarze Haare, die vermutlich wie dicke, schwarze Wolle aussahen, wenn er sie wachsen ließe. Er trug lange Koteletten und oft einen kurz geschnittenen Bart. Die südländische Herkunft war ihm sofort anzusehen. Zierlich gebaut und schlank, hatte er meistens ein Grinsen im Gesicht, das irgendwie schelmisch wirkte. Muli war sehr kommunikativ. Die meisten fühlten sich in seiner Umgebung sofort wohl, weil er wusste, wie man Menschen für sich einnahm. So bekam er immer, was er wollte. Mit seinen sechs Auslandseinsätzen brachte er eine unglaubliche Erfahrung in die Gruppe. Er war schon mehrmals in Afghanistan gewesen und sagte, das Land sei inzwischen wie eine zweite Heimat für ihn.

Muli und ich mochten uns auf Anhieb und waren in gewissen Dingen auf einer Wellenlänge. Wir hatten gelernt, uns zu vertrauen, und führten viele Gespräche über die Gruppe, wenn die Übrigen nicht dabei waren. So versuchte ich eine Brücke zwischen ihm als Vorgesetzten und uns Untergebenen zu schlagen und ihn zu beraten. Seinen Spitznamen hatte er während eines früheren Auslandseinsatzes im Kosovo bekommen, als er auf einem Maultier geritten war, das nicht mehr anhalten wollte. Muli.

Gemeinsam mit Nossi hatte er jeden Einzelnen von uns ausgesucht. Nossi war sein Stellvertreter und das genaue Gegenteil von Muli. Still, und obwohl auch er häufig einen Kommentar nicht für sich behielt, viel zurückhaltender in dem, was er sagte. Er war deutlich größer als Muli und kräftiger gebaut. Er hatte breite Schultern, und trotz des Bauchansatzes konnte man sehen, dass er viel trainierte. Auch er hatte südländische Wurzeln. Seine dunklen Augen konnten blitzen wie der Teufel. Sein Wille und seine anstrengende Ausbildung waren berüchtigt. Viele aus der Gruppe hatten ihn bereits in der Grundausbildung erlebt und wussten, dass er seine Männer für gewöhnlich bis zum Äußersten forderte. Als er uns kurz vor dem Einsatz in Afghanistan das Du anbot, weil wir ein Team waren und er meinte, dass es einfacher sei, wenn wir auf einer persönlichen Ebene zusammenarbeiteten, drohte er uns gleich an, dass wir ihn wieder mit Herr Oberfeldwebel anzureden hätten, wenn wir Mist bauten. Er konnte uns gut motivieren.

Wir waren schon so oft zusammen im Einsatz, wir sind wie ein Ehepaar, hatten Muli und Nossi uns am Anfang gesagt. Und wirklich hatten sie unsere Gruppe wie eine Familie zusammengefügt. Da waren neben den Führern Muli und Nossi der hübsche Mica, der zynische Hardy, der launische TJ, der ehrgeizige Jonny, der kleine Kruschka, der fluchende Simbo, der zähe Wizo, der sanfte Dolli, der starke Butch, der schweigsame Russo und ich. Und jeder hatte seine eigene Geschichte. So wie Butch, dessen Frau schwanger war, oder Wizo, der die Einheimischen verfluchte, weil schon sein Vater als russischer Soldat in Afghanistan gekämpft hatte.

Obwohl die meisten in der Vorbereitungszeit immer wieder aus der Gruppe gerissen wurden, um Lehrgänge und Fortbildungen zu besuchen, hatten Muli und Nossi aus uns eine Einheit geformt. Eine Gruppe von dreizehn jungen Männern, die eine Hälfte des Golf Zuges. Der Golf Zug war der zweite Zug unserer Kompanie und hatte noch eine zweite Gruppe. So ist das in einem Zug von etwa 25 Mann. Im Einsatzland wurden die Namen aller deutschen Infanteriezüge nach dem Nato-Alphabet vergeben. Unsere Kompanie hatte vier Züge, und zwar Foxtrott, Golf, Hotel und India. Der Name wurde am Einsatzende an die Nachfolger weitergegeben.

Unter den Zügen unserer Fallschirmjäger-Kompanie herrschte Konkurrenz. Wie bei einem großen Turnier waren alle bekannt oder befreundet, aber jeder war stolz, ein Mitglied seiner Mannschaft, seines Zuges zu sein. Die übrigen Züge waren die anderen Mannschaften. Das erhält den Ehrgeiz, hatte unser Zugführer einmal gesagt. Jeder will am besten dastehen, deshalb gibt jeder sein Bestes! Das hörte sich irgendwie seltsam an. Als würden wir auf einen Sportplatz fahren und nicht in den Krieg ziehen.

Viele in der Kompanie waren schon seit der Grundausbildung ganz am Anfang ihrer Militärzeit in ihren Zügen zusammen. Ich selbst war als einer der Letzten in den Golf Zug gekommen, hatte mich freiwillig gemeldet. Ich wollte es unbedingt, wollte in eine Infanterieeinheit. Schon über drei Jahre war ich in der Armee. Erst als Wehrdienstleistender, dann hatte ich freiwillig verlängert und wollte schließlich für vier Jahre Zeitsoldat werden. Hatte in der Personalabteilung gearbeitet, danach im Geschäftszimmer. Büroarbeit. Nicht das, was ich mir erträumt hatte. Aber der Job gab mir die Gelegenheit, die internen Arbeitsabläufe der Bundeswehr kennenzulernen. Büro bedeutete Verantwortung. Wenn ich etwas verlegte, konnte das Karrieren und Lebenswege zerstören. Ich habe dabei viel gelernt. Dennoch, meine Ziele sahen anders aus. Ich wollte hinaus, wollte von Anfang an in den Wald, zu den »Grünen«, also jenen Soldaten, die kämpfen müssen, wenn es drauf ankam. Grün war die Farbe der Infanterie.

Ich hatte meinen Kompaniechef so lange mit dieser Bitte aufgesucht, dass er mich vom Geschäftszimmer in einen der Rekrutenzüge steckte, die es in unserer Kompanie gab. Dort wurden die Neuankömmlinge drei Monate lang ausgebildet. Wieder ein anderer Blickwinkel. Es war eine sehr schöne Zeit für mich, denn ich habe schon immer gerne mit Menschen zusammengearbeitet. Bereits in der Schule fuhr ich als Betreuer für jüngere Klassen auf Schulfahrten mit. Diese Hilfestellung, das Anleiten und auch Führen war etwas, mit dem ich mich identifizieren konnte. Ich wollte Verantwortung übernehmen.

Mir war wichtig, die Rekruten zu fordern und zu besonderer Leistung zu motivieren. Die meisten Menschen sind in der Lage, viel mehr zu leisten, als sie sich selbst zutrauen. Das wollte ich aus den Rekruten herauskitzeln. Ich habe dabei niemals den Grundsatz vergessen, durch Vorbild zu führen. Also musste ich alles vor- und mitmachen. Mit den Rekruten zu arbeiten, sie an ihre Grenzen zu führen, sie zu fördern, ihnen den Beruf des Soldaten bei- und näherzubringen, betrachtete ich als Möglichkeit, auch mich selbst weiterzuentwickeln. Häufig dankten meine Schützlinge es mir, indem sie mir ihr Vertrauen schenkten und auch in persönlichen Anliegen das Gespräch mit mir suchten. Die Beziehung zwischen ihnen und mir baute auf gegenseitigem Respekt auf. Das wollte ich vermitteln. Ich fühlte mich dort gut aufgehoben.

Aber etwas nagte an mir. Ich sagte den jungen Männern und Frauen immer, wer sich für den Dienst in den Streitkräften entscheidet, hat sich freiwillig einen Beruf ausgesucht, der anders ist als alle anderen. Ich hob hervor, dass es ein Unterschied zu allen anderen Berufen ist, wenn man als Soldat einen Eid auf den Staat leistet. Einen Schwur, der dich an die gewählte Regierung und ihre Entscheidungen bindet. Einen Schwur, der von dir verlangt, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Treu dienen und tapfer verteidigen, genau so stand es im Diensteid. Ich sagte den Rekruten, dass Treue bedeutete, zu seinem Schwur zu stehen, auch wenn es unbequem war. Und dass man tapfer handelte, wenn man etwas...

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