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E-Book

Wikinger und Waräger

Die Pioniere der Globalisierung

AutorAlbert Stähli
VerlagFrankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783956012358
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Weltmännisch, gemeinschaftsbewusst und technologische Weltspitze: Bei diesen Attributen denkt man sicherlich nicht zuallererst an die Wikinger. Dabei waren es gerade sie, die mit ihren Eroberungen und Handelszügen dazu beitrugen, dass Europa das finstere Mittelalter überwinden konnte. Lange vor Kolumbus waren die Nautik-Experten mit ihren Schiffen bereits in Amerika und kontrollierten über Jahrhunderte auch den Warenaustausch nach Asien. Neben einem historischen Blick auf die Wikinger zeigt Albert Stähli, wie Gesellschaften bis heute von den Wikingern geprägt sind und was sie von ihnen lernen können.

Dr. rer. soz. oec., ist anerkannter Experte auf dem Gebiet der modernen Management-Andragogik und Autor mehrerer Bücher und Schriften zu diesem Thema. Um die Weiterbildung von Executives in der Wirtschaft und deren Berufsanforderungen entsprechend zu gestalten, gründete und leitete er die Graduate School of Business Administration (GSBA) in Zürich und Horgen am Zürichsee. Als passionierter Weltentdecker beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit historischen Kulturen, unter anderen mit denen der Sonnenkönigreiche in Süd- und Mittelamerika, der nord- und westeuropäischen Ethnien sowie der arabischen Völker. Mit seinen Büchern und Vorträgen hat er sich auch außerhalb der Schweiz den Ruf einer Autorität erworben. Der gelernte Andragoge interessiert sich ganz besonders für die Bildungskulturen in den untergegangenen Reichen. Albert Stähli lebt nahe Zürich in der Schweiz.

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Leseprobe

KAPITEL 1

Zur Einführung


Die Antwort des Nordens auf den Handel der Römer, Phönizier und Araber

„In jenem Frühling wurden längs der nordischen Küsten viele Schiffe gebaut; man teerte Kiele, die lange trocken gelegen hatten, und Buchten und Sunde spien Flotten aus, die Könige und königlichen Zorn an Bord hatten; und große Unruhe herrschte in jenem Sommer auf den Meeren.“

Das Schreckensbild, welches der schwedische Schriftsteller Frans G. Bengtsson in seinem 1941 entstandenen und weltberühmt gewordenen Wikingerepos „Röde Orm“ (1941 / 1993, S. 213), vor uns erstehen lässt, gibt nur die halbe Wahrheit wieder. Tatsächlich waren die Wikinger, je nach besiedeltem Landstrich auch Normannen oder Waräger geheißen, ein kämpferisches Seefahrervolk. Es zog etwa zwischen 800 bis 1050 n. Chr. von Skandinavien aus über die Flüsse Europas und durchkreuzte die Meere der nördlichen Hemisphäre. Dabei gründeten die rauen Nordmänner Siedlungen wie Dublin im heutigen Irland und Kiew in der Ukraine. Mit einem von keiner monotheistischen Religion eingeschränkten Blick trieben sie Handel mit Christen, Juden und Arabern und landeten schon 500 Jahre vor Kolumbus auf dem nordamerikanischen Kontinent. Gewiss, das Klischee sieht sie als mordende und brandschatzende Unholde. Historiker und Ethnologen freilich betrachten sie vor allem als unternehmungslustige Bauern, Händler, Staatengründer und Nebenerwerbs-Piraten, die sich von den reichen Kirchen- und Klösterschätzen im Süden angelockt fühlten. Und für die Fachleute für Handel und Ökonomie sind die geheimnisumwitterten Männer aus Skandinavien Nordeuropas Antwort auf die von den Phöniziern, Arabern und Römern eingeleitete Globalisierung. Mit ihren Eroberungen und Handelsreisen, ja, auch mit ihren Beutezügen trugen die Wikinger entscheidend dazu bei, das finstere Mittelalter in Europa zu überwinden und Menschen und Kontinente einander näher rücken zu lassen.

Seefahrtstechnisch über Jahrhunderte hinweg an der Weltspitze

Auf den Weltmeeren gelangen den Männern aus Dänemark, Norwegen und Schweden verblüffende seemännische Leistungen, und ihr nautisches Wissen war dem der Phönizier und Araber mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Ihre Ältesten kannten die Küstenlinien Europas ebenso gut wie ihre heimischen Wald- und Gebirgspfade. Auf hoher See orientierten sie sich an den Sternen und an geheimnisumwitterten „Sonnensteinen“ aus dem in Skandinavien vorkommenden Mineral Kalzit (oder Doppelspat), dessen lichtbrecherische Eigenschaft sie auch bei Wolken und Dunkelheit ihren genauen Standort wissen ließ. Dank dieses über Generationen erworbenen und weitergegebenen Wissens gelangten die Wikinger über den Atlantik bis nach Nordamerika, nach Spanien, Portugal und Nordafrika. Und zurück nach Hause, in den hohen Norden Europas: „Sie wußten …, daß sie zuletzt immer Land finden würden, Irland, England oder die Bretagne, wenn sie, wie der Sturm sie getrieben, nach Norden hielten.“ (Bengtsson, F.G., 1941 / 1993, S. 110)

Mit ihren Drachenbooten lagen die Nordmänner zu ihrer Zeit technologisch an der Weltspitze: Sie waren leicht, schnell und blieben auf Kurs. Dank dieser Schiffe, einer großen Portion Neugier und grenzenlosem Eroberungsmut woben die Wikinger binnen zweieinhalb Jahrhunderten ein gewaltiges Handelsnetz, das sie an die Grenzen Europas und bis nach Amerika kommen ließ, über das Nordmeer und die Barentssee bis zu den entlegenen Handelsplätzen des heutigen Russland – wo die dort lebenden Wikinger unter dem Namen Waräger im Reich von Kiew einen neuen Staat gründeten – und über das Schwarze Meer bis hin nach Bagdad und Byzanz, das von den Wikingern Miklagård, „große Stadt“, genannt wurde. Ende des 9. Jahrhunderts lief der gesamte Handel nach Asien über diese Stadt. Über mehrere hundert Jahre wurde die Lebensader des Warenaustauschs zwischen West und Ost von den Männern aus dem Norden Europas kontrolliert.

Abbildung 1: Ihre Reisen führten die Wikinger in alle Teile der damals bekannten Welt und darüber hinaus

Globalisierung jenseits von Gut und Böse

Die Reisen der Wikinger über den sturmumtosten Nordatlantik zeugen von Wagemut, beachtlichen Navigationskenntnissen und der ruhelosen Suche nach Tauschpartnern für Holz, Edelsteine und Felle. In Nordfrankreich wurden sie als Normannen heimisch. Auf Island und Grönland gründeten sie Niederlassungen, und mit dem waldreichen „Markland“, das sie auf Labrador, und dem sagenumwobenen „Vinland“, das sie auf Neufundland fanden, drangen sie unter der Führung von Leif Eriksson bis auf den nordamerikanischen Kontinent vor. Bis ins heutige New York sollen sie nach Süden vorgestoßen sein, vermuten einige Wissenschaftler. Und doch hielten sich die Wikinger nicht lange in der Neuen Welt auf. Wie sie überhaupt nur eine Zeiterscheinung des Hochmittelalters waren: Ohne einen zentralen Machthaber, einen Kaiser oder König, ohne ein vom Christentum auferlegtes Sendungsgebot und ohne jedes Fünkchen imperialistischen Herrschaftswillens verlaufen sich die Spuren der Wikinger nach dem Jahr 1100 n. Chr. im Dunkel der Geschichte.

Dennoch haben die Menschen aus dem Norden Europas tiefe Spuren hinterlassen. Seit knapp eintausend Jahren geben uns die handelsstrategischen Erkundungszüge der Wikinger wertvolle Hinweise darauf, wie man die moderne Geschichte der Außenwirtschaft fortschreiben könnte, ohne die Welt in „gut“ und „böse“, in rohstoffreich und rohstoffarm, in „uns wohlgesonnen“ und „uns nicht wohlgesonnen“ aufteilen zu müssen. Denn das Primat der Wikinger lag, Hollywood zum Trotz, eben nicht auf der unbezwingbaren Gier nach Feindesblut. Weder Kampf noch Eroberung waren ihre obersten Ziele, sondern die Entdeckung neuer Gestade und Orte, auf denen sich Handel treiben ließ. In seinem 1941 erschienenen Wikingerepos „Röde Orm“ führt uns der schwedische Schriftsteller Frans G. Bengtsson die Denk- und – im doppelten Sinne – Handelsweise der Nordmänner anschaulich vor Augen:

„Toke hatte nun die Silberwaage in der Hand und machte sich ans Rechnen. ‚Dreizehn machen mit‘, sagte er, ‚und alle zahlen gleich, ausgenommen Olof Sommervogel, der das Doppelte gibt. Auch dem größten Rechenmeister auf Gotland wäre es nicht leicht, zu sagen, was den vierzehnten Teil vom Drittel von sieben und einviertel Mark ausmacht. Aber ein Schlauberger weiß immer Rat, und die Sache wird gleich einfacher, sobald wir in Marderfellen rechnen. Dann berechnen wir den vierzehnten Teil von sechs Dutzend Marderfellen, und das ist soviel wie der siebente Teil von drei Dutzend; und es muss in ganzen Fellen gerechnet werden, denn beim Wägen verliere ich immer ein wenig, das pflegt so zu sein. Dann wird der Anteil eines jeden in Silber ebensoviel wie der Preis von sechs Fellen, und damit haben dreizehn Mann für Geringes viel Ehre gewonnen. Hier habt ihr die Waage und das Gewicht, das jeder prüfen möge, bevor ich mit dem Wägen beginne.‘ Kundige Männer prüften nun sorgfältig die Waage, denn die der Händler war oft listig eingerichtet, so daß es sich wohl lohnte, sie näher zu betrachten. Aber das Gewicht konnte nur in der Hand abgeschätzt werden, und als einige Männer dessen Richtigkeit bezweifeln wollten, erklärte Toke sich sofort mit jedem zum Zweikampf bereit, der an solchen Zweifeln festhielt. ‚Denn es gehört zum Geschäft des Händlers, daß er sich für seine Gewichtsstücke schlägt‘, sagte er, ‚und dem, der das nicht wagt, ist nicht zu trauen.‘“ (Bengtsson, Frans G., 1941 / 1993, S. 437)

Nicht Kampf war ihr Ziel, sondern das Überleben ihrer Völker

Dieses Buch macht hinter der faktenbelegten Historie der frühen Globalisierer das rationale und utilitaristische Denken ihrer Anführer deutlich: Sie wollten handeln, um zu leben. Die Bekämpfung des Gegners war nicht ihr höchstes Ziel, und sie wollten den Sieg weder um des Sieges noch um des Himmels willen. Was die Wikinger zu ihren Hochleistungen antrieb, war urmenschlicher Erkundungsdrang, gepaart mit der Sorge um die Ihren in einer ihnen zunehmend feindlich entgegentretenden Umwelt. Denn vor rund eintausend Jahren beschnitten gewaltige klimatische Veränderungen ihren Lebensraum – ähnlich, wie es uns heute wieder bevorstehen könnte.

Das, und nicht etwa die Suche nach dem schnellen Gewinn, ließ die Wikinger nach neuen Ufern mit neuen Handelspartnern Ausschau halten. Es ging ihnen nicht um die Übermacht. Es ging ihnen um das Überleben ihrer nordischen Völker.

Einer für alle, alle für einen

Es waren und sind dies noch immer Völker mit einer für Europa eher ungewöhnlichen kulturellen Prägung. Die Nordmänner dachten nicht nur an sich selbst, sondern stets auch an die Gruppe, der sie sich zugehörig fühlten und die sie zu beschützen trachteten. Hauptgrund dafür war die spärliche Besiedlung im kargen und gefahrenreichen Norden des Kontinents. Wollte man nicht in jungen Jahren sein Leben an feindliche Krieger, wilde Tiere oder die Naturgewalten verlieren, dann mussten Familien, Sippen und Clans Seite an Seite zusammenstehen und bereit sein, einer für den anderen Hab und Gut und sogar sein Leben zu geben. Sie wussten, dass sie unter den harten Lebensbedingungen in Nordeuropa voneinander abhängig...

Blick ins Buch

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