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E-Book

Wege aus dem Drogendilemma

Repression in Deutschland - Akzeptanz in der Schweiz

AutorThomas Gorny
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783638821858
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Fachhochschule Mannheim, Hochschule für Sozialwesen, 28 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Diplomarbeit tangiert relativ viele Bereiche, die zwar alle in irgendeiner Form mit Drogen zu tun haben, aber vielleicht nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. So geht es im Inhalt nicht nur um eine gegenwärtige Situationsanalyse in der BRD und eine weitere Forderung nach 'Akzeptierender Drogenarbeit/politik'. Für mich selbst war es notwendig, meinen Wissensstand zu Methadonvergabe und Therapie in Deutschland etwas aufzufrischen, aber auch die Frage nach dem Erfolg und Nutzen von solchen Hilfsangeboten in einer abstinenzorientierten Drogenarbeit/politik zu stellen. Geschichtliche Hintergründe spielen dabei auch eine Rolle, mehr als ursprünglich geplant. Speziell hierzu gibt es aber weitaus detaillierter abgefaßte Diplomarbeiten und Literatur als diese Diplomarbeit. Die von mir sehr geschätzten Musiker Jimi Hendrix und Jim Morrison finden genauso ihre Erwähnung, wie die Möglichkeit der Schmerztherapie mit Opioiden. Diese beiden Themen wurden im Laufe der Entstehung dieser Arbeit plötzlich wichtig und finden als sogenannte Einschübe ihren Platz. Da sich das Kapitel 'Das Zürcher Modell. Vorbild für Deutschland?' überwiegend auf die Erfahrungsberichte des Projektes 'Lifeline' stützt, war es auch nötig, einen Einschub über das politische System der Schweiz zu machen, besonders wegen der Volksinitiative 'Jugend ohne Drogen' die am 28.09.1997 von der Mehrheit des Schweizer Stimmvolkes abgelehnt wurde.

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Leseprobe

1. Drogengebrauch in den vergangenen Jahrzehnten


 

1.1.  Historischer Hintergrund des Opiatgebrauchs im deutschen Raum


 

Die Anwendung von Opium beispielsweise als Heil-, Genuß-, und Rauschmittel ist bereits aus dem vorchristlichen Altertum belegt. So zeigen etwa Funde aus der Schweiz, Südfrankreich und Italien, daß der Anbau von Mohn schon um 4000 v. Chr. bekannt war. Medizinhistorisch betrachtet zählen Opiate - ebenso wie Hanfprodukte - zu den ältesten pharmakologisch genutzten Substanzen. In Deutschland gewannen opiumhaltige Tinkturen erst zu Beginn des Mittelalters an medizinischer Bedeutung; spätestens ab dem 16. Jahrhundert kamen sie jedoch auch hier als wichtigste Analgetika und Sedativa zum Einsatz. Die Erfindung zweckmäßiger Injektionsspritzen durch den Franzosen Pravaz und den Briten Ferguson sowie die Entwicklung der subkutanen Injektionstechnik im Jahre 1853 führten dazu, daß vor allem das bereits um 1804 von dem Paderborner Apotheker F. W. Sertürner isolierte und bereits um 1820 von der Firma Merck & Co. kommerziell hergestellte Opiumalkaloid Morphium eine größere medizinische Verbreitung fand, da es mittels Injektion direkt in den Blutkreislauf gelangen und so schneller seine Wirkung entfalten konnte. Darüber hinaus wurde der Umstand, daß sich Morphium - im Gegensatz zu Opium - nicht oral, sondern nur intravenös oder subkutan verabreichen ließ, zunächst als Vorteil angesehen, da so eine kontrollierte Applikation gewährleistet schien. Doch bereits während des preußisch-österreichischen Krieges von 1866 und kurz darauf im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 kam es erstmals zu einer massenhaften und unkontrollierten Anwendung des Morphiums als Universalschmerzmittel, mit der Konsequenz, daß zahllose Soldaten morphiumabhängig wurden und zeitlebens von dieser Droge nicht mehr loskamen. Die damals von den Militärärzten beobachtete und als Soldatenkrankheit bezeichnete Entzugssymptomatik beim Absetzen der Morphiuminjektionen wurde jedoch nicht als Merkmal einer Abhängigkeitserkrankung erkannt. So wurde nach Kriegsende das Morphium derart beliebt, daß man den Kreis der Indikationen kritiklos erweiterte und die Morphiumeinspritzung zu einer förmlichen Modeerscheinung wurde. Um 1870 wurde die Krankheit „Morphinsucht“ zwar erkannt und zunehmend in der Literatur beschrieben, jedoch das Verabreichungsverhalten der meisten Ärzte änderte sich - u.a. wohl auch aus Profitgründen - nicht. 1878 glaubte der US- amerikanische Arzt W.H. Bentley ein Mittel zur Behandlung der Morphinsucht gefunden zu haben: das 18 Jahre zuvor von dem Göttinger Forscher A: Niemann isolierte Hauptalkaloid der Cocapflanze, Kokain. Ein Teil der Morphinisten, die so behandelt wurden, verfielen nun, statt von ihrer Krankheit befreit zu werden, außer dem Morphium auch noch dem Kokain. Das Krankheitsbild des „Morphino-Cocainismus“ wurde jedoch recht schnell erkannt und das Kokain wurde nicht mehr als Heilmittel gegen den Morphinismus eingesetzt. Opiate und Kokain blieben bis 1896 rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Erst ab diesem Zeitpunkt mußten sie gekennzeichnet sein und durften bei wiederholten Käufen nur gegen Rezept abgegeben werden

 

1897 gelang dem Bayer- Chemiker Hoffmann die Re-Synthese des erstmals von dem Briten C.R. Wright im Jahre 1874 synthetisierten, aber nicht zur Vermarktung gebrachten Dyacetylmorphins. Nach kurzer klinischer Erprobungsphase kam die als Heroin bekannte Substanz als Atmungssedativum und Hustenmittel auf den Arzneimittelmarkt. Es sorgte - zusammen mit dem ebenfalls von der Firma Bayer seit 1896 produzierten Aspirin - rasch für Rekordumsätze in aller Welt. Als Injektionspräparat erlangte Heroin jedoch unter deutschen Drogengebrauchern bis zu Beginn der 70-er Jahre unseres Jahrhunderts keine nennenswerte Bedeutung.

 

Bis zur Jahrhundertwende hatten Opiate als Genuß- oder Rauschmittel in Deutschland kaum Verbreitung gefunden. Fälle von Opium- oder Morphiumgenuß waren so vereinzelt und auf einen so exklusiven Teil der Bevölkerung beschränkt, daß sie kaum medizinisches oder hygienisches Interesse boten. Auch der Kreis von Kokainkonsumenten blieb zahlenmäßig unbedeutend und war im wesentlichen auf Künstler und Intellektuelle begrenzt, die sich bis dato durch eine eher unpolitische Haltung auszeichneten. (Engemann/Gerlach, 1994 nach: Julien, S.9, 10)

 

Um das Jahr 1900 herum existierten in Wien, Berlin und München avantgardistische Zirkel, in denen Kokain und Morphium als Reizmittel genommen wurden und von denen aus sich der hedonistische Gebrauch nach dem 1. Weltkrieg auch über die literarisch-künstlerischen Zusammenhänge hinaus in unkonventionellen Lebensstilkreisen verbreitete. Verknüpft mit der Psychoanalyse, mit revoltierenden Künstlern ( Gottfried Benn, Stefan George, Else Lasker-Schuler, Georg Trakl, Hans Fallada) und den Nachtseiten der modernen Großstädte wurden Morphinismus und Kokainismus zu Sinnbildern einer provozierend oppositionellen Haltung gegenüber der herrschenden Kultur. (Scheerer, Vogt, 1989, S.286f.)

 

Die Hauptgruppe der Abhängigen bildeten jedoch süchtig gewordene Patienten und Angehörige der Heilberufe, die einen relativ leichten Zugang zu den entsprechenden Stoffen wie dem als Hustenmittel entwickelten und vertriebenen Heroin hatten. Für sie stellte sich der Gebrauch dieser Drogen nicht als Mittel der Abgrenzung zum sozio-kulturellen Kontext dar, sondern als ein nach Möglichkeit zu verschleierndes Leiden

 

(ebd.,286 f.)

 

Da jedoch die Suchtstoffe für die Morphinisten zugänglich waren und vor allem der Gebrauch überhaupt nicht gesetzlich sanktioniert, bestand auch keine Notwendigkeit, sich in einer „Szene“ zusammenzufinden, wie das in den siebziger Jahren in Deutschland der Fall werden sollte.

 

Auf Seiten des Gesetzgebers bestand vorerst kein Handlungsbedarf. Der überwiegend durch ärztliche Behandlung erzeugte Morphiumhunger wurde nicht als feindseliger Akt auf die normative Verfassung der Gesellschaft, sondern als bemitleidenswerte Krankheit definiert. Diese Drogenabhängigen wurden im Gegensatz zu den Alkoholikern nicht als gesellschaftliche Problemfälle definiert, da sie sich vornehmlich aus einem sozial-integrierten, gesellschaftliche Normen und Werte akzeptierenden Personenkreis rekrutierten und Konformität bewahrten.

 

(Engemann/Gerlach 1994, nach: Julien, S.11)

 

Erst mit dem verlorenen Weltkrieg wurde im Jahre 1919 mit dem Artikel 295 des Versailler Vertrages das Deutsche Reich in die sich mehr und mehr zu einem international entwickelnden System der Drogenverfolgung eingebunden. Der Erlaß entsprechender Gesetze wurde diktiert und findet seinen Niederschlag im „Gesetz zur Ausführung des Internationalen Opiumabkommens vom 23. Jan. 1912 vom 30. Dez. 1920“: Es regelte den Bezug von Opium und Kokain und bedrohte Zuwiderhandlungen mit Gefängnis oder Geldstrafen. Allerdings änderte dies wenig an der allgemein vorherrschenden Meinung, daß der Mißbrauch von Narkotika immer noch medizinischen Charakter hatte.

 

Noch im Jahr 1923 sah Gustav Aschaffenburg, der damals wohl bedeutenste Kriminologe Deutschlands, keinen Anlaß für strafrechtliche Maßnahmen: “Der Opiummißbrauch ist in Deutschland und in ganz Europa ohne jede Bedeutung; wohl ist bekannt geworden, daß in vereinzelten Großstädten Opiumhöhlen eingerichtet worden sind, und daß es ihnen an Zuspruch nicht fehlt. Doch wird man aus solchen einzelnen Fällen keine weitreichenden Schlußfolgerungen ziehen dürfen. Morphium wird hauptsächlich von den Gebildeten mißbraucht, vor allem von den Berufsarten, denen es leicht zugänglich ist. Ein Volksgift im eigentlichen Sinne wird es wohl nie werden.

 

(Scheerer, Vogt, 1989,S.285).

 

Deutschland hatte es auch nicht eilig mit der Ratifizierung des 1925 geschlossenen Genfer Opiatabkommens - erst im Juni 1929 fand es seine Umsetzung: Die Verwendung der Narkotika wurde auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke eingeschränkt, Bezugschein- und Erlaubnisvorschriften wurden verschärft. Allerdings war selbst jetzt noch der gängige Weg der Beschaffung offen: Ausdrücklich ausgenommen war der Kauf und Besitz von Kokain und Opium auf ärztliches Rezept. Allerdings zeigte sich ein Wandel im Bewußtsein der Ärzte: Auf ihrem 47. Deutschen Ärztetag in Danzig lehnten sie die Verschreibung von Opiaten an Abhängige ab. Der damals gültige Konsens war, daß es sich bei der Abhängigkeit von Opiaten um ein psychiatrisches Problem handle und deshalb auch Psychiater und nachfolgend Soziotherapeuten für die Abhängigen zuständig seien. Das Krankheitsbild, das man als Trunksucht bezeichnete, hatte Modellcharakter, was sich auch in der Terminologie niederschlug:

 

Nachdem sich Laehr in einer ersten Beschreibung des Mißbrauchs von Morphiuminjektionen an den „alcoholismus chronicus“ erinnert sah, sprach der Berliner Arzt Eduard Levinstein (1831-1882) im Jahre 1873 von der „Morphiumsucht“ . In den achtziger Jahren folgt der Begriff der Cocainsucht (Freud), dann folgen die Heroin- , Veronal- , Chloralhydralsucht usw., als deren Oberbegriff sich schließlich der Terminus „Giftsucht“ anbietet.

 

(Scheerer, Vogt 1989,...

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