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E-Book

Voll verregelt!

Wahnwitzige Geschichten aus der Tugendrepublik

AutorUwe Wilhelm
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783732506347
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Rauchen in Kneipen? Grillen im Park? Fahrradfahren ohne Helm? Moralapostel und Gutmenschen verbietet uns immer mehr von dem, was nur ein bisschen Spaß macht. Wo bleibt da die individuelle Freiheit - und vor allem die Freude am Leben? Auf der Suche nach einer Antwort begegnet Uwe Wilhelm einer Schar an schrägen Moralaposteln, die sein Glück durch Doppelmoral und falsche Überlegenheitsgefühle torpedieren. Am Ende plädiert er für ein wenig mehr Gelassenheit. Denn eine gesunde und nachhaltige Lebensweise ist zwar was Gutes, aber nur wenn sie nicht zum Zwang wird und wir vergessen, was das Leben wirklich lebenswert macht. Eine furiose Satire wider den deutschen Regulierungswahn.

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Leseprobe

Warum ich versuchte, der beste Mensch der Welt zu werden


Falls Sie mich noch nicht kennen: Ich bin ein selbstgefälliger, blasierter, egozentrischer, gleichgültiger und genusssüchtiger Idiot. Das ist ein hartes Urteil, ich weiß, eines von der Sorte, das im Freundeskreis gewöhnlich drei Reaktionen hervorruft: Die Hobby-Therapeuten raten zum sofortigen Besuch eines Psychologen, die engagierten Weltverbesserer fordern mich auf, die Augen zu öffnen und endlich das Elend der Welt zu sehen – und der Rest stimmt mir still und leise zu.

Die Konfrontation mit meinem Versagen beginnt schon bei uns zu Hause, wo mich meine Familie durch einen Zettel über dem Waschbecken zum Wassersparen auffordert, wo in der Küche Plastiktüten verteufelt werden und ich Fair-Trade-Kaffee trinken soll, der zwar fair gehandelt ist, dafür jedoch so schmeckt, als hätte eine Katze in Guatemala das Pulver mit ihrem Katzenklo verwechselt.

So richtig los schlägt die moralische Erziehungskeule aber erst, wenn ich an einem x-beliebigen Tag die Wohnung verlasse:

Es ist ein Montag im Juni. Die Sonne scheint, die Berliner sind ausnahmsweise einmal fröhlich, und ich befinde mich auf dem Weg zu einem Meeting mit einem Filmproduzenten, der angedeutet hat, eines meiner Drehbücher optionieren zu wollen.

Als Erstes wird mir am Steubenplatz ein nackter Hintern ins Gesicht gedrückt. Glücklicherweise ist es kein menschlicher Hintern, sondern der eines gerupften Hähnchens, das ein wenig nach Chlor riecht. Ich bin nämlich in eine Demonstration geraten, bei der es um das Transatlantische Freihandelsabkommen geht. Zwar habe ich schon davon gehört, weiß aber nicht so genau, um was es dabei geht und ob es für mich persönlich, den deutschen Verbraucher, den deutschen Geflügelzüchter und die Welt an sich gut oder schlecht ist.

Doch es gibt kein Entrinnen mehr. Ein junger Aktivist streckt mir einen Kugelschreiber und eine Kladde entgegen.

»Unterschreib! Oder willst du dich mit Chlorhühnchen vergiften und die Arbeitsstandards des menschenverachtenden amerikanischen Kapitalismus nach Deutschland importieren?«

»Moment«, sage ich, um Zeit zu gewinnen. Natürlich will ich weder mit Chlorhühnchen vergiftet werden noch die ausgebeuteten rumänischen Wanderarbeiter in Tier-Konzentrationslagern für Hungerlöhne schuften lassen. Aber eine meiner Selbstversicherungs-Regeln lautet: Setz deinen Wilhelm nur unter Schriftstücke, die du ohne Brille lesen kannst, verstehst und für gut befindest!

Das wiederum hält der junge Mann für die typische Weichei-Nummer. Worüber wolle ich mich informieren? Er habe doch bereits alle Informationen parat. Und vor allem die richtigen, die nicht von den Interessen der kapitalistischen Ausbeuterklasse diktiert seien. Dass es eine etwas einseitige Sicht der Dinge ist, irritiert ihn nicht, da er davon überzeugt scheint, dass seine Sicht die einzig richtige Sicht der Dinge sei. Um nicht länger eine sinnlose Diskussion über die Komplexität von wirtschaftlichen Entscheidungen zu führen, verspreche ich, mich mit dem Thema zu befassen, und fliehe in die U-Bahn der Linie 2.

Gerettet, denke ich und unterliege einem Irrtum. Denn als Nächstes springen mir auf dem Smartphone die Horrormeldungen des Tages entgegen: Fleischskandal, Klimaerwärmung, weltweiter Hunger wegen des Neoliberalismus sowie die inzwischen zur Folklore gewordenen islamistischen Anschläge inklusive Hinweis, dass die Gesellschaft, jeder von uns und auch ich persönlich, mitverantwortlich seien!

Schon wieder so ein übler Verweis auf mein moralisches Versagen, denke ich und fühle erneut den beunruhigenden Stachel des schlechten Gewissens. Doch damit nicht genug, setzt sich die Inquisition fort, als ich dem Produzenten (nach erfolgreichem Verkauf meines Drehbuchs über einen Mann, der an nichts glaubt!) von meinen Urlaubsplänen erzähle.

»Meine Frau und ich werden zwei Wochen nach Vietnam und Kambodscha fliegen, um ein wenig zu entspannen«, verkünde ich stolz und bin bereit, neidvolle Glückwünsche entgegenzunehmen. Doch der Blick der Produzenten-Assistentin lässt mich augenblicklich zusammenfahren. Sie streicht die grünen Strähnen, die sie in ihr strohblondes Haar eingeflochten hat, aus ihrem Gesicht und meint giftig:

»Bei 3000 Kilometer Flug erzeugt man eine Tonne klimaschädliches CO2. Genauso viel wie bei 7000 Kilometer Autofahrt oder 17 000 Kilometer mit der Bahn. Du hast hoffentlich klimaneutrales Fliegen gebucht?«

»Was heißt das?«, frage ich hilflos und versuche mich in Sarkasmus zu retten: »Dass man in der Luft nicht furzen soll?«

Niemand lacht. Vor allem die Assistentin nicht. Offensichtlich meint sie es ernst mit der Klima-Rettung.

»Nein, es heißt vermeiden, reduzieren, kompensieren. Ihr müsst euch bei Myclimate registrieren!«

Dann rechnet sie mir vor, dass unser Hin- und Rückflug in der Economy Class bei 22 100 Kilometer 8583 Tonnen CO2 und in der Business Class sogar 13 593 Tonnen CO2 produziere. Mit 253 beziehungsweise 305 Schweizer Franken jedoch könnten wir uns von unserer Schuld freikaufen.

Sie klingt in diesem Moment wie eine Mischung aus Margot Käßmann und einem Fingernagel auf einer Schiefertafel.

Ich rechne schnell aus, dass das ein Viertel unseres supergünstigen Flugtickets ausmachen würde, verspreche, mich kundig zu machen – und fliehe augenblicklich aus dem Büro.

Doch kaum bin ich in der S-Bahn angekommen, laufe ich prompt einer Gruppe von Pantomimen in die Arme, die gestenreich auf die Situation der Palästinenser im Gaza-Streifen hinweist und um Spenden in Papierform bittet. Gemeint sind Scheine ab zehn Euro aufwärts.

Eine Zeit lang kann ich mich erfolgreich hinter meinem Tablet verstecken und so tun, als würde ich mich über irgendeinen anderen Skandal aufregen. Doch als der erste Pantomime sich mit breitem Grinsen auf meinen Schoß setzt, ist jeder weitere Widerstand zwecklos. Er fuchtelt mit den Armen in der Luft herum und macht den übrigen Fahrgästen deutlich, dass ich offensichtlich keine Probleme damit habe zuzusehen, wie Hunderte Palästinenser in Elend und Armut leben.

Das ist natürlich eine unerhörte Frechheit. Ich schiebe den Pantomimen von meinem Schoß herunter und sage, dass das eine hinterhältige Anschuldigung sei. Dann verstecke ich mich schnell wieder hinter meinem Tablet.

Aber wenn ich ehrlich sein soll, stimmt die pantomimische Einschätzung. Ja, ich sehe dem Elend zu, das sich wie eine naturbefohlene Notwendigkeit tagtäglich in irgendeinem Winkel der Welt ereignet. Das liegt daran, dass ich mich für nahezu alles interessiere, was das Weltgeschehen an Unterhaltung zu bieten hat. Ich lese jeden Tag Spiegel Online, Welt Online, FAZ Online, Süddeutsche Online, Dream Machines (Deutschlands großes Harley-Davidson-Magazin). Ich kann stolz behaupten, dass ich mit dem herausgeputzten Viertelwissen eines durchschnittlichen Idioten über den Klimawandel, Kriege, egal, wo sie stattfinden, das geplante Freihandelsabkommen, Waffenhandel und die Neonazis in Deutschland ausgestattet bin. Ich kann überall mitreden, ohne eine Ahnung zu haben.

Aber wenn es darum geht, wirklich Haltung zu beziehen, mich für oder gegen eines dieser Themen einzusetzen, zu demonstrieren oder zu spenden, kneife ich. Ich bringe es einfach nicht zu einer entschlossenen Haltung, weil ich immerzu denke, dass ich doch nicht genug Informationen habe, um für oder gegen eine Sache zu sein: Soll man das Rauchen verbieten, weil es zu Lungenkrebs führt, oder vernichtet man dadurch Arbeitsplätze in der Tabakindustrie, woraufhin arme Tabakbauern die Organe ihrer Kinder verkaufen müssen? Soll man Neonazis verprügeln, oder ist es besser, sie immer wieder von Sozialarbeitern therapieren zu lassen? Sollten Frauen mit oder ohne Quote Karriere machen, oder sollten sie lieber zu Hause bleiben, Kinder kriegen und Bücher über Emanzipation lesen – oder alles zusammen?

Ich weiß es nicht.

Aber ich würde es gerne wissen. Ich würde gerne für etwas eintreten, mich an etwas halten, und es notfalls auch gegen alle Vernunft glauben. Einfach deshalb, weil jemand, der sich an ein Glaubensbekenntnis klammern kann, es im Leben leichter hat als ich.

Natürlich ist es nicht so, dass ich alles bezweifle. Ich habe sogar schon das eine oder andere Mal für eine Sache Partei ergriffen. Zum Beispiel habe ich gegen die al-Quds-Demo in Berlin demonstriert, auf der ein kranker Antisemitismus Blüten treibt. Und da war ich einhundert Prozent sicher, das Richtige zu tun.

Aber war es wirklich das Richtige? Eine Menge Leute im Iran und bei der Linkspartei sind da anderer Ansicht.

Und wenn ich mich für etwas entscheide, das weniger emotional motiviert ist, wie zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Kapitalismus an der Klimakatastrophe schuld ist, lese ich garantiert am nächsten Tag einen Artikel, der mir sagt, dass die schlimmsten Umweltsünden von kommunistisch regierten Ländern begangen würden, ich mithin also völlig falschliege und mich mal wieder nicht genügend informiert habe. Daraufhin ändere ich dann gehorsam meine Meinung, nur um am übernächsten Tag jemandem zu begegnen, der mich wegen meiner falschen Einstellung neuerlich als Trottel entlarvt …

Was soll ich also machen? Es ist doch unmöglich, alles zu lesen, um alles zu wissen – und dann alles richtig zu machen. Permanent mit offenem Google durch die Welt zu laufen, ist auch keine Alternative, weil Google gewissermaßen der populistische Hochaltar der Meinungskakophonie ist. Zu jedem...

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