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Zweitspracherwerb mit Hindernissen? Theoretische Grundlagen und Einflussfaktoren 'beyond the language'

Theoretische Grundlagen und Einflussfaktoren 'beyond the language'

AutorKristina Bornemann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl98 Seiten
ISBN9783656963660
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 1,2, FernUniversität Hagen (Kultur und Sozialwissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Im ersten Teil der Arbeit werden in einer umfassenden und klar strukturierten Übersicht die theoretischen Grundlagen des Erst- und Zweitspracherwerbs dargestellt. Im zweiten Teil wird der These nachgegangen, gemäß der der Zweitspracherwerb kein isolierter Prozess linguistischer Natur ist, sondern sich in einer komplexen Interaktion zwischen den von der Mehrheitsgesellschaft gestellten Rahmenbedingungen und den humanen Ressourcen der Lerner, die in bestimmten sozio-ökonomischen Lebenswelten leben, vollzieht. Diese Einflussfaktoren 'jenseits der Sprache' werden entsprechend auf der Makro- und Mikroebene untersucht.

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Leseprobe

1. Einleitung


 

1.1 Zur Entstehung einer pluralistischen Gesellschaft


 

Deutschland ist eine multikulturelle, pluralistische Gesellschaft und ein Zuwanderungsland. Damit gehört es zu mehreren durch Migrations- und Globalisierungsprozesse tiefgreifend geprägten Län-dern. Obwohl die dadurch entstandenen Veränderungen in den betroffenen Gesellschaften verschie-dene Ausprägungen haben und nicht identisch mit denen in der deutschen Gesellschaft sind, haben sie jedoch etwas gemeinsam: die relativ homogene Gesellschaft gehört der Vergangenheit an, an ihre Stelle trat eine relativ heterogene Gesellschaft. Die sprachlich-kulturelle Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft hat sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten durchgreifend verändert: Laut Statistischem Bundesamt (448/12 - Stand Dez. 2012) ist jeder achte Einwohner Deutschlands im Aus-land geboren. Insgesamt leben 10,7 Mio. Ausländer aus 194 Ländern in Deutschland; wenn man auch Deutsche mit Migrationshintergrund (z.B. Aussiedler) und die in Deutschland geborenen Nach-kommen Zugewanderter berücksichtigt, erreicht die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund knapp 16 Mio., was einem Anteil von 19,5% an der Gesamtbevölkerung Deutschlands entspricht. Als Menschen mit Migrationshintergrund im engeren Sinn werden die seit 1950 nach Deutschland Zugewanderten und deren Nachkommen bezeichnet (ebd.). 2011 hatten 8,8 Mio. von ihnen einen deutschen Pass (Statistisches Bundesamt 326/12). Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund stammen aus der Türkei (3 Mio.), Polen (1,5 Mio.), der Russischen Föderation (1,2 Mio.), Kasachstan (0,9 Mio.) und Italien (0,8 Mio.). (ebd. Stand Dez. 2011)

 

Als Konsequenz wachsen heute viele Kinder in Deutschland mit zwei oder mehreren Sprachen auf: Mehrsprachigkeit und eine mehrsprachige Kommunikation sind für viele Schüler eine grundlegen-de Erfahrung. Spätestens beim Schuleintritt werden sie mit der Problematik des Erwerbs des Deutschen als Zweitsprache (DaZ) konfrontiert: Die Frage, die sich hier stellt, ist wie folgt: Welche Bedingungen haben die entscheidende Bedeutung für das Gelingen bzw. Misslingen des Erwerbs der Zweitsprache in Hinsicht auf ein Sprachkompetenz-Niveau, das zuerst einmal für die Bewäl-tigung der schulischen Herausforderungen notwendig wäre? Die oben knapp skizzierten Verände-rungen in der Gesellschaft und deren Implikationen vor allem für das Bildungssystem werden von der Interkulturellen Erziehungswissenschaft direkt erforscht und indirekt mitgestaltet. Sie stellen die Mehrheitsgesellschaften vor neuartige Aufgaben. Der Herausforderung wurde seitens des deutschen Staates und der Gesellschaft zuerst einmal relativ unreflektiert mit Ausländerpädagogik und Inte-grationsdruck begegnet. Die Interkulturelle Erziehungswissenschaft entwickelt seit Anfang der 70er Jahre eine reflektiertere Sicht und Konzepte für Umgang mit und Formen des Zusammenlebens zwischen der Majoritätsgesellschaft und den Minoritäten, die nicht nur auf Anerkennung und Akzeptanz der gesellschaftlichen Pluralität in der Gesellschaft basieren, sondern die sprachlich-

 

kulturelle Varietät und Vielfalt für erhaltens- und förderungswert halten.

 

Hier soll auch der fortdauernde, intensive wissenschaftliche Diskurs sowie die gesellschaftliche De-batte von der „europäischen Mehrsprachigkeit“ erwähnt werden, wobei

 

 <...> die migrationsbedingte Mehrsprachigkeit nur eine geringere Rolle spielt, während die Kompetenzen für die europäische Union - vor allem am Arbeitsmarkt - im Mittelpunkt stehen. Der Entwicklung in der EU sind auch wesentliche Neuerungen in der Schulsprachenpolitik und in der Entwicklung neuer Konzepte zumindest teilweise zu verdanken. <...> Wenn also die europäische Entwicklung in Deutschland in erster Linie die sprachliche Vielfalt auch in Schulen zu entwickeln hilft, so ist dies zweifellos eine begrüßenswerte Entwicklung, die allerdings der Stützung durch Berücksichtigung der migrationsbedingten sprachlichen Vielfalt bedarf.“ (Luchtenberg 1999, S.129)

 

Insgesamt vermisst Luchtenberg ein generelles Konzept einer europäischen Sprachenpolitik, die mit Einbeziehung der migrationsbedingten sprachlichen Vielfalt einhergehen würde. Als Ansatz für ein solches Modell nennt sie die Konzepte von Christ (in: ebd. S.130).

 

1.2 Zwei- und Mehrsprachigkeit als wichtige Themen unseres Zeitalters


 

Schon aus der obigen Zusammenstellung geht klar hervor, dass noch nie in der Geschichte der Menschheit Kontakte zwischen Völkern und Kulturen so zahlreich waren wie in unserer Zeit. Wenn dazu auch internationale Kontakte und Kommunikation berücksichtigt werden, die sich aus den Globalisierungsprozessen, Nutzung der Internet- und Satelliten-Technologie ergeben, könnte man sagen, dass die heutigen Menschen den höchsten Stand der Geschichte erreicht haben, was die Anzahl von Kontakten, den Austausch und das Leben verschiedenster Kulturen mit- und nebeneinander angeht. Diese Feststellung im Zusammenhang mit den oben skizzierten veränderten sprachlich-kulturellen Strukturen vieler Gesellschaften macht deutlich, warum die Fragen der Bi- und Multilingualität am Anfang des dritten Jahrtausends von großer Bedeutung sind. Natürlich ergeben sich aus den tiefgreifenden Veränderungen der letzten 60 Jahre vielfältige Herausforderungen nicht nur für die Aufnahmegesellschaften, sondern auch für die zugewanderten Individuen, die in einer neuen, fremden Gesellschaft zu Minderheiten werden und ebenfalls viele Hindernisse und Hürden bewältigen müssen. Eine von diesen Herausforderungen, die sowohl die Mehrheitsseite wie auch die Minderheitsseite involviert, ist der Zweitspracherwerb (ZSE). Die Kenntnis der deutschen Sprache wird als Schlüsselkompetenz für eine erfolgreiche Schulbildung gesehen, mangelnde Sprachkenntnisse werden als Hauptursache für Schulversagen verantwortlich gemacht. Aus der Sicht eines Minderheits-Angehörigen gehört Sprachkompetenz zu den entschei-denden Mitteln bei der Bewältigung von Hindernissen, die sich ihm, trotz der das Gegenteil behauptenden offiziellen politischen, bildungspolitischen und gesellschaftsbezogenen Äußerungen (vgl. Wenning/Spetsmann-Kunkel/Winnerling Hg. 2010), unweigerlich auf dem Weg zum Bildungs-erfolg, zur gesellschaftlichen Teilhabe und Chancengerechtigkeit stellen. Die bisherigen Konzepte (bzw. ihre Realisierung) zum erfolgreichen ZSE, verstanden als eine der grundlegenden Bedingungen, die gleiche Erfolgschancen im Bildungssystem sichern sollen, wurden durch die Ergebnisse von PISA-2000 und -2003 in Frage gestellt. Bei der Auswertung der PISA-2000 Studie wurde der Mig-rationshintergrund anhand der Geburtsorte der Eltern und anhand der Sprache, die in der Familie gesprochen wird, ermittelt; dadurch kam die benachteiligende Schulsituation der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, insbesondere in Hinsicht auf Effekte von mangelndem Unterricht und Förderung der Mutter-/Herkunftssprache, klar zum Vorschein.

 

„Auf der Ebene des internationalen Vergleichs ist das Ergebnis der PISA-2000-Studie besonders bemerkenswert, dass nur etwa 2% der Jugendlichen, deren beide Eltern nach Deutschland zugewandert sind, die höchste Kompe-tenzstufe im Bereich ,Lesefähigkeit’ erreichten. Etwa 20% von ihnen gehören zu den ,extrem schwachen Lesern’. Fast 50% der Zugewanderten überschreiten die elementaren Kompetenzstufen im Lesen nicht. Mangelnde Lese-kompetenz im Deutschen aber wirkt sich kumulativ auf die mathematische und naturwissenschaftliche Leistungs-fähigkeit aus. Daher ist es wahrscheinlich, dass Schülerinnen und Schüler mit unzureichender Lesekompetenz auch in anderen Bereichen in ihrem Kompetenzerwerb beeinträchtigt sind.“ (Gogolin/Krüger-Potratz 2010, S.158)

 

Die Mehrheit der in PISA-2000 und -2003 Studien getesteten 15-jährigen, wie auch die in IGLU getesteten Viertklässer mit Migrationshintergrund, waren in Deutschland geboren oder aufgewachsen und hatten somit nur die deutschen Schulen besucht. Kinder, die in ihren Herkunftsländern schon die Schule besucht hatten, erreichten bessere Resultate:

 

 „Dazu gibt die Studie PISA 2003 noch einmal genauer Auskunft. Hier hat sich gezeigt, dass diese Schülerinnen und Schüler umso schwächer abschneiden, je länger sie eine Schule in Deutschland besucht haben. Jugendliche, die in höherem Lebensalter zugewandert sind und einen Teil ihrer Bildungskarriere im Land der Herkunft absolviert haben, erzielten in dieser Untersuchung durchschnittlich bessere Leistungen als jene, deren gesamte Schulkarriere sich in den deutschen Schulen abspielte <...>.“ (ebd. S.158)

 

Dietrich (2001) sieht im mangelnden Schulerfolg einen objektiven Maßstab, der auf eine schulische Benachteiligung und Diskriminierung der Migrantenkinder hinweist:

 

 „Schulische Sozialisation wird primär bewirkt durch Sprache. Folgerichtig wird...

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